Die Vergessenen von Faisabad
Es ist schade, dass Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg bei seinem Afghanistan-Blitzbesuch am vergangenen Wochenende zuletzt in das Provincial Reconstruction Team (PRT) Faisabad reiste. Da waren meine Kollegen damit beschäftigt, seine vorangegangenen Besuche in Kundus und vor allem im Kampfgebiet, am Observation Point North, für die Montagsausgaben zu vermelden. (Das ist durchaus verständlich, mir wäre es genau so gegangen.) Bei den 90 Minuten Aufenthalt des Ministers in Faisabad ging damit auch unter, was in diesem PRT los ist. Nämlich eigentlich nichts.
Feldpost und Friseur im PRT Faisabad
Und genau das ist das Problem.
Im November vergangenen Jahres hatte das Verteidigungsministerium an die Abgeordneten des Deutschen Bundestages für das PRT Faisabad noch eine Kopfstärke von fast 480 deutschen Soldaten gemeldet. Inzwischen sind es nur noch zwischen 260 und 280. Im vergangenen Jahr war dieses PRT noch in der Lage, eine Kompanie zur Verstärkung nach Kundus zu schicken. Mittlerweile ist dieses PRT im Wesentlichen noch in der Lage, den eigenen Betrieb aufrecht zu erhalten und sich selbst zu schützen. Von richtiger Arbeit in der entlegenen Provinz Badakhshan, wofür so ein PRT ja eigentlich vorgesehen ist, kann nicht die Rede sein.
Das könnte eigentlich egal sein. Ist es doch eine abgelegene Provinz, wo wenig passiert und wo die Präsenz der ISAF nicht so wichtig ist. Oder?
Das ist aus verschiedenen Gründen ein Irrtum. Aus deutscher innenpolitischer Sicht vor allem deshalb, weil spätestens im kommenden Jahr Faisabad und Badakhshan eine wichtige Rolle spielen werden: Schon jetzt sind Stimmen zu hören, die bis zum Sommer 2011 den Abzug aus diesem entlegenen Außenposten und die Übergabe der Sicherheitsverantwortung der Provinz an die Afghanen für möglich halten. Weil ja aus eben diesen innenpolitischen Gründen im kommenden Jahr ein sichtbarer Erfolg her muss. Und was lässt sich leichter aufgeben als ein PRT, von dem man nichts hört?
Dass man nichts hört, heißt allerdings nicht, dass alles in Ordnung ist. Die afghanischen Sicherheitskräfte in dieser Provinz sind zerstritten, eine koordinierte Arbeit von afghanischer Armee, Polizei, Grenzpolizei und dem afghanischen Sicherheitsdienst NDS findet kaum statt. Außerdem ist dieses gebirgige Gebiet an der tadschikischen Grenze nach wie vor weitgehend unzugänglich – ohne Hubschrauber, eine knappe Ressource der ISAF-Truppen, sind viele Dörfer gar nicht erreichbar. Ob das Fehlen aufmerksamkeitsheischender Berichte wirklich heißt, dass dort Ruhe herrscht, darf man bezweifeln.
Und zum anderen: Wenn Truppen in die entlegenen Gebiete reingehen, finden sie auch was. Wie in der vergangenen Woche eine kombinierte Operation von afghanischen und US-Truppen zusammen mit der amerikanischen Drug Enforcement Agency, die ein Waffenlager in Badakshan aushoben. Mit 78 Raketen vom Kaliber 107mm, auch wenn sie alt sein mögen, lässt sich eine Menge Unheil anrichten.
Das alles dürfte der Minister bei seinem Kurzbesuch gehört haben. Viel Spielraum, an der Situation etwas zu ändern, hat er allerdings nicht. Denn das PRT wurde ja personell so runtergefahren, um an anderer Stelle mehr deutsche Truppen einsetzen zu können. Zum Beispiel im Kampfgebiet im Norden der Provinz Baghlan. Da blieb gar nichts anderes übrig, als Faisabad weitgehend zu vergessen.
Nachtrag: Erst durch einen Kommentar (s.u.) wurde ich auf diese Meldung aufmerksam: Afghanistan: Transportpanzer beschossen. Wenn ich mich nicht sehr irre, ist das genau der Fuchs, mit dem ich kurz zuvor vom PRT zum Flughafen rausgefahren bin. Recht entspannt oben aus der Luke schauend…
Dabei ist das PRT Feyzabad in vielen Belangen tatsächlich recht erfolgreich. Die Medien wurden mit deutscher und US Hilfe in die Lage versetzt, mehr Menschen mit Radio und Fernsehen zu erreichen. Die Lehrer werden in Feyzabad in einer mit deutscher Hilfe finanzierten Schule für ihren Dienst an den Schülern ausgebildet. Ein ANA-Kandak bekommt mit dt. Hilfe eine Kaserne gebaut, direkt neben dem deutschen PRT. Die Polizei bekommt eine eigene Station mit Ausbildungseinrichtung für die Provinz mitten in der Stadt – das ehemals leere Baugelände ist jetzt schon umringt von zivilen Bauten, die sich neben der Polizei seeeeeeeeeeehr wohl fühlen.
Die Stadt selbst atmet den Fortschritt (wenn auch auf afghanisch), denn überall wird gebaut und investiert.
Straßen nach Kunduz werden ausgebaut und zu asphaltierten Straßen gebaut. Es gibt kaum ein Dorf in der Region, das kein Entwicklungshilfeprojekt gesehen hat (ein rausfahren würde sich lohnen für Herrn Wiegold).
Die Sicherheitslage in der Provinz ist sehr stabil für afghanische Verhältnisse – man kann sich überwiegend frei bewegen.
Die beschriebenen Auseinandersetzungen zwischen ANA, ANP, Border Police und NDS sind für Afghanistan nichts besonderes, sondern sogar eher typisch. Sie alle müssen jedoch zusammenarbeiten im OCCP – was im Jahr 2009 recht vielversprechend anlief.
Die eigentliche Frage für die Provinz muss sein, ob die zivile Seite das Vakuum der Bundeswehr füllen kann (i.d. Wahrnehmung der Afghanen) und ob CIMIC weiterhin seiner Tätigkeit in der Region nachkommen kann?
Mittlerweile ist es dort so ruhig, dass man nicht einmal die paar Hundert Meter zwischen FIA (Airfield) und PRT sichern kann oder will.
Das hat aber nichts mit Gesamtstärke zu tun…
Afghanistan: Transportpanzer beschossen
Berlin/Feyzabad, 27.08.2010, Einstellzeit: 17.15 Uhr.
Am 27. August wurde gegen 10.55 Uhr mitteleuropäischer Sommerzeit (13.25 Uhr Ortszeit) ein deutscher Transportpanzer Fuchs auf dem Weg vom Flughafen Feyzabad in das Feldlager des Regionalen Wiederaufbauteams (PRT) mit einer Handwaffe beschossen.
Soldaten wurden nicht verwundet. Der Transportpanzer wurde geringfügig beschädigt.
Eine sofortige Durchsuchung der Angriffsposition blieb ohne Resultat.
Stand: 16 Uhr
Ansprechpartner für die Presse: Einsatzführungskommando der Bundeswehr
Erst neulich las ich einen Artikel der genau das Gegenteilige berichtete. Da stand geschrieben, dass es früher das Camp witzelnd „Bad Feyza“ genannt wurde, davon nun aber wegen der zugespitzten Lage und den häufigen TICs keine Rede mehr sein könnte. (?)
@Jugendoffizier
Das „Zusammenarbeiten müssen“ im OCC-P scheint mir nach dem, was ich höre, eines der Probleme zu sein…
Und zur Sicherheitslage… siehe oben. Mir ist nicht recht wohl, wenn ich überlege, dass ich kurz vorher aus dem später beschossenen Fuchs oben aus der Luke geschaut habe (wenn auch mit Helm und Weste, natürlich).
Das Beschießen von ISAF-Einheiten gehört zum „Guten Ton“ in Afghanistan – darf man gerne auch mal als „Willkommens-Gruß“ deuten.
Die Afghanen in der Provinz dürften mittlerweile schon mitbekommen haben, dass wir den Abzug planen.
Warum also nicht hin und wieder ein Fahrzeug beschießen oder ansprengen, in der Hoffnung, dass wir es uns doch noch einmal überlegen mit dem Abzug?
Es verdienen immerhin verdammt viele Menschen an dem PRT.
Und das OCC-P hatte schon immer so seine eigenen typischen Probleme. Vieles – aber längst nicht alles (!!!) – hängt von der Person ab, die das OCC-P leitet.
Und noch einmal meine Frage:
Ist die Gesamtlage in der Provinz nicht derartig ruhig, dass man die Bw abziehen könnte?
Führen wir uns vor Augen:
Ein gewisses Level an Gewalt wird es immer geben in AFG. Daran können auch wir so rein gar nichts ändern.
Und was vermag ein PRT in der Stärke 500 in einer Provinz, die so groß ist wie die Schweiz und kaum tragfähige Wege hat, wirklich in Richtung Sicherheit bewirken?
Man kann Schlüsselgelände halten oder sich auf Ausbildung der Afghanen konzetrieren. Mehr nicht.
Der Beschuß klingt in der Tat eher nach analogem Anpingen, und wenn die Provinz so abgelegen ist, hat das ja auch den Vorteil, dass da nicht soviel Medienvolk reinkommt ;-)
@Stoltenow
letzteres fand ich nie so besonders glücklich. Die Nabelschau in Kunduz überlagert die ganze Afghanistan-Debatte.