Lagebeobachtung Ukraine, 3. Mai (Update: Deutsche Geiseln frei)

Die Lage in der Ukraine bleibt nach den Ereignissen am Freitag extrem angespannt – und macht deshalb eine weitere Lagebeobachtung auch am (heutigen) Samstag sinnvoll.

Die wichtigsten Dinge, die es im Auge zu behalten gilt:

• Aus deutscher Sicht: Was tut sich mit den entführten Militärbeobachtern? Letzter Stand war am Freitagabend eine Mitteilung des russischen Außenministeriums, nach der die Geiseln an einen russischen Sondergesandten übergeben werden sollen. Dazu gab es eine Meldung der russischen Nachrichtenagentur RIA Novosti, in der dpa-Fassung:

Die moskautreuen Separatisten in der Ostukraine wollen ihre Geiseln nach russischen Angaben unter Bedingungen freilassen. Die festgehaltenen Militärbeobachter der OSZE sollten in die Obhut des russischen Sondergesandten Wladimir Lukin kommen, der sich derzeit in der Ostukraine aufhalte. Das teilte das Außenamt in Moskau am Freitagabend nach einem Telefonat von Außenminister Sergej Lawrow mit dem Schweizer Bundespräsidenten und amtierenden OSZE-Vorsitzenden Didier Burkhalter mit. Voraussetzung sei, dass Lukins Mission nicht von ukrainischen Truppen behindert werde.

• Im Raum Sloviansk (Slawjansk/Slavyansk) – Kramatorsk sollen die Kämpfe zwischen ukrainischen Regierungstruppen und pro-russischen Milizen weitergehen. Nach russischen Berichten sollen die Truppen am späten Freitagabend begonnen haben, Stellungen der Separatisten zu stürmen. Unbestätigten Angaben der pro-russischen Milizen zufolge sollen dabei mindestens 70 Menschen getötet worden sein.

• In Odessa starben bei Auseinandersetzungen zwischen Regierungsanhängern und pro-russischen Demonstranten mehr als 30 Menschen, die meisten davon in einem brennenden Gebäude.

— neue Meldungen am Samstag:

Die Kämpfe bei Kramatorsk, aber auch bei Sloviansk gingen am Morgen weiter. Der ukrainische Innenminister Arsen Awakow auf seiner Facebook-Seite (seinem bevorzugten Kommunikationsmedium):

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Dazu die erste Zusammenfassung bei Al Jazeera: Ukraine forces move on rebels in Kramatorsk. Nach Darstellung der pro-russischen Seite soll es bei den erneuten Kämpfen mindestens zehn Tote gegeben haben.

Der am Vorabend bekannt gewordene Vorschlag des russischen Außenministers Sergej Lawrow, die in Sloviansk festgehaltenen Militärbeobachter sollten dem russischen Sondergesandten Wladimir Lukin übergeben werden, scheint vorerst auf Probleme zu stoßen: Lukin werde der Zugang nach Sloviansk verwehrt, berichtete in der Nacht die russische Agentur ITAR-TASS:

Russian president’s envoy Vladimir Lukin cannot reach the town of Slavyansk in Ukraine’s southeastern Donetsk region because the Ukrainian army units and Right Sector radicals, who blocked access roads to the town, do not allow him to come to the town, the Russian Foreign Ministry said on Friday.
According to the ministry, Lukin is currently in Donetsk and is ready to promptly leave for Slavyansk to have talks on the release of captured military observers from a number of European countries. “A preliminary agreement has been reach with the heads of Slavyansk that European officers will be able to leave the town accompanied by Lukin, but his team should not include other foreign representatives,” the ministry said.

Interessanter Punkt am Rande: Lukins team should not include other foreign representatives – das scheint doch eine Begleitung auch durch die OSZE auszuschließen, die ja über die Freilassung der Geiseln verhandelt? Das wäre eine ziemlich grundlegende Änderung der bisherigen Bemühung um die Befreiung der Militärbeobachter – vier Deutsche, ein Däne, ein Tscheche und ein Pole.

 

soeben vom Bild-Reporter Paul Ronzheimer:

 

 

 

 

(Am Rande, und das ist nicht verifizierbar und kann auch einfach Propaganda sein: Ukrainische Regierungsquellen veröffentlichen angeblich abgehörte Telefonate, die belegen sollen, dass Russland die ganze Zeit Kontakt mit den Geiselnehmern hatten – hier auch in einer englischen Version.) Nachtrag: Dieser Mittschnitt/dieses Video zieht jetzt ziemliche Kreise…

Die russische Nachrichtenagentur RIA Novosti bestätigt die Freilassung unter Berufung auf den russischen Sondergesandten Lukin.

Offensichtlich – und das hatte ich bislang noch nicht gesehen – war auch der Europarat an den Verhandlungen über eine Freilassung beteiligt:

 

Auch die OSZE bestätigt die Freilassung:

 

Der selbsternannte Bürgermeister von Sloviansk hat laut Reuters ebenfalls bestätigt, dass die Geiseln freigelassen wurden.

In der (oben verlinkten) RIA-Meldung unter Berufung auf Lukin ist übrigens (ebenso wie in der Reuters-Meldung) die Rede davon, das zwölf Beobachter freigelassen wurden. Dass würde neben den internationalen Beobachtern – drei deutsche Offiziere, ein deutscher Übersetzer, jeweils ein Däne, ein Tscheche und ein Pole – bedeuten, dass auch die mit festgesetzten ukrainischen Begleiter der Delegation freigelassen wurden.

Die erste offizielle deutsche Bestätigung, allerdings unter Berufung auf die OSZE:

Die offizielle Bestätigung der OSZE:

OSCE Chairperson-in-Office and Swiss Foreign Minister Didier Burkhalter expressed his gratitude to all participating States involved in the efforts for the release of the seven military inspectors  and their Ukrainian hosts who were detained in Sloviansk by a group of armed individuals.

Allerdings sollte man nicht vergessen, dass die freigelassenen Militärbeobachter im Wesentlichen aus deutscher Sicht ein Top-Thema sind. International und für die Ukraine weit bedeutsamer sind die Ereignisse in Odessa – russische Medien wie Russia Today sprechen von einem Massaker, für das der Rechte Sektor verantwortlich sei.  Das wird die weitere Entwicklung in der Ukraine bestimmen, nicht einige freigelassene Ausländer.

Unterdessen rücken ukrainische Truppen angeblich in Kramatorsk ein, wie dieses Video zeigen soll:


(Direktlink: http://youtu.be/JNObM7F9VEA)

Nach russischen Medienberichten sind Volkswehr-Bataillione auf dem Weg von der Krim nach Sloviansk.

Ein aktuelles Foto vom Sprecher des Europarats: Oberst Axel Schneider, Chef der Beobachterdelegation (l.), mit Europarats-Generalsekretär Thorbjørn Jagland und dem russischen Sondergesandten Wladimir Lukin

 

… und die offizielle Mitteilung des Europarats – danach hat der russische Sondergesandte an der Stadtgrenze von Sloviansk, also offensichtlich außerhalb des Rings der ukrainischen Truppen, die freigelassenen Geiseln an den Europarat übergeben:

OSCE military observers released in joint human rights mission with Secretary General Jagland
The OSCE international military observers previously held in Slovyansk were handed over to Council of Europe Secretary General Jagland this morning by Vladimir Lukin, former human rights ombudsman of Russia, at a checkpoint on the boundary of the city. Mr Jagland and Mr Lukin had agreed to travel together to Slovyansk in a joint human rights mission to release the international military observers.
„I am relieved this mission succeeded, because it is so important to protect the work of international organisations and observers,“ said Secretary General Jagland.

Und um 13.27 die erste deutsche Bestätigung aus eigenen Quellen:

Interessantes Detail am Rande: Auch der russische Sondergesandte zieht sich lieber eine Schutzweste an, in Sloviansk:

 

 

Zur Lage in der Ukraine insgesamt eine nicht so richtig einschätzbare Aussage aus Moskau: Kremlin says it is weighing response to ‘thousands’ of pleas for help from Ukraine

 

Im Raum Sloviansk/Kramatorsk hielten die Kämpfe den ganzen Tag an; und auch in Luhansk gab es erneut Auseinandersetzungen:

 

Der stellvertretende ukrainische Verteidigungsminister rechtfertigte in einem Interview, wiedergegeben auf der Facebook-Seite des Ministeriums die Anti-Terror-Aktion:

 The Ukrainian Deputy Minister of Defence, Admiral Ihor Kabanenko stated that the modern high-precision Russian weapons are used against the Ukrainian law enforcement agencies in Slovyansk. This was advised by InfoResist citing Radio Svoboda.
“The fact that mobile anti-aircraft missiles were used tonight, and, by the way, they are of Russian make, and the fact that these terrorists, saboteurs groups are armed with high technology Russian weapons – indicate that an armed force is used against our state, yes, in an unusual way, using asymmetric approaches. All this requires our immediate response in order to prevent this disease from spreading further.” – he said in a live program on Radio Svoboda.
He did not advise the details of today’s operation, simply asking to wait for the final results. “But we must understand that this is a war. We either win or lose on this war. And those forms and methods that are used today – we are forced to use these methods in order to protect our citizens, our state, our way of life, democratic values. All that is being done now – is absolutely appropriate and is designed so that the saboteurs, those people who were paid for and sent over from another state, stop their activities” – said Mr Kabanenko.

Weiter dann nach Entwicklung – gerne (mit der nötigen Sachlichkeit) in den Kommentaren; dann bitte jeweils auch mit Quellenangabe. (Und für die Debatte mache ich wohl einen neuen Thread auf; hier sollte es im Wesentlichen um die Entwicklung der Lage gehen.)