Sichtflug in der Grauzone?
Der Presse- und Informationsstab des Bundesministeriums der Verteidigung dürfte sich schon was dabei gedacht haben, als er am vergangenen Freitag auf seiner Webseite vorbeugend schon mal erklärte, warum Bundeswehrsoldaten trotz des Libyen-Einsatzes weiterhin Dienst in Stäben der NATO leisten dürfen. Vielleicht waren die Sprecher im Bendler-Block da auch schon vorbereitet auf die Geschichte, mit der der Focus heute herauskam: Die Bundesregierung wollte sich aus den Militärschlägen gegen Libyen heraushalten und hat der UN-Resolution deshalb nicht zugestimmt. Trotzdem sind deutsche Soldaten an der Überwachung des Flugverbots beteiligt.
Also doch: deutsche Soldaten machen mit, entgegen der erklärten Absicht der Bundesregierung?
Archivbild 2007: Arbeitsplätze in einer NATO-AWACS-Maschine (Foto: Bundeswehr/Andrea Bienert unter CC-Lizenz)
Zunächst ein Blick ins Parlamentsbeteiligungsgesetz. Wie auch schon auf der Bundeswehr-Webseite erklärt, geht schon dieses Gesetz (in der Begründung, nicht im Gesetzestext) auf die Frage der deutschen Soldaten in den multinationalen Stäben ein:
Nicht als Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte im Sinne des Gesetzes angesehen wird, ebenfalls der bisherigen Praxis entsprechend, die Beteiligung von Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr an ständigen integrierten sowie multinational besetzten Stäben und Hauptquartieren der Organisation des Nordatlantikvertrages (NATO) und anderer Organisationen gegenseitiger kollektiver Sicherheit, während bei einer Verwendung in eigens für konkrete bewaffnete Einsätze gebildeten Stäben und Hauptquartieren der NATO und anderer Organisationen kollektiver Sicherheit der Vorbehalt der konstitutiven Zustimmung des Deutschen Bundestages besteht.
Genau nach dieser Regelung fragte natürlich auch die Opposition, wie hier die Linkspartei in der Regierungsbefragung des Bundestages am vergangenen Mittwoch:
Sevim Dağdelen (DIE LINKE):
Kann die Bundesregierung ausschließen, dass darüber hinaus Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr in NATO-Stäben mit der Planung und Durchführung von Aktionen im Zusammenhang mit dem Krieg gegen Libyen befasst sind?Dr. Werner Hoyer, Staatsminister im Auswärtigen Amt:
Die Frage der Präsenz in NATO-Stäben ist gesondert geregelt. Sie unterliegt keiner Mandatierung. Von daher war es erforderlich, dass die Bundesregierung zum Beispiel im Hinblick auf bestimmte schwimmende Einheiten, die im Mittelmeer unterwegs waren, durch ihre notwendigen Entscheidungen von vornherein klarstellt, dass eine Involvierung in die Linienaktivitäten nicht möglich ist.
Die Rechtslage scheint damit klar – aber sie macht (wieder einmal?) deutlich, wie die fein ziselierten deutschen Rechtsvorschriften mit den Realitäten eines (Militär)Bündnisses zusammenprallen. Dass deutsche Soldaten in multinationalen Stäben auch dann auf ihren Posten bleiben, wenn das Bündnis einen Einsatz ohne deutsche Beteiligung ausführt, ist zunächst mal logisch. Warum sollte ein General Manfred Lange, Stabschef im NATO-Hauptquartier, oder ein General Wolf Langheld, Kommandeur des Joint Forces Command Brunssum, von seinem Posten abberufen werden, wenn die Bundeswehr nicht mit marschiert?
Denn zuvor ist eines passiert: der jeweilige NATO-Einsatz, ob mit deutscher Beteiligung oder ohne, ist auf jeden Fall mit der Zustimmung der deutschen Bundesregierung im NATO-Rat beschlossen worden. Dort gilt nämlich Einstimmigkeit – und hätte der deutsche Vertreter nicht zugestimmt, wäre dieser Einsatz erst gar nicht zu Stande gekommen.
Allerdings ist die deutsche Regelung ein wenig schizophren. Wenn ein NATO-Führungskommando einen Einsatz aus seinem normalen Standort leitet, bleiben die Deutschen auf ihren Posten, auch wenn sie bei dieser Mission keinen einzigen Bundeswehrsoldaten befehligen. Also: Brunssum-General Langheld durfte aus seinem Büro auch bisher schon Befehle für den Einsatz der AWACS-Maschinen über Afghanistan erteilen, obwohl die Deutschen bis vorgestern dafür gar kein Mandat hatten.
Schickt das selbe NATO-Kommando einen verlegbaren Gefechtsstand los, der aus dem Personal eben dieses Kommandos bestückt wird, ist Schluss mit der Bundeswehr-Beteiligung. Denn dieser Stab wurde dann ja eigens für den bewaffneten Einsatz gebilligt und unterliegt der in der Gesetzesbegründung genannten Einschränkung.
Das kann man den Verbündeten bestimmt gut erklären.
Anders rum wirkt es natürlich genau so merkwürdig, wie der aktuelle Fall zeigt: Aus den AWACS-Überwachungsfliegern der NATO, die den libyschen Luftraum im Blick haben, müssen die Deutschen aussteigen. In einem Air Component Command, in dem ein Offizier über Datenlink auf seinem Bildschirm die gleichen Informationen sieht wie ein Luftraumüberwacher an Bord der AWACS, bleibt der Deutsche vor seinem Bildschirm sitzen. Vielleicht gibt er sogar die gleichen Informationen und Anweisungen weiter, die sein von Bord gegangener Kamerad weiter gegeben hätte.
Nein, das kann man nicht erklären. Oder, falls man Politiker ist, nur mit sehr viel Mühe.
Nun gab es ja schon mal eine Situation, in der die bisherige Praxis angegriffen wurde: Vor dem Verfassungsgericht klagte 2003 die FDP, als NATO-AWACS während des Irakkrieges über der Türkei ihre Überwachungsschleifen zogen – obwohl weder das Bündnis insgesamt noch die Deutschen im Speziellen an diesem Krieg beteiligt waren. Das Verfassungsgericht lehnte damals zwar die von den Liberalen verlangte einstweilige Anordnung ab, mit der die damalige Oppositionspartei sicherstellen wollte, dass der Bundestag diesen Einsatz billigen muss. Doch 2008 entschied das Karlsruher Gericht: Der Bundestag hätte für diesen Einsatz gefragt werden müssen. Der wehrverfassungsrechtliche Parlamentsvorbehalt für den Einsatz bewaffneter Streitkräfte greift ein, wenn nach dem jeweiligen Einsatzzusammenhang und den einzelnen rechtlichen und tatsächlichen Umständen die Einbeziehung deutscher Soldaten in bewaffnete Auseinandersetzungen konkret zu erwarten ist.
Interessante Frage jetzt: Findet sich vielleicht wieder ein Kläger, der auch gegen die geübte Praxis der Deutschen in den Stäben klagt, weil nach dem jeweiligen Einsatzzusammenhang und den einzelnen rechtlichen und tatsächlichen Umständen die Einbeziehung deutscher Soldaten in bewaffnete Auseinandersetzungen konkret zu erwarten ist?
Ich würde keine Wette eingehen, wie diese Gerichtsentscheidung ausfiele. Allerdings böte sich dann auch gleich ein Ausstieg aus der NATO an. Weil eigentlich die Deutschen gar nicht so scharf auf so eine kollektive Veranstaltung sind…
David Clark Headset in Fussball-EM Tarnung… lol
…allzu kriegerisch sieht das auf den ersten Blick tatsächlich nicht aus.
[Kommentar in den richtigen Thread verschoben. T.W.]
Das sind Widersprüche, die die Politiker lösen müssen. Man kann natürlich an Planungen und Führung teilnehmen und zugleich die Teilnahme an aktiven Kampfhandlungen vor Ort ablehnen. Nur hat man dann aber trotzdem an den militärischen Handlungen gegen Libyen teilgenommen und kann dann nicht mehr sagen, wir waren ja nicht dabei. Auch eine Entlastung der Alliierten in Afghanistan, damit diese den Libyenkrieg erfolgreich führen können, ist bereits eine Teilnahme, wenn auch indirekt. Wir stehen in jedem Fall gleichermaßen in der Verantwortung, wie alle anderen Teilnehmer. Kommen dabei unschuldige Menschen zu Schaden, dann haben auch wir gleichermaßen Schadenersatz zu leisten. Werden, wie ich nicht hoffe, Kriegsverbrechen begangen, dann gehören unsere Politiker ebenfalls vor Gericht. Mildernde Umstände kann es dann nicht geben. Um auf den Punkt zu kommen, Deutschland nimmt am „Afrikafeldzug“ teil, wird aber bei der Verteilung der „Kriegsbeute“ leer ausgehen. Aber dafür werden wir auch sicher keine Zinksärge benötigen. Und das ist gut so.
Eine gewisse Scheinheiligkeit wohnt demdoch schon inne. Deutsche sind auf Dienstposten in der NATO strukturell verankert. Wann immer die NATO also auf den Plan gerufen wird, ist Deutschland mit dabei. Der Offizier GER kann doch nicht sein Büro verlassen wenn es um Libyen geht und wieder reinkommen wenn das Stichwort Afghanistan fällt. Mal abgesehen davon, macht auch keiner anderer seine Arbeit.
Politik drückt sich um Antworten. Das sicherheitspolitische Selbstverständnis ist ein Eiertanz. Im Hinterkopf oder doch viel weiter vorne, tragen unsere Soldaten immer noch Wehrmachtsuniformen. Wir brauchen einen Schlussstrich. Bitte das nicht falsch zu verstehen. Unsere Bundeswehr hat nichts aber auch gar nichts, mit den Vorgängen im Dritten Reich zu tun. Unsere Männer und Frauen sterben für Demokratie und Freiheit.
Selbstverständlich haben sie ein waches Auge auf etwaige braune Entwicklungen zu werfen. Der Eid verpflichtet sie ohnehin dazu. Insofern sollten wir unser Militär genau so sehen, wie es in den anderen NATO-Staaten auch gemacht wird. Nur dann kann die Bundeswehr auf Augenhöhe mit den anderen Partnern agieren.
Allerdings böte sich dann auch gleich ein Ausstieg aus der NATO an. Weil eigentlich die Deutschen gar nicht so scharf auf so eine kollektive Veranstaltung sind…
Das Herr Wiegold ist falsch.
Die Deutschen sind nicht gegen die NATO wenn diese ihren eigentlichen Auftrag, die kollektive Verteidigung, erfüllt.
Nur ist der Krieg gegen Libyen eben keine Verteidigung gegen einen angreifenden Feind sondern ein sehr dubioser Angriffskrieg. Die NATO hat da nichts zu suchen
Das die Deutschen soetwas ablehnen ist selbstverständlich. Alles andere wäre übrigens auch verfassungswidrig (siehe GG Artikel 26).
@b
Was bitte ist an der Ablehnung einer Beteiligung selbstverständlich ? – Ich vermute einige meiner Landsleute haben da eine andere Meinung als Sie. Und das ist ihr gutes Recht. Dieses Recht in Zweifel zu ziehen wäre 100% verfassungswidrig. Sie können eine Meinung äussern – aber können Sie auch eine verfassungstechnische Beurteilung treffen ? Ich bezweifele das.
Als Soldat und Stabsoffizier stelle ich fest, dass wir von Dilettanten und mediengesteuerten Politikern hin und her geschoben werden.
Schade – das war mal anders. Wann traut sich denn endlich mal einer aus der Generalität/Admiralität breitere Hosenträger anzusziehen?
Sind die „Herren“ denn auch schon in der Karnickelstarre?
@ b:
Man kann ja unterschiedlicher Meinung zu Libyen sein, aber das andauernde Schwingen der „verfassungswidrig“-Keule ist aus meiner Sicht höchst zweifelhaft. Ein UN-mandatierter Einsatz ist völkerrechtlich kein Angriffskrieg und ist es somit auch nicht verfassungsrechtlich (siehe hierzu auch mehrere BVerfGE). In einer Diskussion der Gegenseite laufend verfassungswidrige Wege und Ziele zu unterstellen ist – mit Blick auf die herrschende Meinung in der Juristerei – nicht wirklich hilfreich.
Die damit verbundene Botschaft ist ja: alle Befürworter eines Einsatzes stehen außerhalb des GG und kennen nicht die wahren Hintergründe.
@ Khandahar:
Die Generale/ Admirale sind halt Politiker und keine militärischen Berater.
Die FüAk sorgt ja für entsprechenden Nachwuchs – oder war Ihr SOL bzw. SGL von offener Diskussion geprägt?
@ b | 27. März 2011 – 13:00:
1) Wenn Sie sich einmal die Zeit nehmen, das gegenwaertige strategische Konzept der NATO zu betrachten (in Lisabon 2010 angenommen; http://www.nato.int/lisbon2010/strategic-concept-2010-eng.pdf), werden Sie sehen, dass die NATO drei Kernaufgaben hat: collective defence, crisis management und cooperative security. Natuerlich koennen Sie die Ansicht vertreten, man sollte sich auf die Territorialverteidigung beschraenken, aber das ist nichts anderes als Ihre persoenliche Meinung.
2) Ein Mandat des UNSC (!) macht natuerlich Ihre Argumentation von wegen Angriffskrieg hinfaellig.
Ansonsten, unabhaengig von der Beurteilung des Libyeneinsatzes, ist es natuerlich ein Albtraum, wie es diese Regierung schafft DEU im Buendnis und in Europa zu isolieren. Zurueckhaltung gegenueber einer Mission mit einem unklaren Ende ist die eine Sache, das Verhalten im UNSC, in Sachen AWACs, und bzgl. der Schiffe im Mittelmeer eine ganz andere. Ich moechte lieber nicht darueber nachdenken, was die Konsequenzen z.B. fuer den Gent-Prozess sein werden. Das politisch erwuenschte pooling und sharing von militaerischen Faehigkeiten im Europaeischen Rahmen setzt schliesslich verlaessliche Partner voraus.
@ Memoria
ich muss leider ihrer juristischen Ansicht wiedersprechen. Es ist zwar richtig das der UN Sicherheitsrat ein Mandat erlassen hat, dieses Mandat steht aber schon selbst im krassen Wiederspruch zum Völkerrecht.
So heißt es im Mandat dieser Konflikt ist eine Bedrohung für den Weltfrieden ohne das es weiter begründet wird. Aber eigentlich handelt es sich nur um einen innerstaatlichen Konflikt/Bürgerkrieg.
Zudem wird im Mandat festgestellt das „möglichweise“ Menschenrechtsverletzungen vorliegen. Es wird weder von schweren Menschenrechtsverletzungen gesprochen noch von Völkermord oder Genozid was aber nach herrschender Meinung die Vorraussetzung dafür ist das militärisch gegen ein Land vorgegangen werden kann mit UN Mandat. Auch in der Literatur bekannt als Humitäre Intervention. Da die Souveränität der Staaten einen hohen Wert im Völkerrecht hat und diese Souveränität nur im äußersten Fall angetastet werden darf bei schwersten Menschenrechtsverbrechen bzw. Völkermord.
Beides liegt in Lybien nicht vor. Ich wäre gespannt wie das Verfassungsgericht auf eine Klage gemäß Art. 26 GG reagiert.
Den nach geltenden Völkerrecht handelt es sich hier um einen Angriffskrieg, möglicherweise darf der IGH auch noch ein Gutachten zu dem Fall erstellen.
@ UP Nur weil der UN Sicherheitsrat etwas beschlossen hat, heißt das noch lange nicht das es auch mit herrschenden Völkerrecht übereinstimmt.
Ich denke Juristen sollten die Flugverbotszone überwachen ;-)
Jepp, schickt die da hin die werden das schon Regeln ;-)
@ Echo | 27. März 2011 – 15:08
Wie bereits gesagt, ich bin kein Jurist, aber auf der Basis meiner Kenntnis des Voelkerrechts liegen sie falsch. Erstens sind UNSC Resolutionen, insb. unter Chapter VII, eine Quelle des Voelkerrechts. Zweitens besitzt bzw. beansprucht der ICJ m.W. auch kein judicial review Recht fuer UNSC Resolutionen. Drittens ist der UNSC in seinen Resolutionen nur durch die UN-Charta gebunden, und hat hierbei einen relativ weiten Spielraum was die Feststellung von „serious threats to peace and security“ angeht.
„In practice… the Charter allows the Council a broad margin of appreciation with respect to the proportionality of its action. Legislation would therefore violate the Charter only if its impact on the member states were manifestly out of proportion to the objective pursued, the maintenance of international peace and security. As with other ultra vires decisions of the Council, there is no procedure for reviewing the legality of legislation. (Talmon, 2005: 182 et ssq.; cf. http://users.ox.ac.uk/~sann2029/AJIL%2099%20%282005%29,%20175-193.pdf)“