Lesestoff: Bundeswehr durch Afghanistan-Einsatz auf Augenhöhe mit den Verbündeten
Mal was zum Lesen: Carlo Masala, Professor an der Münchner Bundeswehr-Universität, wirft einen Blick auf die Bundeswehr nach zwölf Jahren Einsatz am Hindukusch. Hier nur der Einstieg seines Fazits:
Zwölf Jahre Afghanistan haben zu gewaltigen Veränderungen in der Bundeswehr geführt, die vor allem von den Soldaten im Einsatz angestoßen wurden. Deshalb verfügt Deutschland heute über eine gut ausgerüstete und hochprofessionelle Armee, die vielfältig einsetzbar ist und auf Augenhöhe mit den Alliierten kooperieren kann.
Hochprofessionell ja, auf Augenhöhe mit den Alliierten vielleicht – aber nicht mit allen, oder doch? Würde mich – in den Kommentaren – interessieren, und ich glaube, Carlo Masala auch.
Das ganze Stück in der aktuellen Ausgabe von Internationale Politik via Webseite der UniBw (wg. dem Leistungsschutzrecht und so).
(Foto: Panzerhaubitze2000 in Kundus – Bundeswehr/Wayman via Flickr unter CC-BY-ND-Lizenz)
@O. Punkt und Sachlicher: Da muss man zwei Ebenen unterscheiden, wie Sachlicher das getan hat. Zum einen die Streitkräfte selber und wie sie sich verändert und angepasst haben (das ist das eigentliche Argument in dem IP-Artikel) und zum anderen den politischen Willen. Dass der oftmals zurückhaltend ist, bezweifelt ja keiner, lässt aber nicht direkt und hundertprozentig auf das Können, das Training und die Ausstattung der Streitkräfte schließen. Die Anpassung der Bundeswehr, das On-the-job-training fand ja statt trotz der Zurückhaltung in Berlin.
Der Fehler, den die Politik lange gemacht hat und der auch die Soldaten frustriert hat, war, dass sie gegenüber Deutschlands Verbündeten nicht ausreichend kommuniziert haben, welche großes Engagement Deutschland in AFG leistet und dass sie sich auch am Kampf beteiligt. Dass die Politik das versäumt hat, führte zu großem Rechtfertigungsdruck, den man hätte vermeiden können, wenn man frühzeitiger den deutschen Beitrag auch so dargestellt hätte, wie er tatsächlich war.
Zu den bewaffneten Drohnen: Die Bw selbst möchte sie beschaffen, das ist beschlossen.
Was Cyberwarfare betrifft, so ist es politisch gewollt, dass dieses Thema beim BMI und nicht den Streitkräften liegt.
Lufttransportfähigkeit: Daran wird gearbeitet. Dass der A400M noch nicht da ist, liegt aber nicht alleine an der Bw oder der Politik, da hat auch die Industrie mit Schuld.
Überlegenheit auf See: Hat die Bundesrepublik nie angestrebt, unser Interesse liegt nur im freien und ungehinderten Handel auch über Seewegen und dazu leistet die Bundeswehr ihren Beitrag in Zusammenarbeit mit ihren Verbündeten.
Darüber hinaus sehe ich schon, dass man im politischen Berlin mittlerweile etwas mehr über deutsche Interessen diskutiert. Dazu kommt aber, dass man (und das betrifft nicht nur Deutschland) die Effektivität des Militärs und was es in z.B. fragilen Staaten erreichen kann, nach Afghanistan deutlich skeptischer betrachtet. Das ist nicht unbedingt mit Zurückhaltung, was Kampfeinsätze betrifft, gleichzusetzen. Das hat man in Libyen gesehen, als die internationale Gemeinschaft beschloss, alles aus der Luft anzugehen.
Vielen Dank für den Hinweis auf die aktuelle UdÖ und hier besonders auf die Vorfälle in Sar -E- Pol.
Die dortigen Vorfälle überraschen mich doch sehr. War doch Sar-E-Pol bisher eine der fortschrittlichsten Distrikte in ganz AFG. Wenn ich mich recht erinnere, lag die Zahl der Attacken durch OEF bisher annähernd 0 und so hoch waren auch bisher die ISAF Verluste.
Insbesondere die aufgrund der dortigen Bevölkerungsstruktur galt die ganze Region ja eigentlich als OEF-frei.
Da ist es ja mehr als bezeichnend, das ANSF nun gerade hier vorrückt und sich sogar zu CAS gezwungen sieht. Kann man in mehrere Richtungen deuten.
Ich bin auf die Interpretation aus Berlin gespannt, so es denn eine gibt.
Kennt jemand genauere Hintergründe bzgl. der Entwicklung in Sar-E-Pol?
@memoria
Wenn ich nur einen Hammer habe…sieht jedes Problem wie ein Nagel aus.
Dabei haetten wir Deutschen mit unserer vorbildlichen Territorialen Wehrorganisation (vor der Aufloesung der TerrKdos und der VKKs) das Wissen fuer ein eigenstaendiges Engagementprogramm gehabt. Aber das ist eben nicht si schoen und mobil.
Symmetrie findet nur im Gehirn des Staerkeren statt, der Schwaechere schaut immer nur auf Asymmetrie.
Und nach lesen von Auszuegen der NL Dissertation. ..koennte man auf der lokalen Ebene sogar anscheinend noch was mit einem Mix aus Mobbing und Antimobbing Ansaetzen werden
@Carolin H:
„Was Cyberwarfare betrifft, so ist es politisch gewollt, dass dieses Thema beim BMI und nicht den Streitkräften liegt.“
Das BMI bzw. dessen BSI ist für IT-Sicherheit zustandig.
Das BMVg – genauer das KSA, Abt. CNO – baut derzeit offensive Fähigkeiten auf.
Soviel zur Dauerbegründung „politisch nicht gewollt“.
Allgemein: Der Aufsatz in der IP scheint ja auf ihrer Diss aufzubauen. Ich habe den Eindruck, dass beide recht gut die Sichtweise höherer Offiziere widerspiegelt.
Diese Sicht ist jedoch nicht unstrittig (siehe Diskussion hier).
Oder hab ich was falsch verstanden?
@Carolin H
Ich finde ihre Beiträge spannend, da Sie anscheinend nicht militaer belastet sind:
Ich sehe aber schon etwas Korrektur Bedarf:
Das Problem der Deutschen Politik war nicht das fehlende Trommeln eigener Leistungen, sondern das staendige Erst-sind-wir-dagegen und dann machen wir es doch…wie bspw Awacs im Tausch gegen Lybien.
Das die Bw bewaffnete Drohnen will ist Schnee von gestern, hierzu reden sich Generäle wie GenLt Muellner oder juengst Vollmer den Mund fusselig. Die Frage ist doch, ob wir in der voellig verbrannten öffentlichen Diskussion noch gehört werden. Und ob es nicht doch Alternativen wie bspw ein COIN Flugzeug mit man in the loop gibt.
Das Cyber war beim BMI verorter wurde ist mir neu Schutz kritischer Infrastruktur ja… aber Offensive Cyber…. selbst der BND
untersreht nicht dem BMI….
@memoria
2 Doofe ein Gedanke
+1
@Soenke Marahrens
Anhand der Drohnen muss man wohl erst einmal einen Grundkonsens über die Rolle von Streitkräften herstellen: Gewaltandrohung und -anwendung zur Zielerreichung. Aber auch der Minister begründet die Drohnen ja mit Selbstverteidigung.
Nach meinem Eindruck gibt es genau hier immernoch erhebliche Defizite. Gerade auch bei der Führerausbildung.
Derlei ist ja aber allzu oft selbst auferlegtes (!!) Tabu. Aber ohne eine vernünftige intellektuelle Basis geht es nicht (gut).
@Caolin H:
Zu Beginn ihrer Diss. schreiben sie in einem Aufsatz:
„Soldiers are allowed to use firepower only when attacked or to assist third parties in distress, while NATO’s rules of engagement, on the other hand, allow the use of offensive firepower.
However, Noetzel told ISN Security Watch, “Attempts to address the code of conduct were met with no response from politicians.”
In early June, after ISN Security Watch talked to Noetzel, German Defense Ministry plans to adjust the code of conduct were finally approved in Parliament. The Ministry is currently rewriting the rules of engagement.“
http://www.isn.ethz.ch/Digital-Library/Articles/Detail//?lng=en&id=103182
Hier entsteht – bewusst oder unbewusst – der Eindruck das Parlament habe notwendige Anpassungen der ROE verhindert. Das ist unzutreffend. Mich würde daher sehr interessieren was unter „approved in parliament“ zu verstehen ist.
Haben sie dieses Thema in ihrer Diss. noch vertieft?
@ memoria
nun, es regt sich kein widerstand hinsichtlich einer möglichen erdkampffähigkeit des EF. ob drohne oder EF es fällt in jedem fall was vom himmel und am boden sterben menschen. die frage der reinen gewaltanwendung kann es in der debatte daher nicht sein.
bedanken darf man sich eher bei der cia, die mit ihrer privaten reaperflotte die rolle der Contra todesschwadronen übernommen hat (mehr oder weniger präzise schläge gegen echte oder vermutete oppositionelle) und sich dabei aufführt wie die axt im wald.
hinzu kommen (in meinen augen durchaus begründete) ängste vor einer automatisierung des gefechts und was die mechanisierung des gefechtsfelds anfang des 20. jhdts gebracht hat, ist allgemeinbildung.
die zielauswahl erfolgt heute schon teilweise autonom (mustererkennung) und bei stationären systemen afaik auch bereits die entscheidung zum waffeneinsatz. da ist eine debatte über das „wie und unter welchen regeln“ dieser wohl unvermeidlichen revolution durchaus angebracht.
im zivilen laufen ähnliche debatten zb im bereich des automatisierten = autonomen MIV.
Ich möchte nur schreiben :
Ich weiß dass ich hier wegen der Kriegsgefahr so schräg hier gehalten werde.
Im Handelsblatt ist ein Bericht das Japan zurzeit Japan mit Russland wegen China verhandeln um eine Neutralität Russland im Kriegsfall
Spiegel online steht ein Bericht dass USA die in Deutschland Atomwaffen Modernisieren will, also so friedlich wird wohl Russland nicht gehaltert in den USA?????
Leider sind Links Verboten
@Alarich
Spiegel Online gehört zu den Ausnahmen, bei denen Links ok sind… Aber ich greife das Thema gleich in einem neuen Thread auf.
@Memoria, ja das Thema vertiefe ich in meiner Dissertation. Die größte und einschneidendste Veränderung in der Taschenkarte kam im Sommer 2009 und da waren tatsächlich einige Parlamentarier, z.B. Dr. Stinner, Frau Hoff, sehr aktiv beteiligt und haben für eine Änderung plädiert. Ebenso gab es natürlich indirekt Druck von Seiten NATO.
@Soehnke Marahrens: Das zuerst-dagegen-dann-doch-dafür war sicherlich nicht immer besonders geschickt, aber so funktioniert Politik eben. Ich denke aber nach wie vor, dass die deutsche Politik unseren Verbündeten viel klarer hätte machen sollen, was wir in AFG leisten – auch wenn andere mehr leisten, die aber auch mehr Mittel zur Verfügung haben.
@ Carolin H
Ist der Titel Ihrer Dissertation „Accidental Combatants“ u.U. eine Anspielung auf Kilcullen’s „Accidental Guerilla“?
@Carolin H:
Nach meinem Eindruck hat die Bundeswehr hieraus jedoch als Institution nichts gelernt.
Stattdessen prägen immer mehr Legendenbildungen den Blick auf AFG.
Im Kern wird darin die Verantwortung für das Scheitern der Politik und zivilen Akteuren zugeschrieben. Eigene Fehler der Bundeswehr (siehe ROE) werden nicht wirklich thematisiert. Eine Art Dolchstoßlegende 2.0.
Darin liegt für mich auch das Hauptproblem mit dm Aufsatz von Prof. Masala.
Es entsteht der Eindruck die Bundeswehr habe ihre Hausaufgaben gemacht.
Das Gegenteil ist aus meiner Sicht der Fall.
Stattdessen wird sehr gern von der militärischen Führung anderen erklärt was sie falsch machen.
Habe ich so diese Woche wiedermal live und in Farbe erlebt.
@Memoria: Ich stimme Ihnen zu, man hätte viel mehr aus den Fehlern lernen können auf allen Ebenen, von der politischen bis runter zur taktischen. Nur sehe ich den Punkt von Prof. Masala darin, WAS die Bundeswehr alles gelernt hat und angewandt hat. Er wollte aufzeigen, WAS sich verändert hat und nicht, was alles noch ausstehen würde. Dass viele Dinge eben nicht oder nur langsam angepasst wurde bzw. noch wird, darauf verweist er ja kurz am Ende. Daraus könnte man natürlich auch eine lange Arbeit machen, zu der bestimmt auch die Unteroffiziere oder Mannschafter der Bundeswehr sehr viel beizutragen hätten.
@FUbits: Ja, das ist eine Anspielung die Arbeit von Kilkullen, entspricht aber auch sinnbildlich der Realität, auf die man in Afghanistan traf. Lange Jahre wurde der Einsatz als Stabilisierung dargestellt, die Bundeswehr nicht als Konfliktpartei – nur entsprach die Realität eben nicht der politischen Darstellung.
Die Wahrheit liegt wohl in der Mitte. Militärisch hat die Bw zweifellos eine Menge wichtiger Erkenntnisse – vor allem taktischer Art – aus dem AFG-Engagement gezogen. Die Beipiele sind genannt. Nicht alles davon hat aber durchgreifende Änderungen in der Praxis bewirkt, denn umgesetzt werden konnte und durfte bis zum heutigen Tag nur ein (durchaus beachtlicher) Teil. Aber dabei alle verbliebenen Defizite immer nur auf die politischen Restriktionen zu schieben, das deckt nur die halbe Wahrheit.
Ob das immerhin Erreichte für eine „gleiche Augenhöhe“ mit den alliierten Partnern reicht, da bin ich mir nicht sicher. In einigen Bereichen vielleicht schon. Und selbst wenn es so wäre: Dieser Zustand ist mit verdammt viel Zeit erkauft worden, was sich auf die Lageentwicklung vor Ort nicht gerade positiv ausgewirkt hat. Soll das bei einem künftigen Einsatz (wo auch immer), der dann vielleicht ganz andere Fähigkeiten und ganz andere militärstrategische und operative Ansätze erfordert, genauso lange dauern?
Daher, und das ist entscheidend: Wir sollten uns jetzt nicht entspannt in dem Glauben zurücklehnen, wir hätten unsere militärische Doktrin und deren operative Umsetzung inzwischen voll im Griff. Vielmehr muss die Bw ihre Fähigkeit, sich rasch auf neue Lagen einzustellen, deutlich verbessern – auch mental. Insgesamt halte ich aus diesen Gründen wie @Memoria eine Legendenbildung für riskant.
@Carolin H:
Genau deswegen kann ich das Fazit von Prof. Masala (hochprofessionell) nicht teilen.
Es gibt nicht einige wenige Defizite, sondern grundlegende kulturell-mentale Defizite in der Bundeswehr. Diese zeigen sich gerade beim (Nicht-)Lernen in Sachen Afghanistan.
Da helfen auch individuelle Lernerfahrungen ohne institutionelle Rückkopplung nicht.
Aber das wäre ja mal mit Prof. Masala zu diskutieren.
@KeLaBe
Volle Zustimmung.
Zu langsam und zu wenig lernen ist eben nicht wirklich hochprofessionell.
Egal ob es um ISAF geht oder die Zukunft.
Lernende Organisation Bundeswehr?
Mit all der Schönrednerei verhindert man ja bereits eine – auch nur ansatzweise – realistische Selbstreflexion.
Kernfragen des ISAF-Einsatzes (Wie kam es ab 2005 zur Eskalation im Norden? Wie entwickelte sich die Lage seitdem? Warum kam es ab 2010/2011 zu einem Umschwung?) werden ja ga nicht gestellt, geschweige denn beantwortet und in der Ausbildung beachtet.
@memoria und @ Carolin H.
Check! Genau das ist auch meine Erfahrung. Auf die Frage, wie man einer insurgency taktisch und auf operativer Ebene begegnen kann, können britische und französische Offiziere ihre Vorschriften und nationalen Erfahrungen wiedergeben, US-Offiziere einen ganzen Kanon an Vorschriften, Veröffentlichungen und öffentlichen, verschriftlichten (!) Diskussionen in militärischen Fachpublikationen anderer Qualität als „Zugleich“ oder „Y“ hervorziehen. Ein deutscher Stabsoffizier mit AFG-Erfahrung kann seine Erfahrung und meist initiativ recherchierte englischsprachige Literatur nutzen. Ein Stabsoffizier ohne Einsatzerfahrung hat leider häufig einfach keine Kenntnisse dazu.
Und erneut: CHECK! Offenbar waren sie in der gleichen Armee wie ich! Auf taktischer Ebene haben Soldaten, Unteroffiziere und Offiziere viele Erfahrungen gemacht, haben diese direkt ausgetauscht und haben sich um taktische Innovation bemüht, die zu einer Professionalisierung dieses Personals, nicht aber der ganzen Organisation führte. Denn hat die Organisation die entsprechenden Vorschriften mit Erkenntnissen und Erfahrungen angepasst, die über den AFG-Einsatz hinausgehen? Wann war die letzte Änderung der ZDv 3/11 Gefechtsdienst aller Truppen? Hat man nach zehn Jahren AFG eigentlich inzwischen die Vorschrift „Das Joint Fire Support Coordination Team“ geschrieben? Wurden zentrale Lehrgangsinhalte an den Schulen entsprechend verändert? Wieviel Einsatz- bzw. Kampferfahrung haben die meisten Gruppen Weiterentwicklung und wie setzen sie diese um? Hier fehlt, wie @memoria richtig anspricht, eine militärische Diskussionskultur über militärische Themen, eine ordentliche Fehlerkultur und eine institutionalisierte Reflexion und Umsetzung gemachter Erfahrung. Die Kontingentberichte aus dem Einsatzland sind in weiten Teilen, zu wenig detailliert, zu schöngefärbt, zu wenig in der Truppe verteilt und verhallen ungehört.
Meine Wahrnehmung hierzu ist weniger positiv ohne dass ich hierzu auf die von ihnen genannten Personen eingehen möchte. Das Personal dieser Führungsebene erscheint mir weiterhin nicht durch die Realität des taktischen Gefechtes geprägt zu sein, sondern mit ihrer vormaligen Prägung in eine andersartige Lage geraten zu sein. Ein Anzeichen hierfür war für mich das komplette Ausbleiben von Führung durch das RC North, und die Delegation der kompletten Verantwortung auf die PRT- und TF-Ebene. Dort konnte ein Kdr diese Verantwortung aufnehmen oder einfach weitermachen, wie bisher – es gab ja keine anderslautenden Befehle. Beides live gesehen. Der Generationenwechsel scheint mir derzeit noch auf der Ebene Oberstleutnant stattzufinden, wo eine Generation von Offizieren mit der Erfahrung unmittelbarer Führung im Gefecht, also nicht via FüInfoSys aus dem TOC oder mittels schriftlicher Befehle aus dem RC North, nachrückt.
Wenn diese Generation aber in Ämtern, Stäben und Ministerien verschwunden ist, die Feldwebel in den Innendienst befördert werden und die Mannschaften ihre Dienstzeit beendet haben werden, werden die kampferfahrenen Verbände der Bundeswehr wieder mit den gleichen Vorschriften, Lehrgängen und ohne Einsatzerfahrung arbeiten, wie vor AFG. Denn das alles wurde kaum institutionell aufbereitet, reflektiert oder in Maßnahmen umgesetzt.
Als gute Fallstudie hierzu empfehle ich übrigens: “Feindkontakt – Gefechtsberichte aus Afghanistan“. Der geneigt Leser möge sich selbst ein Urteil bilden, welcher Autor, welche Geisteshaltung führt.
Sarkastisches Fazit: „Die Professionalisierung der taktischen Ebene wird durch Teile der militärischen Führung weiterhin als ein schon fast unangenehmer Nebeneffekt dieses unsäglichen Auslandseinsatzes gesehen, der sich binnen fünf Jahren aber hoffentlich erledigt haben wird. Und dann machen wir wieder Grundbetrieb und Personalführung, wie sich das gehört.“
Kleine Anmerkung am Rande, analog zu der Diskussion mit @Sönke im Thread Führung:
Wir reden hier von der „Professionalisierung Bundeswehr“, meinen aber schwerpunktmäßig das Heer und nur in Teilen Luftwaffe.
Marine ist in diesem Kontext so erstmal nicht betroffen, da komplett anders unterwegs.
Somit sollte doch etwas mehr differenziert von den Truppenteilen gesprochen werden, die es betrifft und die spezifischen Folgen etwas klarer den betroffenen Bereichen zuweisen.
Erst dann können wir über Erfahrungswerte und Professionalisierung sprechen und ob diese so übergreifend zutreffen oder nicht.
„Joint“ bedeutet auch, die Unterschiede der Truppenteile angemessen zu berücksichtigen und zu nutzen.
@NMWC:
„Marine ist in diesem Kontext so erstmal nicht betroffen, da komplett anders unterwegs.“
Das stimmt zweifellos für die Marine als TSK, jedoch sind nicht unerheblich Marineuniformträger bei ISAF (SKB- und ZSan-Personal).
Die oben beschriebenen Probleme sind aus meiner Sicht jedoch auch bei der Marine erkennbar. Insbesondere das Thema Auftrag, ROE, Umsetzung ist auch in der Marine von selbst auferlegten Denk- und Handlungsblockaden geprägt.
Jüngstes Beispiel:
http://augengeradeaus.net/2013/10/piraten-somalia-weit-unten-in-der-liste/#comment-79704
Die gesamte Mutterschiffdiskussion der letzten Jahre zeigt dies für mich ebenfalls sehr gut. Von OEF reden wir ja besser gar nicht….
Wie es anders geht, zeigen uns eben gerade Briten und Dänen am Horn von Afrika (z.B. http://www.bbc.co.uk/news/world-africa-12442330, interessante Karte zur Ausbreitung).
Der Marine muss man jedoch zu Gute halten, dass sie eine – vergleichsweise – offene Diskussionskultur hat („nobody asked me but…“ im MF).
Die Marine bleibt somit als Einäugiger unter Blinden der König.
@Memoria
Sehen Sie? Und da sind wir bei der Differenzierung. ;))
Personaltechnisch gesehen trifft es ja auch auf MSK und SEKM zu. Die gehören zur Marine, sind aber ein prozentual kleiner Anteil in dieser Betrachtung. Aber dort werden die Erfahrungen Auftragsbezogen benötigt. Ebenso in den Teilen SKB. Die gehören aber zur SKB.
Achtung Provokation:
Marine heisst zunächst einmal seegehende Einheiten. Dazu gehören dann weitere Bereiche.
Das es auch Probleme bezüglich ROE und Denk- und Handlungsblockaden gibt sehe ich ähnlich.
Und da bin auf Ihrer Seite. Wo ist denn der Diskurs über die Operationen der letzten Jahre. Daher auch mein Wunsch an einem Symposium wie von @Sönke in den Raum gestellt. Dort könnte es mal thematisiert werden. Und gerne Bottom Up. Denn von oben erwarte ich persönlich nicht sehr viel. Dazu wäre schon viel zu häufig Gelegenheit gewesen.
@Cynic2:
Vielen Dank für die Rückmeldung, dem ist nichts hinzuzufügen.
Interessiert aber offenbar auch hier kaum jemand.
Sehr schade.
keine sorge, man nimmt das durchaus interessiert zur kenntnis, aber da ich dem traditionsverein für landesverteidigung und nabelschau bereits vor jahren erfolgreich entkommen bin, fehlt mir hier eindeutig die grundlage um mitzudiskutieren ;)
@ Memoria
Ja in der Tat, sehr schade.
Wenn außer uns, aber eh niemand mehr diesen thread liest, hier noch zwei Bemerkungen:
1. Das letzte Element oder Produkt Deutscher COIN-Doktrin (dieser Begriff ist so abwegig :-)) war meines Wissens der „Leitfaden Aufstandsbewältigung“ der im Auftrag des BMVg durch das ISPK der Kieler Christian-Albrechts-Universität erstellt wurde. Die Autoren nahmen dem Vernehmen nach an mehreren Workshops mit erfahrenen Entscheidungsträgern aus dem Einsatz teil und waren auch zur Ortsbegehung in AFG. Wie in einem späteren Gespräch deutlich wurde, war die tägliche Realität auf der TF- und Kp-Ebene, mit sehr weitreichenden Auswirkungen, nicht vermittelt worden. Da fragt man sich, ob die höhere Führung dieses Lagebild nicht hat oder nicht wahrnimmt.
2. Wenn die akademische Seite an mehreren Stellen „Elemente einer DEU COIN-Doktrin“ wahrnimmt, die aber nicht schriftlich niedergelegt wurde, frage ich mich, worin diese denn bestehen soll, wer sie ohne offizielle Billigung erfahren zu haben verantwortet und wie sie sich ohne Billigung und weitergehende Vorschriften auswirken soll. Diese Wahrnehmung habe ich sowohl bei Herrn Masala, als auch bei Frau Hilpert und schließlich vor kurzem bei Beatrice Heuser gefunden, deren Buch „Rebellen, Partisanan, Guerilleros“ übrigens als historischer Überblick sehr lesenswert ist. Wie kommen die zivilen Beobachter auf die Idee, es gäbe eine DEU COIN-Doktrin? Die konzeptionellen Grundvorstellungen von damals qualifizieren wohl kaum dazu, oder?
@Cynic2:
„Wie kommen die zivilen Beobachter auf die Idee, es gäbe eine DEU COIN-Doktrin? Die konzeptionellen Grundvorstellungen von damals qualifizieren wohl kaum dazu, oder?“
Nach meinem Eindruck und persönlichen Erleben begrenzt sich für viele Forscher – mangels anderer Kontakte – der Zugang zur Bundeswehr auf das BMVg.
Dort sieht man sich natürlich mindestens auf Augenhöhe – nicht nur bei COIN.
Von der ISPK-Studie habe ich auch gehört, aber auch da war man wohl im BMVg der Ansicht die Hauptthemen seien die bessere Vernetzung der Ressorts und nicht der militärische Kernauftrag (Gewaltandrohung und -anwendung), siehe: http://www.ispk.uni-kiel.de/index.php?id=206.
Der Aufwand war wahrlich enorm – einschl. Einbindung des CNAS!
Sogar mit ner COIN-Rede von TdM am CNAS (siehe link oben).
Mal schauen wann all die Erkenntnisse in der Ausbildung ankommen.
Vielleicht kommt ja doch noch was…?
Dass es jedoch auch anders – als bei vielen „BMVg-hörigen“ Forschern- geht zeigt Münch in einer SWP-Studie:
http://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/studien/2011_S30_mue_ks.pdf
Das oben erwähnte Buch „Feindkontakt“ habe ich schon auf meinem „Zettel“.
Gerade wegen der Sichtweisen der jetzt im BMVg eingesetzten Herausgebers.
Das obige deutliche Fazit ist wohl nicht von einem der Herausgeber, oder?
@Cynic2 & Memoria: Doch doch, hier wird gelesen. Mit Interesse, aber mangels eigener Kenntnis schweigend.
Nachtrag zur TdM-Rede:
„The situation hit us unprepared… But we learned quickly. Systematically we adopted our forces equipment and training to the situation on the ground.“
Die gleiche Leier wie im Masala-Aufsatz – Sichtweise des BMVg eben.
@ Memoria
Ja, das klingt plausibel. In der Theorie gibt es natürlich auch Stellen in Stäben, Ämtern und dem BMVg, die sich tatsächlich damit auskennen sollten. Bei COIN sollte das aber ja eigentlich die DSO sein und deren Konzepte wurden zumindest durch Frau Heuser nicht erwähnt. Andererseits sollen sich bestimmte Stellen damit auskennen, ob sie das faktisch tun, ist noch eine andere Frage. Man kann sich jetzt streiten, ob es Fluch oder Segen ist, dass solche Kontakte nicht runter in die Truppe weitergereicht werden.
Ja, von der besseren Ressortvernetzung habe ich auch gehört. Das Produkt war den Aufwand meiner Bewertung nach jedenfalls nicht wert.
Wenn Sie Godot treffen, grüßen Sie ihn bitte von mir. Ich musste los! ;-)
Nein, dafür ist das Buch deutlich zu sachlich gehalten oder sagen wir mal, weist auf niemanden hin. Das Fazit ist kein Zitat sondern von mir und nur zur besseren Abgrenzung des Sarkasmus-Modes in Anführungszeichen. Das hat mit dem Buch gar nichts zu tun. Ich erhebe aber kein copyright und es darf gern weiterverbreitet werden. Ich warte ja noch auf fundierten Widerspruch … aber den hat Godot wohl dabei… oder vielleicht @Carolin H.?
@Cynic2:
Ihr Fazit weiter oben deckt sich zu 100% mit meinem Eindruck – wäre ja zu schön wenn sowas in so nem Buch stehen würde.
Auf den Widerspruch zu ihrer Gegenthese zu Masala warte ich ebenfalls.
Ich grüße Godot dann von Ihnen… :)
Zur COIN-Expertise im BMVg sag ich besser nichts.
Wobei mir der ein oder andere einfällt der sich damit auskennt, aber die wenigen wären hier wohl auch unserer Meinung zur allgemeinen Lagen (eben weil sie sich damit beschäftigt haben).
Noch ein Nachtrag zur TdM-Rede – Q&A-Teil:
Q: Warum kam es zum Wiedererstarken der Taliban?
A: I don’t know.
Dann einige allgemeine Mutmaßungen (perhaps, perhaps).
Da wäre Platz für Selbstkritik gewesen.
Hoffe die Studie hat da mehr Klarheit gebracht.
Aber ist ja nichtöffentlich. Wohl auch der Truppe nicht zugänglich.
Also reine Fingerübung, um zu zeigen, dass man was macht.
Falls Politik, Wissenschaft, Presse, etc nachfragen.
Aber bitte möglichst glatt.
Die genannten Reaktionen zeigen: Mission accomplished.
Ganz am Ende wirft TdM die sehr gute Frage in den Raum: COIN in Africa?
@Memoria
Wenn das da drin stünde, müsste ich es überlesen haben. Aber das Geleitwort von General Fritz habe ich auch im ersten Ansatz überblättert. ;-)
Wie ein Kamerad neulich sagte: „Wir sind ja auch nur die Deppen mit der Fachexpertise, mit denen keiner spricht und auf die keiner hört.“
Wenn Sie auf Godot warten, weiß ich ja, wo ich Sie finde, wenn es wieder was zu diskutieren gibt. Dann bis bald.
@memoria & cynic2:
ausgezeichnete Zusammenfassung des „Lessons Learned“ Problem. Ich ergänze einen weiteren Punkt: Manche Einsatzerfahungen stehen in Konkurrenz zu heimischen Konzepten oder Material. Somit wird Einsatzerfahung eher genutzt wenn sie bestimmte Interessen fördert. Kritik an dem Bestehenden dagegen wird marginalisiert.
Das Buch „Feindkontakt“ ist tatsächlich sehr gut, und die Unterschiede im Mindset der Autoren sichtbar.
@COINdinistas
Ein bösartiger Beobachter könnte annehmen, dass die Diskussion um COIN in der Bw (Welche ja nicht stattgefunden hat.) den inhaltlichen Tiefgang der Streitkräfte aufzeigt.
„Zynismusmode“
Gottseidank kann AFG jetzt „endlich“ zu den Akten gelegt werden kann. Das zarte Pflänzchen Doktrindiskussion steht nicht unter dem Flora-Fauna-Habitat-Schutz der EU und kann somit abgesäbelt werden.
Wenn dann im nächsten Einsatz, beim Antreten die Kameraden wieder in die offenen Luken des TPz Fuchs auf die Särge starren, trifft die alte Weisheit zu: Was ist das dümmste was einem Soldaten passieren kann? Antwort: Sterben für’n schlechten Plan.
@Aufreger:
streiche: bösartiger
setze: realitätsnaher
Boshaft wäre anders…
Lesehinweis:
http://warontherocks.com/2013/11/clear-hold-build-fail-rethinking-local-level-counterinsurgency/
Das Kdo Heer will nächstes Jahr ein „Lessons learned ISAF“-Dokument herausgeben – mal sehen, ob man sich da auch über COIN grundsätzliche Gedanken (s.o.) macht.
Wobei man in der Konsequenz dann ja die StabOp-lastige Heeresstruktur in Frage stellen müßte…