„Gezielte Tötungen“ – die Diskussion geht weiter
Eine Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage des Grünen-Abgeordneten Christian Ströbele dürfte die Diskussion über gezielte Tötungen von Aufständischen in Afghanistan wieder anheizen. Denn in dieser Antwort, so ist heute zum Beispiel in einem Bericht der taz zu lesen, soll bei Einsätzen deutscher Spezialkräfte – der so genannten Task Force 47 – gezielt bombardiert worden sein.
Ich hab’s heute nicht geschafft, diese Antwort zu bekommen – die muss man sich sehr genau anschauen und gucken, wie das mit der offiziellen Aussage des Verteidigungsministeriums übereinstimmt, Zugriffsoperationen, bei denen deutsche Kräfte die Verantwortung für die Anwendung militärischer Gewalt haben, die Ausführung übernehmen oder an denen sie sich beteiligen, erfolgen ausschließlich mit dem Ziel, die Person festzusetzen.
Eine Bewertung der Antwort stelle ich deshalb erst mal zurück. Aber auf die innenpolitische Debatte dürfte sie so oder so Auswirkungen haben.
(Vorsorglich die Bitte, in den Kommentaren jetzt keine Meinungsschlacht um den Abgeordneten Ströbele zu entfachen…)
Die Behauptung Ströbeles, dass die Tötung von Aufständischen bzw. die Unterstützung entsprechenden Handelns durch die Bundeswehr gegen „Grundgesetz, Völkerrecht und die Menschenrechtskonvention“ verstoßen würde, ist falsch. Ströbele bleibt wohl auch deshalb im Ungefähren, weil er nicht in der Lage wäre, eine stringente Begründung für seine Behauptung zu konstruieren. Leisten kann er sich solche steilen Behauptungen nur, weil Friedensrhetorik dieser Art in Deutschland allgemein nicht hinterfragt wird und er keine kritischen Fragen zu befürchten hat.
In der Antwort auf die Anfrage heisst es übrigens nur, dass die Bundeswehr nicht an der “ Durchführung von national durch die USA geführten Operationen“ beteiligt sei. Damit schließt man explizit nicht aus, dass entsprechende Unterstützung im Rahmen von ISAF stattgefunden hat.
Die Bundesregierung spekuliert bei ihrer zweideutigen Antwort offenbar darauf, dass die Tötung von Aufständischen im Rahmen des Targeting-Prozesses von der deutschen Öffentlichkeit für etwas gehalten wird, was nur von den USA durchgeführt wird. Tatsächlich jedoch handelt es sich im Wesentlichen um eine ISAF-Angelegenheit. Um glaubwürdig behaupten zu können, dass deutsche Stellen in keinster Weise unterstützend an der Tötung von Aufständischen im Rahmen des Targeting-Prozesses von ISAF beteiligt seien, müsste Deutschland sich schon komplett aus der NATO zurückziehen. Andernfalls ist diese Behauptung unglaubwürdig.
Haben Sie die Antwort im Wortlaut? Bislang ist mir das noch zu ungenau…
Die Antwort der Bundesregierung ist sehr lang (liegt jedoch an den vielen Fragen der Fraktion) und auf der Seite von MdB Tom Koenigs zu finden:
http://www.tomkoenigs.de/cms/default/dokbin/352/352250.antwort_auf_kleine_anfrage_vom_17_08_201.pdf
Wenn ich das recht sehe, wird mir nicht ganz klar, ob wirklich Ströbele diese Anfrage gestellt hat oder die Fraktion???
Eigentlich finde ich die ganze Diskussion hirnrissig!!!
Sollen Soldaten den Gegner nicht aufspüren und töten dürfen oder müssen wir immer darauf warten, dass dieser gegen uns tätig wird (à la Duellsituation im Hinterhalt), damit wir ihn töten dürfen?
So verlieren wir endgültig die Initiative im Gefecht und wenn diese verloren geht, geht der militärische Teil der Auseinandersetzung definitiv verloren.
Die Wissenschaftler, die ich kennen lernen durfte aus dem Bereich des humanitären Völkerrechts, lehnen gezielte Tötungen nicht per se ab.
Es gibt zu der Thematik auch eine Abhandlung des Internationalen Komitee des Roten Kreuz, jedoch fehlt mir derzeit die Zeit, dieses lange Abhandlung (mehrere hundert Seiten) auf englisch zu lesen.
@T. Wiegold
Hier steht etwas mehr: http://www.stroebele-online.de/show/3989082.html
Demnach handelte es sich um Luftnahunterstützung in Form von „Show of Force“.
Ströbeles Internseite stellt den Kontext etwas anders dar als die taz. Ströbeles Bewertung bezieht sich demnach nicht auf die Luftnahunterstützung, die von der taz irreführend beschrieben wurde, sondern auf die Bekämpfung von Zielen, die durch die Bundeswehr nominiert wurden, durch die Amerikaner außerhalb von ISAF. Seine Bewertung bleibt aber unzutreffend und wird auch nicht näher begründet.
Ich habe mir mal den Text der Antwort bei Herrn Ströbele bestellt. Es sieht für mich alles nach ganz großem Theater aus, bei dem sowohl Ströbele als auch die Bundesregierung primär andere Interessen als die Aufklärung der Öffentlichkeit verfolgen, aber ich bin gespannt, was in der Antwort noch alles zwischen den Zeilen steht.
@Jugendoffizier
Vielen Dank für den Link zu der Antwort!
Ich war von einer Ströbele-Anfrage ausgegangen, aber es liest sich tatsächlich so, als sei es zumindest eine Anfrage mehrerer Abgeordneter (was ja auch durch die Veröffentlichung auf Koenigs Seite bestätigt wird).
Jetzt mal in Ruhe lesen. Aber nach erstem schnellen Drübergucken scheint sich seit dem Stand, den ich schon 2007 beschrieben habe, nichts Grundsätzliches an dieser Stelle geändert zu haben: Die im Detail offene Frage, inwieweit Zielpersonen, die von den Deutschen für „Festnahme“ gemeldet werden, von anderen Nationen gezielt getötet werden.
@jugendoffizier
Der ganze Ablauf steht fest auf dem Boden des humanitären Völkerrechts, was ISAF und USFOR-A angeht. Begründete Kritik beschränkt sich auf Formalia, z.B. wenn die Tötung von Feind in Pakistan durch Personal durchgeführt wird, das nicht Teil der amerikanischen Streitkräfte ist.
Ströbele gehört zu jenen, die sich eher auf gefühltes Völkerrecht beziehen und gerne so tun, als seien bestimmte Fragen (Stichwort „nicht-internationaler bewaffneter Konflikt“) nicht längst geklärt.
Hier der Link zu einer vielbeachteten Abhandlung eines IKRK-Mitarbeiters, der diese nur als persönliche Ansicht und nicht im Namen des IKRK veröffentlich hat. http://ukcatalogue.oup.com/product/9780199533169.do
@Thomas Wiegold
„Die im Detail offene Frage, inwieweit Zielpersonen, die von den Deutschen für “Festnahme” gemeldet werden, von anderen Nationen gezielt getötet werden.“
Offen ist auch die Frage, warum das ein Problem sein sollte.
Das einzige objektive Problem ist hier, dass die Nominierung als Capture-Ziel nicht auf Beurteilung der Lage sondern auf nationalen innenpolitischen Argumenten beruht. Es ist die Bundesregierung, die sich hier falsch verhält und nicht jene Staaten, die lagegerecht handeln.
Eine Kleine Anfrage ist ein parlamentarischer Vorgang, der in der GeschOBT geregelt ist. (§75 i.Vm. § 104 GeschOBT)
Sie wird üblicherweise von einer Fraktion formuliert – hier haben also die Grünen als Fraktion „zugeschlagen“ – nicht nur Herr Ströbele.
Einzelnen Abgeordneten steht steht das Recht zur Schriftlichen Frage an die Bundesregierung zu. (Max. 4 pro Monat, wenn ich mich recht erinnere.)
Die Antworten auf Schriftlichen Fragen fallen erfahrungsgemäß deutlich knapper und lustloser aus als die Antworten auf Kleine (und Große) Anfragen.
Die Antwort findet sich als PDF hier http://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/17/028/1702884.pdf
Für die Recherche sehr zu empfehlen ist die Bundestags „Suchmaschine“ DIP
http://www.bundestag.de/dokumente/suche/index.html
Zu den einzelnen Drucksachen gibt gibt es hier auch immer einen Verlauf mit abrufbaren Folgedokumenten (Antworten, Anträgen, Plenarprotokollen), so vorhanden.
In der Regel findet man hier alles schnell und direkt und muss es nicht bei einem MdB Büro bestellen.
Nicht umsonst hat im letzten Jahr ein hoher ISAF-Offizier (USA) gesagt, die „Deutschen müssten wieder das Töten lernen“… Er meinte sicher eher das Militär, aber „die Deutschen“ trifft es schon ganz richtig…
@Thelamon
Schon richtig. Meist gibt’s aber zwischen der Antwort an die Fragesteller und der Veröffentlichung ein paar Tage – und die nutzt dann ein Abgeordneter gerne, die Antwort gezielt zu promoten…
Das deutsche Militär hat spätestens am 15.04.2010 und danach bewiesen, das es Töten kann, wenn es sein muss – allerdings sind sie in der Entwicklung da wohl schneller als die politische Seite, die noch in den späten 90er festzuhängen scheint und Alles, was dieses Thema betrifft aus Berlin reglemenitieren möchte; inklusive operativer Entscheidungen vor Ort. Manchmal scheint es, das einige Spätaktivisten in ihrer eigenen, kleinen Welt leben…
Ich hab jetzt mal ganz dreist darauf verzichtet, alles zu lesen und Quellen zu bemühen.
Aber es wurde doch schon vor 2-3 Monaten von Völkerrechtlern klargestellt, dass „gezielte Tötungen“ (dämlicher Begriff) ausdrücklich zulässig sind.
Die Bundesregierung hält sich nur einfach zurück.
Die ganze Diskussion ist wirklich dumm. Manche glauben vermutlich, der Einsatz wäre ein Pädagogikprojekt und die Soldaten Streetworker.
Eine Schande ist das. Ich zieh den Vergleich nicht gerne und er ist auch weit hergeholt. Aber wir hatten schonmal einen Politiker, der meinte ein besserer Feldheer zu sein, als einer der versiertesten Generalstäbe der Geschichte. Sich aus ideologischen Gründen so der Realität zu verweigern ist unverantwortlich und ist auch ein entscheidender Grund für viele erlittene Verluste.
So hier mal die oben vom Jugendoffizier erwähnte Rechtsgrundlage des internationale roten Kreuzes
http://www.icrc.org/Web/Eng/siteeng0.nsf/htmlall/p0990/$File/ICRC_002_0990.PDF
Es sei jedoch zu anzumerken dass das IKRK eine NGO ist, eine wichtige aber eben „nur“ eine NGO und dieses Dokument völkerrechtlich nicht verbindlich geschweige den Gewohnheitsrecht ist. Somit sollte man es mit vorsicht zitieren und anwenden, auch wenn es die gezielte Tötung erlaubt und ein Schädigungsrecht gegenüber Mitgliedern einer bewaffnetn Gruppe vorsieht.
Mich würde an dieser Stelle mal intressieren woher der MdB Ströble seine Kenntnisse über das Völkerrecht und Grundgsetz hat, an dieser Stelle vorallem die juristische Argumentation aber dafür fehlen wohl die Argumente. Aber Populismus ist immer eine gute Schiene, wenn die Sachargumente ausgehen.
Manche glauben vermutlich, der Einsatz wäre ein Pädagogikprojekt und die Soldaten Streetworker.
Im Ernst: Hätte das vor sieben Jahren wer geglaubt und durchgezogen, dann hätten wir heute vermutlich die Probleme nicht.
Und dass das Mentoring/Partnering immer noch in den Kinderschuhen steckt, und sowohl Soldaten als auch zivile Aufbauhelfer kaum vor Ort operieren, sondern aus Kabul und den Feldlagern heraus, ist doch immer noch ein wesentlicher Kern des Problems.
Mehr Straße, mehr Pädagogik würde dem deutschen Engagement wohl ganz gut tun.
Ich hab die „aber es ist Krieg“-Leier mittlerweile irgendwie satt. Es ist einfach zu einer so bequemen Ausrede verkommen, dass sich Bundeswehr und Medien, ja selbst unser Entwicklungsminister, sich jetzt auf die spektakulären Kampfoperationen der Bundeswehr um Kundus konzentrieren. Dass die eigentliche Aufgabe – das Schaffen von Sicherheit und stabilen Strukturen – darüber in den Hintergrund gerät interessiert kaum jemanden. Die Bundeswehr kann kämpfen wie sie will, das ist nicht der entscheidende Faktor bei diesem Einsatz.
Da werden Anfang September im RC Nord vier Entwicklungshelfer entführt, die Taliban erpressen Konzessionen von der NGO, und weder Medien noch Bundeswehr interessierts. In Faryab wird nicht auf Bundeswehrsoldaten geschossen, Faryab ist nicht interessant. So einfach scheint das.
@ J.R.
Danke. Stimmt, es setzt eine gewisse Betriebsblindheit ein, und die verlinkten Beispiele sind auch mir durchgegangen.
Es schreibt sich leicht von „mehr Straße“, wenn man entspannt im fernen Deutschland am PC sitzt. Waren sie jemals „dort auf der Straße“? Ich spreche jetzt nicht von der Bedrohung durch INS oder IEDs, sondern von der Gleichgültigkeit des einfachen Volkes in Afghanistan. Sie bringen den Kindern eines Dorfes Fussballschuhe vorbei, die zu Hause gesammelt wurden, freuen sich, das Alles irgendwie geklappt hat – und die Erwachsenen des Dorfes haben kein Wort des Dankens, sondern fragen, warum sie keine Trikots mitgebracht haben (so geschehen bei einem Projekt im RC N.)
Da kollidieren Welten, wenn nicht sogar Zivilisationen… Alles nur aus unserer Sicht der Dinge und vor allem mit unserem Verständnis zu betrachten, ist nicht zielführend. Und was die Entwicklungshelfer betrifft, so hat es die Bundeswehr (vor Ort im Land) sehr wohl interessiert – aber die öffentliche Berichterstattung darüber liegt wohl kaum in den Händen des BMVg, sondern eher bei anderen Stellen dieser Regierung.
@ Voodoo
Nein, ich war noch nicht in Afghanistan, ich gehöre zu den Leuten, die in Deutschland am PC sitzen. Alles was ich tun kann ist mir anzuhören was Leute vor Ort zu sagen haben, mir eine Meinung zu bilden. Und diese mit der Berichterstattung von Medien, Bundswehr und Regierung zu vergleichen, und auf Diskrepanzen aufmerksam zu machen. Diese Freiheit nehme ich mir aber auch.
Und da man sich ja in Bundeswehr-Kreisen auch sonst nichts dagegen hat wenn die „Heimatfront“ Forderungen stellt, etwa wenn es etwa um mehr Sympathie oder mehr Ausrüstung geht, hab ich da auch kein schlechtes Gewissen. ;)
Und ja, die deutschen Soldaten sehe ich da durchaus in der Pflicht zu berichten, und das BMVg in der Pflicht, diese Berichterstattung auch zuzulassen. Dergleichen zu unterlassen, aber dann zu kritisieren dass niemand die Lage vor Ort versteht, finde ich etwas heuchlerisch. Und da muss man dann auch sagen: Freie Meinungsäußerung steht bei den Bundeswehr-Verbänden und -Vereinen anscheinend recht weit unten auf der Agenda, beim BMVg ja sowieso.
Dabei zeigt gerade die recht lebendige amerikanische MilBlog-Szene, dass es auch anders geht. Aber bis ein Artikel wie „A Tale of Two Wars“ in einem deutschen MilBlog erscheint wird vermutlich noch sehr viel Zeit vergehen.
Der NDR hat am vergangenen Wochenende zu dem Thema einen Beitrag ausgestrahl, in dem der frühere KSK-Kommandeur Hans-Heinrich Dieter das problem sehr deutlich beim Namen nennt. Mich hat vor allem erstaunt, dass sich Außen- und Verteidigungsminister offenbar nicht einig sind, wie ‚target killings‘ zu bewerten sind.
Das Sendemanuskript findet sich hier: http://www.ndr.de/info/programm/sendungen/streitkraefte_und_strategien/streitkraeftesendemanuskript219.pdf