Fotos: Unterwegs in Syrien
Syrien und die katastrophale Lage dort ist hier im Blog (bislang noch) kein Thema – nicht weil es nicht von Bedeutung wäre; aber die Vielzahl von Konflikten zwingt mich ein wenig, mich auf die Sicherheitspolitik aus deutscher Perspektive zu konzentrieren…
Dennoch an dieser Stelle ein Hinweis auf eine Fotoreportage aus Syrien, vom Widerstand gegen das Assad-Regime. Der Fotograf Timo Vogt, hier im Blog schon mal mit Afghanistan-Fotos präsent, war im Nordwesten Syriens unterwegs.
Blut auf den Stufen der Moschee in Kureen im Nordwesten Syriens – ein Ort unter Kontrolle der Opposition, bis er von der syrischen Armee angegriffen wurde.
Vogts Fotos sind hier anzuschauen, und er hat die drastischsten schon nicht in diese Reportage aufgenommen.
Zu seiner gefährlichen Reise schreibt er:
Der Aufstand in Syrien hat das ganze Land erfasst. Neben der Stadt Homs sind es mittlerweile viele Schauplätze, an denen die Regierungstruppen versuchen den Aufstand der Menschen gegen das Assad-Regime blutig niederzuschlagen.
Ich bin auf Schmugglerpfaden illegal über die grüne Grenze in die nordwestliche syrische Provinz Idlib gereist. Eine Region, die früh von Oppositionellen kontrolliert wurde. Doch meine Ankunft fiel mit dem Zeitpunkt zusammen, als die syrische Armee begann, verlorenes Gebiet zurück zu erobern. Wirklich halten kann sie die Orte nicht, sie werden nur tageweise erobert. Aber mit unfassbarer Brutalität sollen die Menschen eingeschüchtert werden. Die Armee der Deserteure kann mit ihren alten Kalschnikows und Jagdflinten mit selbstgebastelten Patronen gegen die modernen Schützenpanzer der Armee nichts ausrichten. Sie wollen die Bevölkerung schützen und können doch nur zusehen, wie das Morden weitergeht.
In einem Ort nahe der Stadt Idlib sollte ich einige Nächte verbringen. Er wurde von der Opposition als sicher eingeschätzt. Tagsüber sollte ich in die Stadt geschmuggelt werden. Einen Tag lang ging das auch gut. Als am Morgen des 22. Februar die Kinder zur Schule gingen, wurden sie plötzlich von Schnellfeuergewehrsalven und ersten Granat-Detonationen in Angst und Panik versetzt. Die Armee rollte an!
Sieben Stunden lag das Dorf unter schwerem Feuer, ein Kampfhubschrauber kreiste. Einige hundert Menschen entkamen in die umliegenden Olivenhaine, deren Bäume glücklicherweise hier ganzjährig Blätter tragen und wir uns verstecken konnten. Der Mehrzahl der Einwohner gelang die Flucht jedoch nicht. Der Ort wurde verwüstet, geplündert, gebrandschatzt. 20 Männer verhaftet, deren Überlebenschancen als sehr gering eingeschätzt werden. Eine Frau starb an einem Herzinfarkt während des Angriffs. 6 Männer wurden exekutiert. Zuvor wurden sie schwer misshandelt.
Mein Rückweg in die Türkei war versperrt! Ein wichtiger Ort auf meiner Route war ebenfalls unter Beschuß gekommen und es dauerte einige Tage, bis eine Alternative gefunden wurde. Nach einer Woche in der Hölle Syriens kletterte ich mit syrischen Flüchtlingen über den türkischen Stacheldraht. Ich wurde entdeckt und von der türkischen Gendarmerie verhaftet.
Syrien ist ein Land der lebenden Toten geworden. Für die Aufständischen, deren gemeinsames Ziel die „Freiheit“ ist, gibt es kein zurück mehr. Aufzugeben würde ihren Tod bedeuten. Und das Assad-Regime lässt daran auch keine Zweifel aufkommen. Was ich gesehen habe war kein Kampf Soldaten gegen Soldaten. Die Freie Syrische Armee der Deserteure ist nicht einmal in der Lage ein Dorf zu schützen. In Syrien werden Zivilisten, die nach wie vor meist unbewaffnet sind, von den Schergen der Regierung auf die brutalstmögliche Art und Weise gelyncht.
@ Politikverdruss:
Sie haben teilweise recht, wenn sie den Satz so rausgreifen ist er falsch. Die Sache bleibt aber – R2P als Rechtfertigung eines Krieges in Syrien ist nicht heranziehbar. Nehmen wir doch mal die englische Wikipedia mit ihrer ausführlichen Erklärung: „In the international community RtoP is a norm, not a law. RtoP provides a framework for using tools that already exist, i.e. mediation, early warning mechanisms, economic sanctioning, and chapter VII powers, to prevent mass atrocities (…) The authority to employ the last resort and intervene militarily rests solely with United Nations Security Council and the General Assembly.“ (http://en.wikipedia.org/wiki/Responsibility_to_protect)
Also, R2P als Automatismus, als eigenständige Ausnahme zur Ermächtigung des Sicherheitsrats, ist kein geltendes Völkerrecht sondern nur eine Denkfigur/ Wunschvorstellung von Interventionisten. Aufbauend auf der Denkfigur R2P kann der Sicherheitsrat eine Ermächtigung zum Gewalteinsatz aussprechen. Aber wie erwähnt halte ich das für sehr unwahrscheinlich (und bin den Russen und Chinesen äußerst dankbar dafür).
Das ganze R2P-Konzept beruht auf schwammigen Phrasen und undefinierten Wieselwörtern, die es denkbar ungeeignet dazu machen, Grundlage für einen Einsatz deutscher Streitkräfte im Sinne von Selbstverteidigung (gemessen an nationalen Interessen) zu bilden:
– „Just Cause“: Darüber hatten Konfliktparteien seit jeher unterschiedliche Vorstellungen. Ist die Selbstverteidigung einer Regierung gegen Aufständische z.B. kein „Just Cause“, zumal westliche Regierungen Assad noch vor kurzem bescheinigten, dass die Zusammenarbeit beim Kampf gegen bestimmte militante Sunniten durchaus eine gute Sache sei?
– „Right Intention“: Ist der Austausch alawitischer Herrschaft durch sunnitische Herrschaft eine objektiv gute Absicht?
– „Final Resort“: Es gibt immer noch ein anderes Mittel das man wählen könnte, z.B. längere Verhandlungen oder mehr politische Konzessionen.
– „Legitimate Authority“: Was macht die Aufständischen gegenüber Assad legitimer? Was machte Karzai 2001 legitimer als die Taliban oder einige ostlibysche Stammesbanden legitimer als Gaddafis Banden?
– „Proportional Means“: Hiroshima erfüllte die völkerrechtlichen Verhältnismäßigkeitskriterien ebenso problemlos wie die Blockade von Leningrad. Ebenso kann der Artilleriebeschuss einer Stadt im völkerrechtlichen Sinne verhältnismäßig sein, wenn der militärische Zweck anders nicht erreichbar ist. Hier greift die gleiche völkerrechtliche Logik wie bei einem Luftangriff in Afghanistan, bei dem das Völkerrecht die Inkaufnahme von Risiken für Unbeteiligte u.U. durchaus legitimiert. Auch dieses Kriterium kann also letztlich alles oder nichts bedeuten.
– „Reasonable Prospect“: Kein Staat handelt militärisch ohne Not, wenn er nicht vom Erfolg ausgeht. Nicht durch reale Interessen motivierte humanitäre Einsätze werden von ganz alleine abgebrochen, wenn die Risiken steigen, siehe Somalia 1993.
Ein so phrasenhaftes Konzept bietet sich m.E. gerade dazu an, zu politischer Manipulation benutzt zu werden. Man kann damit das Gewissen der eigenen Öffentlichkeit beruhigen, aber zu mehr taugt so etwas nicht.
@ J.R.
genau, die Lage ist verworren. Wir haben seit Monaten vor allem eine sehr voreingenommene Berichterstattung (Was auch immer von der syrischen Regierung kommt MUSS falsch sein und was von den Rebellen kommt wird geglaubt) und eine Empörungswelle über tote Zivilisten – ohne so genau zu wissen, was genau dahinter steckt. Das ist auch fast unmöglich. Aufgrund dieser dürftigen Wissensbasis und einem abstrakten Gefühl des Unwohlseins über geballte Berichte an angeblichen Massakern nun in ein fremdes Land zu intervenieren wäre der Gipfel der strategischen Blödheit.
Nehmen sie doch als Beispiel Orontes geniale Umformulierung von Vogts Kommentierung der „Regierungsoffensive nahe Idlib“ (ganz unten bei http://augengeradeaus.net/2012/03/fotos-unterwegs-in-syrien/comment-page-1/#comment-31704). Man kann alles, was man an Berichten bekommt so sehen – oder auch so rum. Wenn wir ein paar abenteuerlustige Journalisten bei der syrischen Armee oder in alawitische Dörfern die von Rebellen angegriffen wurden „embedden“ würden, würden wir aufgrund deren Berichte vielleicht zu einem Eingreifen auf Seiten der syrischen Regierung aufrufen. Die bösen Rebellen töten ja schließlich Zivilisten. Oder würden sie nach ergreifenden Berichten von Journalisten, die die Taliban begleiten auch zum Eingreifen gegen die NATO aufrufen, weil die afghanische Zivilisten tötet? Und wenn sie mit Taliban und deren Sympathisanten sprechen sogar noch viel schlimmere Dinge anstellt (ich könnte ihnen da eine Menge vorstellen, wenn sie mal in Nordafghanistan vorbeikommen). Blindes „Eingreifen-Wollen“ aufgrund von Emotionen nach lückenhafter Berichterstattung kann es doch einfach nicht sein.
@J.R. Deutschland hat schlicht keinen Standpunkt vertreten.
Deutschland hat gegen die UN Resolution gestimmt. Das war ein sehr klarer Anspruch.
Danach gab es eine Kampagne der transatlantischen orientierten Presse die den Aussenminister als „Schuldigen“ für den moralisch klaren Standpunkt ausgeguckt hatte. (Das die Kanzlerin die Entscheidung mitgetragen hat bleib aussen vor.)
Der soe demontierte Aussenminister knickte dann ein und der Übergabe der US/F/UK Kampagne an die NATO wurde zugestimmt.
Ihre Darstellung der Sunniten widerspricht u.a. den Beschreibungen von Nir Rosen und diversen anderen Berichterstattern. Von daher wäre eine Quelle vielleicht nicht schlecht.
Nir ist ein (Email-)brieffreund von mir und ich, wie einige andere auch, bin recht überrascht von seiner Einordung der Rebellen. Inzwischen scheint er die auch zu ändern. Deren Bezeichnungen für ihre Batallion sind ziemlich eindeutig: Ein „Yazīd ibn Mu‘āwiya Battalion'“ oder al-Bara’ ibn Malik Martyrs Brigade ist kein Friedensangebot an die großen Minderheiten in Syrien. Das sind Namen historische Radikaler. Die Videos einiger dieser FSA-Gruppen mit AlQaeda Banner sind ja wohl auch eindeutig.
Und auch die Position der Christen in Syrien ist wohl mittlerweile deutlich differenzierter, als sie es vor den Gewaltakten des Regimes war.
Sie verwechseln, wie der Reporter, Demonstrationen in christlichen Vierteln mit Demonstrationen von Christen. Da sollte man schon genauer hingucken und auch besonders auf die Slogans hören.
Auch gerade was die “demokratischen Reformen” angeht: Wie glaubwürdig sind diese, wenn die bisherige Verfassung ignoriert und das Verfassungsreferendum eine Farce ist?
Woher wissen sie das es eine Farce ist? `Es sind bereits neue Parteien gegründet worden. Wie wäre es die Wahlen dort abzuwarten bevor man weiter zum Bürgerkrieg aufstachelt oder Krieg gegen Syrien führt?
Mit das größte Problem Syriens ist derzeit die Person Assad, dessen persönliches Klammern an die Macht mittlerweile den Kern der Krise ausmacht.
Der Mann klammer sich nicht an die Macht. Der wollte die Macht gar nicht und ist nur aufgrund des Unfalltodes seines Bruders in die Stellung gekommen. Der Mann hält das recht komplizierte Land derzeit zusammen. Wenn der ohne Vorbereitung einer vernünftigen für alle akzeptablen Alternative abtritt geht das Land tiefer ins Chaos als Libyen.
Sunnitische Radikale gegen den demokratischen Rest geht nach allem was bekannt ist ziemlich an der Situation vorbei.
Das irgendeine Partei da „demokratisch“ ist würde ich nicht unterschreiben.
Wenn aber Hamas, AlQaeda, die Saudischen Wahhabis, die Qataries und die Muslim Brüderschaft geschlossen hinter den Rebellen stehen dann wird das eine Gründe haben.
Ich habe versucht das in meiner Schilderung oben zu differnzieren. Ja, es gab eine friedlich Protestbewegung eines Teils der Bevölkerung aus sozial-ökonomischen gründen. Diese ist aber innerhalb kürzester Zeit von eine gewalttätigen radikal-sunnitischen Rebellion abgelöst worden.
Die tatsächlichen Zahlen der Demonstranten an den üblichen Freitagen ist seitdem radikal zurückgegangen. Gestern waren es landesweit nur ca 15.000. Wenn Assad zu Demonstrationen aufruft kommen 100tausende.
@ Orontes:
die über Jahrzehnte Stabilität innerhalb Syriens garantiert hat und auch regional vermutlich eher zu Stabilität beiträgt
Angesichts der syrischen Besetzung des Libanons und der Unterstützung von Hizbollah und Hamas kann man das auch sehr anders sehen. Insbesondere in Israel wird man das auch.
(Und mit den Mykonos-Attentaten war ja auch Deutschland direkt betroffen.)
Das GG geht von einer streng auf Verteidigung nationaler Interessen beschränkten Sicherheitspolitik aus.
So wie Sie „nationale Interessen“ verwenden ist das bestreitbar. ;)
Wenn sie damit das weitgehende Beschränken des Militärs auf den Verteidigungsfall meinen, dann kann man das aber so sehen.
Wichtiger ist aber: Das GG geht vor allem von einer an Menschenrechten und Völkerverständigung orientierten Ordnungspolitik aus. (Art. 1 und 24)
Da hat sich die letzten Jahre die Erkenntnis durchgesetzt, dass diese ohne militärische Komponente als Letztes Mittel vermutlich nicht auskommen wird.
Das Problem ist, dass es nach der groben Zielformulierung der Responsibility to Protect nie zur Umsetzung einer entsprechenden Infrastruktur gekommen ist. (Nach den politisch immer unsaubereren Balkan-Entscheidungen war da wohl die Luft raus.)
Es fehlt u.a. an:
– Einem politischen Rahmen um das Konzept abschreckend und mißbrauchsicher zu reglementieren
– Vermutlich einer unabhängigen „nachrichtendienstlichen“ Organisation, die eine eine Krise „zuverlässig“ bewerten zu könnte (auch wenn hier vielleicht die OSZE ein Beispiel sein könnte)
– Einer militärischen (und politischen) Interventions-Komponente, die tatsächlich die Möglichkeit hätte einen Konflikt zu unterbinden und eine politische Lösung vorzubereiten
Ohne das wird fast jede Interventation zum militärischen Abenteuer ohne Plan und aus zweifelhafter Motivation.
Eben da sind wir jetzt – und der Schaden hinsichtlich der europäisch-amerikanische Handlungsfähigkeit ist glaub recht offensichtlich.
Um noch einen journalistischen Standpunkt – wiederum von einem Fotografen – in die sehr interessante Debatte einzubringen:
Tyler Hicks von der New York Times – Bearing Witness in Syria: A War Reporter’s Last Days
@ J.R.
„Angesichts der syrischen Besetzung des Libanons und der Unterstützung von Hizbollah und Hamas kann man das (auch regional vermutlich eher zu Stabilität beigetragen zu haben) auch sehr anders sehen. Insbesondere in Israel wird man das auch. (Und mit den Mykonos-Attentaten war ja auch Deutschland direkt betroffen.)“
Der syrische Einsatz im Libanon hat immerhin den Bürgerkrieg beendet, das war durchaus im Sinne regionaler Stabilität. Wie auch ggf. die Beteiligung an Desert Storm 1991. Mit der Hizbullah hat Syrien auch mal heftig im Clinch gelegen, weil die eigentlichen syrischen Favoriten von der Amal sich einen heftigen Krieg mit der Hizbullah geliefert haben. Und die Unterstützung der Hamas (palästinensischer Ableger der Muslimbruderschaft!) dürfte unter einer von der syrischen Muslimbruderschaft geführten, neuen Syrien noch um einiges entschlossener ausfallen als die recht dürftige, auf realpolitischen Interessen beruhende Tolerierung unter Assad. Zumal dann eine neue Achse Libyen – Ägypten – Syrien – Saudi-Arabien geschlossen wäre, die gerade Israel mit enormer Sorge erfüllen würde.
@J.R.
„Angesichts der syrischen Besetzung des Libanons und der Unterstützung von Hizbollah und Hamas kann man das auch sehr anders sehen…“
Was ich sagen wollte: „Stabilität“ und „Instabilität“ können sehr subjektive Kategorien sein. War z.B. Afghanistan vor der Intervention 2001 weniger „stabil“ als danach, oder will man mit dem Begriff zum Ausdruck bringen, dass dort aus eigener Sicht die falschen Leute an der Macht waren? Wenn ja, sollte man das m.E. auch so sagen. Wenn Sie von „Stabilität“ in Syrien sprechen, meinen Sie ja (wenn ich Sie richtig verstehe) ja auch im Grunde einen gewaltsamen Austausch der Regierung.
„Das GG geht vor allem von einer an Menschenrechten und Völkerverständigung orientierten Ordnungspolitik aus. (Art. 1 und 24)“
Wenn Sie damit eine „globale Ordnungspolitik“ meinen, dann wäre dies ein direkter Weg zu einer endlosen Serie von Dauerkriegen, wenn man dies in die Praxis umsetzen würde. Die ursprüngliche Absicht hinter diesen Formulierungen, nämlich sich von früheren imperialen Vorstellungen der internationalen Durchsetzung bzw. Aufzwingung deutscher Ordnungskonzepte abzugrenzen,,würde dadurch m.E. in ihr Gegenteil verkehrt, und der militärisch untermauerte Geltungsanspruch nationaler Zielsetzungen erneut auf die globale Ebene ausgedehnt.
„Es fehlt u.a. an ….einem politischen Rahmen um das Konzept abschreckend und mißbrauchsicher zu reglementieren…einer militärischen (und politischen) Interventions-Komponente, die tatsächlich die Möglichkeit hätte einen Konflikt zu unterbinden und eine politische Lösung vorzubereiten.“
Die Konsequenz aus Ihren Forderungen wäre m.E. ein überstaatliches, sich in das Gewand von Menschenrechten kleidendes und über eigene Streitkräfte verfügendes, weltweit zur Durchsetzung einer neuen globalen Ordnung intervenierendes Gebilde, das keiner Kontrolle mehr durch nationale Gesetzgebungen oder Parlamente sowie nationalen, demokratisch legitimierten Vorbehalten mehr unterliegen könnte.
Ich habe mich nie irgendwelchen Verschwörungstheorien nahe gefühlt, aber wenn ich mir über sicherheitspolitische Themen hinaus u.a. den sich beschleunigenden Abbau der verbliebenen Entscheidungsbefugnisse des Parlamentes unter Berufung auf „Sachzwänge“ bzw. „Verantwortung Deutschlands“ und schwammig definierte „europäische Werte“ und die fast gleichklingend begründeten Forderungen nach weltweiten Kriegen zur Durchsetzung westlich-amerikanischer Ordnungsvorstellungen anschaue, dann wird mir langsam unwohl. Zitat Bundeskanzlerin Merkel:
http://www.bundeskanzlerin.de/nn_683608/Content/DE/Rede/2011/06/2011-06-04-kirchentag.html
@ Orontes
Die Konsequenz aus Ihren Forderungen wäre m.E. ein überstaatliches, sich in das Gewand von Menschenrechten kleidendes und über eigene Streitkräfte verfügendes, weltweit zur Durchsetzung einer neuen globalen Ordnung intervenierendes Gebilde,
Damit hätten Sie wohl recht, auch wenn die „neue globale Ordnung“ lediglich die wäre, die derzeit gepredigt, aber nicht umgesetzt wird.
Aber wenn man militärische Alleingänge und Bündnis-Klüngelei als Problem sieht wird an einer engeren, transparenteren und vor allem leistungsfähigen Kooperation kein Weg vorbeiführen.
das keiner Kontrolle mehr durch nationale Gesetzgebungen oder Parlamente sowie nationalen, demokratisch legitimierten Vorbehalten mehr unterliegen könnte.
Das ist falsch. Offensichtlichstes Gegenbeispiel wäre die Nato. (Auch wenn man an deren Beispiel gut die durchaus vorhandenen Gefahren selbsterhaltender Automatismen und einer einzelstaatlichen/rüstungspolitischen/tagespolitischen Instrumentalisierung erkennen kann.)
@Orontes,
Sie behaupten: „Ebenso kann der Artilleriebeschuss einer Stadt im völkerrechtlichen Sinne verhältnismäßig sein, wenn der militärische Zweck anders nicht erreichbar ist.“
Der IStGH verurteilte General Krstic, Kommandeur des DrinaCorps, das vor allem in die heftigen Kämpfte um Srebrenica involviert war, u.a „for murders, cruel and inhumane treatment, terrorising the civilian population, forcible transfer and destruction of personal property of Bosnian Muslim civilians…Der Gerichtshof sprach von einer Terror Kampagne, in deren Zuge Srebrenica unter massiven Artilleriebeschuss genommen worden ist.
Vielleicht aber haben Sie insofern recht, als es immer darauf ankommt, aus welcher ideologischen Ecke heraus der Waffeneinsatz gerade betrachtet wird. Da kann ein Raketeneinsatz der Hamas schon mal völlig richtig sein, während der israelische Gegenschlag auf‘s schärfste gegen das Völkerrecht verstößt. Vermutlich muss man den syrischen Artillerieeinsatz gegen die syrische Bevölkerung auch so „einordnen“. Der taz-Artikel, auf den Herr Stoltenow aufmerksam machte, verdeutlichte dieses elende Heuchlertum ja so eindrucksvoll.
Also @Orontes, sollten Sie als Soldat Artillerie einsetzen, wäre ich vorsichtig, wenn es darum geht, Zivilisten zu beschießen. So „einfach“ wie einst in Dresden oder Hiroshima geht das heute nicht mehr.
@T. Wiegold
Im Artikel der NYT sind die Aufständische mit Vornamen angesprochene, menschliche Schwächen zeigende und zuweilen blutende und leidende (dabei aber niemals in ihrem Kampfgeist und Streben nach Freiheit gebrochen!), aber auch lächelnde und singende Individuen. Die syrische Armee hingegen ist ein gesichts- und namenloses, brutales Kollektiv, dass „Frauen und Kinder“ bekämpft und Lügen verbreitet. Milizen der Aufständischen sind Menschen, Milizen der Regierung sind „thugs“.
Sagen die Aufständischen immer die Wahrheit? Das impliziert er zumindest, so wie er (entgegen Darstellungen anderer Journalisten wie Nir Rosen) impliziert, dass alle Meldungen über Beteiligung militanter Islamisten an der Aufstandsbewegung nur Lügen der syrischen Regierung seien. Er fragt auch nicht nach, wenn die Aufständischen ihm z.B. sagen, dass sie nicht mehr gegen „their people“ kämpfen wollten. „Ihre Leute“ im Sinne von Aufständischen, von Sunniten, oder von Zivilbevölkerung allgemein? Es bleibt bei der Implikation, dass hier wohl Zivilisten gemeint seien.
Dass Unterstützung und Ablehnung der Aufständischen auch entlang ethnischer Linien verlaufen, wird erst gar nicht erwähnt. Hier gibt es nur „Regime“ und „Volk“. An unterschiedlichen Positionen aus der Bevölkerung kommen nur die zu Wort, die in unterschiedlichem Ausmaß die Aufständischen unterstützen. Gibt es keine anderen Positionen in Syrien? Wollen auch Alawiten, Christen und Kurden alle eine Regierung sunnitischer Araber?
Was der Journalist beschreibt mag wahr oder unwahr sein, aber die Art und Weise der Aufbereitung des Geschehens enspricht auch hier der von propagandistischen Darstellungen.
@J.R.
„das keiner Kontrolle mehr durch nationale Gesetzgebungen oder Parlamente sowie nationalen, demokratisch legitimierten Vorbehalten mehr unterliegen könnte.
Das ist falsch. “
Das Bundesverfassungsgericht hat erst vor wenigen Tagen einen weiteren grundgesetzwidrigen Versuch der Bundesregierung gestoppt, pauschalen Zugriff jeglicher Kontrolle und Rechenschaft entzogener, mit vollständiger Immunität versehener und unter Ausschluß der Öffentlichkeit agierender EU-Organe auf deutsche Steuergelder zu ermächtigen (http://www.focus.de/finanzen/news/staatsverschuldung/urteil-des-bundesverfassungsgerichts-sondergremium-ueberwiegend-verfassungswidrig_aid_718562.html) Die „Responsibility to Protect“ ist zwar weniger bindend, stellt aber m.E. analog dazu einen Versuch dar, die Frage nach dem Einsatz der Bundeswehr an intransparente, von nicht ehrlich benannten Interessen gesteuerte überstaatliche Gremien zu delegieren.
@T.Wiegold Tyler Hicks von der New York Times – Bearing Witness in Syria: A War Reporter’s Last Days
Tut mir leid aber der Artikel von Tyler Hicks, einen Fotografen den ich schätze (ich war mal in dem Handwerk), kommt an Differenzierungen wie sie eine Anthony Shadid vorgenommen hätte bei weitem nicht heran. Der stinkt vor einseitiger Propaganda.
Starten wir mit dieser Lüge:
So, so – 7,000 – die Zahl stammt von der Muslim Bruderschaft, also einer Seite des Krieges, ist Beweis für „the bloodiest conflict of the Arab Spring“.
Dann messen wir das mal an dieser Headline: Rebel leaders put Libya death toll at 50,000
Tut mir leid, aber Journalismus sieht anders aus. Da nennt man Quellen und deren parteiische Ausrichtung und prüft Fakten und teilt das Ergebnis auch seinen Lesern mit. Was Hicks hier treibt ist unreflektierte Nabelschau ohne Verständnis für die Situationen die Anthony Shadid aufgrund seiner Sprach- und Kulturkenntnisse vermitteln konnte.
Hoppla… Tyler Hicks‘ Geschichte habe ich hier als einen Blickwinkel verlinkt. Er ist in der Tat kein schreibender Journalist, sondern Fotograf, und seine Geschichte ist vor allem eine über den Tod Shadids. Die Kritik ist valide, allerdings wäre es verfehlt, ihm vorzuhalten, dass sein Text nicht die Einsicht und die Information eines Textes von Shadid hat…
Nur falls Zweifel aufgekommen sein sollten: Mir ist sehr wohl klar, dass wir hier Publikum eines Propagandakrieges sind. Allerdings halte ich es nicht für plausibel, dass ein christlich-aramäischer Syrer sowie ein in Deutschland geborener, in Homs aufgewachsener Komponist Propaganda für Salafisten, Muslimbrüder, name it machen. Sie sind menschlich betroffen, im Falle von Jandali angeblich mittelbar über seine Eltern.
Wie dem auch sei: wenn mir Menschen, denen ich mich kulturell nahe fühle, eine Darstellung vermitteln, die ich für glaubhaft halte, während gleichzeitig eine Figur wie Todenhöfer eine andere Geschichte erzählt, bei der sich meine Nackenhaare aufstellen, wenn innerstädtisch Artillerie eingesetzt wird, wenn das IKRK an seiner Arbeit gehindert wird, wie auch die Presse, dann ist etwas sehr faul. Dazu sollte man sich verhalten.
@b
„Was sich in Syrien seit April letzten Jahres entwickelt ist
a. Ein System das sich im positiven Sinne reformiert
b. Ein System das im Kampf mit einer radikalen sunnnitischen Rebellentruppe steht“
Das ist doch nicht Ihr Ernst, oder?! Nur weil Assad jetzt pseudo-Reformen durchgeführt hat, heisst das doch noch gar nichts.
VIELLEICHT wird langfristig etwas aus diesen Reformen, VIELLEICHT ist die Region stabilitätspolitisch mit Assad sogar besser bedient als mit den Rebellen.
Aber aus der bloßen Tatsache, dass ein politischer „Überlebenskünstler“ wie Assad eine „Reform“ durchführt kann man weder das eine noch das andere schließen.
@ Sascha Stoltenow, Koffer
Wenn wir uns wenigstens einigen können, dass wir außer „anecdotal evidence“ nicht genau wissen was in Syrien los ist – warum erwarten sie dann überhaupt eine wie auch immer geartete Reaktion von „uns“ (Rebellen bombardieren, Regierungstruppen bombardieren, gewaltsames Durchsetzen von ‚Schutzzonen‘ für eine von beiden Konfliktparteien, gewaltsames Durchsetzen von Zugangsrechten für externe Organisationen)?
Wäre es nicht besser, eben nicht noch als auswärtiger, unterinformierter Akteur (allerdings mit vielen Muskeln in Form von westlichen militärischen Fähigkeiten und einer leichten Schizophrenie in Form einer überaus begeisterungsfähigen, auf Neuigkeiten und immer neue Aktionen drängenden aber schnell kritisch werdenden Öffentlichkeit) auch noch in den Bürgerkrieg einzusteigen? Und statt dessen einfach mal NICHTS zu machen? Analog erwarten wir doch auch von Syrien, China oder Venezuela KEINE Reaktion wenn, sagen wir mal, eine Demonstration in Heiligendamm oder London unfair behandelt wird. Und selbst wenn das unvergleichlich blutiger würde – würden wir wirklich wollen, dass jemand völlig fremdes ohne Ahnung von der Lage von einem fremden Kontinent kommt und aufgrund von ein paar Einzelaussagen mal so richtig dazwischenhaut? Ein paar linksradikale Chaoten würden das zweifellos begrüßen und alles dafür tun – inklusive dem Vorwurf, dass hier Krieg gegen das eigene Volk geführt wird und das ganze Volk gegen die Bundesregierung sei.
In Abwandlung einer Weisheit des großen Philosophen Dieter Nuhr: wenn man keine Ahnung hat, einfach mal keinen Krieg anfangen (bzw. einen Bürgerkrieg nicht noch weiter aufzublähen)?
@turan saheb
„Wenn wir uns wenigstens einigen können, dass wir außer “anecdotal evidence” nicht genau wissen was in Syrien los ist“
Ich stimme dem zu, wobei wir natürlich hier die meisten von uns nicht wissen welche Informationen den Sicherheitsdiensten unseres Staates zur Verfügung stehen.
“ – warum erwarten sie dann überhaupt eine wie auch immer geartete Reaktion von “uns”“
Weil es um Menschenleben geht und wir es können und weil wir als Europäer ein unmittelbares Interesse an der Stabilität im Nahen Osten haben müssen.
@koffer
„……und wir es können ….wir als Europäer……….°
Das wüßte ich aber.,,,,,sagte der türkische Grenzwächter zu seinem griechischen Kollegen auf Zypern ;-))
Wer destabilisiert den die Region? Assad? Nein, es sind sunnitische Extremisten, libysche Terroristen und die Türkei, die da zündeln.
Jegliche Einmischung des Westen wird die Gewalt, wenn auch vielliecht nur temporär erhöhen. Daher kam mir folgender Gedanke:
Wenn man annimmt, dass der Iran über kurz oder lang eine Atombombe haben wird bzw. kurz davor sein wird eine zu haben, dann wird es über kurz oder lang zu einem Krieg kommen.
Das dürfte dann zu einem Angriff der Hamas und Hizbollah auf Isreal führen. Nun könnte man doch gleich zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen. Also erst bomben wir Syrien zur „Demokratie“, dann können die Isrealis direkt über Syrien fliegen und den Iran angreifen. Dieser Angriff wird dann vielleicht von den Amerikaner unterstützt, diese versenken noch die iransiche Flotte, dann ist das Schreckgespenst der Sperrung der Straße von Hormus auch erstmal verschwunden.
Dies würde eine extreme Gewalteskalation darstellen, jedoch würde ein Angriff auf der Iran, der aufgrund die iranschen Bombe so oder so irgendwann geschehen wird, ebenfalls zu einer Eskalation führen. Daher könnte man damit die syrisch-iranische Achse und ihre Verbündeten stark schwächen.
Das ganze wird sicherlich vielen Menschen das Leben kosten, den Bürgerkrieg in Syrien nicht beenden und einen Rakatenhagel auf Isreal einläuten, jedoch hätte man das iranische Problem auf min. 20Jahre gelöst und vermutlich könnte dann in Syrien ein dem Westen freundlicheres gesinntes Regime zur Macht verholfen haben.
Also gut, der thread ist ja eh schon etwas aufgebläht und fast alle philosophischen Standpunkte ausgetauscht. Da erlaube ich mir mal eine (vorläufig) abschließende Zusammenfassung von „Wir tun was, weil man muss ja was tun“ aus strategisch-turanscher Sicht. Es gibt ja verschiedene Szenarien.
Szenario 1:
„Externe Kräfte“ – das werden in irgendeiner Form auch wir sein – unterstützen die syrischen Insurgenten, aber nur begrenzt. Entweder mit Waffen, befreiten Zonen oder von mir aus auch nur mit gewaltsam herbeigebombten, freiem Zugang für die Welthungerhilfe (die anschließend dagegen protestiert, dass das Militär zivile Kugelschreiber benutzt).
Dies führt dazu dass entweder
(a) die syrische Regierung sich dennoch als stärker erweist (dann können wir uns das eigentlich auch sparen), oder
(b) der Bürgerkrieg sich ggf. sogar jahrzehntelang hinzieht (mit all dem menschlichen Leid, das aber erfahrungsgemäß in den Medien nach ein paar Monaten kaum noch für Aufmerksamkeit sorgen sollte, uns also nach menschlichem Ermessen nicht ständig bei der morgendlichen Zeitungslektüre belästigen dürfte), oder
(c) irgendwann die Insurgenten siegen. Nun haben Revolutionen ja die unangenehme Eigenschaft, dass ganz selten die braven posterboys und -girls, die auf facebook in der „freedom for syria“-Gruppe sind das Sagen im Land übernehmen. Haben wir von Iran anno 1979 (übrigens in vielen Aspekten ein passender Vergleich) bis Ägypten 2011/12 eigentlich immer wieder gesehen: je mehr Gewalt angewendet wird und Blut geflossen ist, um so mehr werden die radikalen Kräfte begünstigt, die das vergossene Blut der Märtyrer rächen – und ganz zufällig eher selten prowestlich eingestellt sind. Unwahrscheinlich dass ausgerechnet Syrien mit dem in jahrzehntelanger brutaler Unterdrückung radikalisierten Chapter der Muslimbruderschaft eine Ausnahme darstellen würde. Alles in allem also auch kein Ergebnis, das man gerne sehenden Auges herbeiführen würde. Szenario 1 ist also wenig attraktiv – es sei denn, man würde die Lösung 1b so bezeichnen. Dann aber bitte die begrenzte Einmischung nicht mit den Interesse des syrischen Volkes rechtfertgen, so zynisch bin ja noch nicht mal ich.
Fazit: Kosten gering bis mittel; erwartete Wirkung in unserem Sinne: extrem gering bis kontraproduktiv. Das ist eine recht schlechte Relation für eine strategische Option. Empfehlung: nicht machen. Bleibt also das nächste Szenario zu untersuchen:
Szenario 2:
Wir gehen rein und erledigen den Job selbst. Entweder von Anfang an oder schleichend über mission creep („Wir brauchen eine Flugverbotszone“, „Jetzt brauchen wir Luftangriffe“, „Ein paar begrenzte Bodentruppen wären nicht schlecht“, „Die störrischen Syrer halten sich nicht an unsere Spielregeln, jetzt gibts Saures“). Abgesehen davon, dass wir nach Irak und Afghanistan und angesichts der fast schon existenziellen Wirtschaftskrise wohl eh nicht mehr bereit sind, zeigen gerade die beiden Einsätze (und natürlich die UdSSR in AFG, die USA in VN und und und) doch, wie wenig wir sogar mit zehntausenden von dort stationierten Soldaten und Billionen von Kosten die politische Entwicklung in unserem Sinne beeinflussen könnten, wenn wir es nochmal versuchen würden (Karzai verkündet öffentlich, er würde mit Pakistan gegen die USA kämpfen und der neue, auch nicht so ganz demokratische Irak ist ein enger Verbündeter des Iran, tendenziell nicht gerade das was die USA angesichts ihrer Aufwendungen für den Krieg sich vorgestellt hatten).
Fazit: Kosten: extrem, extrem hoch, erwartete Wirkung in unserem Sinne: gering bis mittel. Auch keine so dolle Relation. Gut, dass das gar nicht mehr zur Debatte stehen dürfte. Aber es gibt ja noch ein (bisher in den westlichen Medien wenig diskutiertes) drittes Szenario:
Szenario 3:
Wir unterstützen die syrische Regierung, den Aufstand schnell zu besiegen. Afghanistan und Irak waren zwar kein Ruhmesblatt, aber eine zu allem bereite einheimische Regierung kann durchaus eine Aufstandsbewegung entscheidend schlagen. Das hat zuletzt Sri Lanka gezeigt, die Geschichtsbücher haben aber noch ein paar hundert andere Beispiele aus den letzten Jahrtausenden bereit. Das würde das Blutvergiessen nach einem kurzen Anstieg schnell und vermutlich nachhaltig beenden. Lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende. Und was die syrische Regierung am meisten bräuchte wären z.B. Satellitenbilder, Unterstützung bei der EloKa und entschiedener Druck auf die Türkei, die „Terroristenlager“ auf der türkischen Seite der Grenze zu schließen. Das sind alles Sachen, die wir ohne viel Aufwand hinkriegen würden. Ein paar Präzisionsluftangriffe auf Rebellenstellungen wären wahrscheinlich gar nicht nötig, aber sicher wirksam.
Fazit: Kosten: gering bis mittel, erwartete Wirkung in unserem Sinne: hoch (zumindest wenn es uns wirklich um das Wohlergehen der breiten Masse der Syrer geht, denen ein langer Bürgerkrieg erspart bleibt. Und wir wissen, was wir mit dem säkularen, bedingt pro-iranischen Assad haben, dem wir vorher noch ein paar Bedingungen diktieren könnten.). Die Presse würden wir auch schon umstimmen können, wenn wir jetzt noch eine konzertierte Aktion a la hill & knowlton 1990 hinlegen: ein paar al-Qaida Terroristen filmen, ein paar Menschenrechtsverstöße der Insurgenten – äh Verzeihung Terroristen anprangern. Assad zum Kleineren Übel erklären. Nicht über alles, was wir machen, vollumfänglich berichten. Das übliche eben. Aber ein Schönheitsfehler bleibt: wir haben uns wieder mal einen Haufen Menschen in der ganzen Region zum Feind gemacht – von Marokko bis Belutschistan werden die meisten Sunniten uns noch einen Tacken mehr böse sein. Die sind zwar schon viel gewohnt aus den letzten Jahrzehnten und „böse sein“ hat ja auch keine direkte strategische Auswirkung, aber man muss ja nicht übertreiben. Irgendwann kriegen wir vielleicht doch noch mal ne Retourkutsche, das muss man ja nicht überprovozieren. Und unser schlechter Ruf generell und die verbreiteten antiwestlichen Stimmungen machen ja auch die Revolution in Syrien gerade erst so gefährlich für uns. Ist ein bisschen wie radioaktiver Restmüll – man muss ja nicht mehr produzieren als unbedingt nötig und wir bisher eh schon produziert haben, das könnte sich nochmal böse rächen.
Wenn wir uns aber auch nicht auf Szenario 3 einigen können (und ich empfehle es wegen der erwähnten Nebenwirkungen wirklich nicht), bleiben wir zumindest nach meiner begrenzten Sicht ziemlich optionslos.
Deshalb die eigentlich doch gar nicht soooo fernliegende Idee – Füße still halten, Spritze aus dem Arm, tief durchatmen, einmal in den Spiegel schauen. Und spätestens dann feststellen, dass wir – der Westen, der Rest der Welt und noch nicht einmal Tahiti – den syrischen Bürgerkrieg und all die vielen anderen Tragödien dieser Welt nicht lösen werden. Allenthalben verschlimmbessern, und das im Zweifelsfall zu einem hohen Preis für uns selbst. Wie gesagt – Dieter Nuhr als Clausewitz des 21. Jahrhunderts… Einfach mal keinen Krieg anfangen.
@turan saheb – Danke.
Ich offeriere noch eine Version 4. Die beinhalted die Version 3, aber in verdeckter Form um die negativen Nebenwirkungen zu vermeiden. Zusätzlich ist das Blossstellen der Propaganda die systematisch von Avaaz und anderen über Syrien verbreitet wird erforderlich.
Wenn es Assad darum ginge, Terroristen zu bekämpfen, warum ermöglicht er dann nicht einen Auszug von Zivilisten aus Homs im Rahmen eines 1-wöchigen einseitigen Waffenstillstands. Danach kann er es wegen mir zusammenschießen.
Weil es das Problem nur verlagert. Da gibt es wenige unschuldige Zivilisten. Zudem sollen sie auch die entsprechenden Lektionen lernen: Sie rufen befreite Zonen aus, dann sollen die Zottelbärte sie auch schützen und versorgen. Und sich nicht nur das einfachste raussuchen, nämlich das Kämpfen. Sollen die Terroristen jeden Tag nach Hause kommen, ihre hungernden Kinder und verzweifelten Frauen sehen, ihre gebrechlichen Eltern leiden und sich dann ernsthaft fragen: Ist es das alles wirklich wert?
Die meisten tapferen Freiheitskämpfer würden zudem in den Flüchtlingsströmen mit heraussickern und später wieder zuschlagen. Aus Assad seiner Sicht sind nun alle Ratten ans Licht gekommen, da muss man die Gelegenheit nutzen und sie nachhaltig bekämpfen. Sie schicken ihre Kinder zum demonstrieren, Munition tragen, also kann auch gleich die nachfolgende Generation mit aus dem Spiel genommen werden. So zynisch das klingt. Momentan macht Assad relativ viel richtig und wenig falsch. Auch die Blockade des IRK ist m.E.n. sehr konsequent, denn unter der neuen Führung beziehen sie zu sehr Position, tragen Bilder in die Öffentlichkeit anstatt stillschweigend zu helfen.
Assad wird sich nicht halten, er wird so enden wie Gaddafi. Nach etwa 7000 ermordeten Zivilisten wird es bis zur Anklageerhebung durch den IStGH nicht mehr lange dauern. Und innenpolitisch ist in Syrien zu viel Blut vergossen. Eine Zukunft Assads in Syrien wird es nicht geben.
Auch die Verbündeten, wie z.B. Russland und China, gehen zunehmend auf Distanz. Das chinesische Außenministerium erklärte am Sontag, „jegliche Gewalt, insbesondere gegen Zivilisten“, müsse unverzüglich, vollständig und ohne Vorbedingungen beendet werden“(FAZ 05.03.12 / http://www.focus.de/politik/weitere-meldungen/syrien-konflikt-putin-fordert-ende-der-gewalt_aid_719773.html.)
„Menschenschlächtern“ gelingt es immer weniger, sich hinter staatlicher Souveränität zu verschanzen.