Einstieg in den Ausstieg: deutliche Truppenreduzierung in Afghanistan geplant
Aus dem Zug mit wackligem Internet, damit das Thema auch hier zur Diskussion steht: Zumindest regierungs- und koalitionsintern scheint die Entscheidung über die Reduzierung des deutschen Afghanistan-Kontingents gefallen zu sein.
Die Meldungen von ARD und ZDF dazu:
Die Bundesregierung plant nach Informationen des ARD-Hauptstadtstudios die Verkleinerung des Bundeswehr-Kontingents in Afghanistan um mehrere Hundert Mann. Die bisherige Obergrenze von derzeit 5350 Soldaten soll im neuen Mandat vorerst auf 4900, zum Ende des Mandates auf 4400 gesenkt werden. So steht es in einem gemeinsamen Schreiben von Außenminister Guido Westerwelle (FDP) und Verteidigungsminister Thomas de Maizière (CDU) an den Verteidigungsausschuss des Bundestages, das dem ARD-Hauptstadtstudio vorliegt. Das Parlament muss Anfang kommenden Jahres über eine Fortsetzung des Einsatzes am Hindukusch befinden. Außenminister Westerwelle hatte eine signifikante Verkleinerung noch im Jahr 2011 bereits mehrfach in Aussicht gestellt. Verteidigungsminister de Maizière hatte sich dazu stets nur zurückhaltend geäußert. Zuletzt warnte der Verteidigungsminister bei einer Konferenz in Berlin vor zwei Wochen, es dürfe keine „übertriebene Verkleinerung“ des Kontingents nur aus „politischer Symbolik“ geben. Aus dem Verteidigungsministerium heißt es, der aktuelle Kompromiss sei militärisch noch vertretbar und politisch zustimmungsfähig.
Und vom ZDF: Regierung will fast 1.000 Soldaten weniger in Afghanistan
Gespannt darf man sein, an welchen Stellen Personal eingespart wird. Ob das Durchkämmen der Dienstposten in den Camps so viel bringt, bezweifle ich ja – wer richtig reduzieren will, muss ganze Einheiten rausnehmen. Zum Beispiel eine Task Force, also ein Ausbildungs- und Schutzbataillon. Und ich frage mich natürlich, wie sich die Absicht personell auswirkt, im kommenden Jahr Tiger-Kampfhubschrauber in den Einsatz am Hindukusch zu bringen. Oder ist das schon Geschichte?
@T.W. Man muss dazu keine Camps durchkämmen, sondern kann auch eines schließen. Faizabad war schon häufiger im Gespräch.
Man könnte auch mal im Stab RC-S richtig ausmisten, anstatt schon wieder bei den Indianern zu kürzen. Aber dann könnte man ja vielleicht keinen 2-Sterner und mehrere 1-Sterner nicht mehr begründen.
@Kollege
Faisabad sind so um die 250. Bringt bei weitem keine 900.
Wollte man sich nicht aus dem Raum Kunduz komplett verabschieden, dieses den Amerikanern übergeben und selbst sich in Richtung Westen verlagern (mit weniger Soldaten)? Sprich: Kompletter Rückzug aus dem gefährlichen Gebieten.
Wo ist eigentlich die AWACS-Besatzung untergerbacht? Im bestehenden Mandat?
Und wie definiert die Bundesregierung „Kampftruppen“, „Unterstützer“ und „Ausbilder“?
Was ist der Unterschied? Man will ja als erstes Ende 2014 (?) Kampftruppen abziehen.
Meine Meinung ohne Insiderinformationen:
Statt 2 Btl ASB/TF einfach wieder auf 1 Btl QRF reduzieren und das Partnering um Enabler/Force Protection verstärkten OMLT übertragen. Dann noch die PRTs unter Führung AA stellen und militärisch auf ein Minimum abspecken.
Das ein Flächenrückzug zunächst FEY – dann KDZ (vor KDZ noch PAT TALOQAN) und zuletzt MES Sinn macht ergibt sich geographisch, auch wenn die afghanische Seite – bei der Übernahme der Raumverantwortung – da der entscheidende Trigger auf der Zeitlinie ist.
Die Hauptproblematik ergibt sich für mich, wenn beispielsweise ANA in FEY noch ein OMLT benötigt (wenn ein neues Kandak mit dem Erfahrenen dort rotiert), wenn die Flächenverantwortung bereits übergeben und das PRT abgebaut ist. Die Distanz am Boden ist für wirksame QRF dann zu weit, dann müsste man eine QRF und Logistik luftgestützt haben. So lange genügend UH60 für die QRF/Medivec und CH53/Transall für Logistik da sind – machbar, wobei ich tausende Detailprobleme (z.B. ein TPz/Dingo 2 muss in die Instandsetzung FEY-MES) ausgeblendet habe. Leider haben wir keinen Einfluss auf US-Planungen und Ende 2012 dürfte – m.E. ohne jede Kenntnis des echten Sachstandes – noch kein NH90 Einsatzreife haben…
Fazit: Auf den ersten Blick – sicher mit knirschen – machbar, wenn die USA und die afghanische Seite mitspielen.
Jetzt bin ich beruhigt.
Unsere Soldaten werden aus Afgahnistan endlich nach Hause befohlen und Frau Merkel erlaubt nur 2 Grad mehr Temperatur bis 2050 :))
Besonders aufschlussreich ist mal wieder der Kommentar aus dem Ministerium. Verfasst der Minister zusammen mit seinem Ministerkollegen auch durchaus mal militärisch nicht vertretbare und politisch nicht zustimmungsfähige Schreiben an die Fraktionschefs?
Ich wüsste, wo sich im Ministerium noch Sparpotenzial tummelt.
Falls man die Heeresfiegertruppe letztlich nicht nur nahezu, sondern ganz abschaffen will, wird es zur Stationierung des Tigers in 2012 keine Alternative geben.
@EK u. Stefan H.:
Auch nach meinem Eindruck wird derzeit bewußt eine realitätsfremde Unterscheidung zwischen Kampftruppen und Ausbildern gemacht – nicht nur in Deutschland.
Aber auch in der Bw gibt es zu wenig Verständnis fùr die hohen Anforderungen an OMLT (siehe auch neue Heeresstruktur nach der Leute aus Brig- und Div-Stäben entweder in internat. Stäben oder bei OMLT eingesetzt werden sollen). Eine verantwortungsvolle „ISAF 2014+“-Planung ist – zumindest für mich – nicht erkennbar. Das wären nämlich autarke (P)OMLT+ Unterstüzung („Enabler“). Dass müsste jetzt angegangen werden, damit es ab Ende 2014 klappt.
@Memoria
Grundsätzlich volle Zustimmung – OMLTs finden sich i.d.R. in den identischen Gefechten wieder, wie ASBs/TF. Eigentlich ist die Rekrutierungsbasis für ein Infanterie-Kandak-OMLT identisch wie für die ASB/TF, daher sehe ich hier ja Möglichkeiten des Handelns.
Trotzdem halte ich die OMLT-Ressourcen auf Brigade und Kandak-Ebene in der neuen Struktur für richtig. Gerade bei Befehlstaktik – und die herrscht halt fast überall in der Welt – reicht es nicht weit unten zu Mentoren. Ganz im Gegenteil: Wo sind die echten Probleme z.B. bei der ANA? Stationierung, Logistik, komplexere Enabler, Koordination des Luftraumes/Air-Assets, Sanität – da geht noch nicht viel. Da der Fisch bekanntlich vom Kopf her stinkt – gilt es z.B. alleine im RC N einen Korpsstab und 3 Brigadestäbe in allen Führungsgrundgebieten durchhaltefähig zu betreuen. Das sind Aufgaben, wo die Brigade und Divisionsebene sich perfekt zur Mentorengewinnung anbieten. Man muss durchaus Alter, Erfahrung und Dienstgrad mitbringen, um einen afghanischen General zu mentoren. Bei einer überschaubaren Anzahl von Obersten auf der Btl-Ebene passt da die Ebene schon. Wenn dann aber gleichzeitig die ISAF-Stäbe wie beispielsweise RC N zu besetzen sind – in der Praxis alle Führungsgrundgebiete also mehrfach abgebildet werden müssen (ANA und ISAF), dann ist man dankbar um jede kleine strukturelle Vorsorge – die da für OMLT getroffen wurde.
Ehrlich gesagt finde ich es persönlich Schade, dass unser Mentoring beim KorpsKdr aufhört. So manches mal haben wir uns über die Qualität der Befehlsgebung ANA aus Kabul aufgeregt und in einer Befehlstaktikarmee wird der Befehl umgesetzt – koste es was es wolle…
@Stefan H.:
Natürlich muß gerade auch auf Btl-Ebene aufwärts ein Mentoring stattfinden und unser schwacher Antritt bei NTM-A und dem MoD ist hier sicher ein erhebliches Defizit (das zeigt mal wieder: Aufbau der ANSF ist in Realität eben nicht der Schwerpunkt).
Meine Kritik bezieht sich auf den fachlichen Hintergrund unseres für OMLT vorgesehenes Personal. Der Geamtansatz bleibt nunmal konventionell – wie auch der ANA-Aufbau zu sehr an konventionellen NATO-Armeen orientiert ist. Das kann nicht funktionieren – das wußte schon T. E. Lawrence vor beinah 100 Jahren.
Aus meiner Sicht bedarf es für OMLT u.ä. einer sehr hochwertigen unkonventionellen Ausbildung weit oberhalb der ZA EAKK OMLT (erweiterte Gefechts- und Sanausbildung, Sprachausbildung, Landeskunde, COIN, etc. – siehe ODA).
Daher ist Ansatz des Heeres aus meiner Sicht alles andere als perfekt. Aber „out of the box“ geht in der „big army“ eben nicht – egal wie klein diese wird.
Ein Trauerspiel, das anders nicht zu erwarten war…
Wir verziehen uns mit großer Ankündigung und festgelegtem Zeitpunkt, die Taliban verlagern dementsprechend ihren Schwerpunkt von ISAF auf afghanische Sicherheitsbehörden (insbesondere deren Führern), wir übergeben fröhlich dich Sicherheit und das wars.
Ich danke an dieser Stelle den Verantwortlichen in Militär und Politik, ihr zeigt wieder, was der deutsche Soldat wert ist und welche Werte ihr vertretet.
@Memoria
Ich glaube jetzt müssen wir aufpassen, sonst zeigt uns T.W. bald die gelbe Karte weil wir uns vom Thema etwas weg bewegen – da ich das Thema Partnering liebe, lasse ich mich zu einem letzten Beitrag verführen:
Ich habe 6 Monate sehr eng mit verschiedenen ODA-Teams (ODA = 12 Mann Spezial Forces mit organischem JTAC und i.d.R. einer Kompanie ANA) und insbesondere mit dem sie steuerden ODB-Team (Gefechtsstandelement – führt 3-8 ODA Teams) zusammen gearbeitet. Hoch professionelle Truppe, exzellente Ausrüstung, guter Ausbildungsstand (z.B. jeder 12te voll qualifizierter JTAC mit Rover/PRC 117F Ausrüstung) – keine Frage das da Begehrlichkeiten geweckt werden. Allerdings ist die Wirkung der ODAs mit Schwerpunkt auf Kompanie- maximal Bataillonsebene. Es fand auch kein Mentoring oder gar Ausbildung statt, sondern es geht hier rein um die Gefechts-/Operationsunterstützung.
Dazu muss man eine zweite Wahrheit aussprechen: Diese kleinen Teams haben eine unglaubliche Feuerkraft, aber wenn sie selbst getroffen werden sind sie halt aufgrund der geringen Größe unglaublich verletzlich. Ein Team wurde beispielsweise bei Kunduz unglücklich durch ein IED erwischt und Führer und JTAC wurden gleichzeitig ausgeschaltet. Dem Team drohte sofort und unmittelbar die Vernichtung, die nur knapp dank „konventioneller“ Bundeswehr und man staune – ANA – verhindert werden konnte. Spezial Forces sind gut und haben auf die Mannstärke bezogen einen tollen Wirkungsgrad – keine Frage. Ihre Vorteile sind hohe Flexibilität, Mobilität und die Möglichkeit wirklich enbedded zu arbeiten. Der Preis ist ein deutlich höheres Risiko für die eingesetzten Soldaten – dazu wachsen Spezial Forces nicht auf Bäumen und sind halt auch die teuerste Truppe bei knapper Kassenlage.
@Stefan H.:
Zumindest aus meiner Sicht bewegen wir uns nicht vom Thema weg, sondern sind im Kern der Sache angekommen: Wie soll – trotz Reduzierung der Mandatsobergrenze – die Brücke in zur „selbsttragenden Sicherheit“ gebaut werden?
Falls das zu weit weg ist hol ich mir gern die gelbe Karte ab.
Natürlich sind amerikanische „Special Forces“ mit dem Auftrag „Foreign Internal Defense“ (Ausbildung fremder Streitkräfte, nicht gleichzusetzen mit unseren SpezKr oder USSOF) aufgrund des weitgehend autarken Vorgehens einem höheren Risiko ausgesetzt (daher ja die besondere Ausbildung und Ausrüstung) und ja natürlich sind diese immer auch auf die Zusammenarbeit mit konventionellen Kräften angewiesen (siehe „SOF Truths“).
Natürlich gehören zu diesem Ansatz auch mehr als die ODA (bis hin zu ODC auf SF-Btl-Ebene). Und natürlich ist der Ansatz oft sehr „direct action“-lastig – in der Führung (USSOCOM und USARSOC) scheint man dies jedoch erkannt zu haben und intensiviert derzeit erheblich die Sprachausbildung (zurück zu den Wurzeln). Siehe hierzu auch die letzten Ausgaben des Special Warfare Magazine (http://www.soc.mil/swcs/swmag/).
Ist das alles perfekt in Theorie und Praxis? Sicher nicht, aber ein weitaus vielversprechenderer Ansatz als unser „Breite vor Tiefe“ und wir schicken dann ein paar Leute aus nem Stab dahin.
In einem Punkt möchte ich Ihnen daher widersprechen:
Ist dies wirklich die teuerste Truppe bei knapper Kassenlage?
Und welche Alternative haben wir denn hierzu, wenn ANSF auch nach 2014 von Ausbildern begleitet werden sollen (siehe Merkel bei Besuch NATO-Generalsekretär)?
Das Beispiel mit dem JTAC im ODA zeigt es anschaulich. Wie soll es denn anders gehen bei Reduzierung des Kräfteansatzes und der Notwendigkeit der ANA weiterhin MedEVac u. Luftuntertsützung bereitzustellen (siehe FAZ-Interview GenMaj Kneip)?
Im Vergleich zu regulärer Kampftruppe sind die Kräfte sicherlich teuerer. Der Kern ist aber Ausbildung (Sprache, COIN-Theorie, etc.) und diese ist nicht wirklich teuer, sondern in Teilen sogar in der Bw oder der NATO vorhanden. Man muss es nur verstehen und wollen. Die Kosten für Material sind im Vergleich zu anderen Investitionen ebenfalls sehr übersichtlich (müssen wirklich alle Eurofighter eine Rollenanpassung bekommen? Eine Rollenanpassung für einen Eurofighter der Basisausbildung weniger wäre schon mehr als genug).
Wägt man diese überschaubaren Kosten zudem mit dem strategischen Mehrwehrt (nach 10 Jahren Krieg lassen wir die Brücke einfach einbrechen?) und den bisherigen Kosten des Einsatzes (Soldaten und Geld) ab, dann ist dies aus meiner Sicht nicht die Lösung des reichen Mannes, sondern die des schlauen und sparsamen Mannes.