Keine Hilfe für deutschen Wachmann (und Ex-Soldaten) in Kundus?

Der Vorfall liegt drei Jahre zurück, könnte jetzt aber rechtlich neue Bedeutung bekommen: Am 2. Juli 2010 starb bei einem Angriff von Taliban auf eine US-Hilfsorganisation in Kundus ein deutscher Wachmann. Nach einem Bericht der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung (FAS) und deren Vorabmeldung online (Link aus bekannten Gründen nicht) erhebt der Vater des getöteten 32-jährigen den Vorwurf, die Bundeswehr im nahegelegenen deutschen Feldlager in Kundus habe den Mann im Stich gelassen, obwohl er telefonisch um Hilfe gebeten habe.

Der Deutsche hatte ein Hotel bewacht, in dem Mitarbeiter der Hilfsorganisation Development Alternatives Incorporated (DAI) untergebracht waren. Angeheuert worden für diesen Job war er über das britische Unternehmen Edinburgh International. Nach DAI-Angaben kamen bei dem Angriff der Taliban insgesamt vier Mitarbeiter ums Leben.

Nach dem FAS-Bericht ist zu dem Vorfall in den Unterlagen des Tactical Operations Center (TOC) im Feldlager Kundus vermerkt, es habe während dieses Angriffes nur einen Anruf einer nicht vertrauenswürdigen Quelle gegeben. Dagegen zitiert das Blatt einen Soldaten, der zu der Zeit im TOC anwesend war, mit der Information, der Wachmann habe sich zwei Mal telefonisch gemeldet und um Hilfe gerufen: Holt mich raus, ich sterbe. Der Ex-Soldat, der während seiner aktiven Dienstzeit mit der Feldnachrichtentruppe in Kundus im Einsatz war, sei zudem im Feldlager bekannt gewesen.

Laut FAS hatte sich zwar die Immediate Response Force des Provincial Reconstruction Teams (PRT) Kundus zum Eingreifen bereit gemacht, sei aber nicht in Marsch gesetzt worden, nachdem durch Drohnenbilder klar gewesen sei, dass afghanische Sicherheitskräfte am Ort des Angriffs waren. Der damalige PRT-Kommandeur habe es abgelehnt, mit der Zeitung über den Vorfall zu sprechen.

Die damalige offizielle Mitteilung des Verteidigungsministeriums zu dem Vorfall:

In den frühen Morgenstunden des 02.07.10 griffen Opposing Militant Forces (OMF) gegen 03:20 Uhr afghanischer Ortszeit eine Einrichtung eines Vertragspartners der staatlichen amerikanischen Hilfsorganisation „US AID“ im Hotel „Ariana“ in Kunduz mit improvisierten Sprengsätzen, Panzerfäusten (Rocket Propelled Grenade / RPG) und Handfeuerwaffen an. Die Angreifer drangen in das Hotel ein und besetzten Teile des Komplexes. Im Zuge des Angriffs wurden neben drei britischen Mitarbeitern auch eine deutsche Zivilperson, die zum Wachpersonal gehörte, getötet und mehrere Zivilisten verwundet. Kräfte der Afghan National Army (ANA) und der Afghan National Police (ANP) hatten die Lage gegen 07:15 Uhr afghanischer Ortszeit unter Kontrolle. Amerikanische Kräfte waren ebenfalls vor Ort.
Deutsche Kräfte des regionalen Wiederaufbauteams (Provincial Reconstruction Team / PRT) Kunduz waren in die Kampfhandlungen nicht involviert, unterstützten jedoch bei der anschließenden Versorgung und Behandlung der Verwundeten im Rettungszentrum des PRT Kunduz.

Es bleibt die Frage, und deswegen hat die FAS das wohl auch aufgegriffen: Hätte die Bundeswehr eingreifen müssen, weil ein deutscher Staatsbürger in unmittelbarer Lebensgefahr war – egal ob er als Wachmann, Tourist oder Handelsreisender dort unterwegs war?

Nachtrag: Am Sonntagnachmittag hat das Verteidigungsministerium zu dem FAS-Bericht Stellung genommen:

In den frühen Morgenstunden des 02.07.10 griffen Opposing Militant Forces (OMF) gegen 03:20 Uhr afghanischer Ortszeit eine Einrichtung eines Vertragspartners der staatlichen amerikanischen Hilfsorganisation „US AID“ im Hotel „Ariana“ in Kunduz mit improvisierten Sprengsätzen, Panzerfäusten (Rocket Propelled Grenade / RPG) und Handfeuerwaffen an. Die Angreifer drangen in das Hotel ein und besetzten Teile des Komplexes. Im Zuge des Angriffs wurden neben drei britischen Mitarbeitern auch eine deutsche Zivilperson, die zum Wachpersonal gehörte, getötet und mehrere Zivilisten verwundet.
Die afghanischen Sicherheitskräfte waren zum damaligen Zeitpunkt bereits die sogenannten „battle space owner“ im Raum. Diese Kräfte hatten gemäß Einsatzrichtlinien auf den laufenden Anschlag zu reagieren und den Anschlagsort abzusichern. Das entspricht einer abgestimmten und standardisierten Vorgehensweise im Einsatzgebiet.Daher erfolgte die Absicherung in Form eines inneren Ringes, hier durch die afghanischen Sicherheitskräfte, welche durch ISAF Kräfte im „Partnering-Prinzip“ unterstützt wurden.
Die zuständigen Kräfte der Afghan National Army (ANA) und der Afghan National Police (ANP) hatten die Lage gegen 07:15 Uhr afghanischer Ortszeit unter Kontrolle. Deutsche Kräfte des regionalen Wiederaufbauteams (Provincial Reconstruction Team / PRT) Kunduz waren nicht gefordert und aus diesem Grund in die Kampfhandlungen nicht involviert, unterstützten jedoch bei der anschließenden Versorgung und Behandlung der Verwundeten im Rettungszentrum des PRT Kunduz.
Es liegen keine Erkenntnisse vor, wonach das Deutsche PRT Kunduz von den afghanischen Sicherheitskräften um Unterstützung gebeten wurde. Somit bestand für die Deutschen PRT Kräfte weder die taktische Möglichkeit noch die Notwendigkeit zum direkten Eingreifen.
Über dieses Ereignis wurde das Parlament in der „Unterrichtung des Parlamentes über die  Auslandseinsätze der Bundeswehr (UdP)“ v. 07.07.2010 ausführlich unterrichtet.

Eine gewisse Ähnlichkeit dieser Erklärung mit der oben zitierten Mitteilung ist unverkennbar – mit dem interessanten Unterschied, dass in der Erklärung vom Sonntag unter anderem ein wichtiger Absatz eingefügt wurde: Es liegen keine Erkenntnisse vor, wonach das Deutsche PRT Kunduz von den afghanischen Sicherheitskräften um Unterstützung gebeten wurde. …Das allerdings hatte auch die FAS nicht behauptet. Sondern nur, dass das deutsche PRT von dem betroffenen deutschen Staatsbürger um Hilfe gebeten wurde.

 

(Foto: Bundeswehrpatrouille bei Kundus – Bundeswehr/Andrea Bienert via Flickr unter CC-BY-ND-Lizenz)