Neubürger für Wilhelmshaven
Die Stadt Wilhelmshaven kann sich auf viele Neubürger freuen: Der Marinestandort wird mit mehr als 8.500 Dienstposten künftig der größte Stationierungsort der Bundeswehr. Und viele dieser Soldaten werden künftig ihren Hauptwohnsitz in Wilhelmshaven haben, dort wählen und Steuergeld in die Gemeindekasse spülen …
Dass das so werden könnte und vermutlich wird, liegt an der Neufassung des Meldegesetzes, die an diesem Donnerstag im Bundestag verabschiedet werden soll. Die Feinheiten vieler rechtlicher Bestimmungen außerhalb meines Bereichs habe ich, hoffentlich verständlich, nicht im Blick – und deshalb bin ich auch erst vor kurzem durch Kommentare hier im Blog darauf gestoßen, dass die geplante Änderung des Meldegesetzes Auswirkungen auf viele Soldaten haben dürfte. Worum es geht, erklärt eine (heutige) Pressemitteilung des Reservistenverbandes:
Der Reservistenverband wehrt sich vehement gegen den Änderungsentwurf zum neuen Bundesmeldegesetz, das am Donnerstag verabschiedet werden soll. Entgegen ursprünglicher Pläne, den melderechtlichen Unsinn der Vergangenheit zu beenden, sieht der aktuelle Entwurf zur Fortentwicklung des Meldewesens weiterhin eine Meldepflicht für unverheiratete Soldaten vor. Betroffene Soldaten, die aus Rücksicht auf Familie und Kinder regelmäßig pendeln, müssten ihren ersten Wohnsitz an ihrem Dienstort anmelden, wenn sie dort länger als sechs Monate stationiert sind.
„Die neue Bundeswehr will modern und familienfreundlich sein. Dem widerspricht der jetzt vorliegende Änderungsentwurf“, sagt der Präsident des Reservistenverbandes, Roderich Kiesewetter MdB. „Hier verbaut man sich eine wichtige Chance, die Attraktivität des Soldatenberufes zu steigern.“ Mit dem neuen Entwurf dränge man die betroffenen Soldaten dazu, ihren Lebensmittelpunkt immer wieder zu verlegen – ohne Rücksicht auf berufstätige Frauen und schulpflichtige Kinder, die auf ein stabiles Wohnumfeld angewiesen sind.
Der Wehrbeauftragte des Bundestages, Hellmut Königshaus (FDP), lässt derzeit durch die Wissenschaftlichen Dienste des Bundestages prüfen, ob die angestrebte Regelung gegen den Gleichheitsgrundsatz und gegen politische Grundsätze verstößt. Königshaus findet es „verfassungsrechtlich bedenklich“, wenn ein Bürger daran gehindert werde, dort sein Wahlrecht auszuüben, wo er seinen Lebensmittelpunkt sehe.
„Der neue Gesetzesentwurf wird der Lebenswelt der aktiven Soldaten nicht gerecht“, sagt Kiesewetter. „Denn die Neuausrichtung der Bundeswehr wird die Welle der Versetzungen noch weiter verstärken. Immer mehr Soldaten werden zwischen ihrem Dienst- und ihrem Wohnort pendeln. Die Bundeswehr entwickelt sich zur Pendlerarmee.“
Ursprünglich sollte das Gesetz zur Fortentwicklung des Meldewesens alle Berufs- und Zeitsoldaten von der Meldepflicht befreien, solange diese in einer dienstlich gestellten Gemeinschaftsunterkunft leben und bereits eine Wohnung im Inland haben. Damit wären die betroffenen Soldaten von einer Ummeldung des Wohnsitzes sowie einer Zweitwohnungssteuer befreit gewesen. Gegen diesen Gesetzesentwurf sprach sich im November letzten Jahres jedoch der Bundesrat aus. Anschließend wurde der nun vorliegende Änderungsentwurf vorgelegt.
Kiesewetter rechnet damit, dass im Herbst dieses Jahres in den parlamentarischen Gremien das Melderecht für Soldaten noch einmal grundsätzlich auf den Prüfstand kommt. Dies haben ihm verantwortliche Regierungsabgeordnete aus dem Innenausschuss zugesichert.
Nun sollten Abgeordnete auch aus dem Verteidigungsausschuss (der oben genannte Reservistenverbandspräsident ist zwar CDU-Abgeordneter, aber nicht im Verteidigungsausschuss) das vielleicht gesehen haben. Und vielleicht hatten sie ihre Reserven bereits in den Gefechten mit den Kollegen aus dem Innenausschuss um das Reformbegleitgesetz verbraucht – ich höre, dass es da, fraktionsunabhängig, wohl heftige Auseinandersetzungen gegeben haben soll.
Wie auch immer: Öffentlich hat das bislang keine Wellen geschlagen, aber: wie auch. Wer wusste denn außerhalb eines kleinen Expertenkreises bislang davon? Ein, zwei Tage vor der Verabschiedung lässt sich da wenig ändern.
(Die dazu aufgelaufenen Kommentare aus einem anderen Thread verschiebe ich hierher.)
@jeff costello: Die Debatte geht zu Protokoll. Da der Innenausschuss federführend ist, werden auch keine Verteidigungspolitiker zu Wort kommen.
@Tom: Wieso sollte der Bundesrat sich gegen den Änderungsantrag stellen? Die wollten doch die Schlechterstellung der Soldaten.
@tom_weinreich | 28. Juni 2012 – 12:19
Die BReg hat in Ihrem Entwurf für Soldaten eine positive Ausnahme von der Meldepflicht vorgesehen. Dieser Ausnahme hat der BR nicht zugestimmt. Der BT scheint auf Seiten der BReg zu stehen, aber man ist auf die Zustimmung des BR angewiesen -> Nachverhandlung oder Vermittlungsausschuss.
Ein Abgeordneter der FDP behautet, dass sich für Soldaten nichts ändert und verkennt dabei die Definition des Begriffes „Lebensmittelpunkt“. Wenn man Urlaub, Lehrgänge, Übungen, Einsatz uvm abzieht hat man niemals seinen Lebensmittelpunkt am Dienstort. Geschiedene Soldaten mit Kindern haben heute in der Regel das Sorgerecht und dies ist eine Pflicht! wie soll man dieses ausüben wenn Trennungsgeld und Familienheimfahrten wegfallen und der Hauptwohnsitz am Standort ist. Ist Standort eine bestimmte Gemeinde oder ein Umkreis?
@Tom: leider nein. Der Innenausschuss hat einen Änderungsantrag zum Entwurf der BReg. In dieser wird die sinnvolle Ausnahme für Soldaten zugunsten der Kommunen kassiert.
Bei den Soldaten wird die Befreiung von der (Um-)Meldepflicht auf 6 Monate begrenzt. Allerdings entfällt die Befreiung auch für kasernierte Landes- und Bundespolizisten. Hier ist aber noch weniger Protest zu hören.
Die Einschränkung der Freizügigkeit mit Infrastruktur und Finanzbedarf der Gemeinden zu begründen ist dürftig.
Hat es schon eimal ein Betroffener mit einer Verfassungsbeschwerde versucht?
Der Kollege Christian Thiels von der ARD berichtet auf tagesschau.de von einem möglichen Kompromiss:
http://www.tagesschau.de/inland/bundeswehr602.html
… der allerdings erst nach Verabschiedung des Gesetzes gefunden werden soll.
@tom_weinreich
Rathauspolitiker Grindel und Beck ist gut :-)
http://www.reinhard-grindel.de
http://www.abgeordnetenwatch.de/reinhard_grindel-575-37606.html
Sie setzen ihre Pfründe höher als das Wohl des Soldaten!
Wenn er begründet, dass diese Regelung ja nichts neues ist, dann gilt sie wohl für jeden Bürger und somit auch für Politiker und Beamte und die ziehen dann demnächst alle nach Berlin! Wir.Dienen.den Bürgermeistern. Ich hoffe, dass sie dann alle genügend Wohnungen haben werden! Die Lösung des Problems ist, man benötigt einen hilfsbedürftigen Menschen im Haushalt!
@jeff costello
„……. entfällt die Befreiung auch für kasernierte Landes- und Bundespolizisten. Hier ist aber noch weniger Protest zu hören.“
Die sind auch nur kurz kaserniert und von Umzügen und Scheidungen nicht so sehr betroffen wie Soldaten auch sind ihre Standorte oft attraktiver und nicht so oft in der Pampa
Verfassungsbeschwerde…..noch ist ja keiner betroffen, denn erst mit der Wirksamkeit des Gesetzes ist eine Beschwerde möglich.
@ Elahan:
„… auch sind ihre Standorte oft attraktiver und nicht so oft in der Pampa …“.
Sie sprechen jetzt aber nicht von der Polizeischule in Stukenbrock/ Senne oder in Eutin, oder ?! ;-)
@41 Mittendrin
Oft ist nicht immer :-)
Und auch die Bundeswehr hat/hatte ( Altenstadt, Kaufbeuren, Fürstenfeldbruck, Rheine, Glücksburg um) attraktive Standorte :-)
Hier prallen Gesetze und Grundrechte aufeinander:
Die Wählbarkeit eines Kommunalpolitikers z.B. in den Stadt- oder Gemeinderat bedarf des Erstwohnsitzes im Stadt- oder Gemeindegebiet. Mit der Verpflichtung, den Erstwohnsitz am Dienstort anzumelden, wird dieser (ledige) Kommunalpolitiker seines passiven Wahlrechts und u.U. auch des aktiven Wahlrechts am Lebensmittelpunkt beraubt. Schlimmer noch: Selbst eine Versetzung des immerhin durch das Soldatengesetz geschützten Mandatsträgers im allgemein zumutbaren 50km -Radius würde die Niederlegung des Mandats erforderlich machen, da die Voraussetzungen gem. den Wahlgesetzen der Länder nicht mehr gegeben sein dürften.
Auf den Ausgang der ersten (Verfassungs-)Beschwerden bin ich gespannt.
@jeff costello: Es geht halt nur ums Geld. Die Soldatenpartei CDU…
@Tom Weinreich | 28. Juni 2012 – 13:32
„@Tom: leider nein. Der Innenausschuss hat einen Änderungsantrag zum Entwurf der BReg. In dieser wird die sinnvolle Ausnahme für Soldaten zugunsten der Kommunen kassiert.“
Naja, der BR will die Befreiung des § 27 Absatz 1 Nummer 5 BMG-Entwurf ganz streichen (BR-DrS 524/1/11). Der Innenausschuss des BT will zumindest die 6-Monats-Frist „erreichen“ (BT-DrS 17/10158).
Diese 6 Monate klingen für mich nach einem Kompromiss.
@Tom: Nein, die 6 Monate sind die Überführung der landesrechtlichen Regelung in Bundesrecht.
@all
Habe angesichts des Grindel-Briefs mal einen neuen Thread dazu aufgemacht.
@tom_weinreich | 28. Juni 2012 – 15:09
Der Bund hat mit der Föderalismusreform2006 die Gesetzgebungskompetenz für das Meldewesen erhalten. Daher hätte der § 27 Absatz 1 Nummer 5 BMG-Entwurf die bestehenden landesrechtlichen Regelungen geschlagen.
Und weil die Länder diesem „hätte“ nicht zustimmen wollen (oder sogar können), muss die BReg halt auf sie zugehen. Ansonsten scheitert das ganze Gesetzesvorhaben.