Somalias Piraten verursachen Kosten von 7 Milliarden Dollar – pro Jahr
Noch ein Hinweis zur Piraterie am Horn von Afrika, ehe heute der Wehrbeauftragte mit seinem Jahresbericht und damit Bundeswehr-Themen in den Mittelpunkt des Interesses rücken: Die Aktionen der Seeräuber kosten nach Einschätzung eines UN-Sonderbeauftragten mehr als sieben Milliarden US-Dollar – pro Jahr. Dabei eingerechnet sind unter anderem die Militäreinsätze, die erpressten Lösegelder, verlorene Ladungen und höhere Versicherungsprämien.
Zu dieser Einschätzung kommt der frühere französische Minister Jack Lang in einem Bericht für den UN-Sicherheitsrat, der heute in dem Gremium debattiert wird. Als einen Weg, das Problem anzugehen, schlägt Lang einen Gerichtshof vor, aber nicht (wie bisher schon einige) einen internationalen Gerichtshof, sondern einen unter somalischer Gesetzgebung, der in einem anderen Land angesiedelt werden sollte.
Lang schlägt nach einem AFP-Bericht zudem vor, die internationalen Marineeinheiten am Horn von Afrika sollten dichter vor den bekannten Piraten-Stützpunkten an der Küste operieren. Und: wirtschaftliche Anreize sollten verhindern, dass sich junge Somalis dem einträglichen Piratengeschäft anschließen. Wenn die internationale Gemeinschaft nicht sehr schnell reagiert, wird die Piratenwirtschaft vor der Küste Somalias weiter florieren, bis es zu spät ist, sie zu stoppen.
Den UN-Bericht selbst habe ich online noch nicht gesehen; vermutlich wird er aber im Lauf des Tages zu finden sein.
Ergänzung, damit man es im Hinterkopf behält: „Over 40 percent of the world’s seaborne oil supply now passes through waters at high risk from pirate attack.“
Piraten begingen 2010 auch 1181 Fälle von Menschenraub und acht Morde (wenngleich vermutlich nicht alle bei Somalia).
http://www.bbc.co.uk/news/world-africa-12214905
„Wirtschaftliche Anreize sollten verhindern, dass sich junge Somalis dem einträglichen Piratengeschäft anschließen“
Und wieder eine super Idee von unsere „Piraterieexperten“. Würde man sie umsetzen, gäbe es zwar nicht weniger Piraten, aber es würde ggf. etwas teurer diese anzuheuern, so dass man im Falle eines sehr unwahrscheinlichen „Erfolgs“ die Lösegeldforderungen indirekt in die Höhe treiben würde.
7 Milliarden Euro an Schaden durch moslemische Piraten. Ein schier unglaublicher Vorgang.
Zahlen die Piraten Schutzgelder an europäische Polit-Gangster, um der adäquaten Bekämpfung zu entgehen ?
Sonst hieße es doch in jedem Fall: „Feuer frei !“ auf die „Piraten“. Ohne wenn und aber….
@bundespopel
Es sind alles andere als moslemische Piraten, im Gegenteil, die haben mit vorgeschobener oder tatsächlicher Religiosität nichts am Hut, und die islamistischen Milizen sind ihr erklärter Gegner. Das auf diese Formel zu reduzieren, geht deshalb ziemlich an der Sache vorbei…
Kann mal jemand erklären warum man gekaperte Schiffe auf hoher See nicht einfach entern kann (sofern die Besatzung sich in Sicherheit gebracht hat) und die Piraten, die sich nicht sofort ergeben, kampfunfähig schießen oder ggf erschießen kann ?
Ein finaler Rettungsschuss gibt es bei Geiselnahmen in einigen Polizeigesetzen im Inland. Warum sollte dies auf internationalen Gewässern mit internationalen Recht nicht möglich sein ?
Soweit ich weiß, gibt es auf Völkerrechts- bzw. UN-Rechtsbasis einen Artikel wonach jede Nation mit Freibeutern auf den Meeren anstellen kann, was sie will oder für Recht befindet.
Also warum müssen die Schiffsentführer so mit Samthandschuhen angefasst werden, als wären es Jugendliche auf der Straße, die alten Frauen die Handtaschen entreißen ?
Die Wochenzeitung hat einen Artikel über die Piraten als regionalen Wirtschaftsfaktor, und den damit einhergehenden Rückhalt der Piraten in der Bevölkerung.
@T. Wiegold
„Es sind alles andere als moslemische Piraten, im Gegenteil, die haben mit vorgeschobener oder tatsächlicher Religiosität nichts am Hut, und die islamistischen Milizen sind ihr erklärter Gegner. Das auf diese Formel zu reduzieren, geht deshalb ziemlich an der Sache vorbei…“
Die Bezeichnung als „muslimische Piraten“ ist analytisch wenig hilfreich, aber ganz losgelöst von religiös-politischen Aspekten ist das Thema dann auch wieder nicht. Die Gegnerschaft zwischen Piraten und Milizen ist z.B. eher clanbasiert und nicht weltanschaulich. Andernorts (für Somalia bislang nicht belegt) gibt es Kooperation zwischen Islamisten und kriminellen Gruppen, bei der die Islamisten Gelder von den Kriminellen beziehen und die Kriminellen sich ein ideologisches Mäntelchen umhängen und geduldet werden. Letzteres dürfte relevant werden, wenn die Shabaab weiter nach Norden vordringen. Für die Piratenführer könnte es durchaus attraktiv sein, sich als Seemiliz eines künftigen „Bilad Hijratain“ darzustellen.
Freigelassene Besatzungen berichten, dass Osama Bin Laden und Al-Qaida unter den Piraten so populär sind wie unter vielen jungen muslimischen Männern am Horn von Afrika üblich. Auf Mobiltelefonen seien z.B. die üblichen Propagandavideos weit verbreitet gewesen. Die Piraten erscheinen zwar nicht als strenggläubige Salafis, aber grundsätzliche weltanschauliche Aversion gegen diese scheint es nicht zu geben.
Die Islamisten dürften auch ein Interesse an anderen Diensten der Piraten haben, von Transport zwischen Jemen und Somalia bis hin zu Mobilität auf See z.B. zur Durchführung von Anschlägen. Hier beginnen die Interessenkonflikte, denn wenn Piraten internationalen Terrorismus unterstützen, dann dürften die Hemmschwellen deutlich sinken, ihre Aktivitäten mit Luftangriffen gegen Landziele innerhalb von wenigen Tagen zu beenden.
Dass die Piraten-Aktivitäten aus der Luft zum Erliegen gebombt werden könnten wäre noch zu beweisen. (Gegenbeispiele wären ja mit Irak und Afghanistan gegeben.)
Ganz im Ernst, wie stellt man sich das vor: Mit Kampfbombern jedes Fischerboot und jeden Gangster mit ’ner AK wegbomben? Und wo sollen bitte die Informationen herkommen – die internationale Gemeinschaft hat den Somalis nicht viel zu bieten, im Gegensatz zu den Verbrecherbossen, die vor Ort sowohl eine Macht als auch eine Geldquelle sind.
Das wäre allein die „operative“ Seite. Ob von internationaler Seite wirklich die Bereitschaft existiert, von Lösegeldzahlungen hin zu hingerichteten Geiseln und versenkten Schiffen zu eskalieren darf bezweifelt werden.
@J.R.
„Dass die Piraten-Aktivitäten aus der Luft zum Erliegen gebombt werden könnten wäre noch zu beweisen. (Gegenbeispiele wären ja mit Irak und Afghanistan gegeben.) Ganz im Ernst, wie stellt man sich das vor: Mit Kampfbombern jedes Fischerboot und jeden Gangster mit ‘ner AK wegbomben?“
Die Piraten sind ja keine Aufstandsbewegung und ihre Bekämpfung setzt nicht Kontrolle der Fläche eines Landes voraus. Militärisch ist das Piratenproblem daher relativ leicht lösbar, wenn man von Risiken für Geiseln absieht.
Die Piraten operieren gestützt auf eine physische und personelle Infrastruktur, die u.a. aus der Luft bekämpfbar ist. Die Basen an Land sind z.B. bekannt und aufgrund der Seebewegungen auch nicht schwer aufklärbar. Momentan gilt das Risiko der Bekämpfung der Infrastruktur an Land wohl u.a. aufgrund der mehreren hundert Geiseln noch als zu hoch, aber das könnte sich ändern, wenn die Piraten weiter eskalieren, z.B. durch Unterstützung militanter Islamisten.
Man könnte dann z.B. ein Piratennetzwerk identifizieren, welches selbst gerade keine oder relativ leicht befreibare Geiseln hat und in einem ersten Schritt koordiniert Geiseln dieses Netzwerks befreien und Ziele an Land vernichten. Es handelt sich bei den Piraten ja nicht um eine große Organisation, die zusammenhängend agiert. Ein Netzwerk dürfte kaum motiviert sein, seine Interessen für ein anderes Netzwerk zu opfern, indem es als Reaktion auf ein solches Vorgehen wertvolle Geiseln tötet und sich damit zum Ziel macht. Man hätte dadurch keinen Nutzen und nur Schaden. Daher ist solches z.B. bei französischen Aktionen an Land in der Vergangenheit nicht passiert. Die geringe Wahrscheinlichkeit, dass dies doch geschieht, könnten bestimmte Staaten im Fall einer Eskalation in Kauf nehmen.
Von deutschen „Piraterieexperten“ werden sie dazu außer den üblichen Sprüchen über Raubfischerei und Nation Building öffentlich natürlich nichts hören. Für die ist Pirateriebekämpfung am HoA ja bekanntlich nur als Fortsetzung globaler Sozialpolitik denkbar.
Ich seh halt eher die Parallelen zu Verbrecher-Syndikaten mit Rückhalt in der Bevölkerung. Die Einnahmequelle sind hier halt Entführungen.
Die dafür nötige Infrastruktur ist vergleichsweise simpel: Boote und Waffen. Beides hat es in einem Bürgerkriegsland an der Küste zuhauf. Bisher machen es sich die Piratensyndikate vielleicht noch bequem (warum auch nicht – von der „Regierung“ haben sie nichts zu befürchten, und die Geiseln reichen derzeit als Abschreckung ausländischen Militärs), aber das kann sich schnell ändern.
Die somalischen Piraten sind da glaub durchaus mit den Syndikaten in Lateinamerika vergleichbar. Da haben sich die Hoffnungen, diese zu „enthaupten“ oder gegeneinander Ausspielen zu können auch schnell zerschlagen.
Von daher sollte man sich schon fragen, welche Optionen die Gegenseite, wie weit eine Eskalation gehen kann, und ob man bereit ist diese in Kauf zu nehmen.
Daher mal einfach umgekehrt gefragt: Was unterscheidet die somalischen Piraten von einer „Aufstandsbewegung“?
@J.R.
„Die dafür nötige Infrastruktur ist vergleichsweise simpel: Boote und Waffen. Beides hat es in einem Bürgerkriegsland an der Küste zuhauf. “
Grundsätzlich ja, aber es ist tatsächlich so, dass die Piraten identifizierbare Stützpunkte betreiben. Zudem ist der Piraterieprozess (Entführung, Festhalten des Schiffes, Verhandlungen) z.T. von Spezialisten abhängig, die in Somalia begrenzt vorhanden sind. Die Führer der einzelnen Piratennetzwerke sind in der Bevölkerung zudem bekannt und wichtige Personen in diesen Netzwerken fallen dem Vernehmen nach auch deutlich auf.
Eine Bekämpfung der Piraten müsste diese Netzwerke nicht vollständig zerschlagen, um Wirkung zu erzeugen. Es würde vermutlich um die Erhöhung des Risikos für Piraten oder bestimmten Verhaltens der Piraten durch Abschreckung gehen. Man könnte z.B. inoffizielle „rote Linien“ definieren, deren Überschreiten Bestrafung nach sich ziehen würde. Kollaboration mit militanten Islamisten ist vermutlich z.B. auf Seiten der USA so eine rote Linie.
Die in Deutschland diskutierten Konzepte sind untauglich, weil jede potentielle Regierung oder Verwaltung (auf „Schaffung eines stabilen Umfelds“ etc. setzen die meisten Konzepte) zwangsläufig durch die Piraten korrumpiert würde, selbst wenn die riesigen Hürden bei der Bildung einer funktionierenden lokalen Verwaltung (würde auch im Idealfall zu lange dauern und nicht ohne risikoreichen Militäreinsatz am Boden mit allen seinen Folgeproblemen gehen) überwunden werden könnten.
„Was unterscheidet die somalischen Piraten von einer “Aufstandsbewegung”?“
Die Piraten wollen kein Land kontrollieren und sind als Akteur ganz anders organisiert als eine Aufstandsbewegung, woraus sich spezifische Stärken, aber auch Verwundbarkeiten ergeben. Die Netzwerke dürften immun gegen das ganze COIN-Repertoire sein (welches jetzt in der deutschen Diskussion angekommen ist, die es mit der üblichen Verengung auf seine EZ-Aspekte darauf anwenden will) und sind eher verwundbar für Vorgehensweisen, die sich in verschiedenen Situationen bei der Bekämpfung von kriminellen oder terroristischen Netzwerken bewährt haben.