Größer, schneller, weiter – die Januar-Bilanz der Piraten
Beginnen wir diesen Beitrag mal mit einem Rate-Bild. Was zeigt diese Karte?
(die Karte interaktiv hier)
Das war doch leicht zu erraten: Die Punkte markieren die erfolgreichen, und zwar nur die erfolgreichen, Angriffe somalischer Piraten auf Handelsschiffe am Horn von Afrika und im Indischen Ozean im Januar dieses Jahres. Elf erfolgreiche Kaperungen (es gibt gewisse Differenzen zu offiziellen Zählungen, weil unter anderem die indische Dhau Al Musa meist nicht mitgezählt wird und es unklar ist, ob gekaperte und gleich befreite Schiffe wie der Chemikalientanker Bunga Laurel und der Tanker CPO China als Piraten-Erfolg zu zählen sind).
Nachdem schon das vergangene Jahr in der Erfolgsstatistik der Seeräuber einen Spitzenplatz einnahm, geht es in diesem Jahr noch viel erfolgreicher weiter. Dabei ist nicht nur die schiere Zahl der Angriffe und der Kaperungen erschreckend, auch nicht mehr, wie noch im vergangenen Jahr, die extrem ausgeweitete geographische Verteilung bis kurz vor die indische Küste und hinunter nach Mosambik. Erschrecken müssen nach einem Monat 2011 drei neue Trends in der Somali-Offshore-Piraterie:
– Mutterschiffe benutzen die Piraten schon länger – aber jetzt nehmen sie routinemäßig nicht mehr gekaperte Fischtrawler, sondern die großen Tanker und Frachter. Die neue Basis See ermöglicht ihnen das Ausharren mitten auf dem Ozean – und zum Beispiel entlang der Schiffahrtsroute aus dem Persischen Golf nach Fernost (die gekaperte und dann befreite New York Star zum Beispiel war auf dem Weg von Saudi-Arabien nach Singapur): Piraterie ist nicht mehr eine Bedrohung der afrikanischen Küste, sondern der Tanker-Verbindung von den arabischen Ölfeldern.
– Die Gewaltbereitschaft der Piraten nimmt zu. Unklar (jedenfalls habe ich bislang keine Erklärung gehört) ist nach wie vor der Fall des dänischen Frachters Leopard, dessen Besatzung entführt wurde – das Schiff, vermutlich beladen mit Waffen, aber zurückblieb. Seeleute des deutschen Frachters Marida Marguerite wurden nach Erkenntnissen deutscher Sicherheitsbehörden, über die der Spiegel berichtete, quasi gefoltert. Und im mysteriösen Fall des Frachters Beluga Nomination sollen die Piraten ein Besatzungsmitglied ermordet haben – unklar ist bislang, ob dieser Tat ein Befreiungsversuch vorausging (die NATO betont jedenfalls, dass das von ihr befehligte dänische Kriegsschiff Esbern Snare von jeder Gewaltanwendung abgesehen habe, um die Geiseln nicht zu gefährden).
– Auf der anderen Seite nimmt die Bereitschaft nicht-westlicher Nationen zu, mit Gewalt gegen die Piraten vorzugehen – auch wenn Seeleute als Geiseln an Bord der gekaperten Schiffe sind. Die Südkoreaner befreiten mit einem Einsatz von Kommandosoldaten den Chemikalientanker Samho Jewelry, die Malaysier ebenfalls mit Spezialkräften die Bunga Laurel. Und die Inder versenkten vor ihrer Küste einen vor mehr als zwei Jahren gekaperten thailändischen Fischtrawler, der als Mutterschiff diente. Die Seestreitkräfte von EU und NATO dagegen erklären, für sie hätten die Geiseln oberste Priorität. Da zeichnet sich eine Spaltung beim Vorgehen gegen die Seeräuber im Indischen Ozean ab.
Die oben erwähnten Beispiele sind allesamt aus dem Januar. In diesem Monat gab es auch einen Piratengipfel im Bundeswirtschaftsministerium – der weitgehend erfolglos mit Prüfaufträgen endete.
Die Position der Reeder ist recht eindeutig: Hoheitliche Waffenträger, also Bundeswehr oder Bundespolizei, sollen ihre Schiffe schützen. Das stösst nicht nur auf rechtliche und faktische Hürden (allein schon die Ausweitung der Bundeswehr-Aufgaben würde ein neues Bundestagsmandat erfordern; und die Begleitung allein der Schiffe unter deutscher Flagge würde das Personal der Deutschen Marine wie der Bundespolizei bei weitem überfordern). Zudem fahren Schiffe wie die gekaperte Beluga Nomination nicht unter deutscher Flagge – ja noch nicht mal unter der eines EU-Landes, sondern unter der von Antigua und Barbuda.
Andererseits: die Samho Jewelry führte die Flagge von Malta, einem EU-Land. Doch gewaltsam befreit haben dieses Schiff die Südkoreaner, weil ihre Staatsbürger die Mannschaft stellten. Und, auch andererseits: Der derzeit einzige deutsche Staatsbürger in Piratenhand ist der Kapitän des Flüsiggastankers York, der als Mutterschiff dient – ohne dass Deutschland nach bisherigen Erkenntnissen über eine gewaltsame Befreiung nachdenkt. Mit anderen Worten: Die Diskussion rund um die Flagge, die ein Schiff führt, bringt eine Lösung nicht voran.
Unser Vorschlag: Soldaten beziehungsweise Polizisten der an der ATALANTA-Operation teilnehmenden Staaten begleiten die Handelsschiffe an Bord auf ihren Passagen durch das gefährdete Seegebiet vor der Küste Somalias. Diese Maßnahmen werden bereits auf Schiffen des Welternährungsprogramms erfolgreich durchgeführt, sind aber bislang auf diese Transporte beschränkt.
erklärte der Verband Deutscher Reeder am letzten Tag dieses desaströsen Januar. Verbandspräsident Michael Behrendt sieht sogar eine Verpflichtung des deutschen Staates für alle Schiffe unabhängig von der Flagge:
Die Bundesregierung steht nach unserem Grundgesetz und nach dem internationalen Seerechtsübereinkommen in der Verantwortung und hat die Pflicht, Seeleute auf Schiffen deutscher Reeder und die deutsche Handelsschifffahrt wirksam zu schützen.
Lassen wir mal einen Moment außer Acht, dass der Reederverband damit den Grundgesetz-Artikel 27 (Alle deutschen Kauffahrteischiffe bilden eine einheitliche Handelsflotte) in seinem Sinne interpretiert und für jedes Schiff eines deutschen Reeders, auch wenn es nicht unter deutscher Flagge fährt und keinen einzigen deutschen Seemann an Bord hat, den hoheitlichen Schutz des deutschen Steuerzahlers anmahnt: Praktisch wird das gar nicht gehen, siehe die oben erwähnten Personalengpässe bei Soldaten und Polizisten.
Aber um das effektiv zu organisieren, haben die Reeder auch schon eine Idee: Some chartered vessels could function as bases of operations positioned near the exit of the Suez Canal, near Sri Lanka and near the Seychelles, sagte der Chef der Beluga Shipping, Nils Stolberg, der Agentur Reuters. Da müsste er allerdings nicht nur die Bundesregierung auf seine Seite bringen. Sondern auch die Abgeordneten des Bundestages.
Nachtrag: Ich sehe gerade eine Meldung aus Korea, die einen weiteren besorgniserregenden Trend andeutet: Die Kaperer der Samho Jewelry, so heißt es, hätte das Schiff bewusst als Angriffsziel ausgesucht – weil zuvor für das Schwesterschiff Samho Dream das Rekord-Lösegeld von angeblich 9,5 Millionen US-Dollar gezahlt worden war. Das hätten die Vernehmungen der gefangen genommenen Piraten ergeben. Sollte sich das bewahrheiten, bekommt das Piraterie-Geschäft erneut eine neue, gefährliche Wendung. Denn bislang schien es, dass die Seeräuber die Schiffe angriffen, die sie antrafen (was unter anderem frühere Angriffe auf Kriegsschiffe erklärt). Gezielte Angriffe auf bestimmte Schiffe waren bislang nicht belegbar – sie bedeuten auch: Ein Netzwerk hinter den Piraten liefert Informationen über den Kurs und vermutlich dann auch die Ladung/den Wert der Handelsschiffe.
Nachtrag 2: Heute gibt es dazu nicht nur eine größere Geschichte in der FAZ (in der Augen geradeaus! netterweise auch zitiert ist), sondern auch eine größere Geschichte bei Spiegel Online – allerdings finde ich die online nur auf Englisch.
Bevor die Reeder irgendwelche Forderungen stellen, sollten sie erstmal Maßnahmen ergreifen, wie zum Beispiel sichere Panikräume und passive Abwehrmaßnahmen auf den Schiffen. Zusammen mit einer vernetzten Abdeckung des Gebietes und gemeinsamen Enterstrategien des Militärs dürfte das die Erfolgsaussichten der Piraten stark einschränken.
Der Kapitän der Beluga Nomination beschreibt neben dem Versagen der internationalen Marinekräfte auch die Hürden, die ihm deutsche Behörden beim Selbstschutz auferlegen:
http://www.faz.net/s/RubDDBDABB9457A437BAA85A49C26FB23A0/Doc~E8EB4F933FC404E2297F82EF0B6E9D5B2~ATpl~Ecommon~Sspezial.html
Die Piraten morden und foltern, aber die Bundesregierung beharrt auf politischer Korrektheit. Das Diktat der Regierung erklärt übrigens auch die kritischen Äußerungen der Reeder bzgl. Sicherheitsdienstleistern. Es handelte sich dabei wohl nur einen Versuch, unseren „Piraterieexperten“ und Politikern nach dem Mund zu reden.
Hallo Herr Wiegold,
ist an der folgenden Nachricht etwas dran?
„Am 30.1.2011 sterben weitere 4 deutsche Soldaten in Afghanistan“
->
http://lupocattivoblog.wordpress.com/2011/01/30/am-30-1-2010-sterben-weitere-4-deutsche-soldaten-in-afghanistan/
->
http://www.presstv.ir/detail/162686.html
Da die Quellen nicht zu den etablierten und „seriösen“ Medien gehören ist hier
wahrscheinlich eher Vorsicht geboten.
Sollte es allerdings wahr sein das dieses Ereignis stattgefunden hat und in den
deutschen Medien bisher nicht thematisiert wurde ist das ein neuer Skandal.
Ach ja? Wer will das denn verbieten bzw. wer will das kontrollieren?
Darum würde ich mich als Reeder oder Kapitän unter den herrschenden Umständen gar nicht kümmern. Ich nehme die Leute ja nicht in Deutschland an Bord. In Suez oder Djibouti wird mir das schon keiner vewehren. Und abgeben kann ich die Leute auch wieder irgendwo weit weg von deutscher Obrigkeit. – Das sollte nicht das Problem sein.
Reederei Offen bemannt seine Tanker jetzt auch mit bewaffneten security guys.
Wurde gestern im Radio Bremen TV gemeldet:
http://www.radiobremen.de/mediathek/index.html?id=042189
Sagen sie Herr Wiegold,
haben sie das Arbeitszimmer mit Piratenflaggen geschmückt und schwimmt im Bad ein Lego-Piratenschiff (für den Papa, nicht die Kinder!!)? :-) Faible ist untertrieben, das Thema hat sie anscheinend übelst gefesselt…
@ Voodoo
Auch wenn ich mich als Gruenling eher fuer das Heer interessiere, muss ich Herrn Wiegold hier Weitsicht unterstellen. Denn kurzfristig hat die Situation am Horn von Afrika viel mehr Implikationen, als uns lieb sein kann. Und laut Weissbuch muessten wir uns dort eine ganze Ecke mehr engagieren. Meines Wissens steht da naemlich was von Handelwegen freihalten, um unseren Wohlstand zu sichern. Ein Ziel, mit dem ich mich gern identifiziere, das aber sowohl hier als auch dort von Judikative und Exekutive nicht konsequent verfolgt wird. Insofern bin ich Herrn Wiegold dankbar, dass er mehr Infos praesentiert als das Durchschnittsmedium und dieses Thema auf den Radarschirm holt.
@hengo
Das Gerücht hatte ich am Sonntag auch gehört. Allerdings gibt es dafür keinerlei Bestätigung, noch nicht mal Anzeichen einer solchen. Habe deshalb die Finger davon gelassen.
Die Taliban-Mitteilungen nach dem Motto „wir haben zehn Ungläubige getötet“ sind ja nicht neu. Und dass man vier Gefallene einfach verschweigen könnte, halte ich für extrem unwahrscheinlich.
Sehr schöne Zusammenfassung, Herr Wiegold.
Meine Auffassung zur unhaltbaren Position der Reeder bzgl. ziviler Sicherheitskräfte habe ich ja schon mehrfach beschrieben, die Macht des Pragmatischen wird sich wieder einmal durchsetzten (müssen) – mehr und mehr Reeder werden Sicherheitskräfte an Bord nehmen (Rechtsberatung einholen – vetraglich regeln – hupen – abfahrn).
Interessant finde ich die Feststellung der faktischen Bedrohung der Tanker-Verbindungen zur arabischen Halbinsel. Mit Blick auf die Nationen, welche hiervon besonders abhängen (keine Angst, D bezieht nur einen Bruchteil seines Rohöls hierher) dürfte das Ende der Geduld bei so manchem asiatischen Betroffenen schnell erreicht sein (oder vielleicht schon sein?).
Die Zahl der Marineeinheiten könnte auch eine dringende Aufstockung vertragen, ist wohl auch nur eine Frage der Zeit.
@hengo
Die Meldung kann man getrost ignorieren. Das gilt auch für die Quelle „Press TV“ (iranische Regierung) oder andere Sensationsmelder wie „Afghan Islamic Press“ (pakistanische Islamisten). Es hat mal jemand addiert, wieviele deutscher Panzer und Soldaten schon laut solcher Quellen in Afghanistan vernichtet worden seien und kam auf mehrere Kompanien. Die Aufständischen verstehen nicht, wie die deutsche Öffentlichkeit funktioniert, und dass reale Verluste außerhalb bestimmter Bereiche praktisch nicht geheimzuhalten sind. Deshalb ist ihre Propaganda meist für westliche Zielgruppen auch eher albern.
@ Paulum
An der Stelle sollte man vielleicht im Hinterkopf behalten, dass das Weissbuch ein Produkt des jungschen BMVg ist. Halbgar und ohne breite Basis zustande gekommen taugt es als politischer Richtungsgeber jetzt wirklich nicht.
Wer seine Ansichten nicht begründet und stattdessen lieber bequemerweise aufs Weissbuch verweist schadet seiner Sache letztlich. Da kann man auch gleich sagen „weil die verdruckste Regierung Merkel das in ihren Hinterzimmern mit der Industrie so ausgemauschelt hat, deshalb“. Denn genau so dieser Verweis an.
@ J.R.
Ich stimme voll und ganz zu. Deshalb habe ich ja auch hinzugefuegt, dass ich mich mit dem Ziel persoenlich identifiziere, und das auch ganz unabhaengig vom Weissbuch. Das ich meine Prioritaeten erst im naeheren Umfeld setze und danach schaue, ob noch Energie fuer andere da ist, wollte ich aber hier nicht ausbreiten. Die Einsicht habe ich mir erarbeitet. Und man kann auch an zwei ganz unterschiedlichen Punkten starten und trotzdem in bestimmten Ansichten uebereinstimmen.
Das ist bei Ihnen wie bei mir aber letztlich nur eine Meinung, die sich nicht universell verifizieren oder falsifizieren laesst.
Um grob beim Thema zu bleiben:
Eine realistische Vertretung unserer Interessen nicht durch jemand anders(Die USA) sondern mit unserer direkten Beteiligung ist erstrebenswert. Und da muss die militaerische Option nun mal im Koecher sein.
Wenn wir das ausweiten wollen: Mail?
Solange man nicht den Kampf ins Lager der Piraten verlegt, und diese stattdessen immer weiter mitt hunderten Millionen füttert werden die Angriffe weiter anwachsen.
Letztlich wird sich Europa wohl eine Armee aus Asien anheuern, welche diese Aufgabe erledigt.
Meines Wissens ist die Piraterie der „Anrainerstaaten“ ein in deren Gesellschaft ehrenhaft anerkannter Broterwerb, im Sinne von moderner Fischerei.
Vielleicht sollte die Herangehensweise der langfristigen Lösung des Problems keine militärische sein, sondern eine Art Missionierung, nicht unbedingt im Sinne des Christentums sondern im Sinne von Bildung, Erhöhung der Qualität des Lebensstandards der fischenden Bevölkerung und somit Schaffung von „Couch Potatoes“…..
@Julia Münkemüller
„Vielleicht sollte die Herangehensweise der langfristigen Lösung des Problems keine militärische sein, sondern eine Art Missionierung, nicht unbedingt im Sinne des Christentums sondern im Sinne von Bildung, Erhöhung der Qualität des Lebensstandards der fischenden Bevölkerung und somit Schaffung von “Couch Potatoes”…..“
Das entspricht in etwa den Vorschlägen deutscher „Piraterieexperten“. Die frage ich bei Äußerung solcher Ideen dann gerne, wie sie denn die Existenz einer starken Organisierten Kriminalität in Staaten wie den USA oder Italien erklären, wenn Steigerung des Lebensstandards sich angeblich begrenzend auf diese auswirkt. Interessant wäre auch zu wissen, wieviele Jahrzehnte oder Jahrhunderte und welchen Ressourcenansatz (und vor allem welche Strategie) man einplant, um Somalia vom Mittelalter in die Moderne zu befördern. Ich meine mich desweiteren zu erinnern, dass ich ähnliche Ideen bzgl. Terrorismusbekämpfung in Afghanistan 2001 gehört habe. Damals meinten „Terrorismusexperten“, dass man Al-Qaida keinesfalls nur militärisch bekämpfen dürfe (was eine vergleichsweise leichte und rasch abschließbare Aufgabe gewesen wäre), sondern aus diesem und jenem meist moralischen Grund Nation-Building in Afghanistan betreiben müsse. Die Ergebnisse davon sollten bekannt sein.
@Julia Münkemüller | 01. Februar 2011 – 16:40
Das funktioniert nicht einmal in einem vergleichbar winzig kleinen und überschaubarem Gebiet wie dem Kosovo, wie sich gezeigt hat.
Das „Full scale nationbuilding“ wohl kaum die Lösung für das Piraterieproblem sein kann, ist offensichtlich. Dass es aber durchaus auch funktionierende Staaten am Horn von Afrika geben kann, zeigt das Beispiel Somaliland. Die längst überfällige diplomatische Anerkennung wäre zugleich Ausdruck der Wertschätzung als auch Signal an die somalischen Clans, dass sich Demokratisierung respektiert wird. Wäre aber wohl eine zu schöne Wenung für den AU-Gipfel gewesen, lieber noch mehr Geld und Mann nach Mogadishu.
@ Orontes
Grad in Afghanistan hat man sich doch auf das militärishe Bekämpfen beschränkt, und sich dann gewundert warum das nicht funktioniert… ;)
Es geht hier auch schlicht nicht um Wohlstand, sondern um eine existenzielle Grundsicherung (Nahrung, Sicherheit, Rechtssprechung,…). Und wenn der Staat die nicht wahrnimmt, dann ist das organisierte Verbrechen nur zu bereit sich als Ersatz breitzumachen. Ob das jetzt die Hisbollah im Südlibanon, die Drogenkartelle in Mexiko, die Banden in den Favellas von Rio oder die Piraten in Somalia sind. Und dass die nur zu bereit sind sich auch mit Gewalt an der Macht zu halten ist glaub allseits bekannt.
Und einfach Wegbomben läßt sich so ein gesellschaftliches Krebsgeschwür nicht. Die Grenzen eines rein militärischen Vorgehens werden ja gerade in Mexiko sehr sehr deutlich.
Grob vereinfacht: Die Grundursache von Aufständen wie auch Organisierten Kriminalität ist das Versagen des Gesellschaftsvertrags, wobei bei Organisierter Kriminalität noch ein Netz von Abhängigkeiten dazukommt.
Und wie man es dreht und wendet: Für die Bekämpfung Organisierter Kriminalität ist die Bundeswehr nicht gerüstet. Die tut sich ja schon schwer, „nur“ einen Aufstand unter Kontrolle zu kriegen. (Was auch keine leichte Aufgabe ist, gerade ohne zivile Unterstützung. Aber trotzdem noch um einiges leichter.)
Da stellt sich schon die Frage, wie man sich das – gerade in Hinblick auf Somalia – vorstellt. Einmarschieren und versuchen mit Gewalt den Deckel drauf zu halten, irgendwann wird sich eine funktionierende Zivilgesellschaft aus dem Nichts ergeben? Wie lange will man so Babysitter/Besatzungsmacht ohne Friedensperspektive spielen? Oder doch lieber alle Jahre wieder eine kleine Invasion um mal „das Gras zu mähen“, wie man das in Afghanistan genannt hat? Nicht dass das für die Briten so unheimlich gut funktioniert hätte, oder für die Israelis bei ihrem letzten Einmarsch in den Südlibanon…
Es könnte bald ein ganz anderes Problem im Bereich maritime Sicherheit geben als Piraterie, wenn nämlich der Suez-Kanal dichtgemacht wird.
In piratenverseuchten Gewässern stellt das Automatic Identification System (AIS) ein Risiko dar. Warum reduziert man das Signal nicht um die statischen Schiffsdaten? Das muss ja nicht permanent sein aber wenigstens dort wo es sinnvoll ist. Dann könnten Schiffe wenigstens nicht gezielt angegriffen werden.
@ Orontes et al
Pure Gewalt, bis zum bitteren Ende bzw. Androhung selbiger verschreckt nur „normale“, rational denkende und im gewissen Maße verantwortungsbewusste Menschen. Mit Bildung, Brot und Spielen kann man die gut ruhig halten.
Verhaltensauffällige Menschen im Sinne von Mafia und Triaden oder Menschen mit „höheren“ oder/und fanatischen Zielen werden durch Gewalt noch motivierter und überzeugter über die Rechtmäßigkeit ihres Handelns. Da kann man nur versuchen ihnen Nachwuchssorgen zu bereiten.
Zeitansatz: Ein Jahrhundert für den „humanitäreren“ Weg.
Gewalt bringt langfristig (und hier meine ich als zu beurteilenden Zeitansatz ein Jahrhundert) nur was, wenn man bereit ist den Weg der vollständigen Zerschlagung (= alle tot) zu gehen und dabei das Opfern Unschuldiger billigend in Kauf nimmt. Das wird dann aber zu organisierter Kriminalität von höchster Instanz.
Also eigentlich ist das Problem, wie viele andere auch, nicht lösbar. Jetzt ist nur die Frage, probiert man trotzdem halbherzig weiter oder gibt man auf und lebt isoliert oder autark weiter…..
@Julia Münkemüller | 01. Februar 2011 – 19:15
Pure Gewalt kann man den Europäern ja wirklich nicht vorwerfen, eher das genaue Gegenteil. Das war aber offenbar die Methode, um diese Erscheinung der Piraterie eskalieren zu lassen. Die bisherige Linie der westlichen Staaten ist mE. ein Reinfall, wie er nicht schlimmer hätte ausgehen können.
Der „humanitäre Weg“ wird seit Jahrzehnten in Afrika versucht. Man hat Unmengen von Geld in diese Länder gesteckt. Man hat auch 1992 in Somalia nach Aufruf der UNO versucht, dem Land wieder Strukturen zu geben, der Ausgang der Geschichte ist bekannt. Nämlich „Alles für die Katz“. Humanität ist ein Wert aus unserer Welt, anderswo löst der Begriff bestenfalls Kopfschütteln aus.
Ganz ohne Gewalt wird die Sache nicht funktionieren, fürchte ich.
Was würde man nur ohne diese Zusammenfassung machen? Herzlichen Dank dafür. Ein Einwand: Das „Specific Targeting“ von bestimmten Schiffen ist nicht ganz neu, Indizien deuteten vor geraumer Zeit darauf hin – zumindest in früheren Jahren. Die erhebliche Ausweitung des Piratenoperationsgebiets hat dann wieder zu mehr „Targets of Opportunity“ geführt, die die Statistik gewissermaßen ruiniert haben. Der Netzwerkaspekt – nach Dubai, London oder gar Hamburg – schwelt im Hintergrund seit der Professionalisierung der Piraten weiter; Europol und das BKA sind meiner Kenntnis nach „dran“.
@ Sebastian Bruns
Was für „Indiezien“ denn? Entweder es gibt belegte Fälle oder es ist reine Spekulation.
@Julia Münkemüller
„Verhaltensauffällige Menschen im Sinne von Mafia und Triaden oder Menschen mit „höheren“ oder/und fanatischen Zielen werden durch Gewalt noch motivierter und überzeugter über die Rechtmäßigkeit ihres Handelns.“
Akteure der Organisierten Kriminalität sind letztlich Wirtschaftsunternehmen, die nach Risikoabwägungen handeln. Wo die Risiken zu hoch werden, da reduzieren solche Akteure ihre Verluste und wechseln in die Legalwirtschaft. Es wird Zeit, von therapeutischen Vorstellungen wegzukommen, die in solchen Akteuren irgendwelche Abweichungen von einer fiktiven Norm sehen und ihr Verhalten pathologisieren.
„Gewalt bringt langfristig (und hier meine ich als zu beurteilenden Zeitansatz ein Jahrhundert) nur was, wenn man bereit ist den Weg der vollständigen Zerschlagung (= alle tot) zu gehen und dabei das Opfern Unschuldiger billigend in Kauf nimmt.“
Dem ist nicht so. Die meisten Konflikte werden doch nicht dadurch entschieden, dass eine Seite ausgelöscht wird, sondern dadurch, dass ein Akteur den Willen des anderen akzeptiert, weil ihm die Kosten (welcher Art auch immer) zu hoch werden. Auch in Deutschland findet ein ständiger Wettbewerb zwischen Staat und Kriminalität statt, in dem die erfolgreichen Kriminellen nur so weit gehen, wie es die Fähigkeiten des Staates es ihnen erlauben.
@J.R.
„Grad in Afghanistan hat man sich doch auf das militärishe Bekämpfen beschränkt, und sich dann gewundert warum das nicht funktioniert… ;)“
Die militärische Bekämpfung al-Qaidas in Afghanistan, obwohl sehr begrenzt durchgeführt, war erfolgreich und Anfang 2002 praktisch abgeschlossen. Nach 9/11 war es aber leider Konsens unter den NATO-Regierungen, dass man zusätzlich noch Afghanistan vor sich selbst retten wollte um seine moralische Überlegenheit zu demonstrieren. Nur dieser Teil scheiterte. Dass man sich dabei auf militärische Bekämpfung beschränkt hätte, ist eine Erfindung der deutschen Medien, die bei jeglichem militärischen Vorgehen stets den Maßstab verlieren und so tun, als gäbe es nichts anderes. Wenigen Deutschen ist daher bekannt, dass z.B. über Jahre im Rahmen von OEF wesentlich mehr für den Aufbau afghanischer Sicherheitskräfte getan wurde als im Rahmen von ISAF.
„Es geht hier auch schlicht nicht um Wohlstand, sondern um eine existenzielle Grundsicherung (Nahrung, Sicherheit, Rechtssprechung,…). Und wenn der Staat die nicht wahrnimmt, dann ist das organisierte Verbrechen nur zu bereit sich als Ersatz breitzumachen.“
Organisierte Kriminalität wie die Piraterie am HOA oder Drogenwirtschaft in Afghanistan erzielt solche Profite, dass sich auch bei den optimistischsten Szenaren wirtschaftlicher Entwicklung genügend Mitarbeiter und korrumpierbare Personen in der Verwaltung finden lassen, solange die Strukturen und Netzwerke intakt bleiben. Wie gesagt, in den reichsten Staaten der Welt ist die OK keinesfalls ausgerottet und z.B. im wohlhabenden New York oder Hong Kong sogar besonders ausgeprägt.
„Und einfach Wegbomben läßt sich so ein gesellschaftliches Krebsgeschwür nicht. Die Grenzen eines rein militärischen Vorgehens werden ja gerade in Mexiko sehr sehr deutlich.“
Es mag sein, dass man die OK in Somalia nicht durch Luftangriffe beenden kann, aber es würde ja reichen, die Risiken der Piraten so zu erhöhen, dass die OK sich Betätigungsfelder innerhalb Somalias sucht.
„Die Grundursache von Aufständen wie auch Organisierten Kriminalität ist das Versagen des Gesellschaftsvertrags, wobei bei Organisierter Kriminalität noch ein Netz von Abhängigkeiten dazukommt.“
So sieht man es wohl an sozialwissenschaftlichen Fakultäten in Deutschland ;-)
Nach längeren „Feldstudien“ bin ich mittlerweile der Ansicht, dass es das unausrottbare Streben des Menschen nach Macht und Profit ist, welches zu solchem Verhalten motiviert. Die Menschheit hat sich seit Thukydides nicht verändert. Es gibt keinen von Natur aus guten Menschen, dem man nur Bildung und Sozialstaat geben muss, damit er so funktioniert wie sich das die Sozialingenieure vorstellen. Der Mensch ist tatsächlich nur ein besseres Tier, will sich nehmen was er bekommen kann und lernt vor allem durch Schmerz und Gefahr.
So sieht man es wohl an sozialwissenschaftlichen Fakultäten in Deutschland ;-)
Nein, die Sache mit dem Gesellschaftsvertag stammt von ’nem Berufssoldaten, der jetzt insgesamt glaub auf drei Jahre in Afghanistan kommt. ;)
(Mal wieder Old Blue von Afghan Quest, diesmal in „Strategy and Tactics in COIN“. Und bevor jemand fragt: Den Großteil davon in Indianerland.)
Das Problem bei einer militärischen Intervention gegen einen Gegner ist ja nicht, dass es nicht gelingt den zu Vertreiben oder zum Untertauchen zu kriegen. Das hat im Irak funktioniert, und auch in Afghanistan. Und, da muss man sich auch keine Hoffnungen machen: Irgendwelche skrupellosen Machthaber werden ohne richtig Druck sicher nicht freiwillig verschwinden. (Ob es da Alternativen zu einer Militärlösung gibt lass ich mal offen, in vielen Fällen wohl nicht.)
Nur was dann? Wenn man ein Machtvakuum zuläßt wird es von den gleichen krummen Typen (oder noch extremeren) wieder gefüllt, und die Chose geht von vorne los. Das läßt sich an Afghanistan ja sehr gut beobachten. Die Taliban zu vertreiben gewinnt allein nichts. In Südamerika ersetzt ein Syndikat das andere. In Somalia wird eine Bande durch die nächste ersetzt.
Und da ist halt auch die „Besatzung der See“ keine nachhaltige Lösung. Selbst im besten Fall (vollständige Verhinderung von Piratenübergriffen ist möglich) funktioniert sie nur solange, wie Militärschiffe flächendeckend das Seegebiet sichern. Das kostet.
Die Staatengemeinschaft hat hier schlicht das gleiche Problem wie in Afghanistan: Der Aufstand finanziert sich selbst und kann fast unendlich lange aufrecht erhalten werden, während die Geduld der Staatengemeinschaft aufgrund der Kosten endlich ist.
Und das gleiche sehe ich auch beim Piraterieproblem: Auch wenn die Erfolgsrate sinkt wird es immer noch ausreichen dieses „Geschäftsmodell“ am Laufen zu halten. Es ist ein Selbstläufer.
Dem hat die Staatengemeinschaft in Seestreitkräften nichts entgegenzusetzen. Schon jetzt reicht die Abdeckung nicht aus und es wird über die Kosten gejammert. Mit mehr Schiffen und höheren Verlusten wird die Akzeptanz dieses Ansatzes nicht zunehmen.
Wie gesagt, die langfristige Lösung sehe ich nur in einem akzeptierten Quasi-Staat, der Polizei-Aufgaben wahrnehmen kann, und langfristig gegen die Piraten vorgeht.
Ich denke aber, dass die letztlich gewählte Vorgehensweise eher darauf hinauslaufen wird regelmäßig ein paar „Söldner“ anzuheuern (ob ein Nachbarstaat oder irgendeine Miliz) um „die Piratenlager“ einzunehmen. Ist ja kein weißes Blut dass dabei fließt, und Nation Building ist ja kompliziert.
Da finanziert man lieber einer afrikanischen Armee ein „robustes UN-Mandat“ gegen die Piratenbasen, immerhin geht es darum dass die Schiffe des Welternährungsprogramms zu den armen Somalis durchkommen – welcher Unmensch würde dagegen schon Einwände erheben?
@J.R.
„Da finanziert man lieber einer afrikanischen Armee ein “robustes UN-Mandat” gegen die Piratenbasen, immerhin geht es darum dass die Schiffe des Welternährungsprogramms zu den armen Somalis durchkommen – welcher Unmensch würde dagegen schon Einwände erheben?“
Ihren Zynismus finde ich sympathisch. Mit den WFP-Schiffen wird ja teilweise bereits jetzt argumentiert, so dass mir dieser Weg durchaus als realistisch erscheint.
Keine Sorge, das wird schon gemacht. Im Indischen Ozean schalten wir den AIS Sender aus. Das wird sogar in den BMP’s empfohlen. Nur im Konvoi, im IRTC Golf von Aden und sonst nur im Falle eines Angriffs schalten wir wieder ein. Damit die Marine uns findet.
Ahoi, Janmaat!
Somit dürfte die Geschichte von der „Piratenleitzentrale“, die gezielt bestimmte Schiffe verfolgt, äußerst unwahrscheinlich sein.
@Sebastian S.
Simple live ??
Aus der Tatsache das eine passive Bedrohung durch aktive Maßnahmen verringert wird, schließen Sie das die passive Bedrohung nicht existiert ??
Respekt!
„Die militärische Bekämpfung al-Qaidas in Afghanistan, obwohl sehr begrenzt durchgeführt, war erfolgreich und Anfang 2002 praktisch abgeschlossen. “
Oft behauptet, stimmt aber nicht.
http://www.navy.mil/management/photodb/photos/110202-N-2907P-002.jpg