„Terroristen dürfen nicht das letzte Wort haben“

Zur Dokumentation: Die Rede von Verteidigungsminister Thomas de Maizière bei der Trauerfeier für die gefallenen deutschen Soldaten Major Thomas Tholi, Hauptmann Markus Matthes und Hauptfeldwebel Tobias Lagenstein heute in Hannover.

(Direktlink: http://audioboo.fm/boos/375334-de-maiziere-trauerfeier-3-juni-2011)

Verteidigungsminister Thomas de Maizière (r.) und Generalinspekteur Volker Wieker bei der Trauerfeier (Foto: Markus Rott/Bundeswehr via flickr unter CC-Lizenz)

Nachtrag: Das BMVg hat den Text der Rede veröffentlicht. (Nach den Erfahrungen mit Links zu den bundeswehr.de- und bmvg.de-Seiten, die bisweilen nach einiger Zeit nicht mehr funktionieren, stelle ich den Text zur Dokumentation auch hier komplett ein.)

Rede des Bundesministers der Verteidigung, Dr. Thomas de Maizière, anlässlich der Trauerfeier für die am 25. Mai und 28. Mai 2011 in Afghanistan gefallenen Soldaten am 3. Juni 2011 in Hannover

Es gilt das gesprochene Wort.

Liebe Angehörige von Thomas Tholi,
Liebe Angehörige von Markus Matthes,
Liebe Angehörige von Tobias Lagenstein,
Soldatinnen und Soldaten,
liebe Trauergemeinde!
Wir nehmen heute Abschied von Major Thomas Tholi, Hauptmann Markus Matthes, Hauptfeldwebel Tobias Lagenstein. Sie sind nicht mehr unter uns.
Sie fehlen. Sie fehlen Ihnen als Ihren engsten Angehörigen. Sie fehlen Ihren Kameraden, sie fehlen der Bundeswehr, sie fehlen unserem Land.

Sie haben Ihren Partner, Ihren Vater, Ihren Sohn, Ihren Bruder verloren.
Worte können über den Verlust nicht hinwegtrösten. Doch sie können unserem Mitgefühl, unserem Leid, unserer Trauer Ausdruck geben.
Sie sollen Ihnen sagen, dass Sie in Ihrer Trauer nicht alleine sind. Sie konnten sich von den gefallenen Soldaten und ihren Angehörigen nicht verabschieden, Sterben aber braucht Abschied. Diese Trauerfeier ist ein solcher Abschied in Respekt und Dankbarkeit.

Ich spreche Ihnen meine tief empfundene Anteilnahme aus – und ich tue dies auch im Namen der ganzen Bundeswehr, der Bundesregierung, und, da bin ich mir sicher, im Namen der ganzen Bevölkerung in Deutschland. Sie sollen wissen: Sie sind in Ihrer Trauer nicht allein. Wir alle trauern mit Ihnen.
Was in der vergangenen Woche in Afghanistan geschah, trifft uns tief ins Herz. Wir ringen um Fassung.
Wie muss es erst Ihnen ergehen, Gefahren zu ahnen, sich in Gefahr zu begeben, das ist das Eine. Eine Todesnachricht entgegenzunehmen, aber auch, sie überbringen zu müssen, das hat noch eine ganz andere Dimension.

Am 25. Mai riss ein Sprengstoffanschlag Hauptmann Markus Matthes während einer Patrouillenfahrt in der Nähe von Kundus aus dem Leben. Wenige Tage vor seinem 34. Geburtstag!
Einer seiner Kameraden und ein afghanischer Übersetzer wurden bei diesem Anschlag verwundet.
Major Thomas Tholi und Hauptfeldwebel Tobias Lagenstein fielen drei Tage später, am 28. Mai, bei einem Sprengstoffanschlag im Gouverneurssitz in Talokan.
Sie begleiteten den Befehlshaber des deutschen Einsatzkontingents und ISAF-Kommandeur für Nordafghanistan, Generalmajor Markus Kneip. Markus Kneip hat den Anschlag verwundet überlebt.

Sieben Tote, zahlreiche Verwundete – darunter viele Afghanen – das ist die schreckliche Bilanz dieses hinterhältigen Angriffs. Sein Ziel war es, Vertrauen zu zerstören. Das hat er verfehlt. Vertrauen kann und darf nicht erfolgreich weggesprengt werden.
Unsere Soldaten waren gekommen und sind da, um in Afghanistan Vertrauen aufzubauen. Die Taliban setzen alles daran, dieses Vertrauen zunichte zu machen. Weil sie im direkten Kampf durch erfolgreiche Operationen auch der Bundeswehr unterlegen sind, greifen sie immer häufiger mit ferngezündeten Sprengladungen an, aus dem Hinterhalt, anonym, feige. Oder indem sie junge Menschen anstiften, sich und gleichzeitig andere in den Tod zu sprengen.
Sie bringen Leid und Terror über Afghanistan.
Sie bringen Leid und Terror auch nach Deutschland.
Sie nehmen bewusst in Kauf, dass auch afghanische Zivilisten ihr Leben lassen. Ja, sie legen es darauf an. Unschuldige zu treffen, ist gerade ihr Ziel, nichts ist abstoßender.
Sie fragen nicht nach dem Leid, das sie in unzählige Familien bringen, in Afghanistan, in Deutschland und auch bei unseren Partnern. Sie kommen oft gar nicht aus Afghanistan.
Sie wollen Afghanistan zurückwerfen und gerade die Afghanen entmutigen, die sich für die Zukunft ihres Landes mutig einsetzen.

Das dürfen wir nicht zulassen, das werden wir nicht zulassen, Terroristen dürfen nie das letzte Wort haben!
Unsere Soldaten wissen und leben im Einsatz mit der Gefahr, und sie gehen professionell damit um. Auch wir wissen um diese Gefahren. Wir versuchen sie durch Ausbildung, Material und wirksame Vorbereitung zu schützen.
Und dennoch trifft es uns jedes Mal wie ein Schlag, wenn wir Kameraden verlieren. Der Einsatz derer, um die wir heute trauern, hat sie weit weg von ihrer Heimat geführt. Weit weg von ihren Lieben.

Zweifel an einem solchen Einsatz sind erlaubt, ja sie sind notwendig. Gerade in solchen Tagen. Wer nicht zweifelt, der sollte zweifeln. Aber solche Zweifel müssen überwunden werden, wenn wir vom Ziel insgesamt überzeugt sind. Und das sind wir.
Unsere gefallenen Kameraden haben in den langen Monaten, Wochen und Tagen ihres Einsatzes immer wieder ihr Leben riskieren müssen, um in unserem Auftrag den Menschen in Afghanistan ein besseres Leben zu ermöglichen. Ein Leben in Sicherheit, ein Leben in Frieden, ein Leben mit Perspektive.
Dieser Auftrag war ihnen Verpflichtung. Dafür haben sie gekämpft. Bei der Erfüllung dieses Auftrages sind sie gefallen. Wir bleiben ihrem Auftrag verpflichtet.

Wir gedenken heute dreier tapferer Soldaten.

Hauptfeldwebel Tobias Lagenstein wurde 31 Jahre alt. Er trat am 1. September 2000 in die Bundeswehr ein. Nach drei Jahren bei den Fallschirmjägern wechselte er zu den Feldjägern und fand in der 5. Kompanie des Feldjägerbataillons 152 in Bremen seine militärische Heimat.
Tobias Lagenstein war einsatzerfahren. Er diente mehr als 400 Tage in verschiedenen Einsätzen: das erste Mal 2002 in Afghanistan, 2007 als Personenschützer des KFOR-Kommandeurs auf dem Balkan.
Von September 2009 bis März 2010 war er Personenschützer des deutschen ISAF-Kommandeurs in Afghanistan – und seit April diesen Jahres das erste Mal Kommandoführer in Afghanistan.
Tobias Lagenstein war Personenschützer aus Leidenschaft, er liebte und lebte seinen Beruf – und er wusste um dessen Gefahren.
Tobias Lagenstein war seinen Männern immer als Kommandoführer Vorbild. Er formte ein starkes Team. Er konnte begeistern – für den Dienst als Personenschützer genauso wie für gemeinsame Aktivitäten außerhalb des Dienstes.

Hauptmann Markus Matthes wäre am vergangenen Samstag 34 Jahre alt geworden.
Er trat im Juli 1998 in der Marineversorgungsschule List auf Sylt in die Bundeswehr ein.
Kurz nach Beginn seiner Ausbildung zum Unteroffizier wechselte er in die Offizierlaufbahn und ins Heer.
Nach seiner Ausbildung im Panzergrenadierlehrbataillon 92 und an der Panzertruppenschule in Munster fand Markus Matthes eine neue Herausforderung bei den Fernspähern. Im Frühjahr 2003 trat er seinen Dienst in der Fernspählehrkompanie 200 in Pfullendorf an.
Im Herbst 2003 nahm Markus Matthes sein Maschinenbau-Studium an der Universität der Bundeswehr in München auf.
2007 kehrte er als Diplom-Ingenieur zu seiner Kompanie zurück und schloss kurz darauf die Ausbildung zum Fernspäher ab.
Es folgten unterschiedliche Aufgaben, die ihn auch in seine neue Heimat Bonn führten.

Im September 2010 wechselte Markus Matthes in den Stab der Division Spezielle Operationen in Stadtallendorf. Hier fand er seine militärische Heimat.
Markus Matthes wollte mit seinem umfassenden Wissen und seinen erworbenen Fähigkeiten einer guten Sache dienen. Und das tat er auch. Und er wollte sich für Andere einsetzen – das war seine Motivation, auch und gerade im Einsatz in Afghanistan. Seine besondere Sorge galt dabei stets seinen Kameraden.
Als Auswerteoffizier trug er ganz wesentlich dazu bei, dass die Truppe vor Ort über die Informationen verfügte, die sie zur Auftragserfüllung benötigte.
Für Markus Matthes war es dabei selbstverständlich, sich immer wieder auch eigene, unmittelbare Eindrücke zu zu verschaffen. Deshalb fuhr er selbst auf Patrouille.
Schon einmal, am 3. Mai, vor wenigen Wochen, war seine Patrouille Ziel eines Sprengstoffanschlags geworden. Auch seine dabei erlittenen Verletzungen hielten ihn nicht davon ab, mit seinen Kameraden rauszufahren – bis ihn am 25. Mai ein erneuter Anschlag aus dem Leben riss.
Seine Kameraden werden Markus Matthes so in Erinnerung behalten, wie sie ihn kannten: offen, humorvoll, voller Lebenskraft und Zuversicht.

Major Thomas Tholi wurde 43 Jahre alt. Er trat am 1. Oktober 1986 beim Panzerartilleriebataillon 155 in Lahnstein in die Bundeswehr ein. Nach der Grundausbildung entschied er sich, Unteroffizier zu werden.
Nach über zehn Jahren bei der Artillerie wechselte er im Jahr 2000 als Offizier des militärfachlichen Dienstes zu den Fernmeldern.
Das heutige Führungsunterstützungsbataillon 282 in Kastellaun wurde ihm bald darauf zur militärischen Heimat. Hier war er Zugführer. Und hier übernahm er 2008 nach seinem erneuten Laufbahnwechsel zum Truppenoffizier die Führungsaufgabe als Kompaniechef.
Thomas Tholi war ein Soldat, der durch außerordentliche Pflichterfüllung herausragte.
Er verfügte über große Einsatzerfahrung. Er diente mehr als 500 Tage im Auslandseinsatz: 2003 in Bosnien-Herzegowina, 2006 und 2009 in Afghanistan.
Im Februar dieses Jahres ging er wieder in den Einsatz nach Afghanistan.
Wie schon 2006 diente er erneut an der Seite von Generalmajor Kneip als dessen engster Mitarbeiter.
Seine Kameraden beschreiben übereinstimmend sein ausgleichendes, menschliches, anteilnehmendes Wesen. Und es spricht wohl für sich, wenn sie ihn die „gute Seele“ im Büro des Kommandeurs nannten. Er konnte lachen und verlor auch unter höchster Anspannung nie seinen Humor. Was für eine Gabe!

Major Thomas Tholi, Hauptmann Markus Matthes und Hauptfeldwebel Tobias Lagenstein – ihre Pläne für die Zukunft, ihre Hoffnungen, ihre Wünsche bleiben unerfüllt.
Unser Einsatz in Afghanistan fordert einen hohen Preis.
Unsere Soldatinnen und Soldaten wissen um die Gefahren, die der Einsatz mit sich bringt. Sie nehmen diese Gefahren auf sich, weil es ihrem soldatischen Selbstverständnis entspricht, weil sie pflichtbewusst sind, und weil sie tapfer sind.

Und deshalb dürfen sie erwarten, dass wir ihren Dienst, dass wir ihre Bereitschaft, dafür auch ihr Leben einzusetzen, dankbar würdigen. Und nicht nur an Tagen wie heute.
Und Sie, die Angehörigen, können zu Recht erwarten, dass wir auf Fragen Antworten geben, so gut wir es eben können. Auf jenes quälende Warum jetzt, Warum gerade er, können wir Ihnen allerdings keine Antwort geben.

Deutsche Soldaten sind in Afghanistan, weil wir unsere Verantwortung für unsere Sicherheit und Sicherheit in der Welt ernst nehmen.
Es ist das Eine, über Frieden und Menschenrechte zu sprechen, es ist das Eine, den Einsatz für die Bewahrung und Herstellung von Menschrechten zu fordern von Anderen, es ist das Andere, dafür Verantwortung zu übernehmen.
Diese Verantwortung für Frieden und Freiheit in der Welt fordert auch Opfer. Wie bitter das sein kann, spüren wir in dieser Stunde. Doch der Einsatz unserer Soldaten ist nicht vergebens.

Rückschläge wie diejenigen der letzten Woche dürfen nicht den Blick darauf verstellen, dass der Aufbau der afghanischen Sicherheitskräfte Fortschritte macht. Es geht voran, trotz allem.

Wir sind entschlossen, unseren Auftrag zu erfüllen. So, wie Major Thomas Tholi, Hauptmann Markus Matthes und Hauptfeldwebel Tobias Lagenstein ihren Auftrag Tag für Tag erfüllt haben – bis zuletzt: für eine bessere Zukunft Afghanistans und für unsere Sicherheit.

Liebe Angehörige,
Ich wünsche Ihnen Kraft und Gottes Segen, und ich wünsche Ihnen, dass Sie in diesen schmerzvollen Stunden Menschen an Ihrer Seite haben, die das Leid mit Ihnen tragen und Trost spenden.

Major Thomas Tholi, Hauptmann Markus Matthes und Hauptfeldwebel Tobias Lagenstein – Sie haben Ihr Leben gegeben. Wir werden Sie nicht vergessen. Wir werden Ihnen ein ehrendes Gedenken bewahren.