Der Abzug wird kommen. Aber früher oder später?
Die Entwicklung in Afghanistan hat in den ISAF-Nationen die Diskussion über den Abzug aus Afghanistan beschleunigt. Sollte er schneller kommen, oder wie geplant, oder was ändert sich? Zur milden Verwirrung trägt natürlich auch bei, dass die Berichte gestern, der afghanische Präsident Hamid Karzai wolle eher als geplant die afghanischen Sicherheitskräfte die Gesamtverantwortung am Hindukusch übernehmen lassen und die ausländischen Truppen auf ihre Camps beschränken, heute wieder relativiert wurde. Nach einem Telefonat Karzais mit US-Präsident Barack Obama teilte der Präsidentenpalast in Kabul mit: The two leaders also affirmed that they share the goal of building capable Afghan security forces and strengthening Afghan sovereignty so that Afghans are increasingly in charge of their own security, with the lead for combat operations shifting to Afghan forces, with U.S. forces in support, in 2013.
In dieser etwas turbulenten und bisweilen irreführenden Debatte der Hinweis auf ein Interview der Nachrichtenagentur AFP mit Verteidigungsminister Thomas de Maizière:
In der neu entflammten Afghanistan-Debatte lehnt Verteidigungsminister Thomas de Maizière (CDU) vorgezogene Abzugsplanungen für die Bundeswehr ab. „Ein Entscheidungsvorschlag kommt eher im September und nicht im April oder Mai“, sagte de Maizière im Interview mit der Nachrichtenagentur AFP in Berlin.
(…)
De Maizière begründete seinen Zeitplan mit den vielen Faktoren, die bei der Planung für 2013 zu berücksichtigen seien. Entscheidend bei der Ausgestaltung des Bundeswehr-Abzugs aus Afghanistan sind dem Minister zufolge vor allem die Pläne der US-Verbündeten, auf deren Geräte und Fähigkeiten auch die Bundeswehr in Teilen angewiesen ist.
Das Letzte ist eine Variation des Standardspruchs Gemeinsam rein, gemeinsam raus. Und könnte im Umkehrschluss ja auch heißen: Wenn die US-Verbündeten, auf deren Geräte und Fähigkeiten auch die Bundeswehr in Teilen angewiesen ist, schneller abziehen – gehen die Deutschen mit?
Die Übergabe der Verantwortung an die Afghanen ist gleichbedeutend mit einem signifikanten Absinken der Sicherheit insgesamt-und einer steigenden Bedrohung für die ISAF-Truppen.
Ähnliches konnte man schon im Irak beobachten.
Aber wozu aus (alten) Fehlern lernen?
Eigentlich macht das jetzt alles keinen Unterschied mehr, oder?
Wir wissen, daß wir raus wollen. Die Afghanen wollen uns raus haben. Wir wissen, daß nach dem Abzug alles zusammenklappt.
Wozu noch warten? Ein trauriges Desaster, 10 vergeudete Jahre, Soldaten die für Nichts gestorben sind. (Und ich war ein starker Befürworter des Einsatzes.)
Wenn das „gemeinsam rein – gemeinsam raus“ nicht funktioniert und die ISAF – assignierten US Truppen vor den Deutschen das Land verlassen, muss der Verlust der Fähigkeiten SOFORT ausgeglichen werden:
– Jeder APACHE Kampfhubschrauber muss sofort durch einen TIGER ersetzt werden.
– Jeder BLACK HAWK muss sofort durch einen NH-90 ersetzt werden.
– Jeder MH-53 CSAR muss sofort durch einen NH-90CSAR ersetzt werden.
– Jeder F/A-16 FALCON muss sofort durch einen TORNADO ersetzt werden.
– Jede 122mm muss sofort durch eine Panzerhaubitze 2000 ersetzt werden.
Geht nicht? Haben wir (noch) nicht? = Abzug! Das sind wir unseren Soldaten schuldig!
Das Schlimme daran ist, man darf niemals eine Bilanz über den AFG-Einsatz ziehen… die Bilanz fällt bitter aus…
Letztendlich geht es nur noch darum, das politische Gesicht zu wahren. Innerlich kann unser Verteidigungsminister die Aussage von Karsai nur begrüßen, aber wie soll er politisch das jemals verkaufen?
Der Tag X des Abzugs wird politisch als „richtiger“ Zeitpunkt in die Geschichte eingehen. Zu diesem Zeitpunkt wird natürlich die AFG-Armee dazu befähigt sein, für eigene Sicherheit zu sorgen. Das schizophrene daran, der Zeitpunkt kann morgen, aber auch in 2014 liegen, je nach Festlegung…
Ich frage mich mal wieder: Welcher Abzug? Die Truppe wird 2013/2014 erheblich reduziert und auf Mentoring ausgerichtet – es sollen (bisher) aber auch nach „Abzug der Kampftruppen“ die bereits diskutierten „Reaktionskräfte“ (PzGren). Im Land verbleiben.
Das ist kein Abzug (=Reduzierung auf 0).
Interessanter als die Diskussion um 2013 oder 2014 ist daher was nach 2013 bzw. 2014 verbleiben soll. Diese weitauis spannendere Frage wird – ganz bewußt – überlagert von vermeintlichen Abzugsdiskussionen.
Oder will man nicht nur die Übergabe der Sicherheitsverantwortung vorziehen, sondern auch kein Mentoring mehr nach 2013 durchführen? Das wàre ein wirklicher Strategiewechsel. Nur danach fragt niemand.
Die ganze Abzugsdebatte wird daher leider immer oberflàchlicher.
Auch sehr bezeichnend die Reaktion von TdM: „Ein Entscheidungsvorschlag kommt eher im September und nicht im April oder Mai“ (@T.W.: hoffe das direkte Zitat ist noch erlaubt, sonst streichen). Der Krieg liegt auf Wiedervorlage für September- daran sollten sich aber auch die Taliban und alle anderen auf der Welt halten! Bringt doch sonst den ganzen Aktenplan im BMVg durcheinander. Wo kommen wir denn da hin!?
Wenn Verwaltungsjuristen Krieg führen (müssen).
[Hatte das Zitat doch selbst eingestellt… Weil es Agenturtext direkt ist und nicht die Leistung eines Printmediums. Aber vielleicht muss ich das alles noch mal erklären? T.W. ]
Die eigentliche Frage ist, ob man das Ausbilden der Afg Sicherheitskräfte überhaupt noch einmal in Nennenswerten Umfang wieder Anfängt. Wenn Nein, will man in Afg bis 2013 etwa weiter campen?
Gemeinsam rein, gemeinsam raus.
Fällt keinem auf das der Spruch reine Propaganda ist?
Soweit ich mich erinnere kam die Bundeswehr mehrere Monate nachdem die Amerikaner Afghansitan überfallen hatten.
@“Gemeinsam rein, gemeinsam raus.“
Absolute Propaganda. So wie man sich bei der Entscheidung für den Einsatz hinter der „internationalen Gemeinschaft“ versteckte und bei operativen Entscheidungen das Völkerrecht vorschob, soll die Verantwortung für das eigene Handeln jetzt ein weiteres Mal anonymisiert und in nebelhaften Konstrukten aufgelöst werden.
Nun ja, besonders viel Spielraum gibt es nicht.
Bündnissolidarität und Gesichtswahrung waren die Gründe, bei dem Einsatz mitzumachen. Niemand wäre sonst auf die vollkommen abwegige Idee verfallen, deutsche Soldaten an den Hindukusch zu entsenden.
Wenn jetzt die Deutschen, die ohnehin als unsichere Kantonisten gelten, ohne Koordination die Platte putzten, so wäre der außenpolitische Fallout unüberschaubar.
Und wenn die Amerikaner denn nun ihre Zelte endgültig abbrechen, verschwinden wir natürlich gleichzeitig auch von der Bildfläche.
@chickenhawk – wo war bitte der „außenpolitische Fallout“ für die Kanadier die abgezogen sind?
Das Argument „außenpolitische Fallout“ ist für die drittgrößte Wirtschaftsmacht der Welt ziemlich abstrus.
Die einzigen, für die die US-Streitkräfte (aber auch die US-Politik) sich interessieren, ist die USA-sonst nichts.
Die Amerikaner haben und werden sich auch in Zukunft nur auf sich selbst verlassen.
Insofern interessiert es die USA nicht wirklich besonders, was die Deutschen da so machen…
@b
Chickenhawk hat recht, besonders wenn er auf die deutsche Reputation im Bündnis hinweist. Wir kommen immer zu spät, wenn überhaupt, und dann mit unzulänglichen Kräften und Mitteln. Ein vorzeitiger Abzug wäre deswegen wirklich schlimm.
Zu Kanada: vergleichen sie einmal den kanadischen Beitrag hinsichtlich Quantität und Qualität bezogen auf die Bevölkerungsgröße mit Deutschland, dann ziehen sie ihre Anmerkung sicherlich zurück. Die Kanadier haben viel mehr getan als sie angekündigt hatten und sind deutlich später abgezogen als ursprünglich geplant. Gleiches gilt im Übrigen auch für die Niederlande. Im Vergleich zu den kleineren Bündnispartnern sehen wir wirklich schlecht aus.
@ Erwin | 16. März 2012 – 20:15
[…]Das Schlimme daran ist, man darf niemals eine Bilanz über den AFG-Einsatz ziehen… die Bilanz fällt bitter aus…[…]
Das ist eine Sache des Blickwinkels und vor allem welche Zielsetzung(en) man zu Grunde legt bzw. wer die Bilanz erstellt. Und ob tatsächlich ISAF seine Ziele nicht erreichte und/ oder es nicht doch andere Protagonisten sind, die hier Zielverfehlungen bei sich ausmachen müssen wird die wissenschaftliche Perzeption der nächsten 5 Jahre beschäftigen.
Ich meine: Neben dem Allgemeinplatz, dass die deutschen Soldaten und ihre Verbündeten vieles sehr gut und sehr richtig machten und durchaus mit gewissem Stolz auf diesen Einsatz zurückblicken können-noch dazu betrachtet man sich die gesamte Region-und sich das auch nicht kleinreden lassen sollten, sei festgehalten, dass diejenigen, die heute vom Scheitern der ISAF sprechen und den Abzug mit Beifall bedenken erst bitte noch dem CNN Effekt der nächsten 10 Jahre Stand halten sollen.
In meinen Augen sollte man den Ball von Karzai aufnehmen und ad hoc gen Usbekistan abziehen, die Deutschen sich in Usbekistan-die Franzosen mit den Russen in Tadschikistan, die Russen in Turkmenistan und so weiter- im Bereich der Grenzsicherung und Ausbildung betätigen und parallel in Ruhe Personal und Material nach Hause bringen, ansonsten sich mit den freigewordenen Ressourcen den Anrainern unserer wichtigsten Seehandelsrouten widmen.
Sehr wohl bin ich mir im klaren darüber, was dies für die Afghanen bedeutet. Aber bei aller Empathie für diese Menschen: es ist vorbei.
@ Sailor1995 | 17. März 2012 – 9:08
[…] Im Vergleich zu den kleineren Bündnispartnern sehen wir wirklich schlecht aus.[…]
Das ist mE zu allgemein. In der Betrachtung und dem Vergleichen diverser Einzelleistungen mag das hier und da auszumachen sein. Ich gebe Ihnen auch Recht, sollten Sie damit aussagen wollen, dass die große Handelsnation Deutschland Farbe bekennen und sich zu seiner Verantwortung in der Welt-die friedlich sein soll-bekennen wird müssen. In der Tat haben wir in den letzten 15 Jahren viele enttäuscht, doch die Soldaten waren und sind nicht die Verantwortlichen dafür. Auch wenn Sie letzteres nicht äußerten, möchte ich es anführen.
Noch etwas allgemeines: Ein deutscher AM war der Meinung die Gespräche rund um AFG nach DEU holen zu müssen und den Traum von einer UN-Nation mit permanentem Sitz im UNSR zu träumen. Allein es ist ein Traum geblieben und wird einer bleiben. Das allerdings ist, sieht man sich die Konsequenzen aus dem ständigen UNSR Sitz einmal genauer an, nicht das schlimmste, meine ich.
@Sachlicher
Stimme ihrer Anmerkung zu meinem Beitrag zu. Natürlich sind es nicht unsere Soldaten die ich kritisiere, sondern die politische Leitung und die militärische Führung.
Und wie sie richtig sagen, gehört zu einem permanenten Sitz im VNSR mehr als Wirtschaftskraft
@b
„Soweit ich mich erinnere kam die Bundeswehr mehrere Monate nachdem die Amerikaner Afghansitan überfallen hatten.“
DAS klingt mir jetzt aber nach Propaganda…
Nach ziemlich schlechter sogar…
Hauptaufgabe der Bundeswehr ist das Sparen und die daraus resultierende Dauerreform.
AFG ist nur noch Alibi für vergangene Fehler!
Die Nachwehen werden sein, das man der Bw unterstellen wird einen Krieg gegen schlecht gerüstete Aufständische verloren zu haben. Verteidigung kann sie auch nicht mehr, also wozu noch 40 Mrd in ein sicherheitspolitisches Instrument stecken was für die zukünftigen Szenarien der Sicherung Europas und der BRD nicht zu gebrauchen ist?
@Elahan:
Und genau das ist eine sehr berechtigte Frage – auch wenn das ganze mittlerweile weniger als 40 Mrd. p.a. kostet.
Ich empfehle aus der FAZ von heute (online verfügbar) den Artikel „Rückzug als gefährliche Selbstbeschäftigung“ von S. Löwenstein.
Die Überschrift sagt aber eigentlich schon alles.
Die FAZ träumt auch noch vom sanften Abzug. Ich denke eher da wird ein schneller Abzug eingeleitet werden. Sobald die ISAF mit den Abzug beginnt, werden nur noch die Abzugsrouten gesichert und man konzentriert sich auf logistisch wichtige Standorte.