Rückblick: Sag’s dem Staatssekretär

Der wichtige Punkt kam für mich als Außenstehenden in dem Moment, als die Diskussion  – ja, Diskussion – ein wenig hitziger wurde. Staatssekretär Stéphane Beemelmans nahm Stellung zu einer vorangegangenen Kritik – und aus der Runde fielen ihm Teilnehmer ins Wort und widersprachen. Eigentlich eine unvorstellbare Situation in einem Gespräch zwischen einem Staatssekretär im Verteidigungsministerium und Bundeswehrsoldaten, kaum denkbar in einer offiziellen Runde. Aber in dem Moment hatte ich den Eindruck, dass das Gespräch zwischen Lesern von Augen geradeaus! und Beemelmans funktionieren könnte – als inoffizielles Gespräch, als Ansage von Meinungen derjenigen, die eher am Empfängerende der Neuausrichtung der Bundeswehr stehen, und dem Spitzenbeamten, der diese Neuausrichtung durch- und umsetzen muss.

Das Gespräch zwischen Beemelmanns und zwölf Lesern, die meisten davon aktive Soldaten, am gestrigen Freitag in Berlin war ein Experiment. Das Angebot war vom Staatssekretär ausgegangen, er wollte sich face to face der teilweise heftigen Kritik an der Reform stellen. Ob es ein Erfolg war, ob es langfristig etwas bringt, kann nicht ich beurteilen – das müssen die Beteiligten schon selber tun. Ich kann auch nicht einschätzen, wie viel von dem, was als Kritik vorgetragen wurde, bei Beemelmans hängen geblieben ist. Mein Eindruck war allerdings, so banal das klingt: gut, dass beide Seiten in einer informellen Umgebung miteinander geredet haben.

Die Leser, die nicht dabei waren, werde ich jetzt enttäuschen müssen: Eine der Spielregeln der Runde war von vornherein, dass nicht öffentlich ausgebreitet wird, wer was gesagt hat – sonst wäre ein solches Gespräch aus meiner Sicht von vornherein zu einem ritualisierten Austausch verkommen und zum Scheitern verurteilt gewesen (was die Teilnehmer im Kameradenkreis aus dieser Runde berichten, ist eine ganz andere Sache). Deshalb gibt es hier im eigentlichen Sinne keine Berichterstattung über die Diskussion, auch wenn viele bestimmt gerne wüssten, was Beemelmans auf bestimmte Vorhaltungen gesagt hat. Aber als Event zur Berichterstattung habe ich die Veranstaltung von vornherein nicht angesehen; meine Rolle war in diesem Fall nicht die des Journalisten, sondern die des Mittelsmannes, der das Gespräch ermöglich.

Ein paar Punkte, die mehrfach hochkamen, will ich dennoch zusammenfassen (auch wenn sie für die Leser dieses Blogs nicht wirklich neu sind, weil sie alle in den Kommentaren entweder zur Ankündigung dieser Runde oder bei Sachthemen schon mal hochkamen):

• Der Personalmangel in vielen Einheiten, darunter auch solchen, die für den Einsatz relevant sind. 30, ja 40 Prozent unter dem Soll scheint keine Ausnahme zu sein – weil die Umstrukturierung läuft, frei werdende Dienstposten nicht mehr oder noch nicht wieder besetzt werden, zudem Schwangerschaft, Krankheit, Lehrgänge nicht durch eine Personalreserve ausgeglichen werden können und die verbleibenden Soldaten dann eben die Arbeit der anderen mitmachen.

• Attraktiv, das machten auch etliche Teilnehmer klar, ist die Bundeswehr derzeit keineswegs. Das mag an Standortfragen, an Bezahlung, aber vor allem an – hausgemacht – mangelnder Berufsperspektive liegen. Das Ziel, auf einem schwierigen Arbeitsmarkt – gerade für Spezialisten – zu konkurrieren, verfehlt die Truppe derzeit meilenweit.

• Es gibt, vorsichtig ausgedrückt, ein großes Delta zwischen dem, was die Truppe braucht, und dem, was beschafft wird. Und wenn es beschafft wird, wurden offensichtlich die nicht gehört, die mit der Ausrüstung oder dem Waffensystem später arbeiten müssen. Ganz davon abgesehen, dass manche Großprojekte für eine Lage beschafft werden, die sich schon seit Jahren grundlegend geändert hat.

• Ganz grundsätzlich krankt die Reform daran, dass sie offiziell schon seit über einem Jahr läuft – aber diejenigen, die sich auf diese Reform einlassen und auch einlassen wollen, bei der Frage nach ihrer Zukunft immer wieder vertröstet werden. Was auch den Gutwilligsten auslaugt und vielleicht aufgeben lässt.

• Irgendwo bleibt vieles hängen auf dem Weg von der Führung des Ministeriums bis zu den Soldaten in den Einheiten. Um eine Analogie zu gebrauchen: Mir kam das ähnlich vor wie der Befehl eines Brigadekommandeurs zum Antreten zu einem bestimmten Zeitpunkt; und jede Ebene darunter gibt vorsichtshalber ein bisschen Zeit dazu. Am Ende stehen die Soldaten drei Stunden vor der eigentlich befohlenen Zeit auf dem Antreteplatz… Ich weiß, dass Militär oft genug so tickt, aber drei Stunden vorher ist auch unpünktlich. Genau so verändert sich eine Änderung im Zug der Reform auf dem langen Weg durch die verschiedenen Ebenen.

• Dass eine solche Neuausrichtung davon lebt, dass allen klar ist, wohin der Weg geht, scheint eine Binsenweisheit. Und dennoch passiert anscheinend genau das nicht: Jenseits des Eindrucks, die Reform sei allein dem Druck schrumpfender Haushalte geschuldet, scheint unten bei der Truppe wenig Reformziel anzukommen. Nein, das ist nicht die vom Verteidigungsminister oft geäußerte Einschätzung, man müsse die Reform nur richtig erklären, dann werde sie auch verstanden. Es ist ein tief sitzender Zweifel beim Soldaten, dass aus diesen ganzen Umwälzungen wirklich etwas sinnvoll Neues entsteht. Und auf diesen Zweifel geht die Spitze nicht (oder zu wenig? ) ein.

Das waren meine Eindrücke – im Überblick. Ich freue mich, wenn Teilnehmer der Runde aus ihrer Sicht das ergänzen. Und vor allem mal wissen lassen, wie sie das Gespräch empfunden haben.