Wer bietet weniger?
Unglaublich, wie viel an verteidigungspolitischer Diskussion innerhalb von 24 Stunden passiert (das merkt man erst, wenn man sich einen ganzen Tag ausklinkt). Als Nachtrag zum gestrigen Dienstag deshalb die Mitteilung der IG Metall zu den möglichen Einsparungen/Kürzungen bei den Rüstungsausgaben.
Für mich am verblüffendsten: Die von den Betriebsräten genannte Zahl von nur noch 25 (!) Militär-Transportern A400M. Nun haben wir ja schon erlebt, wie die von der Luftwaffe umfassend begründete und nach deren Worten klar abgeleitete Zahl von 72 Fliegern auf 60 reduziert wurde. Aber die Zahl 25 habe ich noch nicht gehört – an einen Ersatz der Transall C-160 (immerhin ist diese Maschine noch jünger als ich…) wäre so nicht zu denken…
BERLIN – JUNE 09: A visitor looks at an Airbus A400M military transporter at the ILA Berlin Air Show on June 9, 2010 in Berlin, Germany. (Photo by Sean Gallup/Getty Images via picapp)
Im Bundeswehr-Papier Priorisierung Materialinvestitionen, also der internen Sparliste vom Juni, finde ich für den Bereich Taktischer Lufttransport, taktische Luftbeweglichkeit für den Transportflieger bislang nur die Angabe
U2_02-5 Prüfung einer Reduzierung A400M.
Die Zahl von 15 stillzulegenden Transall ist dagegen nicht so überraschend – schließlich soll ja der A400M die Trall ablösen… allerdings stehen in der Priorisierung Materialinvestitionen nicht nur die 15, sondern 15+X (wobei X abhängig ist von der tatsächlichen Zahl der zulaufenden A400M). Aber auch eine Produktverbesserung der C-160 – eben wegen der Verzögerungen beim MilitAirbus. (Allerdings will ich nicht ausschließen, dass es eine neuere Version der Sparliste gibt, die ich noch nicht habe.)
Zur Dokumentation die Gewerkschaftererklärung vom 14. September 2010 im Wortlaut:
Pressemitteilung der IG Metall: „Zukunft der militärischen Luftfahrtindustrie steht auf dem Spiel“
Zukunft der militärischen Luftfahrtindustrie steht auf dem Spiel
(München, 14.09.2010) Auf einer Pressekonferenz in München warnten der Beauftragte der IG Metall für den Gesamtbetriebsrat der EADS Deutschland GmbH, Bernhard Stiedl, und der Gesamtbetriebsratsvorsitzende der EADS Deutschland GmbH, Thomas Pretzl, vor einem Sterben der militärischen Luftfahrtindustrie in Deutschland: „Werden die Einsparungspläne des Verteidigungsministeriums umgesetzt, wird es in der Zukunft in Deutschland keine militärische Luftfahrtindustrie mehr geben.“
Zukunft der militärischen Luftfahrtindustrie gefährdet
Das Bundesverteidigungsministerium erwägt im Papier „Priorisierung Materialinvestitionen“ erhebliche Einsparungen bei Rüstungsprojekten. 9,3 Milliarden Euro sollen eingespart werden. Betroffen sind hiervon besonders die Programme der EADS:
Es sollen 15 Transall-Transportflugzeuge stillgelegt werden.
Von den geplanten 60 A400M sollen nur noch 25 beschafft werden.
Von den 185 Tornados sollen 100 stillgelegt werden.
Auf die Tranche 3b des Eurofighter, also 37 Flieger, soll verzichtet werden.
Und das UAS-Programm (Unmanned Aerial System, UAS) Talarion soll auch dem Rotstift zum Opfer fallen.
Die Zukunft der militärischen Luftfahrtindustrie in Deutschland ist damit in eine entscheidende Phase getreten. „Die Streichung des Talarion oder der Tranche 3b hätte dramatische Folgen für rund 15.000 Arbeitsplätze bei EADS und deren Zuliefererfirmen“, warnte der Gesamtbetriebsratsvorsitzende der EADS Deutschland GmbH, Thomas Pretzl.
Talarion
Es geht bei der Entscheidung über das Talarion-Programm auch darum, ob wir im Zukunftsmarkt der unbenannten Flugzeuge künftig eine eigenständige Rolle spielen oder auf Modelle aus dem Ausland angewiesen sind. Will man eine eigene leistungsfähige Industrie fördern und will man einen Zuwachs an hochqualifizierten Arbeitsplätzen in dieser Zukunftsindustrie, muss man die Risiken der Finanzierung technologischer Entwicklungssprünge angemessen teilen und dafür entsprechende Finanzierungsmodelle finden.
Eurofighter Tranche 3b
Das gleiche gilt für die Tranche 3b des Eurofighter. Kommt die Tranche 3b nicht, hat dies erhebliche Auswirkungen auf die Exportchancen des Eurofighters. Notwendige Weiterentwicklungen werden erst in der Tranche 3b zum Einsatz kommen. Kommt die Tranche 3b nicht, gefährdet dies den geplanten Export.
IG Metall: Nicht tatenlos zuschauen
„Wir werden als IG Metall diesem Streichkonzert nicht tatenlos zusehen und deshalb dagegen mobilisieren und zu Aktionen aufrufen“, sagte der Zweite Bevollmächtigte der IG Metall Ingolstadt, Bernhard Stiedl. „Hier geht es um einen ganzen Industriezweig der bei der Umsetzung der geplanten Einsparungen in Frage gestellt wird. Wir bezweifeln nicht die Notwendigkeit der Konsolidierung der staatlichen Haushalte. Wir bezweifeln aber die Entscheidung, mit der in Deutschland zukunftsfähige Forschungs- und Entwicklungskompetenzen kaputt gemacht werden sollen.“
Text kann aus dem Internet unter http://www.igmetall-ingolstadt.de/fileadmin/Redaktion_IN/Dokumente/Pressemitteilung_PK_14-09-2010.doc abgerufen werden.
Könnte es sein, dass die IG Metall ganz wesentlich Teil des Problems ist? Denn auch sie bringt Stimmungen in Rüstungsunternehmen, die die Produktivität eher hemmen.
Die Probleme zahlreicher Rüstungsbeschaffungen haben einen Namen: EADS!
Bei Produkten dieses Konzerns werden (fast?) durchgehend vereinbarte Leistungen nicht erbracht, es liegen Qualitätsprobleme vor, es dauert länger als vereinbart, es wird teurer.
Woran könnte das liegen?
Eine Hypothese: Liegt es an der problematischen Mitarbeiterstruktur dieses semistaatlichen Konzerns?
Otto- Normalschrauber ist betriebsratsverseucht. Er versucht, mit möglichst wenig Arbeit möglichst viel Kohle abzuschöpfen und ist nur eingeschränkt innovationsfreudig.
Dazu kommen teuer eingekaufte Wanderarbeiter. Sie sind hoch spezialisiert, hoch kompetent und bringen Fähigkeiten ein, die man universitär in Europa gar nicht abrufen kann. Diese Kaste ist selbstbewusst, durchaus arrogant, kann es sich aber leisten.
Darüber herrscht eine Kaste von Industriebeamten. Sie ist meist politisch besetzt und mit der Führung von Otto- Normalschraubern und Wanderarbeitern vollkommen überfordert. Da die Wanderarbeiter gern dazu neigen, ihre kognitive Überlegenheit den Industriebeamten aufs Brot zu schmieren, geht viel Energie mit emotionalen und politischen Hahnenkämpfen verloren.
Dazu kommt dann noch, dass natürlich alles bei EADS nach nationalem Proporz stattfinden muss.
Wann soll so ein Unternehmen noch dazu kommen, vernünftige Produkte zu entwickeln?
Uff. Als Gewerkschaftsmitglied seit 1981 zucke ich bei einem Begriff wie betriebsratsverseucht aber ziemlich zusammen… Mit möglichst wenig Arbeit möglichst viel Kohle abzuschöpfen ist kein Kennzeichen gewerkschaftlich organisierter Arbeitnehmer. Dafür braucht man sich nämlich nicht zu organisieren. Und wenn ein alter Gewerkschafter wie ich nur eingeschränkt innovationsfreudig ist, dann möchte ich mal die anderen sehen. (All das ungeachtet der zum Teil berechtigten Kritik an Gewerkschaften – aber so pauschal will ich das nicht stehen lassen.)
Herr Wiegold, wäre es eventuell möglich, dass Sie das Dokument bezgl. der Priorisierung der Materialinvestitionen ebenso zugänglich machen, wie kürzlich das andere Dokument? Aus diesem Dokument wird ja auch recht häufig zitiert und ein Einblick wäre für Ihre Leser sehr interessant.
Es ist für die Debatte über die Zukunft der Bundeswehr nicht gerade förderlich, wenn man von allen Seiten „irgendwelche“ Informationen bekommt, die sich zum Teil auch noch widersprechen. Ich hoffe nur, dass die aktiven Soldatinnen und Soldaten vom IBuK zu gegebener Zeit ausführlich über die anstehenden Veränderungen ausführlich informiert wird, denn momentan sammelt man sich die Informationen stückweise zusammen und versucht das für sich zu bewerten.
@ T.Wiegold | 15. September 2010 – 12:04
Provokante Verkürzung ist manchmal missverständlich, daher schiebe ich mal eine Erläuterung hinterher. (Ihr Einwand ist durchaus berechtigt!)
Organisierte Arbeitnehmervertretungen wie Gewerkschaften, Betriebsräte sind ein wichtiges Institut bei der Organisation der betrieblichen Wertschöpfung.
Kluge Unternehmer und Investoren achten auf ein gutes Verhältnis zu ihren Arbeitnehmern und deren Vertretern. Denn Zufriedenheit der Mitarbeiter und Betriebsfrieden sind wichtige Säulen unternehmerischen Erfolgs.
Zudem ist es für ein Unternehmen wichtig, Mitarbeiter angemessen zu bezahlen. Denn zahlt man zu wenig, hauen die guten Leute ab. Zahlt man zu viel, geht man pleite.
Leider gibt es auch unter Gewerkschaftlern welche, die eigentlich lieber Politiker wären und ihre wichtige Aufgabe im Unternehmen nicht wahrnehmen. Überproportional findet man diese Zeitgenossen in semistaatlichen Unternehmen, die sich nicht wirklich dem Markt stellen müssen, wie EADS.
Verkürzt gesagt: Ich kritisiere hier nicht legitime Vertretung von Arbeitnehmerinteressen, ich kritisiere die schwarzen Schafe bei Gewerkschaften, die ihren Job nicht machen, versteckte Interessen verfolgen und so den langfristigen Unternehmenserfolg gefährden.
Wenn z. B. das Talarion- Programm eingestampft wird, weil die Politik zu der Auffassung kommt, dass EADS das nicht zu angemessenen Preisen hin bekommt, dann gehen die Aufträge vermutlich an Boeing. Mit Streiks und Klassenkampf wird eine Gewerkschaft das nicht verhindern können, mit Organisation von Betriebsfrieden und höherer Produktivität vielleicht schon.
Dass bei EADS irgendwas nicht stimmen kann ist ja nicht schwer ersichtlich. Woran es auch immer liegen mag. Vermutlich ist es an der Zeit, dass marktwirtschaftliche Mechanismen wirken und Buden wie EADS pleite gehen, wie jede andere Firma auch, die ungenügende Produkte anbietet. Es ist Zeit für einen neue Struktur im deutschen Wehrindustriesektor.
Natürlich hat an einem solchen Missstand auch die miese Beschaffungspolitik schuld. Wenn ich häufig ganz neue Plattformen entwickeln lasse was ja extrem teuer ist (und genau da liegt ja auch ein großer Unterschied zu Ländern mit ähnlichen Ansprüchen, die aber viel aus dem Ausland einkaufen) und dann im Nachhinein Stückzahlen halbiere, ist der Lieferer natürlich dahin.
Die Beschaffung bei EADS ist nicht die einzig problematische. Eigentlich läuft überhaupt nichts ohne grobe Schnitzer. Soweit einem ZDF-Bericht von vor 3 Monaten ca. zu entnehmen liegt das vor allem auch am Beschaffungsamt, wo es an Kompetenz und Ingenieuren mangelt (und an vernünftigen wehrpolitischen Zielen).
@Ben
Da muss ich noch mal genau auf die Quelle schauen… manches veröffentlicht sich leichter als anderes…
„Transparenz“ lautet doch das neue Zauberwort:
http://www.geopowers.com/priorisierung-der-ausruestung.html
@K.B.,
ups. hätte ich auch drauf kommen können. (Ich hatte es woanders her… aber das ist ja eigentlich auch egal…)
Hallo,
mal eine ganz kurze Meldung zur genannten Zahl von 25 A400M, anstelle der ursprünglich 72.
Unsere britischen Kameraden haben ihre Flugzeugbeschaffungen schon immer auf das (finanziell bedingte) absolute Minimum beschränkt. So fliegen schon seit 2000 nur 25 C130J in der RAF. Allerdings wurden auch zwei große Konflikte seitdem begonnen.
Das Ergebnis ist, dass die Maschinen in einem sehr wartungsbedürftigem Zustand sind, weit stärker abgenutzt, als geplant und Aus- und Weiterbildung der Besatzungen massiv unter der Nichtverfügbarkeit von Flugzeugen leidet.
Diese Probleme sollten vor dem Hintergrund des gesamten Transportflugzeugparks der Briten (C130K, C17, Tristar) betrachtet werden.
Glasklare Schlussfolgerung: eine Armee langfristig mit einer Transportfliegerkomponente von nur 25 Flugzeugen ausstatten zu wollen ist lächerlich!
@ Bernd
Stichwort C17. Die Bundeswehr hat es verpasst sich strategische Lufttransportmittel mit geringem Mittelaufwand zu sichern. Die C17 wird, soweit ich weiß, nicht mehr produziert.
Selbst kleinste Armeen verfügen oft über einige C17.
Ein kleiner, aktueller Artikel zur Industriediskussion:
http://www.handelsblatt.com/politik/deutschland/maengelliste-verteidigungsministerium-ruegt-unzuverlaessige-ruestungsindustrie;2656145
Sehr spannend finde ich übrigens, dass die EADS (und der ihnen zuzurechnende IG Metaller) immer von einer Aufgabe des Talarion-Programms spricht. Ein solches Programm gab und gibt es überhaupt nicht. Denn das war bisland immer nur Marketing/Vertrieb/Geschäftsentwicklung der EADS und der Versuch, den Kunden Bundeswehr mit viel Schmalz und Druck zu einem Einstieg zu drängen. Wenn jetzt Talarion „wegfällt“, dann wird gar kein Geld frei. Denn es ist abgesehen von Studien zur Risikoreduzierung ja gar kein Geld eingeplant und budgetiert. Hier soll mit diversen Drohkulissen der Anschein aufrecht erhalten werden, dass hier etwas aufgegeben werden soll. In Wahrheit existiert dieses Fähigkeitsfeld noch gar nicht und man ist auch weit hinterher. Forschung wird soweit zu recherchieren war eher mit dem Baracuda gemacht und das ist ja auch ganz sinnvoll. Aber die Marktzahlen von denen EADS-seitig zu hören ist (150+ Stück!!!) sind so absurd, dass man da einfach nicht mehr nachdenken will.
@Niklas
Die C-17 ist noch in Produktion. Die US Air Force hatte lediglich mal gesagt, dass sie keine Flugzeuge mehr braucht obwohl der Kongress Mittel dafür bewilligt hat. Inzwischen hat man aber zugestimmt noch ein paar Maschinen zu ordern, da die Flotte generell stark beansprucht wird.
Inzwischen gibt es weiteres internationales Interesse, durch das die Produktionslinie noch für einige Jahre offen gehalten werden könnte. Vor allem aus Indien und den Vereinigten Arabischen Emiraten.
Ah okay.