Lesestoff: Die Afghanistan-Umfrage
Ich bin derzeit mit dem wackligen Mobilfunknetz im ICE auf der Rückreise nach Berlin operativ etwas eingeschränkt, deshalb nur der Lesehinweis auf die (schon gestern veröffentlichte) Afghanistan-Umfrage von ARD, ABC, BBC und Washington Post:
Das Ansehen des Westens ist so schlecht wie nie
und vor allem der für Deutschland interessante besondere Blick auf den Norden:
Deutschland hat sein gutes Ansehen eingebüßt
Gerade die wachsende Kritik an Deutschland muss man sich mal näher anschauen – die ARD führt das in erster Linie auf das stärkere militärische Engagement zurück. Bei erster Durchsicht der Umfrage habe ich allerdings eher den Eindruck, Haupt-Kritikpunkt ist die miese und vor allem nicht besser werdende wirtschaftliche Situation der Bevölkerung, nicht das militärische Engagement (bzw. dieses Engagement wird als Vorrang für die Operationen und geringere Berücksichtigung des wirtschaftlichen Aufbaus verstanden).
Die Umfrage bei der BBC: Afghan support for attacks on NATO rising – poll und die Umfrage als .pdf hier.
Nachtrag: oh weh, ich sehe schon, das wird spaßig. Wenn ich nur diese beiden Zitate aus den Berichten/Auswertungen vergleiche:
ARD: Neun Jahre nach dem Sturz des Taliban-Regimes hat das Ansehen des Westens in der afghanischen Bevölkerung ein Allzeittief erreicht. Nicht einmal mehr jeder dritte Afghane bewertet das Engagement von USA und NATO positiv, während zwei Drittel der Bevölkerung den Verbündeten ein negatives Zeugnis ausstellen.
BBC: But support for foreign involvement in Afghanistan is still very strong – with 63% saying they back the presence of US forces and 54% supporting Nato/Isaf. Just 11% expressed support for Taliban fighters.
Und das soll die selbe Umfrage sein?
Hier gibts übrigens die Umfrageergebnisse als PDF: http://bbc.in/i5XkbD
@T.W
Selbiges Gefühl beschleicht mich auch, wenn ich den Artikel lese.
Umfragen in Afghanistan sind ein sehr schwieriges Thema. Schon das Konzept als solches setzt u.a. Bedingungen voraus, die in Afghanistan nicht unbedingt gegeben sind und unterstellt, dass Individuen a) eine individuelle Meinung haben, b) diese Rückschlüsse auf Trends im Land zulässt und c) es einen Zusammenhang zwischen den geäußerten Ansichten und den Problemwahrnehmungen der befragten Personen gibt.
Man könnte seitenweise Gründe dafür anführen, warum Umfragen dieser Art nur wenig Sinn machen. Der wichtigste ist m.E., dass die Meinung eines individuellen Afghanen meist völlig unmaßgeblich ist und die Frage danach oft auch gar nicht verstanden wird oder die Antwort sich an sozialen Erwartungen orientiert. Auch das Konstrukt „die Afghanen“ ist wenig relevant. Das ist so, als hätte man im Zweiten Weltkrieg „die Europäer“ zu ihrer Meinung gefragt.
Einige, die sich beruflich mit solcher Forschung in Afghanistan beschäftigen, führen u.a. aus den genannten Gründen gar keine Umfragen mehr durch sondern verlassen sich eher darauf, was die Leute auf dem Markt, in der Teestube oder beim Warten auf den Bus im Gespräch äußern. Auch unter diesen Bedingungen müssen Dutzende Faktoren bewertet werden: Wer äußert sich? Wer hört ihm noch zu und wer stellt die Frage? Wo kommt der Befragte her? In welcher Beziehung bzw. Vertrauensverhältnis steht er ggf. zum Befrager? etc. etc.
Ernsthaft problematisch sind die Bewertungen der ARD: Selbst wenn man den Zahlen glaubt und diese für relevant hält, geht aus ihnen kein Grund für bestimmte Trends hervor, z.B. für die zurückgehende Beliebtheit Deutschlands. Dies mit der Beteiligung an bestimmten Operationen zu begründen, ist zumindest gewagt. Genausogut könnte der Grund die schwächere Rolle der Bundeswehr im Vergleich zu den Amerikanern oder die Enttäuschung über die häufig der Bundeswehr angelastete negative Entwicklung der Sicherheitslage sein. Offenbar ist man bei der ARD der Ansicht, dass militärische Operationen grundsätzlich unbeliebt seien, was aber bei wesentlichen Bevölkerungsgruppen im Norden so nicht der Fall ist, die der Bundeswehr eher Passivität vorwerfen.
Mit zunehmendem Engagement der Amerikaner im Norden ist diese Entwicklung keine große Überraschung. Ich vermute, dass weiterhin ISAF als Ganzes wahrgenommen wird und die Bevölkerung größtenteils nicht differenziert.
Interessanter, als diese Umfrage zu veröffentlichen wäre mal eine Übersicht, wieviel Geld nach Kabul gepumpt wird und welche Unternehmen aus den Industrienationen nachhaltig in ruhigen afghanischen Gebieten investieren.
Es gibt in Afghanistan noch einige Bereiche, in denen noch Menschen leben, die noch nie von den Deutschen in ihrem Gebiet gehört haben…
Wegen der militärischen Durchsetzung sinkt das Ansehen der Bevölkerung gegenüber Deutschlands sicherlich nicht-die meisten Menschen dort sind sogar froh, wenn endlich aktiv vorgegangen wird, anstatt immer nur „Sitzkreise“ zu veranstalten.
Was die Afghanen aber leid sind (und diese Aussage stammt von mehreren afghanischen „locals“ in voneinander weiter entfernten Dörfern), ist dieses ständige „Gerede“, ohne das etwas folgt-das hat die Bundeswehr nämlich gut drauf.
Beispiel „Entschädigung bei Kollateralschäden“.
Während andere Länder solche Angelegenheiten mit „Sachspenden“ regeln, die sofort, spätestens aber in 1-2 Tagen das Gebiet erreichen, hält die Melkkuh Deutschland immer schön die Geldbörse auf-und dieses Geld fließt gleich wieder in den Drogenanbau oder den Terrorismus (natürlich nicht zu 100%, aber immerhin)…
Sprich: von den meisten „Reparationen“ der Deutschen bleibt den Dörfern recht wenig übrig (dies rechnen die zivilen Organisationen übrigens gerne mal „schön“).
Das Übliche:
Eine Umfrage, drei Leser der Umfrage, acht Meinungen darüber … und da ist alles drin.
Umfragen sind halt der Stoff, aus dem die Meinungen gemacht werden.
Also, nicht so ernst nehmen.
Mein Eindruck ist, dass bei der Einschätzung der Umfragen besonderer Wert auf die Veränderung der Werte gelegt wird, nicht so sehr auf die Werte an sich. (Was gewissermaßen auch aussagekräftiger ist.)
Und dort fand gerade für den Norden eine deutliche Verschlechterung statt, die auch wesentlich stärker ausfiel als im Rest Afghanistans (und gerade für Helmand gab es ja auch eine deutliche Verbesserung).
Wenn man sich Umfrage anschaut, dann sind die wesentlichen Puntke wohl:
– Die Einschätzung ist insgesamt immer noch verhalten optimistisch
– Die afghanishen Akteuere werden geringfügig besser eingeschätzt, trotzdem glauben wohl immer mehr, dass man an einer Verhandlungslösung mit den Taliban nicht mehr herumkommt.
– Das Vertrauen in die ausländischen Helfer nimmt ab, und zwar schnell und stetig. Dabei glaub weniger wegen grober Patzer, sondern schlicht weil sie als weitgehend wirkungslos eingeschätzt werden. Die Entwicklungshelfer als korruptionsfördernd und ineffizient, die ISAF weitgehend mit sich selbst und ihrer Sicherheit beschäftigt.
Das was hier als „Fortschritte“ der Bundeswehr wahrgenommen wird scheint sich im Sicherheitsempfinden der Afghanen nicht niederzuschlagen.
– Die wirtschaftliche Lage der Bevölkerung verschleichtert sich – geringfügig. Aber sie war schon immer mies, es ist letztlich Kleinkram, gerade nach westlichen Maßstäben. Die Hälfte der Haushalte lebt von unter 100$ im Monat – das ist selbst für afghanische Verhältnisse zu wenig um über die Runden zu kommen.
Die Afghanen sehen einfach, über welche Beträge hier gesprochen wird, und was bei ihnen ankommt. Sich dann für dumm verkauft und ausgenutzt zu fühlen ist mehr als verständlich.
Fazit:
Die ausländischen Akteuere scheinen ihren Nimbus als Hoffnungsträger zu verlieren, die Afghanen fühlen sich in weiten Teilen des Landes auf sich allein gestellt. Was das angeht sind sie noch verhalten optimistisch, auch wenn die Ausgangslage harsch ist und sich trotz Milliardenaufstockungen langsam aber stetig verschlechtert.
Vielleicht erinnert sich der eine oder andere noch an die selbe Umfrage vom letzten Jahr, die entgegen aller Erwartungen überraschend positiv ausfiel. Manches pendelt sich dann halt wieder ein.
Hinsichtlich des Nordens sei eine Anmerkung gestattet. Die Umfrage unterscheidet zwischen Nord (Faryab, Jowzjan, Sar-e Pul, Balkh und Samangan) und Nordost (Kunduz, Baghlan, Takhar und Badakshan). Für den Norden in diesem Sinne hat sich in der Tat die Einschätzung der örtlichen Lage bei den Befragten negativ verändert. Im Nordost, und damit in dem Gebiet, in dem die Bundeswehr tatsächlich operiert, zeigt sich die Einschätzung der örtlichen Bedingungen unverändert. Das ist dann doch ein deutlicher Widerspruch zumindest zu den Schlagzeilen mancher deutscher Medien.
Viele Afghanen – zumindest auf dem Land – haben gar kein Interesse und kein Wissen über die Gesamtlage. Bei den gebildeten Leuten in den Städten ist das zum Teil anders. Aber die ländliche Bevölkerung interessiert sich nur für sich, nur für ihre Familie und nur für ihren Clan. Wenn die Nachbarn zu einem anderen Clan gehören, sind das schon Feinde.
Daher geht es ihnen tatsächlich in erster Linie um ihre direkte wirtschaftliche Situation. Das ist der Grund weshalb kleine Verbesserungen vor Ort eine relativ große (aber nicht weitreichende) Wirkung entfalten können.
Noch mehr Interpretationsversuche:
http://www.weeklystandard.com/blogs/poll-surge-has-improved-security-afghanistan_521941.html
Es gibt viel bessere Indikatoren für die Stimmung in der Bevölkerung. Wohlhabendere Afghanen bringen z.B. dem Vernehmen nach verstärkt ihr Vermögen und ihre Angehörigen ins Ausland. Zu den wohlhabenden Afghanen gehören auch die, die den wachsenden Asylantenstrom aus dem Land bilden. Die Zahlen weisen einen steigenden Trend auf (http://www.unmultimedia.org/radio/english/detail/92644.html).
Im Gespräch hört man, dass die Wahlen vergangenes Jahr, die sich nur noch um Rückzug drehende internationale Diskussion und die Bankenkrise etc. das Vertrauen in einen Erfolg der Regierung und ihrer Unterstützer noch weiter beschädigt haben.
@S.W.: Umfragen sind in Afghanistan in der Tat ein Problem, lassen sich aber sehr wohl mit ausreichender Vorbereitung, einem sehr gut geschulten Polling Team, einer ausführlichen Begründung des Mehrwerts für Afghanistan plus der Zusicherung der Anonymität durchführen, kurz: wer westeuropäische Standards an quantitative Datenerhebungen in Afghanistan durchsetzt, kann auch mit guten, auswertbaren Ergebnissen arbeiten. Meiner Meinung nach sind da die Erhebungen der Asia Foundation am hochwertigsten (die Daten der ARD/ABC/BBC-Umfrage bieten dagegen durchaus Kritikpunkte an der Methodik). Ich würde auf quantitative Daten (in Ergänzung zur Gesprächsaufklärung) nicht verzichten wollen.
Ich bin ehrlich. Ich hab nur bis zu dem Satzteil „Haupt-Kritikpunkt ist die miese und vor allem nicht besser werdende wirtschaftliche Situation der Bevölkerung“ gelesen :)
Tja. Da müssen die Afghanen schon selber den größten Teil leisten, sonst haben sie eh keinen langfristigen Erfolg. Immer wieder schimmert eine dezente „Gib mir“-Mentalität durch. Aber das kennen wir ja.
Zu Umfragen: Laut hier zitierter Umfrage
http://www.zeit.de/politik/ausland/2010-11/afghanistan-nato-terror
wissen 92% der Afghanen nichts vom eigentlichen Grund für den Krieg.
Ist natürlich schlecht, ne.