Kosovo: Die gekaufte Zeit läuft ab
Die Lage im Kosovo ist in den vergangenen Tagen (ich gebe zu: auch bei mir) im Rauschen anderer Ereignisse untergegangen. Doch Berichte aus dem serbisch kontrollierten Norden des Landes legen nahe, dass sich die Situation wieder zuspitzt – wenige Tage nach Amtsantritt des neuen KFOR-Kommandeurs, des (ebenfalls) deutschen Generalmajors Erhard Drews als Nachfolger von Erhard Bühler. Vor allem aber unmittelbar vor dem Auslaufen einer Vereinbarung aus dem August, die der NATO-geführten Schutztruppe die Kontrolle über umstrittene Grenzübergänge zugesteht – bis Mitte September.
Die Lage, sofern sie sich aus den Berichten destillieren lässt:
– Am Mittwoch ließen die Serben im Kosovo einen KFOR-Konvoi passieren, den sie noch am Dienstagabend mit Straßensperren aufgehalten hatten. Allerdings, berichtet die serbische Nachrichtenagentur Tanjug, seien die Barrikaden erst beiseite geräumt worden, als die internationale Schutztruppe versicherte, der Konvoi sei auf dem Weg in das Feldlager Nothing Hill – und nicht etwa auf dem Weg zu einem der Grenzübergänge nach Serbien.
– Zwei dieser Grenzübergänge werden derzeit von KFOR gesichert – das hatte noch der bisherige KFOR-Chef Bühler mit den Serben ausgehandelt, um damit Zeit für politische Gespräche nach den Unruhen Ende Juli zu schaffen. Doch die im so genannten Nothing Hill-Abkommen gesetzte Frist bis Mitte September läuft am Donnerstag ab.
– Ebenfalls am Donnerstag reist NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen in den Kosovo. Vor der Reise waren aus Brüssel Warnungen vor unbedachten Aktionen in den nächsten Tagen zu hören. (Die Original-Meldung hier, hier die Übersetzung.)
Also scheint eine (erneut) unsichere Zeit im Kosovo programmiert – keine erfreuliche Aussicht für den neuen Kommandeur.
(Die Einschätzung der Situation im Kosovo wäre ja bisschen einfacher, wenn man wenigstens immer Zugriff auf die KFOR-Pressemitteilungen hätte. Das war schon bisher schwierig, jetzt sind noch nicht mal die archivierten Mitteilungen der vergangenen Tage vorhanden…)
Generalmajor Bühler hat das Problem also einfach auf seinen Nachfolger abgewälzt und die KFOR steht wieder da, wo sie bereits im Juli stand.
Ich persönlich kann mich mit solchen Meldungen: „Deutsche Soldaten der internationalen Schutztruppe KFOR, die zur Versorgung von KFOR-Truppen an den umstrittenen Grenzübergang Jarinje zu Serbien fahren wollten, mussten wieder in ihre Basis zurückkehren, berichteten die serbischen Präsidenten mehrerer Gemeinden in Nordkosovo.“ einfach nicht anfreunden. Auch in der englischsprachigen Version klingt es nicht besser: „In the talks with Leposavić, Zvečan and Kosovska Mitrovica mayors, the German KFOR members requested to be allowed to reach Jarinje, but the gathered Serbs did not accept this and refused to move several cargo trucks and buses that blocked the road for KFOR, who then returned to their base, Tanjug’s reporter stated.“
Die KFOR wird an der Durchführung des eigenen Auftrages bewußt gehindert und läßt dies folgenlos zu. Und noch hat die kosovarische Regierung ihre Ankündigung/ Drohung eigene Zöllner an den umstrittenen Grenzübergängen zu postieren, noch nicht einmal umgesetzt, d.h. die nächste Eskalationsstufe steht der KFOR evtl. unmittelbar bevor.
@ Prediger | 15. September 2011 – 9:48–
[…]Generalmajor Bühler hat das Problem also einfach auf seinen Nachfolger abgewälzt und die KFOR steht wieder da, wo sie bereits im Juli stand. […]
Diese Einschätzung kann ich nicht in Gänze teilen. GenMaj Bühler hat die Voraussetzungen für Verhandlungen geschaffen. Diese Verhandlungen wiederum müssen von ziviler Seite geführt werden. GenMaj Drews hat mit nun seinen Kräften dafür zu sorgen, dass diese Voraussetzungen längstmöglich bestehen bleiben. Bühler war und Drews wird schlau genug (sein), sich nicht einseitig vereinnahmen zu lassen. Und KFOR ist nicht der Büttel der Kosovo-Albaner, aber auch nicht Schutzmacht der Kosovo-Serben.
KFOR stand im Juli vor einem bewaffneten Konflikt in dem sie selbst Akteur gewesen wäre, und/ oder Zuschauer eines offenen serbisch-albanischen innerkosovarischen Konflikts. Es gab auf beiden Seiten maßgebliche Kräfte, die sich den Ausbruch eines solchen herbei gesehnt hätten.
Allzu schnell ertappt man sich mitunter beim Tätigen der Aussage: Jetzt soll KFOR endlich mal aufräumen! Gehen wir einfach mal davon aus, dass sie es tun-mandatiert ist das ja: was dann? Ohne geeignete politische/ diplomatische Flankierung würde sich nicht viel ändern können. Es wäre Symptombekämpfung, erfolgreich solange bis sie wieder auträten. Und das würden sie, schließlich wären die Ursachen (damit noch) für die Symptomentstehung nicht beseitigt.
GenMaj Bühler hatte es im Juli/ August geschafft diese Problematik zurück auf das internationale Trapez zu bringen, ohne dabei Tote und Verwundete als Hypothek aufnehmen und somit den Verhandlungsspielraum schmälern zu müssen. Gemacht hat die internationale Diplomatie nicht viel, eher: gar nichts, daraus. Insofern Sie wahrscheinlich de facto sogar Recht behalten, dass KFOR, ohne selbst Schuld daran zu sein, dort steht, wo man im Juli bereits stand. Aber von einem „Abwälzen“ auf den Nachfolger würde ich dennoch nicht sprechen.
[…]Ich persönlich kann mich mit solchen Meldungen: … einfach nicht anfreunden. […]
Das ist verständlich.
Doch zum einen schauen wir uns an, wer da an den „Barrikaden“ hockt: Das sind mit Masse Jugendliche, deren „Bewaffnung“ aus Steinen und Brandsätzen minderer Qualität und Durchschlagskraft besteht, ergänzt um ein, zwei „Capos“ die ihr Handwerk spätestens im letzten Kososvo-Krieg erlernten. Zum anderen aber: Die Frage, ob hier die dt Patrouille hätte kämpfen dürfen, will ich gar nicht mal stellen -weder juristisch noch moralisch- geschweige denn beantworten, vielmehr die Frage stellen: was hätte es wem genützt, was positiv verändert?
IMHO hat KFOR, mit ganz kleinen Ausnahmen, alles richtig gemacht die letzten Monate, versagt haben andere, vorrangig EULEX und die Diplomatie.
[…]d.h. die nächste Eskalationsstufe steht der KFOR evtl. unmittelbar bevor.[…]
Damit dürften Sie IMHO Recht haben. Ich sehe aber nichts, woran GenMaj Drews scheitern könnte: fachlich nicht und politisch auch nicht, bekommt (bekäme) er den (internationalen) politischen/ diplomatischen Rückhalt, den er benötigt(e).
„Und KFOR ist nicht der Büttel der Kosovo-Albaner, aber auch nicht Schutzmacht der Kosovo-Serben.“
Von der „Mehrheitsbevölkerung“ im Kosovo wird sie aber zusehends als letztere wahrgenommen. Wenn die KFOR sich von 50.000 K-Serben fortwährend vorführen läßt, ist es nur noch eine reine Zeitfrage, bis sie sich 1,7Millionen K-Albanern gegenübersieht.
„KFOR stand im Juli vor einem bewaffneten Konflikt in dem sie selbst Akteur gewesen wäre, und/ oder Zuschauer eines offenen serbisch-albanischen innerkosovarischen Konflikts.“
Spätestens nach den folgenlosen Angriffen auf KFOR und der de facto Geiselnahme des damaligen COMKFOR war sie Konfliktpartei, hat jedoch öffentlich kapituliert.
„Doch zum einen schauen wir uns an, wer da an den “Barrikaden” hockt: Das sind mit Masse Jugendliche, deren “Bewaffnung” aus Steinen und Brandsätzen minderer Qualität und Durschschlagskraft besteht, ergänzt um ein, zwei “Capos” die ihr Handwerk spätestens im letzten Kososvo-Krieg erlernten.“
Da muß ich Ihnen leider widersprechen:
http://spc.rs/eng/we_pray_god_give_all_love_and_peace
Und bezüglich der Bewaffnung: Nur weil Waffen nicht offen getragen werde, muß dies nicht bedeuten, daß sie nicht existent sind bzw. der Deckungstrupp für die jeweilige Straßensperre nicht über solche verfügt.
Prediger | 15. September 2011 – 12:14
[…]Von der “Mehrheitsbevölkerung” im Kosovo wird sie aber zusehends als letztere wahrgenommen.[…]
Ich habe mir es nie angewöhnt den Balkan in „gut und böse“ aufzuteilen, auch in dem Wissen, dass dort schon alle beide Rollen einnahmen und dies mitunter gleichzeitig.
Und wenn die „Mehrheitsbevölkerung“ die Integrität der Minderheit bedrohen sollte-das ist Konjunktiv, wie Sie bemerken-, dann:
[…] ist es nur noch eine reine Zeitfrage, bis sie sich 1,7Millionen K-Albanern gegenübersieht. […]
wird es eben so sein und die UNSR Resolution 1244 den Handlungshorizont für KFOR vorgeben.
[…]Wenn die KFOR sich von 50.000 K-Serben fortwährend vorführen läßt,[…] Spätestens nach den folgenlosen Angriffen auf KFOR und der de facto Geiselnahme des damaligen COMKFOR war sie Konfliktpartei, hat jedoch öffentlich kapituliert. […]
Dies ist die Darstellung aus Ihrer Sicht, die ich Ihnen gern unbenommen lassen möchte, sie aber dennoch als eine pro-albanisch-kosovarische Sicht für mich „werte“. Ich schließe mich dieser nicht an. Ich bezog hier: http://augengeradeaus.net/2011/08/kosovo-serben-rufen-un-gegen-kfor-zu-hilfe/#comments schon einmal u.a. dazu Stellung.
[…]Da muß ich Ihnen leider widersprechen: […]
Sie können mir gern widersprechen. Nur tun Sie das in meinen Augen nicht mit Ihrem Link, weder mit den Bildern noch mit dem Text, ein Auszug: […]We pray that God give all love and peace. This prayer is also for the KFOR soldiers, as a call that all this situation finishes in a pious way[…] Wenn sich nun die Vertreter der islamischen und römisch-katholischen Glaubensgemeinschaften anschließen bei diesen, als unspektakuläres Friedensgebet , gesprochenen Worten und deren jeweilige Anhänger dem folge leisten, dann dürften die Chancen auf eine friedliche Konfliktregulierung steigen. Oder was wollten Sie zum Ausdruck bringen?
Sollten Sie Bild 5 von 8 meinen: Von wann ist es? Wo ist das? Ist es wirklich eine Waffe, was als Silouette zu sehen ist? Kurz: klassische Nullinformation. Dazu erläutere ich Ihnen gern meinen Standpunkt:
[…]Und bezüglich der Bewaffnung: Nur weil Waffen nicht offen getragen werde, muß dies nicht bedeuten, daß sie nicht existent sind bzw. der Deckungstrupp für die jeweilige Straßensperre nicht über solche verfügt.[…]
Was ich diesbezüglich „glaube“ oder „annehme“ ist irrelevant. Auch meine Worte bzw. persönliche Vermutung, dass es wahrscheinlich so ist, wie Sie schreiben, sind irrelevant.
Es ist nicht umsonst so, dass zur Bewertung Berichte von denen herangezogen werden (sollten), die diese Berichte nicht nur anfertigen können, sondern dabei auch als „neutrale Quelle“ gelten.
Relevant ist, wie sich die Lage an Hand neutraler Quellen darstellen ließ, wie sie an die Verhandlungstische transportiert wurde-und lediglich diese hatte ich dargestellt.
„[…]Wenn die KFOR sich von 50.000 K-Serben fortwährend vorführen läßt,[…] Spätestens nach den folgenlosen Angriffen auf KFOR und der de facto Geiselnahme des damaligen COMKFOR war sie Konfliktpartei, hat jedoch öffentlich kapituliert. […]
Dies ist die Darstellung aus Ihrer Sicht, die ich Ihnen gern unbenommen lassen möchte, sie aber dennoch als eine pro-albanisch-kosovarische Sicht für mich “werte”. Ich schließe mich dieser nicht an.“
Letzteres steht Ihnen natürlich frei. Fest steht jedoch: KFOR wurde angegriffen und zwar nicht mit Steinen, sondern mit Schußwaffen. Der damalige COMKFOR wurde weiterhin von der serbischen Seite offen bedroht.
Die nichterfolgte Reaktion seitens KFOR kann man somit lediglich als Kapitulation bewerten, ohne eine pro-irgendetwas Sicht zu ergreifen..