„Weit über 50 Feuerkämpfe“: Erfahrungen der deutschen Quick Reaction Force in Afghanistan
Erfahrungen aus dem Einsatz, die „Lessons Learned“, sind bedeutsame Informationen für die Soldaten, die neu in eine Mission gehen. Auch wenn diese Erfahrungen schon gut ein Jahr alt sind: Was Oberst Michael Matz, der Kommandeur der deutschen Schnellen Eingreiftruppe (Quick Reaction Force, QRF) im Norden Afghanistans aufgeschrieben hat, ist als Information auch heute noch von Interesse – zum Beispiel die Taktik der Aufständischen und die Reaktion der deutschen Truppen darauf. Einiges hat sich seitdem geändert, zum Beispiel – dank U.S.-Unterstützung – die Luftbeweglichkeit; anderes dürfte noch ziemlich genau so sein…
(Der Bericht von Matz, der zuvor Kommandeur des Jägerregiments 1 war und inzwischen Leiter des Gefechtsübungszentrums Heer ist, erschien in der Fachzeitschrift „Strategie&Technik“. Ich denke, er ist auch für einen breiteren Leserkreis interessant – mit freundlicher Genehmigung des Autors und des Report-Verlages stelle ich den Bericht deshalb hier ein. Am Anfang ist es ein wenig technisch, aber spätestens bei den Schilderungen exemplarischer Operationen wird’s spannend. Es ist natürlich ein Fachbericht, aber ich glaube, er ist dennoch ganz gut verständlich.)
Jägerregiment 1 – Im Einsatz als Quick Reaction Force RC North
Das Jägerregiment 1 hatte in der Zeit von April 2009 bis April 2010 den Auftrag, im Rahmen des deutschen Beitrages zur International Security and Assistance Force (ISAF) die Quick Reaction Force (QRF = Schnelle Eingreiftruppe) des deutsch geführten Regional Command North (RC N) zu stellen. Es wurden insgesamt zwei Kräftedispositive (QRF 3 und QRF 4) für jeweils ein halbes Jahr in den Einsatz entsandt.
Die QRF gliederte sich in eine Stabs-, Versorgungs- und Kampf-unterstützungskompanie sowie zwei Infanteriekompanien mit je drei Zügen, davon je einer mit der Fähigkeit, Schützenpanzer (SPz) Marder einzusetzen. Eine Sanitätskompanie für den beweglichen Einsatz wurde auf Zusammenarbeit angewiesen. Die QRF war darauf eingestellt, bis zu 72 Stunden autark zu operieren.
Archivbild einer späteren deutschen QRF im August 2009 im Camp Marmal: MAZAR-E-SHARIF- Members of the German Quick Reaction Force in Camp Marmal, conduct vulnerable checkpoint training, searching for improvised explosive devices and ammunition. The Batallion is equipped with heavily armored vehicles and weap[ons systems to conduct patrols, missions, communicate with Afghan civilians and activate mines. Official photo by Petty Officer 1st Class Ryan Tabios, ISAF HQ Public Affairs via ISAFmedia/flickr
Materielle Ausstattung
Die QRF war mit geschützten Fahrzeugen der Typen Transportpanzer (TPz) Fuchs A7 und A8, Allzwecktransportfahrzeug Dingo 2A2 und 2A3 sowie dem SPz Marder ausgestattet. Aufgrund des Gewichts und der Größe dieser modernen Fahrzeuge waren Bewegungen abseits der Hauptverbindungsstraßen nur stark eingeschränkt möglich.
Die Soldaten der QRF verfügten über die Ausstattung Infanterist der Zukunft (IdZ). Diese Ausrüstung hat sich dank intensiver Ausbildung im Heimatland voll bewährt.
Aufgrund eingeschränkter Verfügbarkeit von Hubschraubern im Einsatzland konnten die Kräfte des Jägerregiments 1 ihre Fähigkeit zum luftgestützten Einsatz (luftbewegliche QRF) nicht zum Einsatz bringen.
Einsatzvorbereitung
Während der einsatzvorbereitenden Ausbildung wurden die Sanitätskompanie und alle externen Teileinheiten und Einzelabstellungen sechs Monate vor Einsatzbeginn in die QRF integriert. Diese frühe Zusammenführung hat sich bewährt. Zum einen erfolgte die Integration in den Verband, zum anderen wurden alle Ausbildungsabschnitte gemeinsam durchlaufen.
Die Vorausbildung der Truppenteile des Jägerregiments 1 war standardisiert. Sie durchliefen die Einsatzvorbereitende Ausbildung für Konfliktverhütung und Krisenbewältigung an den Standorten Schwarzenborn bzw. Hammelburg und vertieften die Schießfertigkeiten während mehrerer Truppenübungsplatzaufenthalte.
Die Kompanien der Einsatzkontingente wurden am Übungszentrum der Infanterie an der Infanterieschule in Hammelburg ausgebildet, zudem absolvierten beide QRF einen 14-tägigen Durchgang im Gefechtsübungszentrum des Heeres in der Letzlinger Heide.
Aufgrund der umfassenden einsatzvorbereitenden Ausbildung – die einen großen organisatorischen Aufwand darstellte – war es dem Jägerregiment 1 gelungen, nahezu alle Soldaten an dem im Einsatzgebiet vorhandenen Material auszubilden.
QRF im Einsatzgebiet
Die Bedrohungslage im Raum Kunduz bedingte, dass nahezu ununterbrochen eine verstärkte Infanteriekompanie der QRF unter der Führung des PRT (Provincial Reconstruction Team) im Distrikt Kunduz (KDZ) operierte. Dieser Umstand verringerte zwar den Einsatzwert des QRF-Verbandes, für weitere
Operationen wurde die QRF aber regelmäßig durch Aufklärungskräfte (gemischte Aufklärungskompanie Mazar-e Sharif (MES)), Pionierkräfte, CIMIC (Civil-Military Cooperation)-Kräfte und PSYOPS (Psychological Operations)-Kräfte verstärkt.
Die QRF führte Operationen im gesamten Einsatzraum des RC N durch und war von Ghormach im Westen bis Taloqan im Osten, von Heyratan im Norden bis Darzab und Pol-e-Komri im Süden eingesetzt.
QRF im Gefecht
Exemplarisch für die weit über 50 Feuerkämpfe und teilweise stundenlangen Gefechte, in welche die QRF verwickelt war, werden im Folgenden zwei Operationen beschrieben und ausgewertet.
Das Gefecht bei Basoz und Sujani (zehn km westlich Kunduz) am 4. Juni 2009
Die QRF führte die Operation an diesem Tag wie folgt: A-Zug in der Nacht zuvor zum Schutz der Polizeistation Chahar DARREH als Nacht- und Tagpatrouille eingesetzt, geplante Rückkehr ins PRT gegen Mittag. B-Zug Sweep (Kampfmittelsuche entlang eines Weges) auf einer der Straßen nordwestlich der Polizeistation. Der unterstellte Spähtrupp der AufKlKp (Aufklärungskompanie) MES führte eine Einweisung im Norden des AOR (Area of Responsibility) durch und operierte eng mit B-Zug zusammen. C-Zug als Reserve der QRF im PRT KDZ. Im Verlauf des Tages wurden starke Kräfte der QRF und des PRT sowie ein Zug der Afghan National Army (ANA) unter einheitlicher Führung der QRF 3 eingesetzt. Aus Gründen der operativen Sicherheit wird im Weiteren das Gefecht nur in Ausschnitten dargestellt.
Um 1613D* (D* = Ortszeitbezeichnung AFG, entspricht MESZ + 2 Stunden 30 Minuten) wurde der Spähtrupp 3 500 m nordwestlich der Ortschaft Basoz durch einen Selbstmordattentäter angesprengt und von feindlichen Kräften beschossen. Der Spähtrupp konnte den Hinterhalt durchstoßen und sollte nördlich Basoz so in Stellung gehen, dass aus Westen nachstoßender Feind hätte bekämpft werden können. Gleichzeitig erhielt der B-Zug den Auftrag, den Spähtrupp aufzunehmen, um die Voraussetzungen für einen Gegenangriff entlang der Straße J79 – Yumar Bazar zu schaffen. Absicht QRF war es, nachstoßenden Feind im Zuge der Straße J79 – Yumar Bazar bei günstiger Gelegenheit zu zerschlagen.
Noch bevor der B-Zug die Stellung nördlich Basoz gewinnen konnte, kam es um 1650D* erneut zu Beschuss. Diesmal wurden sowohl der Spähtrupp, noch nördlich Basoz, als auch der B-Zug, noch südlich Basoz, mit RPG (Rocket Propelled Grenade) und Handwaffen beschossen. B-Zug durchstieß und konnte Schulterschluss mit dem Spähtrupp herstellen. Bei dem Beschuss des B-Zuges und des Spähtrupps nahm der Feind keine Rücksicht auf die Zivilbevölkerung und schoss über und durch eine Gruppe Kinder hindurch. Glücklicherweise wurde keines der Kinder getroffen.
Noch während der Verbindungsaufnahme zwischen Spähtruppführer und Gruppenführer Spitzengruppe B-Zug griff der Feind in zwei Wellen an. B-Zug ging mit eingegliedertem Spähtrupp im Zuge der Ortschaft Basoz angelehnt an mehrere Gebäude in Stellung und verteidigte erfolgreich gegen eine große Anzahl INS (Insurgents), die aus mehreren Richtungen angriffen und mehrfach versuchten, sich in die Flanken des Zuges zu verschieben. Gegen 1715D* trafen zwei A-10 Thunderbolt zur Luftnahunterstützung ein.
Ein Zug der ANA, unterstützt durch ein belgisches OMLT (Observation, Monitoring and Liaison Team), wurde der QRF unterstellt und zum Schutz der linken Flanke eingesetzt.
Es entwickelte sich ein etwa eineinhalbstündiges Gefecht, welches nach Eintreffen weiterer Verstärkungen gegen 1818D*endete. Der Feind, offensichtlich von der heftigen Gegenwehr überrascht, brach seinen Angriff ab und wich nach Westen aus. Da gleichzeitig eine große Anzahl von unbewaffneten Zivilisten aus den Häusern kam, ist anzunehmen, dass diese das Ausweichen des Feindes ermöglichen sollten.
Ob die Bevölkerung dabei freiwillig handelte oder gezwungen wurde, konnte nicht abschließend geklärt werden. Ein Nachstoßen war wegen der Zivilbevölkerung, der einsetzenden Dämmerung und des unübersichtlichen, stark bebauten Geländes mit kurzen Kampfentfernungen nicht zweckmäßig, zumal die INS über die bessere Ortskenntnis und abgesessen höhere Beweglichkeit verfügten.
Die Straße Kharoti – Basoz lässt ein Wenden größerer Fahrzeuge unter Feindbedrohung nicht zu, so dass über Sujani Ulya verlegt werden musste.
Viele Soldaten berichteten, dass während des Ausweichens viel Zivilbevölkerung auf der Straße war und ihnen zugewinkt habe. Kurz vor der Ortschaft Sujani Ulya meldete B-Zug, dass die Zivilbevölkerung sich wieder in die Häuser zurückziehe und vermutlich ein weiterer Angriff unmittelbar bevor stünde. Noch bevor die Meldung vollständig abgesetzt war, wurde das Spitzenfahrzeug B-Zug gegen 1854 D* mit fünf RPG und Handwaffen (Small Arms Fire, SAF) beschossen.
Der Zug führte den Feuerkampf und entschied sich dann zum Durchstoßen, da das Gelände kein gedecktes Absitzen zuließ. Der B-Zug saß nach dem Durchstoßen südlich Suyani Ulya ab. Der heftige Feuerkampf selbst dauerte rund 30 Minuten. Mittlerweile waren vier Kampfflugzeuge vom Typ Thunderbolt im Einsatz, die aus der Luft Aufklärungsergebnisse lieferten und mehrfach zum „Show-of-Force“ eingesetzt wurden. Nach fünf Stunden war das Gefecht um 2127 D* beendet.
Während des Gefechtes wurden zur Unterstützung der eigenen Operationsführung LUNA und CAS (vier A-10 Thunderbolt im rottenweisen Einsatz) zur Aufklärung aus der Luft und „Show-of-Force“ eingesetzt. Es wurden keine eigenen Soldaten verwundet.
Operation OQAB und das Gefecht an der LOC Banana bei Zar-Kharid-i-Sufla
Mit dem Auftrag, das im Feuerkampf stehende 1. Kandak (Bataillon) der 2. Brigade 209. ANA Korps einschließlich deutschem OMLT im Raum Polizeistation Zar Kharid-i-Sufla zu verstärken, verlegte 2./QRF am 19. Juli mit Panzergrenadierzug voraus. Zum Zeitpunkt der Verbindungsaufnahme mit den deutschen Kräften des OMLT hatten sich diese aus einem Hinterhalt gelöst, waren auf die Polizeistation ausgewichen und standen mit ihren Spitzen im Feuerkampf mit Feindkräften bei Baaghi Sheerkat.
Unmittelbar mit dem Eintreffen der Marder gingen die Soldaten der ANA wieder vor und bezogen Stellung noch vor den SPz. Nachdem der Feuerkampf gegen die Feindstellung vor Baaghi Sheerkat geführt war, und aus diesem Raum kein Feuer mehr erwidert wurde, machten die ANA-Soldaten lobende und anerkennende Gesten zu den SPz des Zuges. Augenscheinlich war, dass unmittelbar mit dem Eintreffen der SPz die Moral bei den angegriffenen Kräften stieg. Dies wurde später durch das deutsche OMLT bestätigt.
Im weiteren Verlauf der Operation sicherte der Zug mit den SPz die Polizeistation und überwachte das abgesessene Vorgehen der ANA und deutscher Kräfte mit den Bordmaschinenkanonen. Es hat sich gezeigt, dass der Einsatz der Schützenpanzer die Kampfmoral eigener und verbündeter Kräfte erheblich erhöht hat.
Wirkung auf die Zivilbevölkerung
Bei Bewegungen mit den Schützenpanzern fiel auf, dass der übrige Verkehr deutlich Abstand zum Zug hielt. Der Gegenverkehr ist ausnahmslos an den Straßenrand gefahren und hat dort gehalten bis eigene Kräfte passiert hatten. Dies war beim Marsch mit Radfahrzeugen nicht üblich.
Bewegungen und Infrastruktur
Bewegungen im Zuge der Hauptverbindungsstraßen (Lines of communication, LOC) konnten ohne Schwierigkeiten durchgeführt werden. Die Felder waren zu der Zeit abgeerntet, Bewässerungsgräben – welche parallel zu den LOC verlaufen – stellten aufgrund der Überschreitfähigkeit der SPz kein Hindernis dar. Kleine Brücken und Straßen mit Bachdurchläufen sind tragfähig genug und schränken die Mobilität der Schützenpanzer nicht ein. Lediglich Reisfelder sind als Panzerhindernis zu bewerten.
Der SPz ist in der Lage, eine typisch afghanische Mauer zu durchbrechen und die Straße seitlich zu verlassen. Der Durchbruch konnte von allen anderen Fahrzeugen ebenfalls genutzt werden. Im späteren Verlauf des Einsatzes wurden Furten nutzbar, Flüsse hingegen waren Hindernisse und hemmten die eigenen Bewegungen.
Einsatz der Schützenpanzer
Aufgrund der enormen Kampfraumtemperaturen von bis zu 80 Grad Celsius und des Umstandes, dass ein schneller Wechsel der Kampfweise aus dem engen Kampfraum mit IdZ (Infanterist der Zukunft)-Ausstattung nicht möglich ist, wurde der Zug in einem Fahrzeugmix mit Dingo und SPz eingesetzt. Die SPz benötigen zur Steigerung ihres Einsatzwertes dringend eine Klimaanlage. Schon in Mazar-e Sharif wurden Beschussversuche mit Gefechtsmunition auf eine Compoundmauer durchgeführt, um die Wirkung auf eine typisch Deckung der INS zu testen.
Nachdem am 19. Juli mit der Bordmaschinenkanone gegen eine erkannte MG- und eine RPG-Stellung gefeuert wurde, war der bis dahin lang anhaltende Feuerkampf sofort beendet. Später kämpften die INS auch nach dem Beziehen einer offenen Stellung weiter aus einer frontalen Stellung gegen die SPz. Es wurden RPG gegen einen SPz gefeuert, die allerdings auf der Straße liegen blieben oder vor der Stellung umsetzten.
Parallel zu den LOC bieten sich im ganzen Raum unzählige Stellungsmöglichkeiten für INS, um flankierend auf die Straßen zu wirken. Beim Vorgehen der SPz – aber auch aller anderen Kräfte – gilt es, diese Flankenbedrohung ständig zu beurteilen. Bei Anzeichen für einen Angriff oder einen Hinterhalt, sowie bei erkanntem Feind, muss frühzeitig die Kampfweise gewechselt werden und die Flankenbedrohung im Zusammenwirken von auf- und abgesessenen Kräften ausgeschaltet werden.
Die Versuchung ist groß, die Schützenpanzer als einzelnes Waffensystem einzusetzen, um mehrere Züge mit einer weitreichenden Waffe und entsprechender Feuerkraft auszustatten. Um die volle Leistungsfähigkeit der SPz zur Wirkung zu bringen, muss der Zug den Einsatzgrundsätzen der PzGrenTr entsprechend als Feuereinheit und im engen Zusammenwirken mit abgesessenen Kräften eingesetzt werden. Der Einsatz eines Halbzuges in besonderen Lagen ist möglich, sollte aber die Ausnahme bleiben.
Gefecht bei Quara Yatim
Nach Aufklärung und Sprengung eines IED (Improvised Explosive Device) bei Pol-e-Za Khel gab es eine Vielzahl von Hinweisen darauf, dass die Ortschaft Quara Yatim im nördlichen Chahar Darreh im deutlichen Interesse der INS liegt. Durch die Drohne LUNA aufgeklärte Bausperren westlich der Ortschaft verstärkten diese Vermutung. Auch bestand die Gefahr, dass INS die relativ lange Abwesenheit von ISAF-Kräften im Raum genutzt haben, um neben luftgestützt aufklärbaren Bausperren IED einzubringen. Erkenntnisse aus der Gesprächs-aufklärung verdichteten diese Vermutung.
Nicht zuletzt das zuvor aufgeklärte und beseitigte IED war deutliches Anzeichen dafür, dass aus der Ortschaft Qara Yatim eine deutliche und nachhaltige Bedrohung für die Bewegungsfreiheit von ISAF im Zuge der LOC KAMINS und somit dem einzigen Weg von und nach Chahar Darreh gegeben war. Daher hatte die Kompanie den Auftrag, die Bausperren zu prüfen und Gesprächsaufklärung in besagter Ortschaft durchzuführen.
Auf Grund der Feindlage und möglicher Bedrohung durch IED entschied sich der Kompaniechef für eine Kombination aus IED-Sweep durch A-Zug und EOD-Trupp sowie unmittelbar dahinter folgender Gesprächsaufklärung durch Tactical PsyOps Team (TPT) und Tactical CIMIC Team (TCT). Um die auf der Hauptverbindungsstraße zwischen Quara Yatim und Loc Kamins „sweependen“ Kräfte in Bezug auf die Kampfkraft zu verstärken, ging ein Halbzug Panzergrenadiere auf- und abgesessen unmittelbar folgend mit vor. Der abgesessene und durch Teile des Beweglichen Arzttrupps und des Joint Fire Support Teams verstärkte Kompanieführungstrupp gliederte sich ebenfalls ein.
Die westliche Flanke wurde durch eine abgesessene und parallel zu den Hauptkräften vorgehende Panzergrenadiergruppe gesichert, während das offene Gelände ostwärts der Hauptverbindungsstraße den Einsatz von zwei SPz zur Überwachung der rechten Flanke zuließ. Absicht des Kompaniechefs war es, zunächst bis zu der durch LUNA aufgeklärten Bausperre zu „sweepen“ und zeitgleich hinter den Sweep-Kräften Gesprächsaufklärung durchzuführen.
Der erste Feuerkampf des Tages begann mit der Feuereröffnung auf die links eingesetzte und abgesessen vorgehende Panzergrenadiergruppe durch INS auf eine Entfernung von circa 100 bis 150 m. Dabei wirkte der Feind in Truppstärke über ein freies Feld auch auf die – im Zuge der Hauptverbindungsstraße vorgehenden – Hauptkräfte. Das Feuer wurde unmittelbar erwidert und der Feind wich – unter Nutzung von Bewässerungsgräben – nach Norden aus. Das weitere Vorgehen der eigenen Kräfte wurde unverändert fortgesetzt. Als sich die Hauptkräfte an die aufgeklärte Bausperre annäherten, eröffnete der als Sperrsicherung eingesetzte Feind wiederum das Feuer mit Handwaffen und RPG.
Die Sperrsicherung wurde im Zusammenwirken zwischen einem SPz Marder und einem Scharfschützentrupp bekämpft. Parallel dazu wurden die ostwärts eingesetzten Marder auf weite Entfernung mit RPG beschossen. Da der Feind, wie oftmals zuvor auch, die RPG indirekt über bebautes Gelände hinweg geschossen hat, konnten die feindlichen Schützen nicht aufgeklärt und bekämpft werden. Nach Erkundung der Bausperre wurde diese gesprengt. Im Anschluss setzte die Kompanie den Sweep als Voraussetzung für die Gesprächsaufklärung in Qara Yatim weiter fort.
Bereits kurze Zeit nachdem der südliche Ortsrand Qara Yatim genommen war, sammelten sich Teile der Bevölkerung, die – wie so oft – vor allem aus Alten und Kindern bestand. Das TPT begann unmittelbar unter Sicherung mit der Gesprächsführung. Im Laufe des Gesprächs mit einem der Dorfältesten wurde dieser durch einen Anruf auf seinem Mobiltelefon darüber in Kenntnis gesetzt, dass INS in der Ortschaft seien und ein Angriff auf die Kompanie unmittelbar bevorstehe. Diese Information gab der Gesprächspartner direkt an das TPT weiter.
Circa eine Minute nachdem die Lageinformation an die Züge und weiteren Unterstützungskräfte gegeben wurde, wirkten Feindkräfte durch massiven Beschuss auf die Spitzenteile des A-Zuges. Nachdem der Feuerkampf durch den A-Zug mit allen zur Verfügung stehenden Handwaffen geführt wurde, löste sich die Kompanie unter Überwachung durch die Flankensicherung und nunmehr zur Verfügung stehender Drohne LUNA wieder in Richtung LOC KAMINS.
Parallel zu den zuvor kurz umrissenen Teilgefechten war auch die Polizeistation Chahar Darreh durch eine weitere INS-Gruppierung Feindfeuer ausgesetzt. Solche Entlastungsangriffe wurden seitens INS regelmäßig geführt und zu einem fast berechenbaren Standardverfahren.
Durch die im Zuge der Gesprächsaufklärung gewonnenen Erkenntnisse und natürlich die Feuerkämpfe des Tages wurde der Stellenwert Qara Yatims für den Feind sehr deutlich. Die vorliegenden Hinweise und daraus gewachsene Vermutung darüber wurde Gewissheit, so dass Qara Yatim in der Folgezeit stärker in den Fokus des eigenen Interesses gerückt ist, und entsprechende Operationen von ISAF-Kräften in Verbindung mit der ANA im Raum der Ortschaft geplant und durchgeführt wurden. Auch konnten die Erkenntnisse über die zivile Lage vor Ort aktualisiert werden.
Erkenntnisse über Taktik und Absicht der INS
Zu Art, Absicht und Verhalten der INS im Einsatzzeitraum der 2./QRF 4 in Kunduz lässt sich Folgendes zusammenfassend feststellen:
Die Art und Qualität des im Raum Kunduz agierenden Feindes stellt sich örtlich unterschiedlich dar. Dabei variiert das Spektrum zwischen den sogenannten „50-Dollar-Taliban“, mit niedrigerem Ausbildungsstand und geringerer Entschlossenheit im Kampf, bis hin zu durch „Foreign-Fighters“ angeleiteten INS-Hardliner.
In den vorangegangenen Kontingenten war es ISAF-Kräften noch möglich, sich in der Tiefe des nördlichen und südlichen Chahar Darreh zu bewegen.
Dabei wurden ISAF-Kräfte durch INS räumlich und zeitlich begrenzt im Rahmen von Hinterhalten angegriffen, mindestens gestört.
Entgegen der Erfahrungen im Gefecht von Palaw Kamar muss die Mehrzahl der durch die Kompanie bestrittenen Gefechte als wenig überraschend und bisweilen vorhersehbar bezeichnet werden. So war die Bewegungsfreiheit für ISAF-Kräfte über die Dauer des Einsatzes der 2./QRF 4 in Chahar Darreh deutlich eingeschränkt. Bereits nach kurzer Zeit im Raum Kunduz war für die Kompanie klar, dass man mittlerweile auf die alten Begrifflichkeiten zurückkommen musste.
Der Feind verteidigt mittlerweile deutlich und entschieden, mit der Absicht, ISAF-Kräften das Eindringen in die Tiefe des Raumes zu verwehren. Dabei nutzte er bewährte militärische Grundsätze; so zum Beispiel Sperren in Form von Bausperren und IED, Sperrsicherungen in Form von Schützenstellungen, welche die jeweilige Sperre überwachten, und Entlastungsangriffe auf die Polizeistation Chahar Darreh. Das „Gefecht in Hinterhalten“ wurde im Einsatzzeitraum der 2./ QRF 4 durch das „Gefecht am Vorderen Rand der Verteidigung (VRV)“ abgelöst.
Zusammenfassung
Das Jägerregiment 1 war insgesamt weit über ein Jahr mit der Einsatzvorbereitung, der Einsatzdurchführung und der Einsatznachbereitung gefordert. Dies forderte alle dem Regiment zur Verfügung stehenden Mittel, personell wie materiell. Ohne die herausragende Leistungsbereitschaft der Soldaten des Verbandes hätte dieser Auftrag in seiner hohen Qualität nicht erfüllt werden können. Dies schließt ausdrücklich auch die am Standort verbliebenen Soldaten ein, die in der gesamten Zeit alle nicht einsatzbezogenen Aufträge zu erfüllen hatten. Dabei war nicht nur die einsatzbedingte Abwesenheit vieler Spezialisten und Soldaten des Stabes zu kompensieren, vielmehr mussten zusätzlich auch die wichtigen Aufträge aus dem Einsatzland sowie die Zuarbeit erledigt werden.
Der Verband war auf den schwierigen Einsatz in Afghanistan vorbereitet und konnte an dem Material, das im Einsatzland Verwendung findet, ausgebildet werden. Alle Soldaten der QRF haben durch umsichtiges und professionelles Handeln zum Erfolg im Einsatz beigetragen. Hierbei hat sich der Einsatz von „gewachsenen“, teilweise über Einsatzerfahrung verfügenden Teileinheiten bewährt. Es gilt, diese Erfahrungen für die Ausbildung der Einsatzkontingente auszuwerten und konsequent in die Ausbildung einzubeziehen.
Das Jägerregiment 1 denkt „vom Einsatz her“ und beginnt bereits jetzt die Soldaten und Soldatinnen zielgerichtet auf die wahrscheinlichen Einsätze im Jahr 2012 hin auszubilden. Besonderes Augenmerk wurde im Jägerregiment 1 auf die Betreuung der Familienangehörigen der Einsatzsoldaten gelegt. Sieben Soldaten mit Einsatzerfahrung und vier ehrenamtliche Helfer betreuten die Familien der Einsatzsoldaten über ein Jahr. Vor Einsatzbeginn wurden Informationsveranstaltungen und während des Einsatzes monatlich Familienbetreuungsveranstaltungen durchgeführt. Ziel dieser Veranstaltungen war es, die Angehörigen umfassend über die Lage im Einsatzgebiet zu informieren und sich im persönlichen Gespräch gegenseitig kennen zu lernen. Der Wunsch der Angehörigen, am Standort der Einsatzsoldaten und nicht durch eine „anonyme“ Familienbetreuungsstelle in der Nähe des Wohnortes des Soldaten unterrichtet zu werden, wurde offensichtlich.
„Seit wann hat PSYOPS einen Aufklärungsauftrag (außerhalb der allgemeinen Aufgaben im Einsatz)?“
In meiner mehrjährigen Erfahrung bei ‚PSYOPS‘ war das unser Hauptauftrag. In Züge anderer Truppengattungen eingegliedert bis zu den Dörfern vorstoßen und da dann Gesprächsaufklärung sowie ‚winning hearts and minds‘. Das mag jedoch vom Zentrum und dem Btl unterschiedlich beurteilt und gewertet werden. Letztlich geht ein guter Teil der Infos, die man von der Bevölkerung erhält auf TPTs zurück. Und ein einzelner Dorfältester, der Informationen preisgibt ist mehr wert als jede LUNA!
„Im Laufe des Gesprächs mit einem der Dorfältesten wurde dieser durch einen Anruf auf seinem Mobiltelefon darüber in Kenntnis gesetzt, dass INS in der Ortschaft seien und ein Angriff auf die Kompanie unmittelbar bevorstehe.“
Wer sagt denn, dass das nicht die INS waren?
Ich bin fleissiger Leser des blogs „Augen geradeaus“. Ich habe hier schon ein Vielfaches mehr über die Einsatzrealität der BW in Afghanistan erfahren als von der offiziellen BW-Seite. Ein großes Lob an Herrn Wiegold und natürlich alle die hier, oft sehr Sachkundig, mitdiskutieren!
Ich hab zwar bei der BW gedient war aber nie in einem Einsatz, geschweige denn in einem Gefecht. Von dem her sind gerade Berichte über Gefechte und die nachfolgende Diskussion sehr interessant. Gerne mehr davon! ich weiss, das ist natürlich von der BW-Informationspolitik abhängig.
Auch wenn sie den meisten hier schon bekannt sind, so kann man an der Stelle auch nochmal auf die beiden ziemlich gelungenen ZDF-Dokumentationen vom letzten Jahr hinweisen:
Die Afghanistanlüge (gesendet April 2010)
Der Krieg bleibt (gesendet November 2010)
@StFwdR
Kamerad, Sie gefallen mir!
Ich kann Ihr schwarzes Barett förmlich herauslesen.
:-)
Was lesen wir aus allen Lessons Learned?
1. Nur was geübt wird, funktioniert im Gefecht. Übe, wie Du kämpfst – Kämpfe, wie Du übst!
2. AUFTRAGSTAKTIK
3. Das Gefecht der verbundenen Waffen ist die hohe Kunst. Dieses muss geübt werden.
Feuerkraft – Beweglichkeit – Panzerschutz – Führungsfähigkeit
Alles nix neues ;-)
Man muß es nur dürfen und können.
Und dann?
Aber Combined Arms war in Deutschland ja schon immer beliebter als Combined Action.
Dass letztere im Bericht praktisch nicht vorkommt fand ich ehrlich gesagt ziemlich erschreckend.
Also so langsam treiben mir ihre Zitationen und Gedankengänge die Zornesröte ins Gesicht… Sie referieren hier in Gutsherrenart über die unbedingte Notwendigkeit von Diesem und Jenem und verwenden dafür unzählige Belege, die nicht selten genug mehrere Jahre alt sind und von den Ereignissen im Land schon dreimal überholt wurden.
Was soll ihrer Meinung nach eine Armee denn alles so Können, die bis vor zwei Jahren nocht nicht einmal offiziell Kämpfen durfte?! Combined Action mit einem Wikipedia-Artikel zu beginnen, der mit Masse seine Berechtigung aus dem Vietnamkrieg zieht und das Ganze dann auf die Bundeswehr im Jahre 2010/11 zu beziehen, das ist schon nahezu grotesk.
Wenn sie mehr COIN sehen wollen (was in europäischen Armeen noch nicht lange präsent ist) dann sponsern sie doch bitte endlich auch der Armee die Konzepte, Handbücher, Lehrgänge und Weiterbildungen oder machen sie dem Ministerium wenigstens ihr (anscheinend fertig ausgearbeitetes) Lösungskonzept für Afghanistan zugänglich.
Es geht nicht Alles von heute auf morgen und die Armee kann nichts dafür, das ihre Führung (und eben auch die politische, die das Geld für verzugslose Umsetzung neuer Konzepte verweigert) ein wenig beratungsresistent ist, aber vor Allem war. Und vergleiche mit den Amerikanern sind wenig zielführend, denn a.) was die sich mit den Händen aufbauen, reißen sie mit dem Arsch wieder ein, um es mal sprichwörtlich zu formulieren und b.) spielte Geld bei denen bis vor Kurzem noch keine Rolle.
@ Dominik: danke, ich kenne das so nicht, ich habe immer nur HUMINT im SP erlebt. Natürlich nimmt PSYOPS auch Informationen auf, nur wie gesagt, ich kenne diese Dimensionen wie hier geschildert nicht.
@Vodoo:
Aber unsere mil. Führung ist ja auch nicht gerade ein Treiber von COIN. Und zu den Begründungen Geld und Politik. Keines von beiden hindert die Bw daran COIN auszubilden. Papiere dazu gibt es ja – im Frühstadium. Die Politik hindert die Bw auch nicht daran laufend Leute zur COIN Academy nach Kabul zu schicken oder mehr Leute nach Oberammergau. Bisher nehmen daran Deutsche meist aus Eigeninitiative teil. Es ist eher die kalte Kriegs-Denke („wer das Gefecht der verbundenen Waffen beherrscht, kann alles“) oder ein seltsames Bild vom Einsatz („Wenn im Süden von AFG unser vernetzter Ansatz umgesetzt würde, dann gäbe es da auch weniger Probleme“).
@Memoria
„kalte Kriegs – Denke“ sorry aber da kriege ich immer die Zornesröte.
Das dies unses Späschl-Forces & Tactical-Gear-Fetischisten so (ab-)qualifizieren, obwohl bestimmte Grundlagen sich offensichtlich nie ändern werden, zeugt m:E. etwas von einer ungesunden Überheblichkeit.
Wer nicht bereit ist sich weiterzuentwickeln bleibt stehen, wer auf bewährtes nicht zurückgreift macht Fehler mehrmals. Tradition ist nicht das Aufbewahren der Asche, sondern die Weitergabe des Feuers.
Und viele Dinge im kleinen die heute als Neuerfindung gefeiert werden sind alter Wein in (teilweise) modernisierten Schläuchen.
Die Erkenntnis das nicht nur die politische Führung, sondern auch die militärische Führung nicht gerade „up-to-date“ ist, teilen wir.
@ Voodoo
Nur kurz, weil es in eine Diskussion mit dem Schwerpunkt Gefechtsführung eigentlich nicht reingehört (und von daher hätte ich mir an der Stelle diesmal einen Kommentar schenken können):
Mich regt dieses „Weiter so“ auf. Diese Annahme, dass wenn man nur die Gefechte ohne Verluste führt in Afghanistan schon irgendwie erfolgreich sein wird, die zwischen den Zeilen und in einigen Kommentaren durchsickert. Auf 2009 bezogen: Man tritt auf der Stelle, die Sicherheitslage verschlechtert sich, aber alles ist ein Erfolg und Lessons Learned: Das Gefecht der verbundenen Waffen führt zum Sieg.
Wohlgemerkt jenes 2009, in dem Journalisten vor Ort von einer Verschlechterung der Sicherheitslage und einem Erstarken der Milizen berichten, während Oberst Rohrschneider feststellt: „Ich halte das mir verfügbare Kräftedispositiv, vor allem nach Verlegung einer weiteren Infanteriekompanie auf Entscheidung des Ministers für ausreichend.“
Sie können jetzt gerne ein Hinterher-ist-man-immer-schlauer oder Als-Außenstehender-läßt-sich-sowas-leicht-sagen anbringen, haben sie ja auch nicht unrecht mit. Reden ist leichter als Umsetzen.
Aber in der Bundeswehr wird ja schlicht nicht über Probleme und Alternativen geredet, so mein Eindruck. (Und ja, ich bin nur ein Außenseiter und habe dafür nur anekdotische Belege) Da ist dann die Zusammenarbeit mit Afghanen nach X Jahren Einsatz ein total überraschendes Konzept, dass den Apparat Bundeswehr trotz ISAF-Diskurs und den Erfahrungen der Verbündeten völlig unvorbereitet trifft.
Und um jetzt einfach mal beim Reden zu bleiben: Amerikanische Soldaten haben über die Aufstandsproblematik diverse Artikel und Bücher geschrieben, alte Theorien herausgekramt, Erfahrungen festgehalten und sich heftige Diskussionen über das richtige Vorgehen geliefert, taktisch wie strategisch. (Und ja, bei den Lessons Learned ist viel zu COIN dabei, unter anderem auch Combined Arms in Afghanistan von August 2010). Von deutscher Seite wurden auch nach Jahren nichtmal die Standardwerke übersetzt, geschweige denn eigene herausgebracht. Aufstandsbekämpfung scheint schlicht kein Thema, weder pro-COIN noch contra-COIN. Da schreibt man lieber über Übungen und die „Renaissance des Kampfpanzers“ (etwa hier).
Das ist jetzt sicherlich polemisch überspitzt, und wie gesagt in einem Diskussionfaden vor allem über die Gefechtsführung wohl auch etwas fehl am Platz. Und ja, dass bei den Amerikanern auch nicht alles Gold ist was glänzt, und das zwischen Diskurs und Umsetzung teils Welten liegen, ist schon klar (nur wenn man darauf hinweist ist es dann auch gleich Anti-ISAF-Propaganda). Aber es gibt ihn immerhin, diesen Diskurs, wie man nicht nur „richtig“ kämpft, sondern auch Erfolge erzielt. Bei der Bundeswehr gilt viel zu oft: Erfolg ist wenn man „richtig“ gekämpft hat.
„You know you never defeated us on the battlefield”…
@Vodoo Entspanne er sich. Wir können das, was wir in Afg tun auch deshalb, weil wir damit schon 94/95 angefangen haben, zu üben.
@ StFwdR:
Das Beherrschen von Grundlagen wurde in der Ausbildung in den letzten Jahren ohne Zweifel vernachlässigt (siehe Offz-/Fw-Ausb und EAKK). Da sind wir uns völlig einig. Man hat aber den Wandel des Krieges ebenfalls viel zu lange verdrängt. Siehe all die NetOpFü-Fantasien der Generalität. Hier fehlt es schon an einer vernünftigen Diskussion über die Konstanten und Variablen des Krieges (Wieviele iGler haben Clausewitz gelesen?). Konsequenz sind die Struktur, Ausbildung und. Ausrüstung, die wir haben. Da gebe ich J.R. recht.
@Memoria
Die Vernachlässigung begann schon in den 90er Jahren als die „Friedensdividende“ der Beendigung des kalten Krieges von Politik & militärischer Führung gnadenlos verfrühstückt wurde.
Projekte mit absehbaren zweifelhaften Nutzen wurden neu aufgelegt oder unverändert fortgeführt. Ausbildungsinhalte wurden zusammengestrichen auf Teufel komm raus.
Die heutige Ausbildung der Unterführer ist, gelinde gesagt, ein Muster ohne Wert eine Besserung nicht in Sicht.
Der ganze NetOpFü-Kram ist doch für die Truppe auf die es ankommt Pillepalle, dort wechseln die Szenarien so schnell, das eine Verarbeitung der Info diese wieder veralten lässt. Das ist „Spielzeug“ für die Etappe und höheren Stäbe.
Was dabei gleichzeitig den einzelnen Kämpfer zugemutet wird ist schon hahnebüchen, zumal die Technik der Entwicklung immer um Jahre zurückhängt.
Von Kompatiblitätsproblemen mal ganz abgesehen.
Und letztendlich macht diese Technik auch abhängig. Sei es den ZgFhr der ohne sein GPS im Gelände nach 15 Min keine Orientierung mehr hat, oder der Kdt, der bei einem Ausfall der Elekrtronik auf 60 t. Stahl rumsitzt, weil Notbetrieb nicht mehr richtig ausgebildet wird, und nicht mehr weis was er machen soll.
Alleine bei der Diskussion um die Nachtkampffähigkeit bekomme ich ein Grausen. Können oder dürfen unsere Artilleristen keine Gefechtfeldbeleuchtung mehr schießen?
Die Erkenntnis das ein Gefecht gefährlich ist, das es neben den Einflüßen durch Beschuß bestimmt wird von Ungewissheit und Überraschung, Tod und Verwundung ist ja nicht plötzlich über uns gekommen.
Und, zumindest zu meiner Zeit war das so, die Ausbildung im kleinen, die Vermittlung der Details auf die es ankommt, die Aufgabe der Zugführer und der Unteroffiziere des Zuges war, die waren es schließlich auch die mit Ihrer Besatzung oder Zug die Hauptlast eines Gefechtes zu tragen gehabt hätten.
Und „lesson learned“ für mich war das bei einem Kontingent von z. Zt. ~4.600 Soldaten gerade mal knapp 20 % ( ~ 850 ) als „kämpfende Truppe“ eingesetzt werden können. Dies obwohl zahlreiche Aufgabe der Logistik, welche normalerweise auch Köpfe binden, an zivile Dienstleister ausgelagert worden sind.
Das dies in einem Gebiet von der Größe des RC(N) nicht funktionieren kann zeigt sich ja immer wieder äusserst eindruckvoll. Der Schilderung vom SchwarzenMann kann man einiges entnehmen, unter anderem auch das es schieres Glück war wie der Tag gelaufen ist und es keine gravierenden Verluste gab..
Man stelle sich mal die Wirkung auf die deutsche Öffentlichkeit vor, wenn die INS an diesem Tag erfolgreich gewesen wären und der Hinterhalt den Zug erwischt hätte.
Die könnte unsere grundpazifierte Gesellschaft gar nicht ertragen.
Vom Einsatz her denken bedeutet für mich in erster Linie Auswertung des Auftrages
und darauf aufbauend einen Operationsplan. Ich kann den hier aber nicht wirklich erkennen.
Und who to fuck ist Clausewitz :-) auch nichts neues, das den nicht mehr viele kennen.
Die Grundlagenausbildung wurde bereits in den achtziger Jahren nicht mehr mit der nötigen Konsequenz ( Härte) betrieben, die -vom Einsatz her gedacht- Voraussetzung für Gefechtstauglichkeit ist. Beleg dafür sei die Herazsgabe eines grünen Heftes mit dem Titel „Kriegsnah ausbilden“ (hieß später anders :-)). Wenn alles gut gewesen wäre, hätte man dieser Ausbildungshinweise wohl kaum bedürft.
Ob sich daran etwas geändert hat, mag jeder selbst beurteilen, der über aktuelle Erfahrungen verfügt. Meine Informationen lassen mich zweifeln.
Was Clausewitz betrifft, so war dder schon zu Kaisers Zeiten nicht mehr Pflichtlektüre, bzw. wurde als völlig überholt bewertet (Ludendorff). Ob das richtig war, kann angesichts der verhängnisvollen Folgen der daraus resultierenden Trennung von Politik und Militär („Nur Soldat“) wohl mit einigem Recht bezweifelt werden.
Viel interessanter wäre aus meiner Sicht derzeit die Frage, wieviel Stabsoffiziere (und Politiker!!) Kilcullen gelesen (und verstanden..) haben. Für meine Generation (51. OAJ) war der „kleine Krieg“ (um bei Clausewitz zu bleiben) jedenfalls kein großes Thema -von COIN ganz zu schweigen. Selbst in der Jägertruppe haben wir uns allenfalls beim Thema „Jagdkampf“ einmal diesen Bereichen genähert.
Mein Vorschlag -nach meiner Teilnahme am „stage commando“ im CEC 7 1984- die entsprechenden Ausbildungsabschnitte aus dem GAP der Bw in ähnlicher Weise zusammenzufassen, ruht wahrscheinlich irgendwo im Archiv (oder ist längst geschreddert). Da gibt es wohl noch einiges zu tun.
Erklär dennen erst mal was ein GAP ist :-)
Das grüne Heft hatte eher ein „braunes“ Problem, erzählte es doch von Papi`s Wehrmacht ;-)
Stop, hier wird gerade an der Realität vorbei geschrieben:
„Kriegsnah ausbilden“ wurde als Hauptgrund deshalb geschrieben, weil die Zahl der ausbildenden Kriegsteilnehmer gegen Null gesunken war – damit dieses teuer erkaufte Wissen nicht verschütt geht, verfasste man eine Ausbildungshilfe, um nachfolgenden Generationen etwas an die Hand geben zu können.
Mittlerweile (bzw. schon lange) heisst das Buch politisch korrekt „Einsatznah ausbilden“, denn Krieg darf (durfte) man ja nicht sagen. Es ist unverändert im Vorschriftenfundus der Bw und wurde z.B. in meiner Kompanie als Aubildungsvorbereitung genutzt. Das Problem: Jüngere Dienstgrade kennen es schlicht einfach nicht mehr. An den Truppenschulen oder auf Lehrgängen weist man sie nicht mehr auf diese Ausbildungshilfe hin.
Und ein „braunes“ Problem hatte das Buch nie, da es frei von jedweder politischer Äußerungen ist und sich nüchtern geschrieben auf das Handwerkszeug des Gefechtsdiensts ALLER Truppen bezieht. Ich schlage vor, sie vermeiden solche unzutreffenden Bemerkungen, denn sonst könnten aussenstehende leicht einen falschen Eindruck gewinnen.
@Voodoo:
Andere haben/hatten aber ein Probelm damit:
Verteidigung/Kleine Anfrage – 22.05.2009
Berlin: (hib/AW) Die Linksfraktion verlangt Auskunft von der Bundesregierung über den Umgang mit Ausbildungsbüchern und Liedgut der Bundeswehr, in denen laut Presseberichten die Wehrmacht verherrlicht wird. In ihrer Kleinen Anfrage (16/12953) bezieht sich die Fraktion auf Berichte des ARD-Magazins „Kontraste“ vom 9. und 30. April. So seien in den Büchern „Einsatznah ausbilden“ und „Üben und Schießen“ Originaltexte aus der Wehrmacht enthalten, die dazu gedacht seien, „Soldaten in Kampfstimmung zu versetzen“.
Das zu bearbeiten hat wieder Zeit und Kräfte gekostet, die an anderer Stelle dringender gebraucht würden…
Da haben aber die Reichsbedenkenträger von REPORT zur besten Sendezeit einen anderen EINDRUCK vermittelt. Ich find nur den Link grad nicht ist aber bei YT.
Nachdem ich aus dem Lachen herausgekommen bin (belustigter Wink an Herrn Schäfer, MdB, NRW), wundere ich mich, das wir nicht auch schon mal darüber nachgedacht haben, die Flecktarnuniform zu verbieten, denn die wurde ja in der Waffen-SS auch schon in ähnlicher Form getragen! Skandal!
Nach kurzer Recherche scheint festzustehen, das die Bundesregierung keinen Grund sieht, die Ausbildungshilfe abzuschaffen / zu verbieten. So wie übrigens seinerzeit in der Ära Kohl, als „Kriegsnah ausbilden“ kritisiert wurde… Also noch nicht einmal eine originelle und neue Idee vom linken Flügel.
Ja, wie damals, viel Wind um nix, aber die Öffentlichkeit die es registriert hat ist schockiert ob der vermeintlichen Umtriebe ;-)
War seinerzeit ganz lustig, rin – raus – rin -raus – rin inne Kartoffeln ;-)
Zurück zum Thema: Die Diskussion um Ausbildungsmängel im Sinne einer Diskrepanz zwischen Standort-/Friedensausbildung und Einsatzrealität ist wohl ebenso alt wie das Militär. So hat auch die Wehrmacht bis Kriegsende „nach eigenen Angaben“ nicht vermocht, die Erfahrungen des Krieges in entsprechende Vorschriften (statt „Merkblätter“) zu fassen bzw. die Ausbildung in den „Heimatstandorten“ entsprechend zu verbessern. Vermutlich wird dies auch der Bundeswehr nicht gelingen, die einer weitaus dynamischeren Entwicklung der Einsatzrealität gerecht werden muß. Ebenso wie beim Thema Ausrüstungsmängel ist hier die (Improvisations-)Fähigkeit aller Soldaten und Führungsebenen entscheidend für den Erfolg im Gefecht. Hoffen auf andere (Politik, Industrie) führt nicht weiter.
@Steiner
Deshalb ist die Politik aber nicht als gottgegeben hinzunehmen.
Ansonsten haben Sie recht, das Talent die Entschloßenheit und der Mut des einzelnen sind es die in der Summe ein Gefecht entscheiden.
Einsatznah ausbilden
Habe 2009 den Fw-Lehrgang Reserve kurz gemacht. Dort wurde uns gesagt, dass dieses Heft nicht mehr zu verwenden sein. Es käme was neues, ohne Wehrmacht.
So die Kurzfassung.
@ Thomsen:
Kleiner Nachtrag:
„Um eine Zielgruppe zu beeinflussen, ist es notwendig über ein entsprechendes Wissen über die Zielgruppe sowie vor allem über Empathie (sich in die Lage eines anderen Menschen versetzen und mit diesen mitfühlen können; Anm.) zu verfügen. Um die Zielgruppe(n) jedoch tatsächlich nachhaltig zu beeinflussen, muss man den Kontakt zur einheimischen Bevölkerung suchen. Nur durch diesen kann man ein Lagebild darüber erstellen was „auf der Straße“ tatsächlich gedacht und gesprochen wird. Entsprechende Grundlagen und Planungen gemäß den Vorgaben der laufenden Operationen des HQ ISAF liefern die Basis für gezielte PSYOPS-Kampagnen (z. B. positive Werbung für die Teilnahme an landesweiten Wahlen als operative PSYOPS). Zusätzliche, in ganz Afghanistan eingesetzte vorgeschobene Medien-Teams (Forward Media Teams, FMT), aber auch taktisch eingesetzte PSYOPS-Teams (Tactical PSYOPS-Teams, TPT) der CJPOTF selbst, versuchen im persönlichen Kontakt und mittels Übersetzer (Face to Face, F2F) zu kommunizieren, um mögliche Ansatzpunkte für eine Kampagne zu erkennen. Aus dem Ergebnis der Kommunikation, der Beurteilung von Möglichkeiten die Bevölkerung zu erreichen und der Planung des tatsächlichen Einsatzes vor Ort werden schließlich PSYOPS-Produkte (Radiospots, Flugblätter usw.) der Combined Joint Psychological Operations Task Force entwickelt.“
Quelle: Bundesheer (Österreich)
Dabei werden dann natürlich auch allgemeine Lageinformationen ermittelt.
MfG
http://www.bmlv.gv.at/truppendienst/ausgaben/artikel.php?id=1040