Nachgetragen: Bilder aus Baghlan
Was in den TV-Sendern über die Bundeswehr aus Afghanistan läuft, bekomme ich als nur gelegentlicher Fernsehzuschauer nur mit Verspätung mit. Deshalb Dank an die Blogger-Kollegen von Soldatenglück, die in ihrem YouTube-Kanal den ZDF-Nachrichtenbeitrag von Uli Gack über die Kooperation von Bundeswehr und Hisb-e-Islami in Afghanistan archiviert haben. (Was weder in dem Beitrag selbst noch in den Anmerkungen dazu auftaucht: hier sehen wir die Quick Reaction Force mit den Gebirgsjägern in der Provinz Baghlan.)
Welche Hizb-e-Islami wohl gemeint ist? Relativ fest im Lager der Aufständischen verortet ist nur die Fraktion Gulbuddin Hekmatyar. Offenbar handelt es sich um eine HIG-Zelle?
Der Begriff „Islamismus“ ist m.E. fragwürdig, weil er einen moderaten Normalislam impliziert, den es in der afghanischen oder pakistanischen Realität so nicht gibt. Auch die Gegner der Taliban (die afghanische Regierung eingeschlossen) vertreten oft islamisch legitimierte Positionen, die hierzulande wohl als „islamistisch“ beschrieben würden.
Es ist ja interessant wie in dem Beitrag über die Gründe des Seitenwechsels geschwiegen wird („Wir werden es wohl nie erfahren.“). Aber ist man beim deutschen Fernsehen immer noch nicht so weit, eine ganz einfache Möglichkeit inbetracht zu ziehen? In den letzten 2 Jahren hat sich das Kräfteverhältnis in AFG massiv verändert, ISAF hat sich gut verdoppelt. Dass dann lokale Gruppen überlaufen, ist eine logische Konsequen. Aber in deutschen Medien kann man sich wohl nicht eingestehen, dass Sicherheit durch mehr Militär erreicht werden kann.
a. Wieviel hat man denen für den Seitenwechsel bezahlt?
b. Ab welchem Angebot werden die wieder die Seiten wechseln?
Vor allen Dingen steht die Hizb-e-Islami einer strengen Koran-Auslegung wie sie z.B. der Wahabismus darstellt, nahe. Das heißt sie sind ideologische Islamisten, die gegen Geld die Seiten gewechselt haben. Außerdem ist deren politischer Flügel im Parlament in Kabul mit einer starken Anzahl von Abgeordneten vertreten, die Karzai stützen. In dem Bericht hieß es ja auch, dass sie vom afghanischen Geheimdienst bezahlt werden. Die Frage war nur wie lange noch.
Die Frage wird sein, wie weit kann man mit ihnen zusammenarbeiten, wie weit kann man ihnen trauen ?
Welche Prinzipien der eigenen Vorgehensweise gibt man im Rahmen von Partnering-Operation bekannt ?
@b
Geldzahlungen sind allgemein für die Gestaltung von Loyalität weniger wichtig als Machtverhältnisse. Wenn bei potentiell zum Seitenwechsel bereiten Kräften nicht die Wahrnehmung besteht, dass sie den Seitenwechsel dank für sie günstiger Machtverhältnisse überleben werden, helfen materielle Anreize wenig. Umgekehrt sind materielle Anreize vielleicht nicht erforderlich, wenn die Machtverhältnisse so wahrgenommen werden, dass ohne Seitenwechsel das eigene Überleben in Gefahr ist.
@Georg
Für „ideologische Islamisten“, die die Seiten wechseln, gibt es gesichtswahrende Ausreden. Grundsätzlich gilt, dass der Seitenwechsler immer ein guter Muslim war und jetzt erkannt hat, dass die, von denen er sich abwendet, ihn getäuscht oder sich selbst vom Islam entfernt hätten etc.
Es werden sich kaum Afghanen finden, die bei öffentlichen Äußerungen nicht als „ideologische Islamisten“ erscheinen. Dahinter verbirgt sich ein gewisser Pragmatismus, der es einem tagsüber „Tod den Christen“ brüllenden Demonstranten erlaubt, abends mit seinen Freunden Wodka zu trinken.
Will man verhindern, dass ein pragmatischer Paschtune Konzessionen eingeht, dann beglückwünscht man ihn dafür, durch seine Konzessionsbereitschaft nicht mehr einer „strengen Koran-Auslegung“ zu folgen. Genausogut könnte man einem deutschen Politiker dafür gratulieren, im Rahmen eines Kompromisses „strenge Maßstäbe von Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechten“ aufgegeben zu haben. Das mag zwar zutreffen, stellt die Person aber bloß und zwingt sie, ihre Glaubwürdigkeit wieder herzustellen.
Seine Grenzen findet diese Möglichkeit zum Pragmatismus auch bei bestimmten Führern der Aufständischen, die sich öffentlich so festgelegt haben, dass Konzessionen zu völligem Glaubwürdigkeits- und anschließend Machtverlust führen würden.
Ich sehe das derzeitige Kräfteverhältnis im Norden AFG auch als Hauptgrund für einen Seitenwechsel dieser hizb al islam-Zelle und nicht Geld. Scheinbar üben die USA zur Zeit einen solchen Druck aus, daß ein Überlaufen ratsam erscheint und die Taleban als Gegner weniger gefürchtet werden.
@ SW:
„Geldzahlungen sind allgemein für die Gestaltung von Loyalität weniger wichtig als Machtverhältnisse.“
sehe ich genauso. Kollaboration und Unterstuetzung fuer den Counterinsurgent sind das Resultat von territorialer Kontrolle, wie es zum Beispiel auch Stathis Kalyvas am Beispiel Griechenlands eindrucksvoll nachgewisen hat (http://stathis.research.yale.edu/documents/Ethnicdefection.pdf) . Es verwundert mich immer wieder, wie wenig dieser Punkt in der oeffentlichen Diskussion, zumindest in Deutschland, beruecksichtigt wird.
Ich denke auch, dass die Herren dort sehr pragmatisch, wenn nicht gar heuchlerisch sind. Aber so sind se halt. Fragt sich nur, wie stabil das ist.
Das erwähnte „Bauernkriegerkonzept“ soll wohl eine Miliz sein. Klingt gut.
Ich denke des Rätsels Lösung ist relativ einfach. Nachdem im Vorfeld der Taohid Operationen im nördlichen Baghlan HIG Anhänger durch Aufständische verdrängt wurden, ist es nur logisch, wenn sie versuchen über die Reintegrationsschiene – sozusagen legalisiert durch die afghanische Regierung und mit Rückendeckung von ISAF – ihre vormals angestammten Gebiete wieder zu „zurückzuerobern“. Also ein „Zweckbündnis“ mit wenig Aussicht auf dauerhaften Erfolg.
http://de.wikipedia.org/wiki/Operation_Taohid