Zu zögerlich gegen Bombenleger?
Nach dem gestrigen Tod eines 33-jährigen Hauptmanns bei Kundus hat ZDF-Kollege Uli Gack gestern abend im heute journal von Vorwürfen gegen die politische und militärische Führung der Bundeswehr berichtet: Aus rechtlichen und/oder politischen Bedenken würden die Möglichkeiten nicht genutzt, gegen Bombenleger bei der Vorbereitung von Sprengfallen vorzugehen.
Dank der Bloggerkollegen von Soldatenglück gibt’s den Bericht inzwischen auch als Youtube-Video, ich stelle ihn zur Dokumentation hier mal ein:
@T. Wiegold
„Zu zögerlich gegen Bombenleger?“
Das Fragezeichen kann man nach zehn Jahren Einsatz ohne Wirkung und insbesondere nach dem totalen Versagen der Bundeswehr im Raum Kunduz/Baghlan vor 2009 ruhig weglassen.
Umgekehrt sollte man aber nicht vergessen, dass angemessene Aggressivität höheres Risiko für deutsche Soldaten bedeuten würde. Wenn die Politik sich aber zu einem Einsatz entschließt, dann sollten die Gründe dafür m.E. so gut sein, dass das Ziel des Einsatzes nicht die Minimierung des Risikos für Soldaten sein sollte, sondern der Sieg über den Feind.
Als ehemaliger Soldat steckt man nun in einer Zwickmühle: Einerseits würde ich es gerne sehen, wenn die Bundeswehr sich in Afghanistan wie eine richtige Armee verhalten würde. Andererseits hat der Einsatz so wenig mit nationalen Interessen zu tun, dass ich nicht erkenne, warum er die Knochen eines einzigen deutschen Grenadiers wert wäre.
Ein unglaublicher Vorgang, wenn sich der zentrale Vorwurf bzgl. des Nicht-Vorgehens bewahrheiten sollte! Werden wir wirklich nur noch von Juristen gesteuert?
Mir stellt sich dann jedoch die Frage, warum eine Patrouille genau dorthin fährt, wo das IED liegt?
Ich bin auf ein Statement unseres Verteidigungsministers gespannt.
Es wird keines dazu geben. Wozu auch? Soll er sagen: Ups, wir haben uns vertan, war blöd dahin zu fahren.
@ Jugendoffizier:
Dieser Vorwurf ist ja nicht neu. Ähnliches gab es seit Jahren. Und die Fakten sind erdrückend.
Einer der vor 3 Jahren hierfür verantwortlichen Offiziere wurde anschließend General.
Es sind die Offiziere, die ihr Nicht-Handeln von Juristen absichern lassen wollen und nicht böse Juristen und noch bösere Politiker, die den armen Offizieren die Entscheidungsgewalt nehmen.
@Memoria
Auf wen beziehen Sie sich, wenn Sie von einem verantwortlichen Offizier sprechen, der anschließend General wurde? Ich bin mir nicht ganz sicher, ob ich Ihre Message verstanden habe.
@Roman
Eben, das vermute ich auch.
Nebenbei bemerkt: es geht nicht ums hinfahren, sondern darum „die Terroristen hätten ausgeschaltet werden können, ohne Zivilisten zu gefährden, doch seitdem Juristen über Einsätze entscheiden und keine Taktiker …“
Unglaubliche Zustände! Man muss sich das mal auf der Zunge zergehen lassen, man ist im (Partisanen-)krieg und muss zusätzlich noch aufpassen, dass man nicht von den eigenen Verbündeten angegriffen wird. Der Kernsatz von Uli Gack war aber der, in dem er, überspitzt oder nicht, von der Einsatzsteuerung durch Juristen und nicht Taktikern sprach. So ist es wohl. Eine Fregatte im Atalanta-Einsatz läuft auch nicht ohne Rechtsberater aus. Der muss dann dafür sorgen, dass über ihnen zusätzlich zum Sonnensegel der Schutz des deutschen Rechtsstaats aufgespannt wird. Um nochmals nach AFG zurückzukehren: Was machen eigentlich unsere PzH 2000?
Ich möchte mit meinem Beitrag jetzt nicht einfach zur Tagesordnung übergegangen sein ohne mein Mitgefühl für den Tod des Hauptmanns zum ausdruck zu bringen.
@ Tongue: Ich nehme schwer an, daß die Besatzungen der PzH und Feuerleitung am unglücklichsten über die Situation sind. Anders als aus diesem stillen Zorn, mit den Fähigkeiten dazusitzen, IED-Zwischenfälle zu verhinden, aber nicht von der Leine gelassen zu werden, kann ich mir auch das (anonyme) Statement des „Artillerieoffiziers“ nicht erklären.
So ist das eben, wenn ein Land ohne Willenskraft in den Krieg zieht.
Eine Nation, die Krieg führt, und sei es nur als Bürgerkriegspartei in einem fremden Land, muss den Willen haben, zu siegen.
Zu diesem Willen gehört, Feinde töten zu wollen. Keinem zivilisierten Menschen fällt das leicht. Wer mal gesehen hat, wie z. B. Scharfschützen nach einem letalen Schuss oft leiden wie ein Hund und sich nie daran gewöhnen können, der weiß, was das bedeutet.
Wer ohne Willenskraft in den Krieg zieht, wird nach hohen Verlusten besiegt werden.
Deutschland ist gerade dabei, zu verlieren.
Eine Regierung, die Soldaten ohne Siegeswillen in den Krieg schickt, ist charakterlos.
Wie charakterlos die deutsche Bevölkerung ist, werden wir vermutlich bald sehen. Denn den Charakter eines Volkes erkennt man daran, wie es seine Soldaten nach einem verlorenen Krieg behandelt.
Besonders perfide hieran wird sein: Die Heimatfront, wegen der der Krieg verloren gehen wird, wird die Soldaten aus dem Einsatz verachten, obwohl diese nie eine Schlacht verloren haben. Weil der bundesdeutsche Gutmensch nicht ertragen kann, dass in seinem Namen getötet wird, müssen Soldaten in Afghanistan zögern, wenn sie schießen sollten.
@ Jugendoffizier:
Ohne Namen nennen zu wollen, der Mann kam nach Beförderung wieder an führender Position in den Einsatz. Aber ich möchte mich gar nicht auf diesen Fall beschränken. Ähnliches ist aus vielen anderen auch aktuelleren Kontingenten überliefert.
An anderer Stelle hab ich ja schon was dazu gesagt:
http://augengeradeaus.net/2011/05/tod-auf-route-cherry/#comment-16588
Sic transit gloria mundi.
Nur um das etwas zu konkretisieren. Hätte man die Taliban im Vorfeld mit der PzH 2000 bekämpft, würde der Hauptmann jetzt vielleicht noch leben?
Warum lese ich in allen anderen Medien nichts über diesen Sachverhalt?? Das ist ein Skandal! Was sagt der IBUK dazu?
@ Memoria | 26. Mai 2011 – 11:10
Ihre Kritik an entscheidungsunwilligen Offizieren ist sicherlich richtig. Die gibt es leider inzwischen immer öfter. Aussitzen wird ja heute belohnt.
Nur wo liegt die Ursache dafür?
Da landet man meiner Meinung wieder bei politischen und gesellschaftlichen Vorgaben. Offiziere haben nun mal mitbekommen, dass der Dienstherr (Politik/Volk) zutiefst pazifistisch gesinnt ist und es ablehnt, dass in seinem Namen getötet wird.
Als Befehlsempfänger hat man sich diesem Willen des Dienstherren zu unterwerfen.
„Luschige“ Generäle sind nun mal die Folge entsprechender Vorgaben aus Politik und Gesellschaft.
Wären die Vorgaben andere, würde auch das Offizierskorps anders handeln.
PZH 2000: Die wird in Afghanistan eingesetzt., und zwar nicht nur zum Beleuchten und Blenden sondern auch mit HE-Geschossen.
Zum dem Satz: „Juristen statt Taktiker“: Kennt einer die genauen Einsatzregeln? Wenn die das beschießen von Bombenlegern verbieten, verbieten sie es auch dem Taktiker. Das soll nicht heißen, daß die Regeln dann gut sind.
@Jugendoffizier: Vielleicht war man sich ja nicht sicher, daß es sich um eine IED gehandelt hat und die Parouille sollte das klären? Wir stochern im Nebel solange wir nicht genau wissen wer, wie, was, wo und warum und das hört man wahrscheinlich nie offiziell und jeder der dort war hat seine eigene Wahrheit, was auch natürlich ist.
Auch mein Mitgefühl gehört dem Toten und seinen Angehörigen sowie den Verwundeten.
@ Sun Tzu:
Natürlich fehlen hier auch korrigierende Impulse aus der Politik.
Aber nur darauf zu warten, dass von ganz oben die Ansagen kommen, ist keine hinreichende Begründung für eigenes „Nicht-Verantwortung-übernehmen“ im Einsatz, sondern oftmals hohle Ausrede aus Karriereangst. Die ROE wurden nach jahrelangem Druck aus der Politik – gegen Widerstand der militärischen Führung (Schneiderhan ganz vorne weg) – geändert.
Diese ROE ermöglichen genug Handlungsspielraum, den gilt es zu nutzen. Und hier hat die Bundeswehrführung die politischen Vorgaben in Ausbildung und Einsatz umzusetzen. Auftrag erkannt?
Aber man findet halt gern immer nen weiteren Grund.
Und vorallem weiß man als StOffz ja immer was politisch gewollt ist… Was will man denn noch?
Soll der Minister und der Verteidgungsausschuss den Kommandeuren jeden Tag das Händchen halten?
Das Einzige was die Politik tuen sollte, wäre unfähige und verlogene militärische Führer in den oberen Etagen (RC-N aufwärts) ablösen und dies öffentlich begründen, dann wäre wirklich etwas geholfen. Anlässe hätte es in den letzten Jahren genug gegeben. Dann finden nämlich viele in Gold wieder den Bezug zur Realität.
Also ich höre aus dem Beitrag zumindest nicht raus, dass es sich bei den aufgeklärten IED´s um diesen speziellen IED handelt, welcher dem Hptm das Leben gekostet hat.
Ich denke man meint hier generell, dass man mit Hilfe Aufklärungsmitteln beobachten konnte wie IED´s verbracht worden sind und man sich dann nicht „getraut“ hat hier die PzH einzusetzen.
Mein Mitgefühl gilt den Angehörigen des gefallenen Kameraden und ich wünsche den beiden verletzten schnelle Genesung und hoffe das da keine „Langzeitfolgen“ zurückbleiben werden. :(
@ Memoria
Die Herren mit goldenem Lametta auf der Schulter haben immer § 50 SG im Nacken. In der Vergangenheit wurden mehrfach Exempel statuiert, die zeigten, dass handlungswillige Generäle unverzüglich aus dem Dienst entfernt werden.
Gegenwärtig haben wir die Situation, dass schätzungsweise mindestens 25 % der Generalsdienstposten auf KW gestellt werden. Auch ohne „aufgefallen“ zu sein, werden also bald zahlreiche Generäle den aktiven Dienst verlassen.
Dazu haben wir die Situation, dass die Politik sich von Medien am Nasenring durch die Arena der veröffentlichten Meinung führen lässt.
Nehmen wir mal an, Brigadegeneral Kneip würde präventiven Einsatz von Wirkmitteln freigeben und nehmen wir mal an, dabei käme es zu mutmaßlichen Kollateralschäden, der Verdacht reicht schon, und nehmen wir weiter an, die Bild- Zeitung würde das entsprechen populistisch aufgreifen (großes Foto betextet mit: „Dieser General massakriert friedliche afghanische Bauern…“); Was meinen Sie: Welchen General wird unsere Bild- Hörige Regierung unverzüglich aus dem Amt entfernen?
Wie man es dreht und wendet: Der Fisch stinkt vom Kopf her und der Kopf ist die gewählte politische Führung. Die Politik gibt Zögerlichkeit vor. Wer ihr nicht folgt, bekommt § 50 SG zu spüren. Man sollte also diesen unnötigen Sarg der Politik vor die Füße werfen. Dort ist die Schuld zu suchen.
Herr Schneiderhahn ist in meinen Augen ein typisches Beispiel für einen Generalinspekteur, der sich vollkommen dem innenpolitischen Willen unterworfen und jeglichen sicherheitspolitischen/militärischen Sachverstand ausgeblendet hat.
Bei Wieker bekommt man leider auch den Eindruck, dass seine wachsende Unterordnung unter bundesdeutschen politischen Willen zunehmend seinen Sachverstand verdrängt. Das Ergebnis wird ein verlorener Krieg sein.
@OG
Die PzH ist keine Präzisionswaffe und damit ohnhin für derlei Aufgaben hinreichend schlecht geeignet.
Was die Diskussion angeht: heir diskutieren mit Masse Leute die weder die Betroffenen noch die Fakten kennen – und die, die es Wissen können hier keine Details preisgeben. Insofern alles gut und schön aber wenig konstruktiv.
@Sun Tzu
Wenn ich die Vorstellung der BW-Reform duch TdM richtig verstanden habe, wird/bleibt Wieker einem Staatssekretär unterstellt. Wenn dem so ist spricht das für mich Bände. Meine Vorstellung wäre eher, daß unser oberster Soldat dem Minister direkt unterstellt ist und sich mit den Saatssekretären auf einer Ebene bewegt.
@ Sun Tzu:
Diese Mechanismen sind mir durchaus bekannt, sie sind jedoch keine Begründung im Einsatz untätig zu sein. Auch mit Paragraf 50 SG (gilt nach meinem Wissen ab GenLt!) fällt man weich. Ich bin es einfach leid von hohen Offizieren immer das hohe Lied des 20. Juli und der Charaktereigenschaften von Offizieren zu hören und selbst lässt man seine Truppe im Einsatz im Stich, weil man keinen Stern mehr bekommt? Oder weil man, wenn was schief läuft, öffentlich kritisiert wird? Tut mit leid, daß paßt alles nicht zusammen.
Immer sind Andere Schuld: Politik, Medien, 87b, Industrie.
So lebt es sich ja auch angenehm.
Nachtrag: Paragraf 50 SG gilt ab BrigGen – hatte ich falsch im Kopf (polit. Beamte ab B9). Trotzdem kein Grund Augen und Ohren zu verschließen.
Wenn bspw. IED-„Verleger“ durch Scharfschützen i.R.d. ROE bekämpft werden, wer will dann dem Kdr an den Karren fahren???
@volker
Die PzH ist keine Präzisionswaffe und damit ohnhin für derlei Aufgaben hinreichend schlecht geeignet.
Danke für diese Einschätzung – nur paßt sie nicht mit der im ZDF-Bericht wiedergegebenen Meinung eines Artillerieoffiziers zusammen. Vermutlich aber, hatte dieser nur im Sinn, seine Waffengattung im besten Licht darzustellen ?
Sie haben sicher recht, wenn Sie schreiben, dass hier mehrheitlich Leute diskutieren, die die Fakten nicht kennen. Aus diesem Grund möchte ich Herrn Gack danken, dass wir hier nicht nur spekulieren müssen.
Die Frage bleibt, wozu wir eigentlich die PzH und KZO im Einsatz haben, wenn sie a) nichts taugen oder b) nicht eingesetzt werden. Wir haben mittlerweile afik 5 PzH da unten – welch eine Geldverschwendung?
Nur zum besseren Verständnis:
man hat Aufständische beim verlegen von Sprengladungen beobachtet. Man hat sich entschlossen diese nicht zu bekämpfen. Richtig?
aber warum hat man dann diese Ladungen nicht entschärft bevor ein deutscher Konvoi eben an dieser Stelle vorbeirollt???
@ Memoria
Nicht das wir uns missverstehen: Ich missbillige zahlreiche Verhaltensweisen unserer Generalität. Nur greift es zu kurz, falsches Verhalten zu kritisieren. Man muss sich auch fragen, was strukturell zu diesem falschen Verhalten führt.
Ihr Hinweis auf mögliche charakterliche Schwächen ist treffend. Ich würde sogar noch weiter gehen. In der Führung der Bundeswehr wird möglicherweise gegen den Eid verstoßen.
„Ich schwöre, der Bundesrepublik Deutschland treu zu dienen und das Recht und die Freiheit des deutschen Volkes tapfer zu verteidigen, so wahr mir Gott helfe“.
Es geht eben um Recht und Freiheit des Volkes und die Bundesrepublik Deutschland. Ausdrücklich geht es nicht um die Führer. Unsere Soldaten sind ausdrücklich nicht zur Treue gegenüber einer Regierung oder Kanzlerin verpflichtet, sondern dem Land. Besonders deutlich wird das beim sehr wohl vorgesehenen Tyrannenmord, sollte es mal wieder nötig sein.
Das führt natürlich dazu, dass Generäle, die dieser Linie folgen, eher renitent gegenüber der jeweilige Regierung sind und auf militärischen Sachverstand bei sicherheitspolitischen Entscheidungen pochen. Das ist natürlich für eine Regierung mit Allmachtsanspruch, die zudem möglicherweise auf einer ideologischen Mission ist, eher störend. Daher wurde ab ca. 1999 offensiv von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, eben diese Generäle, die ihren Eid ernst nehmen, in den Ruhestand zu versetzen. Dies führte beim Führungsnachwuchs zu Anpassungsverhalten. Weil mal vom Wohl der politischen Führung sichtbar abhängiger wurde, weil diese Führung Unterwürfigkeit fordert, unterwirft man sich der Führung.
In der Praxis ist also möglicherweise für einen heutigen General die Treue zur Kanzlerin und ihres jeweiligen Stadthalters im BMVg wichtiger, als die Loyalität gegenüber Volk und Land. Das verändert die Struktur des individuellen Handelns grundlegend.
Sollte man also ehrlicherweise den Eid abändern? Z. B. in:
„Ich schwöre diesen heiligen Eid, dass ich der Führerin Deutschlands und des Volkes, Angela Merkel, der Oberbefehlshaberin, unbedingten Gehorsam leisten und als tapferer Soldat bereit sein will, jederzeit für diesen Eid mein Leben einzusetzen.“ (Historische Analogien sind natürlich rein zufällig.)
Das würde den faktischen Realitäten, wie durch Verhalten der politischen Führung Gefolgschaft organisiert wird, eher entsprechen.
Der kritisieren Charakterlosigkeit würde das auch entsprechen.
Findet also möglicherweise ein schleichender Paradigmenwechseln auch in der Bundeswehr statt?
Das Problem sind aus meiner Sicht nicht die Rechtsberater, sondern das Recht. Auch bei den Amerikanern sitzen bei bestimmten Problemen die Rechtsberater mit am Tisch und haben ggf. das letzte Wort, aber bei den Amerikanern gestaltet die Regierung das Recht so, dass es Handeln ermöglicht. Bei uns scheint das Recht jedoch gezielt so gestaltet zu sein, dass es Handeln verhindert , oder man schafft absichtlich so viele Unklarheiten, dass viele Angst bekommen, zu handeln.
Zum ganzen System der Handlungsverhinderung gehört übrigens auch die standardmäßige Anklageerhebung gegen Soldaten,wenn diese im Einsatz ihre Pflicht tun. Würde man irgendeine Minderheit so behandeln, wäre das Geschrei bzgl. „Generalverdacht“ groß. So aber erzieht man Soldaten dazu, den Gebrauch der Schusswaffe oder andere Entscheidungen dieser Art für etwas prinzipiell verdächtiges oder allenfalls halblegales zu halten.
Es soll im Einsatz schon Soldaten gegeben haben, denen man soviel Angst vor dem Gebrauch der eigenen Schusswaffe anerzogen hatte, dass diese im Taliban-Hinterhalt wertvolle Sekunden zögerten.
Warum fallen mir bei diesem Bericht die Videos US-amerikanischer Apache ein, in denen ein umfassendes „Bombenleger-Clearing“ sogar bei Nacht dokumentiert ist?
„ Es gibt Abschnitte, da lagen alle drei Meter Sprengfallen. Kaum hatte die Bundeswehr sie geräumt, wurden neue verlegt, unter den Augen der deutschen Soldaten.“(Ulli Gack ZDF 25.05.11)
Wenn das alles zutrifft, was U.Gack berichtet, dann muss die Bundeswehrführung in Afghanistan folgende Fragen beantworten:
1.Warum werden Feindkräfte erst aufgeklärt, dann aber nicht bekämpft?
2.Warum wird die erkannte Verminung von Straßen nicht durch verfügbares Steilfeuer unterbunden?
3.Weshalb setzt die Bundeswehr in einem als vermint geltenden Geländeabschnitt leicht gepanzerte Transportfahrzeuge (TPz Fuchs) und nicht Gefechtsfahrzeuge ein, die über einen hochwertigen Minenschutz verfügen?
4.Weshalb verfügt die Bundeswehr nach Jahren des „Minenkampfes“ in Afghanistan immer noch nicht über gepanzerte Räummittel?
Kann da nicht T.W. im BMVg anrufen und nett nachfragen? Es kann doch nicht sein, dass dieser Vorfall und diese Taktik nächste Woche keinen mehr interessiert. Wo bleibt der Aufschrei einiger Politiker und Offiziere, die noch genug Mumm besitzen?
@Politikverdruss: 1. & 2. lassen sich ohne genaue Kenntnis der Lage nicht beantworten. Wollen Sie INS mit der PzH 2000 bekämpfen, wenn diese 10m vom Dorfeingang eine IED verbringen? Nur mal als Beispiel.
@ Orontes
Auch bei Polizeibeamten, Zollbeamten etc. wird automatisch die Staatsanwaltschaft eingeschaltet wenn die Schusswaffe eingesetzt wurde. Das verhindert Selbsjustiz.
@ Orontes
„Das Problem sind aus meiner Sicht nicht die Rechtsberater, sondern das Recht.“
Das Recht ist kein Problem. Recht schafft Klarheit und gibt den Rahmen vor. Im nicht-internationalen bewaffneten Konflikt, wie zum Beispiel in Afghanistan, gibt es aus völkerrechtlicher Sicht nur einige Mindestregelungen. Insbesondere existiert weder ein Kombattantenbegriff noch -status. Zivilpersonen, die ohne dazu berechtigt zu sein, aktiv an den Kampfhandlungen teilnehmen, verlieren ihren Schutz als Zivilpersonen und dürfen bekämpft werden. (vgl. Art. 13 Abs 3 ZP II)
Sofern Zivilisten gleichsam als Kombattanten wirken, sind auch sie militärische Ziele, die als solche – und unter Vermeidung vorsätzlicher oder fahrlässiger Verursachung exzessiver Kollateralschäden – bekämpft werden dürfen.
Die zu beachtende Einschränkung lautet „vorsätzlicher oder fahrlässiger Verursachung exzessiver Kollateralschaden.“
So meine ich, den führenden Rechtsberater, der als Referatsleiter im Bundesministerium der Verteidigung sowohl als Rechtsberater als auch als Wehrdisziplinaranwalt beim Inspekteur der Luftwaffe tätig, in seinen Einlassungen verstanden zu haben.
Ich bezweifele die Annahme das die IED in diesem Falle diejenige war deren angebliches Verlegen mit der KZO beobachtet wurde.
Es wiederpricht jeder Logik das man einen Konvoi genau über die Stelle schicken würde die in der Lagekarte als vermint eingetragen ist.
Das ein Artillerieoffizier meint der Einsatz seiner Waffe wäre sinnvoll gewesen ist ja nichts neues. (Sie kennen weder Freund noch Feind, nur lohnende Ziele …) . Die Aufklärer und die Vorgesetzten werden sich schon etwas dabei gedacht haben da nicht mit der Ari einzugreifen.
Kann man den Bauern der einen Entwässerungsgraben reinigt wirklich eindeutig von jemanden unterscheiden der eine IED legt?
Wenn Luftaufklärung so eindeutig wäre würde man nicht jede Woche von irgendeinem Vorfall lesen bei dem die Falschen getötet werden.
Zum unterbliebenen Einsatz der PzH 2000:
mag es daran liegen, dass die IED(s?) im unmittelbaren Bereich der Brückenübergänge lagen und man eine eventuelle Beschädigung oder Zerstörung der für FOM essentiellen Infrastruktur vermeiden wollte…?
Weiter frage ich mich, ob bei in real time aufgeklärter IED-Aktivität die Möglichkeit CAS anzufordern erwogen wurde. Oder scheute der Kdr eine Situation ähnlich jener im September 2009?
Es sollen mindestens zwei IEDs umgesetzt haben – die zu verbringen bzw. einzubauen erfordert einen gewissen Zeitrahmen. Auch wenn über die ISAF-Kommandokette angeforderter CAS seine Zeit braucht…die damit verbundene Präzision der Waffenwirkung hätte auch den Rechtsberater beruhigen können.
Ist natürlich sehr spekulativ – aber solange keine verlässlichen Fakten durch ISAF oder BMVg (intern oder öffentlich) kommuniziert werden…wird der ätzende Nebel des skandalösen und letalen Versagens (nicht der an der LOC Cherry eingesetzten Kameraden) weiterhin atemberaubend bleiben.
@Kiwi70
Das wird es mit der deutschen Ministerialbürokratie nicht geben.
@ HansDampf
Das hat nichts mit Ministerialbürkratie zu tun.
Der beamtete Staatssekretär ist der ständige Vertreter des Ministers und hat wie dieser ein uneingeschränktes Weisungsrecht gegenüber den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern seines Ressorts. Dies ist der tiefere Grund, warum der Generalinspekteur eine andere Stellung einnimmt. Er vertritt nicht den Minister, sonder führt und entscheidet als oberster Soldat und seit kurzem auch truppendienstlicher Vorgesetzter aller Soldaten, im Auftrag und nicht in Vertretung.
@Orontes:
Es wurde noch nie Anklage erhoben. Es gab wie von anderen bereits gesagt normale Vorermittlungen. Diese waren zu Beginn ohne Frage zu realitätsfern.
Es kam jedoch noch kein Soldat wegen Handlungen im Einsatz vor den Kadi.
Man redet sich in der Bw eben auch laufend ein, dass man nichts darf oder das etwas nicht politisch gewollt sei.
Bis 2008 „wußten“ auch viele schlaue Generale und Genstler, dass „die Politk“ niemals Mörser in AFG haben will. Und dann mit Aufstellung der QRF wollte die Politik, aber die schlauen Herren in grau konnten nicht.
Das Recht im Bereich ROE ist ebenfalls klar. Oder soll die Politik alles im Detail festlegen, dann ist es ja auch nicht Recht.
Dieses andauernde Schuld bei Anderen suchen ist einfach unwürdig gegenüber der eigenen Truppe. Einfach mal den eigenen Auftrag mit dem notwendigen Ernst erfüllen.
Die nach § 50 SG abgelösten waren übrigens auch nicht im Einsatz.
Just do it.
@b
Es widerspricht jeder Logik das man einen Konvoi genau über die Stelle schicken würde die in der Lagekarte als vermint eingetragen ist.
normalerweise Zustimmung – aber passt, mM nach zu dieser Logik:
„ Es gibt Abschnitte, da lagen alle drei Meter Sprengfallen. Kaum hatte die Bundeswehr sie geräumt, wurden neue verlegt, unter den Augen der deutschen Soldaten.“
Wie kann man so etwas zulassen?
@ Memoria
Bravo … volle Zustimmung.
@J. König
„Das Recht ist kein Problem. Recht schafft Klarheit …“
Sie sollten Artikel für die „Zeitschrift für Innere Führung“ oder ähnliche Durchhalteblätter schreiben. Den Ton haben Sie drauf ;-)
Als ich zum letzten Mal praktisch mit dem Thema zu tun hatte, war rechtlich alles andere als klar, wo z.B. die erkennbare Vorbereitung eines Angriffs begann, die die Urheber zum legitimen Ziel nach Bw-Definition machte. Ich würde nicht auschließen, dass jemand der juristischen Meinung war, dass das Vergraben von Gegenständen am Straßenrand (auch wenn Indikatoren auf ein IED hindeuteten) nicht zwingend als Vorbereitung eines Angriffs zu bewerten war.
Es wurden damals mehrere nur scheinbar absurde Beispiele diskutiert: Was ist z.B. mit dem „Triggerman“ nach Auslösen eines IED? Da er nach dem Auslösen zunächst weder einen Angriff durchführt noch vorbereitet, gäbe es möglicherweise keinen rechtliche Grundlage, gegen ihn zu handeln. Juristisch war zumindest damals alles anderes als klar, was man hier vom rechtlichen Standpunkt aus hätte machen können.
Und es ist noch gar nicht so lange her, dass deutsche Generale in der NATO sich hochempört an die Medien wandten, weil sie das Vorgehen gegen Logistik der Aufständischen (Drogenhandel) für illegalen Mord an Zivilisten hielten und schon kurz davor waren, ihr sensibles Gewissen zu bemühen.
Hoffentlich sind diese Unklarheiten nicht mehr vorhanden.
@Mwk:
– von den 5 PzH sind 2 quasi nur Reserve
– das die PzH keine Präzisionswaffe ist, egal was die Artillerie behauptet ist keine Einschätzung, auch wenn die Artillerie das nicht gerne hören mag. Wenn man einen Treffer in 30m (50m?) Umkreis als VOLLTREFFER zählt, dann trifft man sicherlich immer… die Frage ist nur was…
– Die ISAF Regularien sind ziemlich strikt, welche Gefahrenentfernungen für welches Waffensystem das jeweilige CDE Level (collateral damage estimate) und damit den Rahmen des Waffeneinsatzes bestimmen und da glänzt eine PzH 2000 nicht wirklich
– gewisse Artillerieoffiziere, insbesondere einer im Generalstab, haben im Bezug auf den Einsatz des Waffensystems ohnehin fragwürdige, wenn nicht direkte Falschaussagen in der Fachpresse artikuliert
Das Problem der Artillerie ist das übliche einer Bundeswehr im Umbruch: Truppengattungen rechtfertigen ihre Existenz und Bedeutung über ihren Wert für den Einsatz, soll heissen – wenn das Heer das Waffensystem nicht eingesetzt hätte, wäre ein noch härterer Einschnitt für die Artillerie zu erwarten und sie hat halt eine nicht zu verachtende Lobby.
@ Orontes
„Sie sollten Artikel für die “Zeitschrift für Innere Führung” oder ähnliche Durchhalteblätter schreiben. Den Ton haben Sie drauf ;-)“
Könnte ich davon eine Familie ernähren und meine Hypothek abbezahlen? Scherzfrage natürlich.
Wir müssten an anderer Stelle das vertiefen, o.k?
@Volker:
30 – 50 m im Umkreis wird deshalb als Volltreffer gezählt, weil das Ziel nach dem Volltreffer nicht mehr existieren sollte. Außerdem muß man nicht gleich mit HE-Munition schießen, aber wie gesagt, wir waren nicht dabei.
Fachpresse: Ist damit ein Artikel in der „Zu Gleich“ über den Artillerieeinsatz 2010 gemeint?
@J.König:
Danke für die Erläuterung zur Stellung des Gereralinspekteurs
@ Orontes:
Vielen Dank für die Rückmeldung.
Lagen Ihre Erfahrungen nach der ROE-Änderung 2009?
Die damailigen Änderungen waren – anders als vom BMVg damals behauptet – eben nicht nur redaktionell. In den alten ROE wurde mit Blick auf den Fliehenden (Abschn. V.2.a.) einfach zuviel Angst in der Truppe verbreitet. Auslöser hierfür war jedoch die KFOR-Denke der militärischen Führung. Die damaligen ROE waren nicht im Einklang zum Bundestagsmandat, sondern standen in krassem Widerspruch zu diesem.
Es mussten leider weiter ROE-bezogene Fehlentscheidungen mit tödlichem Ausgang im Jahr 2009 folgen bis das BMVg bereit war die ROE zu ändern.
Davor wurde der Truppe – ohne Zutun der Politik – oftmals Angst durch Zwischenebenen (Ausbilder, Rechtslehrer) eingeflößt („wenn er wegrennt und ihr schießt werdet ihr wegen Totschlag angeklagt!!!“).
Die aktuelle Diskussion, die aus meiner Sicht nicht unmittelbar mit dem Tod des Kameraden in Vebindung zu bringen ist, zeigt, dass es weiterhin ein grundsätzliches Führungsproblem gibt. Egal ob die PzH 2000 zweckmäßig ist oder nicht.
Hier sind IBuK und GI gefordert – aber das Ganze wird sicher wieder mit fragwürdigen Behauptungen unter den Tisch gekehrt.
Wenn nicht die fachkundige Presse mal am Baum rüttelt. Oder Herr Wiegold?
„ Es gibt Abschnitte, da lagen alle drei Meter Sprengfallen. Kaum hatte die Bundeswehr sie geräumt, wurden neue verlegt, unter den Augen der deutschen Soldaten.“
Das ist nun mal die Realität. „Unter den Augen der dt. Sdt“ bezieht sich auf die Luftaufklärungsmittel. Wie bereits erwähnt, ist die Frequenz an Bauern auf ihren Feldern in dieser Region sehr hoch (Die Kornkammer Nordafghanistans) und das zu Tageszeiten an denen es halbwegs erträglich ist (frühester Morgen z.B.) Das Arbeiten an der Straße, in Culverts etc. ist dabei keine Seltenheit. Nur weil wir Deutschen uns gerne nach Arbeitszeit 0700Uhr bis 1700Uhr richten und unseren Schwerpunkt der Anstrengungen in diese Zeit verlegen, meidet der Afghane die Mittagszeit und Hitzeperioden. Wenn dementsprechend mögliche! IED-Verdachtsfälle auftreten wird nun mal die Infantrie mit entsprechender Kampfunterstützung an den möglichen Punkt geschickt und prüft unmittelbar vor Ort. Wenn jedoch bereits vor Erreichen des eigentlichen verdächtigen Punktes IEDs verlegt sind und diese nicht durch die Truppe oder ANSF / Zivilisten aufgeklärt werden, dann kommt es zu genau diesen Anschlägen.
Feindliche Kräfte errichten seit langem diese Art von Bollwerk, um eigene Rückzugsmöglichkeiten zu schaffen und auf der anderen Seite ISAF-Kr /ANSF in einen Hinterhalt zu locken. Das waren jetzt keine neuen Erkentnisse. Es gibt in diesem Land nun mal keine Ausgangssperre.
Das von vielen Diskussionteilnehmern angesprochene Route Clearance Package (Es heißt wirklich so) der Amerikaner ist kein Wundermittel. Es gibt viele IED-Anschläge bzw. Funde auf/durch dt. Kräfte, nachdem Einsatz eines RCP. Und hier schließt sich der Kreis. Der verdächtige Bauer, welcher sich über das gestaut Wasser in seinem Culvert wundert, bzw. sich über die Veränderung auf seiner neben dem Feld liegenden Sandstraße wundert, dies vor Ort begutachtet und dies „unter den Augen dt. Soldaten“ und das dann an die Sicherheitsbehörden weitergibt ist ein unschlagbares Aufklärungsmittel. Wenn ich diesen (und dazu noch seine ihm helfenden Kindern) jedoch durch Geilheit am Abzug bekämpfe, wird dieses Aufklärungsmittel schnell versiegen und in Gleichgültigkeit bzw. Hass umschlagen. Dies ist natürlich nicht die Lösung für alle Probleme und in vielen Verdachtsfällen ist es Eindeutig, jedoch ist aufgrund der Clan-Struktur und dem Machtgefüge der Verbringer eines IED nicht immer der böse Bube….. Das würde hier aber den Rahmen sprengen…. Es ist nicht so „Uli Gack einfach“ wie wir vermuten….
@Memoria
Ja, die Erfahrungen beziehen sich auf Einsätze bis Mitte 2009. Die Umsetzung der neuen ROE habe ich nicht mehr direkt mitbekommen.
Ich habe gerade an der Trauerfeier von vier gefallenen (ISAF) Kameraden teilgenommen. Minen (IED), Unfälle, Beschuss…. alles dabei.
Jeden Tod hätte man verhindern können…. echt??!!!
@Kiwi70:
Ein Treffer in 30 m Entfernung dürfte in den seltensten Fällen diesen Effekt haben… man muss sich nur mal anschauen was 500 Pfund Bomben so alles (nicht) ausrichten und dann mal so eine Granate daneben legen.
Und ja… der Artikel in „Zu Gleich“ enthält auf jeden Fall auch mehr als eine Falschdarstellung.
Zur Info: Es gibt bislang zu dem ZDF-Bericht vom BMVg keine Stellungnahme, weil ich – für heute – zu spät jemanden zum Nachfragen erreicht habe und sonst keiner danach gefragt hat.
Das mit dem „zu spät“ klingt immer so nach Behörde… aber die Bundeswehr ist doch modern oder… oder nicht? :-)
Nun ja, die Pressesprecher müssen auch im Haus rückkoppeln. Und ein Ministerium ist eine Behörde ;-)