Die unerzählten Geschichten aus Baghlan
Als Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg am vergangenen Wochenende am Observation Point North, afghanische Provinz Bahglan, Nordrand des Distrikts Baghlan-e-Jadid, landete, bekamen meine mitgereisten Kollegen deutliche Worte zu hören. Über den harten Einsatz der Bundeswehr in dieser Region, an der Gabelung der beiden wichtigen Verbindungsstraßen Highway 1 und Highway 7, werde in den deutschen Medien ja gar nicht berichtet, klagte Oberstleutnant Jared Sembritzki, Kommandeur der Quick Reaction Force (und sonst des Gebirgsjägerbataillons 231 in Bad Reichenhall).
Der Mann hat Recht.
Allerdings weniger, weil wir nicht berichten wollten. Sondern weil wir von diesem Einsatz kaum etwas wissen.
Seit April agieren die Gebirgsjäger, die die Quick Reaction Force des ISAF-Regionalkommandos Nord stellen, in der Provinz Baghlan. Mehr als drei Monate am Stück waren sie draußen, in einer Gegend, die nach ihren Worten an Vietnam erinnert: Reisfelder und mittendrin eine Straße.In den Worten des deutschen Regionalkommandeurs, Generalmajor Hans-Werner Fritz, klingt das nüchtern so: Unsere Soldaten operieren mittlerweile über Wochen in Gebieten weitab befestigter Feldlager, leben unter harten klimatischen Bedingungen mit Tagestemperaturen von mehr als 50 Grad Celsius gemeinsam mit ihren afghanischen Kameraden und kämpfen gegen einen Gegner, der als solcher zunächst nicht erkennbar ist, da er keine Uniformen im herkömmlichen Sinn trägt, sie Tag und Nacht beschäftigt und sich dabei an keine Regeln hält.
(Ein Foto der Bundeswehrsoldaten in diesem Einsatz kann ich nicht finden (!), deshalb dieses: 10th Mountain 1st Brigade Special Troop Battalion 2nd Platoon Alpha Company soldiers utilize an abandoned Afghan National Army facility for shelter during their mission with 209th Corps ANA Route Clearance Company from Camp Shaheen, Mazar-e-Sharif. The combined team provided improvised explosive device detecting and removal capabilities in the increasingly violent Baghlan Province. ISAFmedia via flickr)
Von diesen Operationen wochenlang abseits befestigter Feldlager, von Gefechten, aber auch von guten Begegnungen mit der Bevölkerung erzählen die Gebirgsjäger, wenn man sie bei einer ihrer seltenen Ruhepausen im Camp Marmal in Masar-i-Scharif trifft. Von der Verpflegung, die vom Hubschrauber abgeworfen wird (für die Deutschen EPA ordentlich auf Paletten gepackt, für die mit eingesetzten amerikanischen Kräfte MRE’s (Meals Ready to Eat) in Leichensäcken verpackt – das optimale Transportmittel. Wenn auch im Hauptquartier die Alarmglocken schrillen, wenn plötzlich Dutzende von Leichensäcken angefordert werden.
Und sie erzählen von den Gefechten, die sich, wenn überhaupt, in den offiziellen Mitteilungen in Deutschland nur als nach Feindberührung Auftrag fortgeführt wiederfinden. Von der Anhöhe, wo noch die alten Unterstände vorhanden waren, aus denen vor Jahrzehnten die Mujaheddin ganze russische Einheiten aufgerieben haben. Von dem plötzlichen Feuerüberfall, bei dem das Mörserfeuer ganz offensichtlich von einem Beobachter über Funk gesteuert wurde und der einen Schützenpanzer Marder nur knapp verfehlte. Von dem RPG-Kopf, dessen Zündmechanismus durch einen Außenspiegel ausgelöst wurde, so dass die Ladung 20 Zentimeter vor der – gepanzerten – Scheibe explodierte. Und von Panzerabwehrgeschoss, dass knapp unterhalb des Kampfraums durch das Fahrwerk eines Fuchs-Transportpanzers donnerte.
Aber sie erzählen auch von dem Kleinkind, dass – unabsichtlich – mit kochendem Teewasser verbrüht wurde und keine Überlebenschance gehabt hätte. Wenn nicht der amerikanische Rettungshubschrauber eingeflogen wäre und das Kind samt Großvater mitgenommen hätte ins Feldlazarett. Wenn sich nicht ein Offizier an seine Großmutter erinnert hätte, die bis ins hohe Alter davon erzählte, wie die amerikanischen Truppen damals im Bayerischen die einzigen waren, die Penicillin hatten, und damit schwer kranke Deutsche retteten. So etwas, findet er, wird auch für die Afghanen etwas sein, woran man sich noch in Jahrzehnten erinnert. Und was die Haltung der Bevölkerung bestimmt.
Und natürlich erzählen sie auch von den Scharfschützentrupps, die eine erkannte gegnerische Stellung im Auge behalten. Und nicht zögern zu schießen, wenn sie dort einen Bewaffneten entdecken. Über die Munitionswahl für die 20-Millimeter-Kanone des Marders, wenn von einer Baumreihe Feuer kommt. Und die Schwierigkeiten, in diesem hügeligen Gelände zu lokalisieren, von wo Schüsse abgefeuert wurden. Oder die Versuche des Gegners, den deutschen Truppen mit Schützenpanzer, Fuchs und Dingo den Weg abzuschneiden, indem einfach Bewässerungsgräben geflutet und Brücken zerstört werden. Vom Stolz der Gebirgsjäger, einer Infanterietruppe, dann eben eine Holzbrücke zu bauen (deren Material, auch das eines der irrsinnigen Dinge in diesem Krieg, von einer Zivilfirma angeliefert wird).
Aber sie erzählen auch von den afghanischen Soldaten und Polizisten, die gemeinsam mit den deutschen und amerikanischen Truppen eine Gegend von den Aufständischen säubern, befreien sollen, Clear heißt das im Militärjargon. Von der Tapferkeit der Afghanen, die ohne Zögern selbst bei heftiger Gegenwehr einen Hügel stürmen würden – aber überfordert sind, eine Kompanie so aufzuteilen, dass die Zugführer eigenverantwortlich ihre Soldaten einsetzen können.
Und nicht zuletzt fragen sie sich, wer diese Gegend halten wird, wenn sie in absehbarer Zeit abziehen. Wenn die Operation Taohid III für beendet erklärt wird und die Sicherheit in den Händen der afghanischen Sicherheitskräfte liegt. In den Händen derer, die jetzt schon bisweilen lieber gehen als bleiben. Wie zu Beginn des Ramadans, als die Deutschen morgens ihre afghanischen Kameraden fröhlich winkend abfahren sahen.
All‘ diese Geschichten sind bislang nicht erzählt. Aber wenn der Oktober vorbei ist, kehren die Gebirgsjäger der Quick Reaction Force zurück in ihre bayerische Heimat. Vielleicht wird man dann noch viel mehr dieser Geschichten hören.
Großartiger Artikel, vielen Dank!
Sie haben ganz recht, sowas wird viel zu wenig bericht. Die mainstream-Medien müssten das eigentlich viel intensiver behandeln.
Mir hat es wirklich spaß gemacht das zu lesen, nochmal danke:)
Ich möchte auch noch einige Fragen aufwerfen, die Sie sicher besser als irgendwer sonst hier beantworten können:
Warum gibt es keine genaueren Berichte? Warum keine eingebetteten Reporter? Uli Gack hatte das ja eine Weile mal gemacht und da sah man sich eine Zeit lang wirklich gut informiert. Warum gibt es keine Fotographen mehr vor Ort? Das hatte Fabrizio Bensch eine Weile sehr gut gemacht. Ausgezeichnete Fotos sind entstanden.
Haben die Medien eigentlich gar kein Interesse mehr und intensiver zu berichten? Gibt es keinen Markt dafür? Oder liegt es am Ministerium? Da dachte ich allerdings, dass seit zu Guttenberg die Informationspolitik viel offener geworden sei.
Vielen Dank im Voraus, Herr Wiegold:)
Oder um es kurz zu machen: warum nimmt sich kein deutsches Medium dem Einsatz in Afghanistan in aehnlicher Weise an, wie bspw. die New York Times in ihrem Feature „A Year at War“, bei dem sie ein Bataillon der 10th Mountain ein Jahr begleitet?
Und anders gefragt: Warum macht es die Bundeswehr nicht selbst, und produziert stattdessen leblosen Medienmuell?
Hier noch der Link zur NYT: http://www.nytimes.com/interactive/world/battalion.html
Und hier der Link zum BW-Quatsch: http://bendler-blog.de/2010/09/03/praktikanten-fernsehen/
Es müsste sich erst mal ein Journalist finden, der eine unvoreingenommen Einstellung zu dem Thema hat und sich überhaupt auskennt. Davon gibt es in Deutschland leider wörtwörtlich nur eine handvoll. Und wenn, dann arbeiten diese oft für Zeitungen, die ideologisch vorbelastet sind, und gar keine Interesse daran haben Berichte abzuliefern, die in irgendeiner Form positiv sein könnten. Wie Susanne Koelbl, die beim Spiegel feststeckt.
Eine der unerzählten Geschichten dürften die doch argen nationalen Ausrüstungsunterschiede im Feld sein.
Gibt man unseren Soldaten im Feld eigentlich inzwischen wenigstens manchmal zeitgemäße Ausrüstung?
So was wie Rover 6 mit seinen bidirektionalen Fähigkeiten, direkter Pointerung für fast beliebige Wirkmittel etc. ist einfach klasse, um den Nebel des Krieges zu lüften. Werden Sensoren wie KZO angepasst oder ersetzt?
Dann sind so Systeme wie Base Expeditionary Targeting and Surveillance Systems-Combined (BETSS-C) einfach eine feine Sache.
Arbeitet man wenigstens schon daran, Systeme wie die PZH2000 (und GTK Boxer, Puma etc. !?) softwaretechnisch einzuschleifen? Oder schnarcht das BWB weiter vor sich hin und wir bleiben bei den vielen Inseln?
Vielleicht könnte man ja mal hier mehr darüber lesen, wann auch unsere Soldaten die Ausrüstung des 21. Jahrhunderts von der Industrie und dem Finanzminister gestellt bekommen.
Wozu die Ausrüstung modernisieren, wenn der Einsatz medientechnisch auf Tauchstation gehalten wird ? Wenn man der Öffentlichkeit gar nicht erzählen will, dass Deutschland sich zumindestens abschnitts- und zeitweise im Krieg befindet ?
Wenn man wirklich etwas ändern will, muss man unsere Sicherheitspolitik, unsere Bündnispolitik, unsere Rüstungs- und Beschaffungspolitik von oben nach unten durchgehen und am Schluss ergibt sich die Frage nach der richtigen Ausrüstung für die jeweiligen Einsätze der dann entsprechend aufgestellten und angepassten Bundeswehr.
Solange nicht einem großen Teil der Bevölkerung klar ist, was deutsche Sicherheitspolitik eigentlich erreichen will, kurieren wir an Symptomen.
Die Politik weiß ja noch nicht einmal selbst was sie erreichen will. Von daher…
Zur Medienflaute:
Paßt das der Bundeswehr nicht sehr gut ins Konzept? Der Afghanistan-Einsatz wird ja immer stärker über die „Ausbildung der afghanischen Sicherheitskräfte“-Schiene verkauft. (Und prinzipiell ist dieser Ansatz ja auch richtig.) Was man jetzt aber vor Ort hört, da klappt das trotz des einen oder anderen Erfolgs dann nicht so gut mit der Ausbildung und Zusammenarbeit mit den afghanischen Sicherheitskräften, vieles muss da sogar richtig mies laufen. Auch für die reibungslose Zusammenarbeit untereinander sind die Koalitionstruppen nicht bekannt. (Da werden dann auch mal ein Schwerverletzter nicht ins Feldkrankenhaus durchgelassen weil die Koordination nicht funktioniert.)
Da ist es doch kein Wunder, dass die Bundeswehr bei einer Operation mit etwas über 100 Bundeswehr-Soldaten, rund 400 ISAF-Soldaten und angeblich 2500 afghanischen Sicherheitskräften lieber den Deckel drauf läßt.
Transparenz hinsichtlich der afghanisch-deutschen Sicherheitszusammenarbeit war bisher eh schon nicht gegeben, Berichterstattung über die OMLTs praktisch nicht vorhanden. (Sind ja anscheinend auch nur 7-8.) Und Anzeichen, dass die Ausbildungs- und Schutzbattailonen etwas anderes sind als das altbekannte Nebeneinander-Her-Operierens in einer neugeschaffenen Struktur gibt es auch nicht (siehe etwa die FAZ zum Partnering.
Letztlich ist „Partnering“ (aka „ETT light ohne Kalorien“) ja der Kern der „Abzugsstrategie“ von Regierung und Bundeswehrführung. Ich hab nicht den Eindruck, dass man sich dabei von afghanischen Fakten stören lassen will.
Ist ja auch nicht so, als würde sich da irgendwer für Details interessieren. Die Einsatzkritiker ja eh nicht, und auch das klassische Bundeswehr-Umfeld kriegt bei diesem interkulturell-pädagogischen Gedöns ja Gähn-Anfälle. Drohnen, Haubitzen und Kaliber sind eine Sache; aber langwierige, frustrierende zwischenmenschliche Zusammenarbeit paßt halt nicht auf die Seiten eines Wehrmagazins, gibt keine posigen Videos und eignet sich auch nur sehr bedingt für Online-Diskussionen.
@ J.R.:
Teile diese Ansicht.
Auch unsere Generalität redet gern über zusätzliche SPz, aber das Partnering ist nicht einmal komplett durchdacht worden (Hold phase?). Welche – gerade zwischenmenschliche – Folgen es hat, wenn man nur so halb „partnert“ haben ja unsere OMLT bereits offenbart (Problem waren oft die realitätsfernen Auflagen der Führung….).
Wir wolen aus der ANA eine NATO-ähnliche Armee wird, aber hat die konventionelle NATO wirklich die richtigen Antworten für das unkonventionelle AFG.
Die Bw hat ja noch nichtmal ein Grundverständnis von COIN bzw. entsprechende Ausbildung auf allen ebenen.
Man sollte Fußballspieler nicht zu Handballtrainern machen…
Zudem darf es ja auch keine Forderungen nach anderer Ausrüstung fürs Partnering geben..
Was die Bürokraten in Uniform übersehen: Die andere Seite schläft nicht, nur weil wir es tun… Beim Partering gibt es noch ein böses Erwachen..
Da ist noch die Frage offen, warum es nicht Berichte und/oder Fotos aus diesem Einsatz in Baghlan gibt…
Ganz einfach. Es war noch keiner von meinen Kollegen dabei – die saßen in Kundus. Weil (bislang) noch keiner die Möglichkeit bekommen hat, eine Zeitlang mit nach Baghlan-e-Jadid zu fahren. Übrigens, als der Kommandeur beim Minister-Besuch seine Kritik an den Medien äußerte, hoben ein paar Kollegen spontan die Hand und sagten, sie würden natürlich gerne kommen. Schauen wir mal.
An der Stelle könnte man dann nochmal gut darauf hinweisen, dass es mindestens fünf amerikanische Blogs von Leuten aus ETTs/OMLTs gibt (Afghanistan Shrugged, Afghan Quest, Bouhammer’s Afghanistan and Military Blog, 270 Days in Afghanistan, To Afghanistan and Back), aber kein einziges deutsches.
Sehr lesenswert, gerne mehr davon.
Sehr erschöpfende Antworten, danke an alle.
Tja, der SPIEGEL war jetzt wohl ein paar Tage da draußen, es geht also offensichtlich, wenn man will. Warten wir mal auf diese „Geschichte aus Baghlan“…
Netter Artikel.
Das Image der Bundeswehr dürfte bei vielen Menschen steigen, wenn öffentlich würde, was z.B. die Gebirgsjäger leisten. Viele zweifeln ja an der Qualität der Soldaten, teilweise ja auch mit Recht und das Schmuddelimage ist schwer abzustreifen. Deshalb müssen eben die aus Soldatensicht positiven Berichte an die große Glocke. Es muss klar werden, dass sich Teile unserer Bundeswehr nicht mehr verstecken müssen.
Ist halt leider alles ne Sache der richtigen Propaganda.