Da ist sie, die Schwerpunkt-Staatsanwaltschaft (mit Nachtrag)
Erinnert sich noch jemand an die langwierigen, teils heftigen und oft juristisch feinziselierten Diskussionen in den vergangenen Jahren, ob sich – vielleicht sogar mit Gesetzesänderung – eine Schwerpunktstaatsanwaltschaft mit Vorwürfen gegen deutsche Soldaten im Auslandseinsatz befassen sollte? Weil sich regelmäßig die Staatsanwaltschaft am Dienstort des Soldaten kümmerte, bisweilen ohne die nötige Fachkenntnis? Wie darüber gestritten wurde, ob es Schwerpunkt-Staatsanwaltschaften geben sollte, oder vielleicht sogar besondere Militär-Staatsanwälte?
Das hat sich schon eine ganze Weile ganz praktisch erledigt – und in der Öffentlichkeit hat es wohl keiner gemerkt.
Ich wurde darauf aufmerksam, als es nach den gewalttätigen Auseinandersetzungen in Taloqan in der vergangenen Woche in der offiziellen Bundeswehr-Meldung ganz lapidar hieß: Der Generalbundesanwalt wurde durch das Einsatzführungskommando der Bundeswehr informiert. Moment – wieso der Generalbundesanwalt? Galt doch lange, dass die Staatsanwaltschaft Potsdam am Sitz des Einsatzführungskommandos der erste Anlaufpunkt war, ehe es möglicherweise an die örtlich zuständige Staatsanwaltschaft abgegeben wurde. Was ja oben angedeutete Diskussion auslöste.
Also habe ich mal nachgefragt: Seit einem guten Jahr ist der erste Anlaufpunkt die Bundesanwaltschaft – als Folge der juristischen Aufarbeitung des Luftangriffs von Kundus vom 4. September 2009. Damals war der Fall von Potsdam zu der – am Dienstort des Kommandeurs Oberst Georg Klein örtlich zuständigen – Staatsanwaltschaft Leipzig gewandert, dann zur Generalstaatsanwaltschaft Dresden – und schließlich zur Bundesanwaltschaft: Weil es um die Frage ging, ob ein Straftatbestand nach dem Kriegsvölkerrecht vorliegt. Denn inzwischen hatte sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass in Afghanistan so eine Art Krieg herrscht.
Und seitdem wird in solchen Fällen die Bundesanwaltschaft informiert – die dann auf einen Verstoss gegen das Kriegsvölkerrecht prüft. So habe ich das Einsatzführungskommando jedenfalls verstanden (Juristen mögen das vielleicht ein bisschen präziser, aber auch spitzfindiger formulieren).
Ehe jetzt eine mögliche Diskussion losbricht, der deutsche Soldat im Einsatz solle nicht den Staatsanwalt im Nacken haben: Natürlich muss auch das Handeln von deutschen Soldaten im Auslandseinsatz juristisch überprüfbar sein – nur eben, und das ist eine neue Qualität, nach den Maßstäben des Kriegsvölkerrechts (Moment, heißt das jetzt nicht humanitäres Völkerrecht? Wie auch immer). Und dafür ist der Generalbundesanwalt zuständig. So einfach hat sich dann die tiefschürfende Rechts-Diskussion erledigt.
(Übrigens habe ich im Kollegenkreis mal rumgefragt: Offensichtlich hat keiner die Änderung mitbekommen. Aber das Verteidigungsministerium hat das ja auch nicht, wie heißt das heutzutage, proaktiv kommuniziert.)
Nachtrag: Als Nicht-Jurist war ich mit der Interpretation vielleicht ein bisschen zu großzügig…. Hier eine Erläuterung dazu vom Deutschen Bundeswehrverband:
Die Schwerpunkt-Staatsanwaltschaft hat sich nur für den ISAF-Einsatz im Norden Afghanistans erledigt. Denn nur für dieses Gebiet hat die Bundesanwaltschaft den „nicht internationalen bewaffneten Konflikt“ in ihrer Einstellungsverfügung im Verfahren Georg Klein festgestellt. Und nur für dieses Gebiet ist die Zuständigkeit der Bundesanwaltschaft nach §§ 142a iVm 120 Abs. 1 Nr. 8 Gerichtsverfassungsgesetz zunächst gesichert. Dabei handelt es sich übrigens um die Feststellung der objektiven Rechtslage durch die Bundesanwaltschaft und nicht um eine Entscheidung der Bundesregierung oder Ähnliches.
Schon für ein anderes Gebiet Afghanistans mit weniger Kämpfen zwischen Aufständischen und ISAF/ANA kann etwas anderes gelten. Und für alle anderen Einsatzgebiete der Bundeswehr gilt diese Feststellung der Bundesanwaltschaft auch nicht. Wenn jetzt etwa ein Bundeswehrsoldat bei ATALANTA unter zunächst unklaren Umständen einen Piraten erschießt, wandert die Ermittlungsakte erneut von Staatsanwaltschaft zu Staatsanwaltschaft, wo die Juristen wenig Ahnung von Bundeswehr und Einsatz haben.
Deshalb ist aus Sicht des DBwV ein eigenes Bundesgericht nach Art. 96 Abs. 2 GG oder wenigstens eine Schwerpunkt-Staatsanwaltschaft weiterhin erforderlich. Es ist uns daher unverständlich, warum die Bundesregierung nicht wenigstens bei der Frage der Schwerpunkt-Staatsanwaltschaft voran kommt. Ein Gesetzentwurf dazu liegt schon seit Monaten im Bundesjustizministerium bereit, aber es passiert nichts.
@T. Wiegold
Das Kriegsvölkerrecht umfasst zwei Teilaspekte, einer davon ist das humanitäre Völkerrecht. Der andere Teilaspekt ist das Recht Krieg zu führen.
„Der Bund kann Wehrstrafgerichte für die Streitkräfte als Bundesgerichte errichten. Sie können die Strafgerichtsbarkeit nur im Verteidigungsfall sowie über Angehörige der Streitkräfte ausüben, die in das Ausland entsandt oder an Bord von Kriegschiffen eingeschifft sind. Das Nähere regelt ein Bundesgesetz.“ Artikel 96 Abs. 2, Grundgesetz. Für mich als Nichtjurist hört sich das eigentlich ganz einfach an….
@J.Schnauber:
Bemerke: „NUR im Verteidigungsfall“. Der Verteidigungsfall ist ein gaaaaanz besonderer Ausnahmefall, wird vom Parlament festgestellt und gilt für derzeit denkbare Auslandseinsätze der Bundeswehr ziemlich sicher nicht. Will sagen: diese Form der Wehrstrafgerichtsbarkeit kann es auf der von Ihnen zitierten Rechtsgrundlage vermutlich derzeit nicht geben. Aber je öfter ich den Satz lese, um so mehr stolpere ich über Satzverbindungen wie „sowie über Angehörige der Streitkräfte“, heisst das jetzt entweder im Verteidigungsfall ODER über Soldaten oder sowohl als auch oder wie oder was? Deswegen hat ja unser Verfassungsgericht so viel zu tun, weil eben doch immer mal (politischer) Interpretationsspielraum besteht.
Ist eben auch für Nichtjuristen selten so einfach, wie es sich manchmal liest.
@Jens Schnauber: Da liegt eine Verwechslung vor: Es geht hier nicht um die (unabhängigen, sich weitgehend selbst organsierenden und von der Verfassung geschützten) Gerichte sondern um die weisungsabhängige Behörde Staatsanwaltschaft. Und an der kann der Dienstherr natürlich so ziemlich alles herum organiseren, was das Dienstrecht so hergibt. Da malt ein Obermohr im BMJ mal neue Kästchen aufs Papier und schon haben wir fast eine „Strukturreform“ , denn genau genommen sind die Länder zuständig, die sich aber gerne vom Bund „an die Hand nehmen lassen“ bei solchen Fragen. Welche Sta dann am Ende des Tages für was zuständig ist, bleibt der Politik überlassen. Das Recht fordert nur, dass am Ende vernünftige Anklageschriften (oder Einstellungen) beim zuständigen Gericht landen.
@Seestratege
Art. 96 Abs. 2 Grundgesetz ist so zu verstehen, dass Wehrstrafgerichte eingesetzt werden können
– im Verteidigungsfall insgesamt für die Streitkräfte und
– außerhalb des Verteidigungsfalls für Soldaten in Auslandseinsätzen bzw. an Bord von Kriegsschiffen .
Dies ist unstreitig.
(Übrigens ganz interessant, dass das Grundgesetz bereits seit 1969 Auslandseinsätze der Bundeswehr in einer Art und Güte, die besondere Wehrstrafgerichte sinnvoll erscheinen ließe, auf dem Schirm hat.)
Da ein Strafgericht ohne Staatsanwaltschaft nicht funktioniert, wird durch Art. 96 II GG unausgesprochen auch die Kompetenz begründet, entweder dem Generalbundesanwalt (der auch nicht ausdrücklich im GG vorgesehen ist) umfassend die Kompetenz zur Strafverfolgung und Anklagevertretung vor dem Wehrstrafgericht bzgl. Soldaten in Auslandseinsätzen zuzuweisen oder eine besondere Staatsanwaltschaft des Bundes bei dem Wehrstrafgericht einzurichten.
Für all dieses bedarf es nur eines einfachen Bundesgesetzes.
Trotz der in der GG-Bestimmung immer noch angelegten Dysfunktionalitäten (engster Zuständigkeitsbereich, Ressortzuständigkeit BMJ, BGH als oberstes Militärgericht) gibt es also rechtliches Potential. Dass dies nicht genutzt wird, ist wohl der historischen Verblendung zuzuschreiben, die Aufgabe und Wert einer rechtsstaatlichen Militärgerichtsbarkeit (gleichermaßen für den Rechtsschutz des Soldaten wie für die recht verstandene Effektivität der Streitkräfte) völlig verkennt.
Bzgl. des Konzepts „Schwerpunkt-Staatsanwaltschaft“ bin ich sehr skeptisch – es handelt sich bei dieser Staatsanwaltschaft dann notwendig um eine Landesbehörde. Warum man willkürlich einem der 16 Bundesländer die Zuständigkeit für die Strafverfolgung bzgl. aller Bw-Soldaten im Ausland geben sollte, leuchtet mir nicht ein. Diese Willkürlichkeit wird auch durch eine eventuell fachliche Spezialisierung (die mangels Fallzahlen sowieso nicht wirklich möglich ist und sich gar nicht auf den eigentlich kriegerischen Bereich beziehen könnte) nicht aufgewogen. Die Frage der örtlichen Zuständigkeit verschiedener StA’s ist nur ein höchst vordergründiges „Problem“.