Probleme mit dem G36: Weiter geht’s (Update: Stellungnahme BMVg)

Dass es mit der Standardwaffe der Bundeswehr, dem Sturmgewehr G36, Probleme gibt – dazu gibt es seit April vergangenen Jahres die ersten Berichte (und ich musste mich nach meiner damaligen Meldung für den Spiegel beschimpfen lassen, ich hätte einen Aprilscherz veröffentlicht). Jetzt hat der Spiegel nachgelegt (Disclaimer: ich bin an dieser Geschichte nicht beteiligt) und berichtet vorab über die Geschichte in der jüngsten Ausgabe:

Die Bundeswehr hat mit ihren Gewehren und Pistolen, die in Afghanistan im Einsatz sind, offenbar gravierende Probleme. Ein vertraulicher Abschlussbericht der zuständigen Wehrtechnischen Dienststelle belegt, dass das Standardgewehr G36 bei Erwärmung durch Sonneneinstrahlung und Dauerfeuer an Präzision verliert. Von einem „erheblichen Mangel“ spricht auch ein anderes internes Dokument, das dem SPIEGEL vorliegt.
Nach der Abgabe von 90 Schuss aus hundert Meter Entfernung habe die Waffe einen Streukreis von 50 bis 60 Zentimetern aufgewiesen. (…) Als Grund hat der Abschlussbericht die aus Kunststoff hergestellten Teile der Waffe identifiziert, die bereits bei 23 Grad Celsius an Steifigkeit verliere. Liege die Waffe in der Sonne oder werde sie von einer Seite erwärmt, verlagere sich dadurch der Treffpunkt des Gewehrs.

Im Kern also das, was vor mehr als einem Jahr schon vermutet wurde – allerdings, so der aktuelle Bericht, gibt es inzwischen wohl einen Abschlussbericht und weitere Berichte zum G36. In denen laut Spiegel auch der Begriff erheblicher Mangel auftaucht (den ich aus juristischen Gründen nicht verwendet habe, nicht verwenden werde, mir nicht zu eigen mache, sondern lediglich zitiere – das muss ich heutzutage wohl vorsorglich hinzufügen).

Die komplette Spiegel-Geschichte liegt noch nicht vor; das Verteidigungsministerium hat am Samstag schon mal reagiert:

Bezüglich des Spiegel-Vorabs vom 14. September 2013: „Bundeswehr hat mit Gewehren + Pistolen, die in Afghanistan eingesetzt werden, große Probleme“ sowie des Artikels auf Spiegel Online ebenfalls vom 14. September 2013 „Rüstungsskandal: Bundeswehr sieht „erhebliche Mängel“ beim Sturmgewehr G36″  weist das Verteidigungsministerium darauf hin, dass die angeblichen Unzulänglichkeiten des G36 nicht neu sind. Sie waren Anlass zu Untersuchungen, die im Ergebnis die Vorwürfe ausgeräumt haben. Das Verteidigungsministerium hat diesbezüglich wiederholt Stellung genommen, was beispielhaft folgende Links* belegen:
http://www.bild.de/politik/inland/bundeswehr/schiesst-mit-kaputten-gewehren-23833380.bild.html
http://www.welt.de/politik/deutschland/article106223581/Deutsches-Sturmgewehr-fuer-langen-Kampf-untauglich.html
http://www.welt.de/politik/deutschland/article106143393/Deutsches-Sturmgewehr-versagt-bei-langem-Gefecht.html
http://www.tagesspiegel.de/politik/de-maiziere-unter-druck-debatte-um-g36-ist-die-bundeswehr-falsch-ausgeruestet/8272404.html
Das Verteidigungsministerium behält sich ausdrücklich weitere Ausführungen vor, sobald der komplette Artikel im aktuellen Heft des SPIEGEL am 15. September 2013 verfügbar ist.

Noch gibt es keine Stellungnahme des Ministeriums zur Pistole P8 – die wird im Spiegel-Bericht auch erwähnt:

Bei der von der Bundeswehr verwendeten Munition vom Typ DM51 soll ein gefährlich hoher Gasdruck entstehen. Pistolen seien am Verschluss oder Rohr gerissen, bei manchen würden durch den Druck Metallteile herausgeschleudert. Das Ministerium räumte gegenüber dem SPIEGEL 48 Vorkommnisse seit dem Jahre 2012 ein, darunter 12 durch „Bruch oder Riss“, hält dies aber für ungefährliche „Verschleißphänomene“. In internen Dokumenten ist hingegen von einer „Verletzungsgefahr“ bei Verwendung der Munition die Rede.

Mehr dann also vermutlich am (morgigen) Sonntag.

Nachtrag Sonntag, 15. September: Die Original-Spiegel-Story habe ich noch nicht; es gibt aber inzwischen eine ausführlichere Stellungnahme des Verteidigungsministeriums, die ich hier im Wortlaut dokumentiere:

Das Verteidigungsministerium erklärt zum SPIEGEL-Artikel vom 15. September 2013 „Auf Handwärme abkühlen“:

Das Gewehr G 36 wurde bereits im Jahr 1995 unter den Bedingungen des damaligen Rüstungsprozesses „Entwicklung-Beschaffung-Material“ eingeführt.
Die im aktuellen SPIEGEL-Artikel dargelegten, angeblichen Unzulänglichkeiten des G36 sind nicht neu. Sie waren Anlass zu Untersuchungen, die im Ergebnis die Vorwürfe ausgeräumt haben. Das Verteidigungsministerium hat diesbezüglich wiederholt Stellung genommen, was beispielhaft folgende Links* belegen:

http://www.bild.de/politik/inland/bundeswehr/schiesst-mit-kaputten-gewehren-23833380.bild.html
http://www.welt.de/politik/deutschland/article106223581/Deutsches-Sturmgewehr-fuer-langen-Kampf-untauglich.html
http://www.welt.de/politik/deutschland/article106143393/Deutsches-Sturmgewehr-versagt-bei-langem-Gefecht.html
http://www.tagesspiegel.de/politik/de-maiziere-unter-druck-debatte-um-g36-ist-die-bundeswehr-falsch-ausgeruestet/8272404.html

Das Sturmgewehr G36 ist seit der Einführung im Jahr 1996 das Standard-Gewehr der Bundeswehr und wird seitdem in verschiedenen Varianten auf der Grundlage der Bedarfsträgerforderungen beschafft. Die Waffe gilt als insgesamt zuverlässig.
Beanstandungen der Truppe über das G36 liegen weder aus dem Einsatz noch aus dem Ausbildungsbetrieb vor. Der Befehlshaber des Einsatzführungskommandos der Bundeswehr, Generalleutnant Hans-Werner Fritz, erklärte am 27. Mai 2013: „Aus meiner persönlichen Erfahrung als Kommandeur in Nordafghanistan hat es über die Waffe keine Klagen gegeben. Ich würde sie unverändert für eine Waffe halten, die man im Einsatz und in der Vorbereitung zum Einsatz wirkungsvoll nutzen kann.“
Das G36 wurde in 2012 an der Wehrtechnischen Dienststelle 91 in Meppen und an dem Wehrwissenschaftlichen Institut für Werk- und Betriebsstoffe in Erding hinsichtlich des Treffverhaltens bei „heiß geschossener“ Waffe untersucht. Die Effekte nach extremen Beschusszyklen bzw. hoher Schusszahl in kurzer Zeit bzw. außerordentlichen Umgebungstemperaturen entsprechen allgemein bekannten normalen physikalischen Gesetzmäßigkeiten.
Die untersuchten Effekte erfordern keine technischen oder konstruktiven Maßnahmen an der Waffe.
Das Bundesministerium der Verteidigung hat den Verteidigungsausschuss des Deutschen Bundestages und den Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages über das Ergebnis der Untersuchungen informiert.
Das Sturmgewehr G36 ist technisch nach wie vor zuverlässig und auch weiterhin für die Erfordernisse des Grundbetriebs der Bundeswehr und für die laufenden Einsätze tauglich.
Die Pistole P8 wurde 1994 in die Bundeswehr eingeführt und ist die Standardfaustfeuerwaffe der Bundeswehr für die Selbstverteidigung der Soldatinnen und Soldaten. Sie ist auf eine Lebensdauer von 10.000 Schuss spezifiziert.
Die Patronentypen 9mmx19 DM 51 (Weichkern) und DM 91 (Hartkern) wurden 1995 respektive 2005 in die Bundeswehr eingeführt. Beide Munitionen wurden für die Nutzung mit den Maschinenpistolen MP2, MP5 und den Pistolen P7, P8, P30 zugelassen.
Die Untersuchungen an der Wehrtechnischen Dienststelle 91 für Waffen und Munition in 2011 haben erhöhte Druckspitzen bei der Patrone 9mmx19 DM 91 (Hartkern) gezeigt.
Darauf hin wurde im April 2012 diese Patrone für die weitere Nutzung mit den eingeführten Waffen gesperrt. Es ist geplant, die Patrone zu überarbeiten und im Rahmen der nächsten Beschaffung neu zu qualifizieren.
Bei G36 und P8 handelt es sich um seit Jahren in der Bundeswehr eingeführte zuverlässige Waffen, die sich vielfach in Übung und Einsatz bewährt haben.  Die Waffen sind bei bestimmungsgemäßem Gebrauch handhabungs-, funktions-, betriebs- und treffsicher. Wie andere Waffen und grundsätzlich auch alle technischen Geräte haben sie eigene technische Parameter und Leistungsgrenzen. Diese werden in Ausbildung und Einsatz berücksichtigt.  Etwaige technische Probleme beim Einsatz, insbesondere in Extremsituationen, wurden zeitgerecht untersucht, Mängel abgestellt, um eine Gefährdung der Soldatinnen und Soldaten auszuschließen.
Im Übrigen steht den Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr im Einsatz ein über G36 und P8 hinausgehender Handwaffenmix zur Verfügung, der es ermöglicht, auf allen Kampfentfernungen effektiv zu wirken.

Nachtrag 16. September: Jetzt auch Report Mainz mit ähnlichen Aussagen wie der Spiegel jetzt und vor eineinhalb Jahren: Bundeswehr stellte schon 2011 „erheblichen Mangel“ am Standardgewehr G36 fest

 

* Hinweis: Normalerweise finden hier Links zu deutschen Verlagswebseiten angesichts des Leistungsschutzrechts nicht statt. Die Widergabe der Links an dieser Stelle ist ein Zitat aus einer Pressemitteilung des Bundesministeriums der Verteidigung und greift damit nicht in das im Leistungsschutzrecht festgeschriebene ausschließliche Recht des Urhebers zur Veröffentlichung ein. (Diese ganze juristische Vorsicht, die man heutzutage als Journalist an den unsinnigsten Stellen walten lassen muss statt an denen, wo es drauf ankäme, kotzt mich ziemlich an.)

(Archivbild September 2010: Gebirgsjäger mit dem Gewehr G36 – Andrea Bienert/Bundeswehr via Flickr unter CC-BY-ND-Lizenz)