Ach, die Statistik: Zehn Prozent mehr Zwischenfälle als bisher berichtet


Ein afghanischer Gefreiter bei der Ausbildung in Kabul (Foto: ISAFmedia via Flickr unter CC-BY-Lizenz)

Vor lauter Konzentration auf die Ereignisse in Mali ist eine Mail aus dem Verteidigungsministerium, die schon am Freitagnachmittag ankam, einfach liegengeblieben. Dabei geht’s doch um etwas ziemlich Interessantes, nämlich die Statistik der sicherheitsrelevanten Zwischenfälle (SRZ) in Afghanistan – also die Statistik, die immer als Gradmesser des Erfolgs des internationalen Einsatzes am Hindukusch herangezogen wird.

Mit diesem Erfolg ist es, wenn man die neuen Angaben sieht, nicht ganz so gut wie bislang verkündet.Das liegt am so genannten green reporting, der Aufnahme von Meldungen der afghanischen Sicherheitskräfte in die Zählungen. Und da gab es wohl Probleme.

Die Details lassen sich unten nachlesen, entscheidend finde ich eine Aussage: Hiervon nahezu unberührt bleibt, dass die für Afghanistan getroffenen Aussagen zum Rückgang von SRZ seit dem Jahr 2010 im Verhältnis zum jeweiligen Vorjahr von diesem Effekt kaum betroffen sind (…) Auch für Nordafghanistan bleibt weiterhin ein deutlicher Rückgang von SRZ von 2010 auf 2011 zu konstatieren. Für das Jahr 2012 ist gegenüber 2011 anstelle eines Rückgangs nunmehr eine Stagnation festzustellen.

Das ist ein kreativer Umgang mit den Zahlen. Die Aussagen zum Rückgang bleiben unberührt, aber 2012 gab es im Vergleich zum Vorjahr keinen Rückgang, sondern die Zahl der Anschläge, Angriffe etc. blieb auf gleichem Niveau. Irgendwie scheint mir das ein Widerspruch.

(Wo wir gerade bei Widersprüchen sind: Die deutschen Angaben zu zurückgehenden Angriffen im Norden habe ich auch noch nicht mit dem Bericht des US-Verteidigungsministeriums an den Kongress  überein bekommen, dem zufolge von April bis September 2012 die Zahl der Enemy Initiated Attacks im Norden um 28 Prozent gestiegen ist.)

Die feinste Ministeriums-Prosa zum Thema Statistik hier im Wortlaut:

Bei einer Überprüfung der Statistik zu den sogenannten Sicherheitsrelevanten Zwischenfällen in Afghanistan wurden Abweichungen für die Jahre 2010 bis 2012 festgestellt. (…)
Bei der analytischen Auswertung vielfältiger Faktoren zur Bewertung der Sicherheitslage in Afghanistan waren und sind die statistische Erfassung und Bewertung der Sicherheitsrelevanten Zwischenfälle (SRZ) in Bezug auf die Bedrohungspotenziale der regierungsfeindlichen Kräfte (Opposing Militant Forces / OMF) sowie auf das Wirken aller Sicherheitskräfte wichtige Kriterien. Durch die zunehmende Übernahme von Sicherheitsverantwortung durch die ANSF fällt diesen auch vermehrt die Zuständigkeit für die Erfassung und Meldung von SRZ zu. Dies hatte zunehmende zeitliche Verzögerungen bei den Meldungen der SRZ durch die ANSF zur Folge, was dazu führte, dass manche SRZ nicht bzw. verspätet erfasst wurden, weil bis zur Drucklegung des jeweiligen Dokuments eine Meldung zu solchen SRZ noch nicht vorlag. Im Zuge einer jetzt im Bereich der Bundesregierung erfolgten retrospektiven quantitativen und qualitativen Überprüfung der SRZ wurde festgestellt, dass die tatsächlichen Fall-Zahlen im Schnitt um etwa zehn Prozent höher ausfallen, als bisher in den Unterrichtungen des Parlaments und im Fortschrittsbericht Afghanistan berichtet wurde. Durch die Verlängerung der Frist für die rückwirkende Nacherfassung (zwei Wochen anstatt wie bisher drei Tage) ist künftig eine deutlich verbesserte Genauigkeit der Erfassung sichergestellt.
Hiervon nahezu unberührt bleibt, dass die für Afghanistan getroffenen Aussagen zum Rückgang von SRZ seit dem Jahr 2010 im Verhältnis zum jeweiligen Vorjahr von diesem Effekt kaum betroffen sind (2011: unverändert –7%, bis 10/2012 –8% statt bisher –9%). Auch für Nordafghanistan bleibt weiterhin ein deutlicher Rückgang von SRZ von 2010 auf 2011 zu konstatieren. Für das Jahr 2012 ist gegenüber 2011 anstelle eines Rückgangs nunmehr eine Stagnation festzustellen.
Die Aussagekraft der nach diesem Verfahren erfassten SRZ wird mit der fortschreitenden Transition der Sicherheitsverantwortung an die ANSF jedoch weiter an Wert verlieren. Das liegt daran, dass die ANSF anders zählen und teils Vorfälle als SRZ werten, die nach ISAF-Verständnis beispielsweise der allgemeinen Kriminalität zuzurechnen wären. Zur ganzheitlichen Bewertung der Sicherheitslage werden daher auch künftig nicht nur die Bedrohungspotenziale, sondern auch andere aussagekräftige Kriterien, wie die Leistungsfähigkeit der ANSF, die lokale wirtschaftliche Entwicklung, die politische Stabilität, sozioökonomische Entwicklungen in der Gesellschaft oder der Schutz und die Bewegungsfreiheit der afghanischen Bevölkerung analysiert. Dadurch wird auch in der fortschreitenden Transition eine Bewertung der Sicherheitslage ermöglicht. Hierbei wird auf die Erfahrungen aus anderen Einsatzgebieten, wie beispielsweise im Kosovo, zurückgegriffen, wo diese Art der Analyse bereits angewandt wird.
Für die Sicherheitslage ist entscheidend, dass die dem Fortschrittsbericht Afghanistan 2012 zugrundeliegende ganzheitliche Bewertung der genannten aussagekräftigen Kriterien durch die nachträglich erfassten SRZ unberührt bleibt.