Atalanta: Blankoscheck für die EU
Das Bundeskabinett hat heute, wenig überraschend, die Verlängerung der deutschen Beteiligung an der EU-Anti-Piraterie-Operation Atalanta vorgeschlagen. Und sehr wahrscheinlich dürfte der Bundestag diesem Vorschlag problemlos zustimmen – im Gegensatz zur Afghanistan-Mission ist dieser Einsatz weitgehend unumstritten.
Wäre ich Abgeordneter, würde ich allerdings ein paar Fragen stellen. Nämlich Fragen nach der schleichenden Ausweitung des Einsatzgebietes – ohne die Information, geschweige denn Beschlussfassung des Deutschen Bundestages…
In früheren Mandatierungen des Atalanta-Einsatzes, zum Beispiel 2008 (in der Bundestags-Drucksache 16/11337 dokumentiert) wurde das Einsatzgebiet noch relativ genau benannt:
7. Einsatzgebiet
Das Einsatzgebiet der Operation Atalanta umfasst zur See ein Seegebiet bis zu 500 Seemeilen vor der Küste Somalias und seiner Nachbarländer (Area of Operations, AOO). Hinzu kommt der Luftraum über diesen Seegebieten.
Mittlerweile hat die Europäische Union das Einsatzgebiet ausgeweitet – aus gutem Grund, weil auch die Piraten ihr Operationsgebiet deutlich ausgeweitet haben und zum Teil mehr als 1.000 Seemeilen von der Küste entfernt operieren, unter anderem mit Hilfe so genannter Mutterschiffe, gekaperter Handelsschiffe, die als schwimmende Basis dienen.
Allerdings möchte die EU gerne geheim halten, wie weit denn nun das mandatierte Einsatzgebiet reicht. Und so bekommen die Abgeordneten im Kabinettsvorschlag für den Bundestagsbeschluss auch nur zu lesen:
7. Einsatzgebiet
Das Einsatzgebiet der EU-geführten Operation ATALANTA umfasst zur See die Meeresgebiete innerhalb der Region des Indischen Ozeans vor der Küste Somalias und benachbarter Länder. Hinzu kommt der Luftraum über diesen Meeresgebieten. Innerhalb dieses Einsatzgebietes wird auf Vorschlag des Operationskommandeurs ein zur Erfüllung seines Auftrages zweckmäßiges Operationsgebiet durch den Rat der Europäischen Union bzw. dessen Gremien festgelegt.
Das wird ja immer größer… Nun kann man begründet vermuten, dass derzeit die östliche Grenze von Atalanta etwa entlang von 65 Grad Ost verläuft. Aber irgendwann stößt man an die indische Küste… Ob das den deutschen Abgeordneten so recht ist, einen Blankoscheck für die EU auszustellen?
Sehr geehrter Herr Wiegold,
leider oder Gott sei Dank sind, wie man es eben nimmt, sie kein Abgeordneter.
Für ein hochprozentiges Abstimmungsergebnis kann Nichtwissen ein Segen sein ;-)
Man konnte das alte Einsatzgebiet nicht mit den Kräften überwachen, die vor Ort waren, da wird es einem mit einem doppelt so großen Einsatzgebiet garantiert gelingen…..
Mich wundert nur immer wieder, wieso Piraten über längere Zeit ein Mutterschiff nutzen können? Warum verfolgt man nicht die Bewegungen der mobilen Schlauchboote uÄ aus der Luft und kümmert sich dann um das Mutterschiff?
Was die Schlauchboote angeht – wenn es heute noch ein Traumziel für die Bordkanonen von Jägern gibt, dann ist dieses doch prädestiniert?
Und wieso gelingt es Frontex gegen Afrika hin immer besser, die Flüchtlingsabwehr auch auf kleinste Boote zu optimieren, während hier alle überfordert sind?
Zuguterletzt: Wieso richten nicht alle Reedereien auf Schiffen die in der Region verkehren einen Panic room ein, damit
a) die Besatzung erst mal sicher ist
b) Piraten auf sich allein gestellt das Schiff nicht bewegen können und
c) ohne Angst vor Verlusten bei der Besatzung das Schiff gestürmt werden kann
Fragen über Fragen :-)
@Zyme
Ich habe den Eindruck, man will keine schnellen Erfolge. 1. ist dies eine hervorragende Möglichkeit Schiffsbesatzungen für zukünftige Einsätze zu trainieren. 2. kann man damit der eigenen Bevölkerung (und auch den Abgeordneten) die Notwendigkeit starker Marinekräfte demonstrieren und gewöhnt diese auch an Auslandseinsätze. 3. schafft man so eine höhere Akzeptanz für neue Rüstungskäufe. 4. übt die ständige Präsenz starker Marinekräfte in diese Region auch einen erheblichen Druck auf z.B. Iran und Pakistan aus.
@Stefan
Die Situation wird also als Vorwand genutzt, um die europäische Militärpräsenz im Indischen Ozean zu etablieren und den Interventionismus in den europäischen Heimatländern zu verstärken?
Endlich einmal eine plausible Erklärung :-)
Ich bin mir sicher, dass dieses Mandat mit einer Klage der „Nichtzustimmer“ vor dem BVerfG wegen Verstoß gegen das Gebot des „wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehalts“ gekippt werden könnte.
@ Tom
Ein sehr wichtiges Argument. Es lässt sich nur fragen, wer denn dieser „Nichtzustimmer“ sein wird….Aus der Regierungsmehrheit ist dies ja nicht zu erwarten. Ich bin da auf die Haltung der SPD-Leute gespannt.
… und auf die Haltung der Linken. Die haben sich doch gerade bei KTzG dafür positioniert, dass Wirtschaftsinteressen nicht mit militärischen Mitteln durchgesetzt werden dürfen. Das passt doch bei Pirateriebekämpfung.
Übrigens: Die Bundesregierung sagt auf der von Herrn Wiegold verlinkten Seite: „Das aktuelle Mandat des Bundestags … endet am 18. Dezember und soll jetzt unverändert um ein Jahr verlängert werden.“
Art 87a
(1) Der Bund stellt Streitkräfte zur Verteidigung auf. Ihre zahlenmäßige Stärke und die Grundzüge ihrer Organisation müssen sich aus dem Haushaltsplan ergeben.
(2) Außer zur Verteidigung dürfen die Streitkräfte nur eingesetzt werden, soweit dieses Grundgesetz es ausdrücklich zuläßt.
Das Weißbuch 2006 war schon im Entwurf vor allem kritisiert worden, da die Formulierung der Aufgaben der Bundeswehr im Rahmen von Auslandseinsätzen erneut ausgeweitet und als verfassungswidrig weit auslegbar angesehen wurde. Es wurde nach Abstimmung zwischen den Regierungsparteien CDU und SPD der Großen Koalition unter Angela Merkel am 24. Oktober 2006 vom Kabinett verabschiedet und veröffentlicht.
[http://de.wikipedia.org/wiki/Wei%C3%9Fbuch_(Bundeswehr) – cite_note-1http://de.wikipedia.org/wiki/Wei%C3%9Fbuch_(Bundeswehr) – cite_note-2
Als der Präsident der Bundesrepublik Deutschland, Horst Köhler, am 22. Mai 2010 im Rahmen eines Rundfunk-Interviews zum Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan im Rahmen der ISAF inhaltlich diese Passagen des Weißbuchs referierte, löste dies heftige Kritik aus. Am 31. Mai 2010 trat er unter Hinweis auf die Kritik an seinen Äußerungen, da er den „notwendigen Respekt vor dem höchsten Staatsamt“ vermisse, von seinem Amt als Bundespräsident zurück (Wer das glaubt? der wahre Grund war die Erpressung seiner Unterschrift zur Bankenhilfe) .
Hier ist der Satz von Köhler im Besonderen hervor zu heben:
„Alles das soll diskutiert werden und ich glaube, wir sind auf einem nicht so schlechten Weg.“
Jedoch hat der Präsident den Weg fluchtartig verlassen bevor er richtig los gelaufen ist.
Das Weißbuch ist kein Ersatz für unser Grundgesetz und ich möchte öffentlich
nicht werten ob BVerfG mit seinem Urteil richtig oder falsch liegt,
jedoch vermisste ich die Auseinandersetzung und Ergänzung im GG.
Köhler sagte (…auch militärischer Einsatz notwendig….) ja auch nicht das Gleiche als das was im Weißbuch steht.
Dass das Militär nur ein Teil der SiPo ist wurde übersehen, auch in AGF wird 80% ziv Anteil gefordert, aber die Realität sieht anders aus.
Wo ist der sicherheitspolitische Gesamtansatz am Horn von Afrika?
Auch dieser Einsatz wird Geschichte werden und spätestens dann werden weitere Fragen gestellt
Vom Sichern von Handelswegen zum Sichern von Rohstoffzugängen ist der Weg nicht weit und das hatten wir schon einmal.
Nur so am Rande: Bin ich eigentlich allein, wenn es mir seltsam vorkommt, dass rein abstrakt ganz furchtbar über den militärischen Schutz unserer wirtschaftlichen Interessen gestritten wird mit Moralkeulen die schon fast unter die START-Abkommen fallen müssten, im Konkreten wie vor Somalia aber kaum jemand daran Abstoß nimmt? Oder täusche ich mich etwa mit der Annahme, dass unsere Marine sehr viel sparsamer mit Menschen und Material umgehen würde, wenn es ausschließlich um die WFP-Schiffe ginge und nicht um Kabelbäume aus Malaysia für Wolfsburg und Rüsselsheim, elektronische Bauteile für die Super-Mähdrescher von Claas oder Textilien, die dann republikweit die Tschibo-Regale zieren? Von der allseits gern genommenen Unterhaltungselektronik usw. mal abgesehen . . .
Und in der Gegenrichtung haben wir ja auch hübsche Sachen, mit denen wir ganz gut Geld verdienen . . .
Das BMVg meldet in seiner Pressemitteilung, dass das Operationsgebiet ausgedehnt werden soll:
http://www.bmvg.de/portal/a/bmvg/kcxml/04_Sj9SPykssy0xPLMnMz0vM0Y_QjzKLd4k3cQsESUGY5vqRMLGglFR9b31fj_zcVP0A_YLciHJHR0VFAFBC9EY!/delta/base64xml/L2dJQSEvUUt3QS80SVVFLzZfRF8zM1E0?yw_contentURL=%2FC1256F1200608B1B%2FW28B3CPW233INFODE%2Fcontent.jsp
@T. Wiegold
Wissen Sie wann der Kabinettsbeschluss öffentlich einsehbar ist? Er muss doch öffentlich zugänglich sein, oder?
@Zyme
„Mich wundert nur immer wieder, wieso Piraten über längere Zeit ein Mutterschiff nutzen können? Warum verfolgt man nicht die Bewegungen der mobilen Schlauchboote uÄ aus der Luft und kümmert sich dann um das Mutterschiff?….“
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Weil es sich bei den Mutterschiffen in der Regel um gekaperte Dhows oder kleine Handelsschiffe handelt und man nicht weiß ob sich die ursprüngliche Besatzung noch an Bord befindet. Das Geschrei der Medien mag ich mir gar nicht vorstellen ^^
Diese Schlauchboote uÄ bestehen zu 90% aus Kunststoff und/oder Gummi, wer sich ein wenig mit Radartechnik auskennt weiß das man diese nur sehr sehr schlecht erfassen kann, manchmal geben sie gar kein Echo auf dem Screen ab. Kameras eignen sich nur schlecht als breitbandiges und flächendeckendes Aufklärungsmittel. Zu bedenken ist außerdem die Größe des Einsatzgebietes. Man muss diese Mutterschiffe und Skiffs erst mal FINDEN, üblicherweise strahlen die kein AIS Signal aus ;)
Kleiner Hinweis:
Heute 20.05 Uhr auf ntv
„Minen, Missiles und Manöver“ (Militär-Doku Kampf gegen Piraten)
Die Doku begleitet die Fregatte „Hamburg“.
@Brummsumm
Zitat: „Man muss diese Mutterschiffe und Skiffs erst mal FINDEN, üblicherweise strahlen die kein AIS Signal aus ;)“
Die Franzosen verfügen über ein optisches Satelliten-Aufklärungssystem. Deutschland über ein Radar-Satelliten-Aufklärungssystem. Beide Staaten haben auf beide Systeme vertragsgemäß uneingeschränkten Zugriff.
Die Amis haben vor dem Irakkrieg mittels Satelliten-Aufklärung LKW’s aufgeklärt (in denen angeblich Massenvernichtungswaffen produziert wurden). Mutterschiffe dürften eher noch größer sein.
@Stefan
Dann muss die Frage erlaubt sein warum diese Systeme nicht eingesetzt werden ?
Und es bleibt trotzdem schwierig Mutterschiffe zu finden und ob das Radar-Satelliten System für Dhows und Skiffs fein auflösend genug ist kann ich zwar nicht wirklich beurteilen, denke aber mal wenn, wäre der Aufwand doch astronomisch hoch um das gesamte Somali Bassin (geschweige denn den Indischen Ozean) abzusuchen und die Kontakte zu verfolgen.
Das optische System der Franzosen kenne ich leider nicht.
@Stefan
Zum Hinweis auf die n-tv-Doku: die Hamburg übernimmt demnächst erst die anti-Piraterie-Operation. Die Doku zeigt das Training vor Helgoland..
„Kooperationen (E-SGA und FSLGS)
Am 30. Juli 2002 wurde in Schwerin ein Kooperationsvertrag mit der französischen Armee geschlossen, die das Helios-System zur optischen Satellitenaufklärung verwendet. Da sich die beiden Systeme gut ergänzen, sollen sie gekoppelt werden. Die Schnittstelle, die es dem französischem Militär ermöglicht, Zugriff auf die SAR-Lupe Satelliten zu erhalten, heißt FSLGS („French SAR-Lupe Ground Segment”). Im Gegenzug stellen die Franzosen eine Zugriffsmöglichkeit auf das Helios-System zur Verfügung.“
http://de.wikipedia.org/wiki/SAR-Lupe
@Brummsumm
“Man muss diese Mutterschiffe und Skiffs erst mal FINDEN, üblicherweise strahlen die kein AIS Signal aus“
Die Identifizierung der Ziele wäre kein Problem, wenn der Wille dazu vorhanden wäre. Die Piraten operieren von einer begrenzten Zahl von lagerartigen Basen an Land aus. Man müsste also nur jene Boote beobachten und ggf. vernichten, die von diesen Basen ablegen. Da die Basen bekannt sind, wäre durch Vernichtung dieser Basen auch das Piratenproblem als solches nachhaltig lösbar.
Das will aber die politische Führung offenbar nicht. Ein berechtigter Einwand gegen die Vernichtung von Piratenzielen ist das Schicksal vorhandener Geiseln, wobei allerdings die m.E. ebenso berichtigte Gegenfrage lautet, warum sich z.B. ein NATO-Staat mit philippinischen Geiseln erpressen lassen sollte.
Die tatsächlichen Gründe für Nichthandeln dürften also woanders liegen, z.B. in unserer Kultur, die (z.B. im Fall des Tanklaster-Vorfalls) Feindkämpfer, Plünderer und Raubmörder primär als „Opfer“ wahrnimmt, wenn sie in Folge ihrer Taten zu Schaden kommen.
Rein militärisch wäre das leicht zu lösen. Die größten Militärnationen der Welt tummeln sich dort und werden mit Piraten in seeuntüchtigen Speedbooten nicht fertig? Wer kann mir das erklären?