RC N Watch: Tote Wahlkämpfer nach Luftschlag?, Polio bei Kundus
Die aktuellen Nachrichten aus dem (deutsch kommandierten) ISAF-Regionalkommando Nord in Afghanistan klingen nicht gut:
– Mehrere Wahlkämpfer für die bevorstehenden Parlamentswahlen sollen bei einem Helikopter-Luftangriff der ISAF ums Leben gekommen sein – einige Meldungen sprechen von sechs, andere von zehn Toten bei Rustak in der Provinz Takhar.
– Vier Angehörige einer regierungsnahen Miliz kamen in der Provinz Kundus bei einem IED-Anschlag ums Leben.
– Im Problemdistrikt Imam Sahib in der Provinz Kundus wurde erstmals nach über zehn Jahren ein Fall von Polio gemeldet.
– Und: Der Jahrestag des Luftangriffs von Kundus am 4. September 2009 rückt näher, und zunehmend gibt es Berichte über die Situation ein Jahr danach: Einheimische werfen Bundeswehr Versagen vor.
– Aber auch: eine positive Meldung aus Ghowrmach, auch wenn sie schon ein paar Tage alt ist: Local residents tip off ANA concerning weapons cache
Es tritt ein, was viele prognostiziert haben.
Weil die Bundeswehr im RC North zu schwach aufgetreten ist, zu wenig Stiefel am Boden hat, können die Taliban tun und lassen, was sie wollen. Die Region destabilisiert sich und rutscht ab. Dies steht den Interessen Deutschlands diametral entgegen.
Zudem steht man vor der Frage: Wie geht man mit Aufständischen um?
Das Problem muss nachhaltig gelöst werden. Kurzfristiges verjagen kann es ja wohl nicht sein.
Letztendlich muss man sie gefangen nehmen und internieren, bis der Konflikt beendet ist (wann ist das?). Hierzu kommt die unangenehme Frage: Müssen solche Internierungslager nicht zwangsläufig Umerziehungslager sein?
All diejenigen INS, derer man nicht habhaft wird, muss man töten, will man die Bezirke befrieden.
Man steht vor dem ethisch moralischen Dilemma, entweder wirkungslos zu sein oder Dinge tun zu müssen, die man mit seinem Konzept von Menschen- und Völkerrecht möglicherweise nur schwer in Einklang bringen kann.
Diese Problematik ist vermutlich so alt, wie der Krieg.
Dazu kommt das Paradoxon der Truppenstärke.
Je mehr Soldaten die Kommandeure vor Ort zur Verfügung haben, umso humaner und rücksichtsvoller können sie vorgehen. Denn: Humanität und Einhaltung von ethischen Grundsätzen kostet Ressourcen. Die muss man bereit sein, einzusetzen.
Will man die gleichen Ziele mit zu wenig Truppen erreichen, muss man „robuster“ vorgehen, mehr Tote in kauf nehmen, mehr Verstöße gegen Humanität akzeptieren.
Wollen wir das wirklich?
Es kristallisiert sich immer mehr heraus:
Wenn wir die politisch vorgegebenen Ziele in Afghanistan erreichen wollen, brauchten wir ganz andere Voraussetzungen bei Ausrüstung, Mannstärke und Mandat.
Sollen die politisch vorgegebenen Ziele mit vorhandenen Ressourcen erreicht werden, führt das zwangsläufig zu hohen Kollateralschäden und Massakern.
Sollen mit gegebenen Ressourcen und Beachtung humanitärer Grundsätze die politisch vorgegebenen Ziele erreicht werden, so wird das nicht möglich sein. Der Einsatz würde scheitern.
Wenn wir also an unseren Normen und Werten festhalten wollen, etwas anders kommt für mich nicht in Frage, dann bleiben zwei Alternativen:
1) Sofortiger Abzug, mit all seinen Konsequenzen. Wir gehen damit jedoch das große Risiko ein, zukünftig vor viel größeren sicherheitspolitischen Problemen zu stehen, als wir sie heute haben. Zudem würden wir damit Massaker unter Afghanen in kauf nehmen, die den Versprechungen vom Nationbulding geglaubt haben und sich verbündeten. Für die absehbar entstehenden Leichenberge wäre man mit verantwortlich. Unsere Normen und Werte würden damit lediglich insoweit eingehalten, dass wir nicht unmittelbar am Tod dieser Menschen beteiligt wären, sondern nur mittelbar durch unterlassen und wegschauen.
2) Lösung der Aufstandsproblematik, dann muss die Politik sich aber für eine angemessene Ausrüstung, Mannstärke und Mandatierung entscheiden. Auch hier wird man am Tod von Menschen beteiligt sein, sogar unmittelbar. Nur werden dies nachhaltig hoffentlich weniger sein, als bei Möglichkeit eins.
Seine Unschuld hat Deutschland in jedem Fall verloren.
Man muss die freigekaempften Flaechen eben halten. Das wird ja seit neustem auch gemacht, indem anscheinend immer mehr kleinere „FOBs“ eingerichtet werden. Dazu fehlt aber das Personal. Und gut ausgebildetete und der Zentralregierung loyale Afghanen, die die Stellungen von unseren Kraeften uebernehmen und zu halten wissen.
FOBs sind schon größere Basen mit etwas Infrastruktur in denen Truppen permanent Leben können. Was die BW hat sind COPs: Combat Outposts
Wie auch immer, jedenfalls kehrt man nach der Operation nicht ins Lager zurueck und der eroberte Raum laeuft wieder voll mit INS. Man bleibt und versucht zu halten. Ob nun mit FOBs oder COPs:) Ein Fortschritt wie ich finde…
das ist Träumerei.
Die beiden Höhen 431 und 432 vertreiben auch keine Aufständische aus den Dörfern. Dem Feind muss nachgesetzt werden, er darf sich nirgends sicher fühlen.
pi
Das klingt kaempferisch und gut in meinen Ohren und auch in deinen aber nicht in denen derer, die was zu sagen haben.
Und das ist das Problem :-(
@TW
Der Titel ist leicht irreführend (für einen das deutsche Wahlsystem und seine Bezeichnungen gewohnten Menschen)
„Wahlhelfer“ wird ja gemeinhin eine Person bezeichnet die beim Wahlvorgang und dessen Auszählung hilft.
Es waren wohl eher „Wahlkämpfer“, also Kandidaten und/oder deren Unterstützer. So wurde es auch in anderen Medien bisher dargestellt (und so steht es ja auch in ihrem Text).
Der verlinkte Artikel spricht zwar sowohl von „campaigners“ als auch von „campaign workers“, jedoch steht dort auch „candidate, Abdul Wahid, and some of his supporters were wounded“. Also doch eher Wahlkämpfer und Unterstützer?
Zum Thema: Das zeigt natürlich auch die Problematik des Themas „freie Wahl“ kontra „Feindverfolgung“. Auch wenn man das nun hier lange durchgekaute Thema „gezielte Tötung“ nimmt. Ist es legitim jemand der sich „““demokratischen“““ Wahlen stellt, aber den man für den Anführer einer terroristischen Gruppe hält zu töten? Und kann man dann noch von einer demokratischen Wahl sprechen?
@Janus
Sie haben Recht wg. Titel, ist geändert.
Das Problem scheint weniger die freie Wahl vs. Feindverfolgung zu sein, sondern die unterschiedlichen Angaben zur Identität der beschossenen Personen…
http://www.earthtimes.org/articles/news/342362,nato-airstrike-summary.html
„Der Kampf gegen das terroristische Netzwerk Al-Qaida und gegen die Taliban ist Aufgabe der Operation Enduring Freedom (OEF).
Mandat und Organisation der Friedenstruppe ISAF sind davon strikt getrennt.“
http://www.bundeswehr.de/portal/a/bwde/einsaetze/missionen/isaf?yw_contentURL=/C1256EF4002AED30/W264VFZ4358INFODE/content.jsp