Evangelische Kirche: Weiter Skepsis gegenüber Afghanistan-Einsatz
Die frühere Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, Margot Käßmann, ist – außer mit den Umständen ihres Rücktritts – vor allem mit einer Aussage einer breiten Öffentlichkeit im Gedächtnis geblieben: Nichts ist gut in Afghanistan.
Wie sehen Ihre Nachfolger in der EKD das? Vielleicht nicht so weitgehend nichts ist gut, aber nach wie vor skeptisch. Wie der neue Ratsvorsitzende der EKD, Nikolaus Schneider, heute vor der Synode in Hannover:
In Afghanistan töten und sterben deutsche Soldaten. Quer durch alle Parteien und gesellschaftlichen Gruppen wie auch in unserer Kirche haben wir nach möglichen Rechtfertigungsgründen für militärische Gewalt gefragt. Die Friedensdenkschrift der EKD „Aus Gottes Frieden leben – für gerechten Frieden sorgen“ bindet den Einsatz militärischer Gewalt an „Recht-schaffende“ und „Recht-erhaltende“ Gewalt. Darüber hinaus fordert unsere Denkschrift aber für jeden militärischen Einsatz klare Zielsetzungen, ein umfassendes Konzept und eine Ausstiegsstrategie. Deren Fehlen stellt die ethische Legitimation des Einsatzes in Afghanistan in Frage.
Und grundsätzlich gilt angesichts des Umbaus der Bundeswehr und des Aussetzens der Wehrpflicht: Nicht nur im Parlament, sondern in der ganzen Gesellschaft und auch in unserer Kirche ist der aktuelle Diskurs über Rolle und Auftrag der Bundeswehr im In- und Ausland intensiv zu führen.
An der Stelle unterscheidet sich die Kirche nicht von der übrigen gesellschaftlichen (und, teilweise, politischen Debatte): Klare Zielsetzungen, ein umfassendes Konzept und eine Ausstiegsstrategie. Ist doch eigentlich nicht zu viel verlangt. Der Streit wäre jetzt: hat die Politik das schon geliefert?
Der Teil von Schneiders Rede, der sich mit Afghanistan befasst, hier auch noch mal zum Nachhören. Und dazu die Anmerkung: Zu seinen vorangegangenen Worten zur Atomkraft gab es spontanen Applaus. Nach dem Afghanistan-Teil habe ich den nicht etwa weggeschnitten – es gab keinen.
(Der übliche iPad/iPhone-Service – der Direktlink: http://audioboo.fm/boos/213292-ekd-schneider-zu-afghanistan
Die Forderungen der EKD sind bloße rhetorische Nebelkerzen. Ich glaube nicht, dass die AktvistInnen der EKD positiv reagieren würden, wenn es den Herausforderungen angemessene „klare Zielsetzungen und ein umfassendes Konzept“ gäbe. Wie würden diese Zielsetzungen und Konzepte zur Bekämpfung transnationaler militant-islamistischer Netzwerke denn wohl aussehen? Hier würde es im Idealfall doch nicht um interreligiösen Dialog gehen, in dem die EKD lustvoll ihre Schuld für die Kreuzzüge etc. bekennen könnte, sondern um Operationen in völkerrechtlichen Grauzonen, bei denen feindliche Kämpfer in diversen Regionen der Welt getötet, gefangengenommen und verhört würden.
In der Tat. Klare die Lage schildernde Worte und Erklärungen á la Petraeus von deutscher Seite, würden die Kirchenfunktionäre lediglich entsetzen und ihre Abzugsforderungen nur noch befeuern.
Die evangelische „Basis“ ist offener für und interessierter an dem Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan als die meisten glauben. Richtig ist, dass es dort aber auch eine große Nachfrage nach Informationen und Argumenten gibt, nach Wertungen, Deutungen und Erklärungen. Und die wird viel zu wenig bedient.
Was ist an dieser Erklärung auszusetzen ?
Zitat:
„Die Friedensdenkschrift der EKD „Aus Gottes Frieden leben – für gerechten Frieden sorgen“ bindet den Einsatz militärischer Gewalt an „Recht-schaffende“ und „Recht-erhaltende“ Gewalt. Darüber hinaus fordert unsere Denkschrift aber für jeden militärischen Einsatz klare Zielsetzungen, ein umfassendes Konzept und eine Ausstiegsstrategie. Deren Fehlen stellt die ethische Legitimation des Einsatzes in Afghanistan in Frage.“
Der Einsatz der Bw erfolgt immer aufgrund eines UN-Mandates, also aufgrund einer Rechtsbasis. Die UN-Mandate sind Kapitel VI-Mandate (Friedenserhaltende Stabilisierungseinsätze, also Recht-erhaltende Gewalt) oder Kapitel VII-Mandate (Friedenserzwingende Einsätze, also „Recht-schaffende“ Einsätze)
Ich sehe keinen Widerspruch zur gültigen Bw-Strategie, oder ?
@ S.W.
So wie ich die Kirche momentan erlebe, würde sie niemals auch nur im Ansatz eine andere Religion mit Gewalt in Verbindung bringen. Das Motto lautet „Hauptsache ihr glaubt an irgendetwas“… Nur Atheist sollte man nicht sein ^^
Dass diese Pfaffen auch noch öffentliches Gehör finden, finde ich fast unerträglich.
Als ob irgendeine Religion etwas mit Ethik zu tun hätte.
Also: Die Kirche ist kein geeigneter Diskussionspartner für organisierte Gewaltanwendung gegen feindlich gesinnte Menschen.
Und ob die Kirche ein geeigneter Diskussionspartner für Gewaltanwendung ist !
Schließlich hat sie 2000 Jahre Erfahrung auf diesem Gebiet und erst in den vergangen zwei Jahrhunderten ist sie friedlicher geworden.
Also die „Lehre des gerechten Krieges“ drückt diese 2000 jährige Erfahrung (meist Gewalterfahrung) aus.
Danach muss Krieg von
– einer legitimen Autorität genehmigt sein, Krieg ist also nicht Privatsache
– er muss dem Frieden dienen
– sich gegen begangenes Unrecht wenden
– auf das unbedingbare Maß beschränkt bleiben
Diese Aussagen sind uralt ( 4. Jahrhundert nach Christus, Hl. Augustinus) und sind im 13. Jahrhundert von Thomas von Aquin weiterentwickelt worden und letztendlich finden sich diese Punkte auch in den beiden Erklärungen der deutschen katholischen Bischöfe wieder (Gerechter Friede von 27.09.2000 und Soldaten als Diener des Friedens vom 29.11.1005 ).
Vor allem muss ein ethisch gerechfertigter Krieg eine hinreichende Erfolgswahrscheinlichkeit haben, sonst ist es ein endloses Sterben auf beiden Seiten !
@ Niklas
Verrzeihen Sie mir die Nachfrage: welche Kirche erleben Sie wo und wie? Was verstehen Sie unter „die Kirche“?
@Georg
Mit Verlaub, aber die Lehre des „gerechten Krieges“ halte ich für substanzlos. Es gab wohl noch keine politische Führung, die sich nicht selbst als legitim bezeichnet und von ihren Entscheidungen zum Krieg nicht behauptet hätte, dass man damit dem Frieden diene und sich gegen begangenes Unrecht richte. Können Sie mir zudem einen einzigen Konflikt nennen, in dem diese Fragen eindeutig zu beantworten waren? Die Idee des „gerechten Krieges“ bringt die Diskussion kein Stück voran, weil sie auf schwach definierten Wieselwörtern wie „Frieden“ (wollten nicht auch die Nazis Frieden?) besteht.
Völlig nutzlos ist zudem das Kriterium des „letzten Mittels“: Auch das hilft nicht weiter, denn ist gibt immer noch ein Mittel, dass man nicht versucht hat, und wenn es die Kapitulation ist.
Zudem liegt der Lehre ein fragwürdiges Politikverständnis zugrunde. Nur ein Bruchteil des politischen Geschehens lässt sich in Kategorien wie „Recht“ oder „Unrecht“ einordnen. Wer anderes behauptet, fördert damit nur die scheinheilige Heuchlerei, die auch die bundesdeutsche Politik kennzeichnet, und die legitime moralisch neutrale Interessen (z.B. Flüchtlingsstrom nach Westeuropa verhindern) als Verhinderung des nächsten Auschwitz darstellen muss, um die moraltrunkene Öffentlichkeit zu gewinnen.
Immerhin hat der Katholizismus noch eine Spur von Realismus bewahrt, die diese Strömung von den vollkommen weltfremden Utopien bewahrt, welche den Protestantismus seit Jahrzehnten plagen. Quellen sicherheitspolitischer Erkenntnis sind aber alle religiösen Strömungen m.E. nicht.
@ S.W.
Es geht nicht darum, ob sich eine Regierung selbst als legitim, also als „zu dulden“ betrachtet, sondern ob der einzelne Mensch die Handlungen dieser Regierung als ethisch gerechtfertigt betrachtet.
In dieser Lehre geht es auch nicht um Politik, sondern um Ethik, also um gut und böse in den Augen eines gläubigen Christen. Letztendlich ist es ein Leitfaden mit dem jeder Einzelne sein Gewissen prüfen kann und so Position zu den tatsächlichen Maßnahmen der Politik beziehen kann.
Das „letzte Mittel“ bedeutet nicht, das man sich selbst aufgeben muss, um nicht kämpfen zu müssen. Allerdings hatten die USA gegen Irak wohl noch nicht das letzte Mittel genutzt um den Konflikt mit Saddam Hussein ohne Krieg beizulegen (die angeblichen vorhandenen aber unauffindbaren Massenvernichtungswaffen des Irak wollen wir hier nicht ansprechen).
Und das auf dem Balkan ein Genozid stattfand, kann wohl nicht geleugnet werden, egal wie man zu Poliitik oder Ethik steht. Allerdings fand auch in Ruanda, in Dafur ein Genozid statt, nur hat dieser westlichen Politikinteressen gedient und deshalb hat die Politik auf diese genauso verwerflichen Kriege nicht oder zu spät reagiert (siehe UN-Mandat in Ruanda).
Politik und Ethik haben nichts miteinander zu tun, aber die eingangs zitierten Äußerungen vom EKD-Vorsitzenden Schneider repäsentieren die deutsche Mehrheitsmeinung, egal ob dies zur eigenen Einstellung und Meinung passt oder auch nicht.
@Georg
„…die eingangs zitierten Äußerungen vom EKD-Vorsitzenden Schneider repäsentieren die deutsche Mehrheitsmeinung, egal ob dies zur eigenen Einstellung und Meinung passt oder auch nicht.“
Auch Mehrheiten können irren oder (zum Schaden aller) naiven Träumereien anhängen. Die EKD läuft gerade wieder einer Mode hinterher, in der Hoffnung, etwas von ihrer Relevanz zurückzugewinnen. Intellektuell kommt aus diesem Bereich aber schon lange keine Substanz mehr. Die alten protestantischen Realisten sind längt der gender-gemainstreamten Friede-Freue-Eierkuchen-Kirche gewichen.
@ Freddy
Die Kirche die ich erlebe, ist jene, die sich öffentlich äußert. Sprich: Natürlich vorrangig Leute wie Käßmann usw. Es kommt mir so vor, als ob die Kirche seit kurzer Zeit versucht, wieder vermehrt Geltung zu erlangen, bzw. die Gesellschaft wieder mehr der Religion zuzuführen. Ein grelles Beispiel sind die USA, ein eigentlich atheistisches Land, in dem der Glaube ja mittlerweile schon Angst einflößt. Mag auch an meiner Wahrnehmung liegen.
@ Georg
Was wirklich Mehrheitsmeinung ist, ist doch überhaupt nicht festzustellen.
Wie das mit der Aussagekraft gewisser Umfragen aussieht, haben wir ja letztens erst erfahren können.
Ich habe eine Zeit lang versucht, Glaube besser zu verstehen und habe mir u.a. die Bibel in Teilen zu Gemüte geführt. Ergebnis: Austritt.
@Niklas
Man kann den real existierenden öffentlich-rechtlichen Protestantismus in seiner ganzen intellektuellen Sterilität u.a. an den diversen evangelischen Akademien erleben, aktuell z.B.
http://www.loccum.de/programm/p1066.html
http://www.kircheundgesellschaft.de/akademie/documents/TG%20103_Afghanistan%20Tagung.pdf
Manchmal muss ich so etwas über mich ergehen lassen. Das Ergebnis solcher „Konferenzen“ steht dank einseitigen Programms stets schon vor Beginn fest, und den meisten TeilnehmerInnen geht es vor allem darum, sich gegenseitig zu bestätigen, dass sie die Guten sind. Glauben Sie mir, ich kenne dieses Milieu zur Genüge.
Mal ein Zitat von Ghandi im Kontext der deustchen Bemühungen in A-Stan. Na, wo seht ihr die deutsche Haltung in Bezug auf Einsätze??
„It is better to be violent if there is violence in our hearts, than to put on the cloak of non-violence to cover impotence.“
Ich schätze bei uns hilft auch kein Viagra mehr…
Bzgl. der Kirchen: Bevor ich mich vom grössten Schlächter der Geschichte über Werte und Krieg belehren lasse, …
Ich halte mich da eher an Volker Pispers: „Aus meiner Sicht, sind alle Leute die an so etwas glauben [Gott, Religion], einfach nur zu Faul um selber zu denken.“
Es ist schon beschämend genug den offenen Anti-Amerikanismus in Deutschland hinzunehmen und Freunden in den USA sagen zu müssen, dass dies leider längst nicht mehr nur ein kleiner Teil der Deustchen zeigt… Da muss ich nicht auch noch das Geschwafel von den „Kirchen“ haben – Kässmann ist doch das beste Beispiel! Besoffen fahren – Kein Thema, aber bloss nicht anderen Menschen helfen (OK, die Hilfe verpufft grösstenteils, dank der Vorgaben unserer Regierung). Wer wohl heute alles Braune oder Schwarze oder vielleicht sogar „Rote“ Kleidung hätte, hätten die Amerikaner in den 40ern und den 60 Jahren bis zum Zusammenbruch der Sowjetunion so gedacht…
Die real existierende protestantische Kirche erschöpft sich in Beliebigkeit.
Und das sage ich als Protestant.
Die Katholiken machen zwar eigentlich dreimal so viel Mist, aber die sehen sich wenigstens noch als richtige Religion, nicht als so ne Art von Selbsthilfegruppe mit öffentlich-rechtlichem, durch die Reste der Weimarer Reichsverfassung garantiertem Sonderstatus.
Ernst Bloch hat einmal gesagt „die ev. Kirche ist heute so weit links wie sie früher rechts war“ ;)
Man muß ja nicht gleich rechts werden, und der soziale Gedanke sollte für eine Kirche immer eine Rolle spielen (siehe Katholiken) aber man könnte sich wieder einmal ein paar Eier zulegen. Die Zeit der Wollstrickpullover und „danke für diesen guten Morgen“ ist vorbei.
Gott sei Dank :)
@Niklas
Die USA sind ein säkularer Staat. Kein atheistischer. Das ist ein riesiger Unterschied. Es war schon immer das bei weitem religiöseste Land in der westlichen Welt. Das haben europäische Autoren wie Alexis de Tocqueville schon im 19. Jahrhundert festgestellt:
Atheisten haben es dort oft ziemlich schwer. Es gibt immer mehr und in den letzten Jahren ist die Bewegung auch immer öffentlicher (es gibt auch eine ganze Reihe guter Blogs zu dem Thema), aber gerade in ländlichen Gebieten sollte man das nicht offen sagen. Es ist kein Zufall, dass das als „coming out“ bezeichnet wird. Es es nicht selten, dass man dadurch Freunde oder gar Jobs verliert.
@ StefanS
Achtung Missverständnis!
Ich weiß, dass die USA nie ein „atheistischer Staat“ waren. Waren ja keine Kommis :)
Aber die Gründerväter waren Atheisten. Zumindest waren sie damals eher Atheisten als Power-Christen, wie es heute keine Seltenheit mehr ist. Damals ist man auch weniger in die Kirche gegangen.
Es gibt da einen lustigen Film drüber „Religulous“. Kann ich nur empfehlen, wenn man gerne lacht. Natürlich ist das auch „nur“ ein Film, aber er verdeutlicht das Problem. Ca. 16% der Amerikaner sind offene Atheisten. Sie sind damit die größte „Minderheit“ und diejenige mit der geringsten Stellung. Das ist doch Wahnsinn.
In den USA gilt leider das Motto „Hauptsache religiös“. Egal welcher verrückte Glaube das auch sein mag.
Aber bitte nicht falsch verstehen! Ich bin ein großer USA-Freund :)