Mehr Abzug durch die Luft
Wenn Laien oder Politiker von einem Abzug aus Afghanistan reden, zucken Militärs zusammen. Muss es doch aus militärischer Sicht korrekt Rückverlegung heißen. Doch die Terminologie ist derzeit das geringste Problem für die Planer der Bundeswehr, die einen – noch nicht genauer definierten – politischen Auftrag werden umsetzen müssen, bis Ende 2014 möglichst viel Personal und Material vom Hindukusch zurückzuholen.
Bislang nämlich ist der Versuch dieser Planung für die Bundeswehr eine Aufgabe mit zu vielen Unbekannten, wie Vizeadmiral Manfred Nielson, Inspekteur der Streitkräftebasis und damit auch Chef der Logistiker, bei einem Gespräch mit Journalisten einräumte. Das fängt schon mit der Frage an, wie viel Gerät und Ausrüstung die Truppe über die vergangenen zehn Jahre in den Einsatz geschafft hat: Wir sind in der Phase, erst mal eine Bestandsaufnahme zu machenb, was in Afghanistan ist, sagt der Admiral. Bislang gebe es nur eine grobe Abschätzung – aber das gehe anderen Nationen genau so. Immerhin ist die Größenordnung bekannt: Rund 1.700 Fahrzeuge, etwa 6.000 Container. Für eine Rückführung in einem solchen Umfang haben wir keine Blaupause, gibt Nielson zu.
Archivfoto vom August 2009: Ein noch relativ leeres Camp Marmal – inzwischen stehen dort viel mehr Container …
Viel gravierender ist allerdings, dass die (politischen) Rahmenbedingungen noch nicht feststehen. Wie wird der Auftrag einer ISAF-Nachfolgetruppe am Hindukusch aussehen, mit wie vielen Soldaten in welcher Zusammensetzung ist die Bundeswehr beteiligt?
Und: wie viel und welches Material wird möglicherweise an die afghanischen Sicherheitskräfte übergeben? Die haben in den vergangenen Jahren schon mehrfach begehrlich den Finger gehoben – gerade bei Gefechtsfahrzeugen wie dem Schützenpanzer Marder, den sie allerdings kaum bekommen dürften.Bei manchem Gerät, manchem Container wird sich zudem die Frage stellen, ob der Rücktransport nach Deutschland noch lohnt oder ob die Transportkosten höher wären als der Restwert.
Absehbar ist nach Nielsons Worten allerdings jetzt schon eines: Viel mehr Material als zunächst geplant wird auf dem Luftweg Afghanistan verlassen – die Bundeswehr rechnet inzwischen, ähnlich wie die anderen ISAF-Nationen, mit einem Anteil von 50 bis 60 Prozent. Bei den US-Truppen war der ursprüngliche Ansatz von fünf Prozent Lufttransport auf ebenfalls mehr als 50 Prozent erhöht worden, nachdem die Landroute über Pakistan aus politischen Gründen praktisch nicht mehr infrage kommt.
Auch die Nordroute über die zentralasiatischen Staaten erweist sich zunehmend als schwierig. Der Admiral musste sich da verständlicherweise diplomatisch ausdrücken und brachte das auf die Formel, trotz bestehender Verträge seien die Ergebnisse ernüchternd.
Der zunehmende Anteil des Lufttransports bedeutet für die Deutschen unter anderem, dass ihre Verträge über die Vorhaltecharter der riesigen russisch/ukrainischen Transportmaschinen Antonov 124 und Iljuschin 76 im so genannten SALIS-Vertrag (Strategic Airlift Interim Solution) bis zum Anschlag ausgereizt werden. Ob zusätzliche Luftransportkapazitäten angemietet werden können, ist sehr fraglich: Die Zahl der auf dem Weltmarkt verfügbaren Flugzeuge dieser Größe ist begrenzt, und alle ISAF-Nationen werden versuchen, darauf zuzugreifen.
Und es bedeutet auch, dass der Flughafen von Mazar-e Sharif für alle Nationen im Norden ein echtes Nadelöhr wird, weil die Zahl der Starts und Landungen pro Tag naturgemäß begrenzt ist. Allerdings gehen die Planer nach Nielsons Worten bereits jetzt davon aus, dass die Antonovs (Fassungsvermögen zehn Container oder vier geschützte Fahrzeuge) und Iljuschins (zwei Container) ihre Fracht nicht aus dem Norden Afghanistans nach Deutschland schaffen, sondern zu einem zentralen Hub irgendwo in Arabien, Asien oder Europa – möglichst in der Nähe eines Seehafens, von dem aus das Material dann per Schiff weiter transportiert wird. Eine Entscheidung ist darüber noch nicht getroffen, arabische Häfen wie Dubai kommen dafür genau so infrage wie andere Häfen in Asien oder gar an der Mittelmeer- oder Schwarzmeerküste.
Das Wichtigste allerdings, das war die Botschaft des Admirals, ist eine möglichst schnelle Entscheidung über die Variablen für die Planung des Abzugs, pardon, der Rückführung. Immerhin sei es bereits gelungen, den Nettozufluss von Material nach Afghanistan zu stoppen. An anderer Stelle hat sich das bevorstehende Ende der ISAF-Mission noch nicht ausgewirkt: In den deutschen Feldlagern am Hindukusch, räumt Nielson ein, wird im Moment noch gebaut.
Dazu passt als Nachtrag diese Geschichte der Navy Times:
Pakistan’s refusal to let NATO access its ports and roads into Afghanistan has cost the Defense Department more than $2.1 billion in extra transportation costs to move supplies and equipment in and out of the country.The stunning revelation of the exorbitant cost comes as the Pentagon continues to negotiate with Islamabad to regain access to the supply routes.
nun gut, gewissen kleinkram (alles unter 16 to) könnte man ja schon mal mit der trall zu nem sammelplatz ausserhalb afgh schaffen. Ein normkontainer sollte wohl reingehen (solange er nicht zu schwer und das zziel -1000 km liegt.
Interessanter ist für mich die Frage wo das Material dass ja eigendlich als expedizionsbedarf beschafft wurde, strukturell einsortiert wird. In welchen strukturen gehen die inzwischen die weit über 600 Dingos und die ca 400 Eagles unter? Würde ja ansich für 10 bis 15 leichte infaterieBTL reichen, zumal jezt auch tatsächlich noch 110 gepanzerte ZETOS beschafft werden.
lg Dante
Was bitte ist denn daran positiv, dass der „Nettozufluss von Material nach Afghanistan gestoppt“ sei? Es kann doch nicht angehen, dass die Truppen jetzt kein zusätzliches Gerät mehr bekommen, nur weil nicht klar ist, wie man es wieder nach Hause bekommt.
Ich hoffe – “ Das fängt schon mit der Frage an, wie viel Gerät und Ausrüstung die Truppe über die vergangenen zehn Jahre in den Einsatz geschafft hat: Wir sind in der Phase, erst mal eine Bestandsaufnahme zu machenb, was in Afghanistan ist, sagt der Admiral.“ – ist jetzt mit ‚durch die Listen gehen und gucken‘ gemeint und nicht im Sinne des Wortes.
@Dante: Die 16t für die Trall stehen nur im Werbeprospekt von ’68.
Mit 6-8t, unter diesen klimatischen Bedingungen, ist man schon gut bedient.
Gratulation an die Planer!
Ja, diese Aufgabe ist fordernd und undankbar. Aber müsste Deutschland nicht noch bis zum Abzug zumindest in Sachen Wirkung außerhalb der Lager Druck machen? Aber so wird das nichts. Im Lager verstecken und Bier und andere Sedativa einfliegen (die fliegen bestimmt auch das Leergut heim…) statt Operationen machen, die Risiken bedeuten. Dann sollten sie doch lieber sofort den Schalter umlegen von Einsatz auf Abzug. Das wäre ehrlicher.
So aber tun mir nur alle „Draußis“ leid, denn nun ist garantiert, dass sie nicht mehr bekommen, was sie brauchen.
Kostenrechnung Rücktransport wird wohl ergeben, dass der Transport zu teuer wird. Daher werden die meisten Teile (Mobiliar, Großteil Container etc) an den „Höchstbietenden verhökert“ (sym. Kaufpreise kennen wir ja schon).
Wie schaut das denn aus, wenn in 2013 neues Großgerät wie NH90 und TIGER zum ersten mal afghanischen Boden betreten sollen? Lohnt sich das überhaupt noch? Oder kommt man zu dem Ergebnis, dass sich das gar nicht mehr lohnt?!
Im Übrigen ist eine Rückverlegung eine eigene Operation und damit Sache der Operationsplaner (FGG 3) und nicht der Logistiker. Der Rücktransport ist nur der logistische (zugegeben nicht unerhebliche) Teil dieser Op.
In der Fiskalpakt/ESM- Debatte im Bundestag hat heute Christian Schmidt, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Verteidigung, etwas verklausuliert (er sei gefragt worden) die Frage gestellt, ob es Krieg in Europa gebe, wenn das alles scheitere. Hat das Thema eine sicherheitspolitische Komponente, die bisher in der öffentlichen Debatte verschwiegen wird?
Hier sein Redebeitrag: http://dbtg.tv/fvid/1773127
Brauchen wir möglicherweise eine Debatte in Deutschland, die erklärt, was dem europäischen Frieden dient und was dafür möglicherweise kontraproduktiv ist? Hat die glückliche Phase des Friedens in Europa möglicherweise die Sensibilität dafür abstumpfen lassen, was zu Krieg führt und wie man Frieden erhält und stabil organisiert?
Um zu diesem Thema zurückzukehren: Es wäre ja ausgesprochen blöd, wenn das Material zurückgeholt werden muss, weil man es in Europa braucht, weil irgendjemand aus Versehen Krieg anzettelt …
@Sun Tzu: Sorry, aber das ist wirklich vollkommen abwegig.
@Ottone:
Ist es das?
Nun wird niemand der bei klarem Verstand ist, einen Krieg heraufbeschwören.
Aber die Wahlergebnisse sind eindeutig, je schlechter die wirtschaftliche Lage in einem Land, desto höher die Wahlergebnisse der extremen Parteien, links und rechts.
Zwar ist der Weg zu einem Krieg noch weit, aber eine Nationalisierung ist schon seit Jahren zu beobachten.
Wehret den Anfängen!
@TomTom – Vorschlag: Erzwunge Supranationalisierung von oben, welche die immer da gewesene Nation mit ihren Gesetzen, Grenzen der Solidarität und Akzeptanz nie abgelöst hat und auch nicht ablösen kann.
Wer das Erpressungsgebaren in der EU in den letzten Tagen verfolgt hat, der wird sich fragen, wie lange es dauert bis wir uns wieder die Schädel einschlagen in Europa.
Deshalb könnte der strategische Lufttransport aus Afg. tatsächlich noch eine größere politische Dimension erhalten, wenn es z.b darum geht die Lufttransportkapazitäten oder Basen als politische Druckmittel einzusetzen. Nach dem Motto:“Wenn du uns nicht noch ein paar Milliarden gibst, stellen wir dir nicht unsere Basen zur Verfügung um dein Material dort zwischenzulagern und abzuziehen.“
Hört sich vielleicht lächerlich an, jedoch ist die Dummheit der Politik in diesen Tagen mal wieder Grenzenlos.
6.000 Ct bei 10 je Lfz An-124 und 60 Prozent: 360 Fluege. Sagen wir einmal, dass die Rueckverlegung etwa ein Jahr dauert, kommen wir auf 1 bis 2 An je Tag. Wird hier nicht etwas dramatisiert? Vielleicht gibt es auch mehr Landoptionen oder Bahnoptionen. M.E. vor allem eine reine Kostenfrage: Was ist billiger, die Durchleitgebuehren von freundlichen Laendern oestlich der Elbe und Donau oder SALIS. Mun muss also rechnen und dann hart verhandeln.
@ drei ??? (und zum Blog zu zivilen Hubis)
Nach ISAF wird es in AFG eine Folgemission geben. Jeder Hubi wird gebraucht (fuer Schwerpunktbildungen und Rettungsketten) erst bei ISAF, dann in der Folgemission. Vielleicht wird sich die CH-53 Erfahrung wiederholen: Seit 20 Jahren irgendwo in der Welt laufend im Einsatz. Im Nebengang werden die Gesamtsysteme TIGER und NH90 (inkl. SASPF, Ersatzteilversorgung, Staubfestigkeit usw.) jetzt einsatzreif gemacht. So traurig das klingen mag: Es trifft die sanfte Variante des Diktums „der Krieg (hier Einsatz) ist der Vater aller Dinge“ zu.
Viel Hoffnung liegt auf dem EATC (da bleibt die C-160 das Arbeitstier) und SALIS und manche vergessen dabei das NATO Transportkommando in Ungarn (an dem die BRD nicht beteiligt ist), oder man kalkuliert es absichtlich nicht ein!
Die USA und Emgländer haben ja auch ihre eigenen C-5 / C-17.
Wenn die Container nicht direkt in die Heimat geflogen werden, wohin dann?
VAE, Katar, Bahrein?
Oder Türkei, welcher Hafen kommt da infrage? Oder Georgien? Oder Rumänien / Bulgarien?
Eine Verladung auf Schiffe wäre da billiger und effizienter, solange da nicht dasselbe wie beim UNOSOM-Abzug rauskommt…
@SCHRAUBENDREHEN
Die Frage ist ja nicht wie das Material über befreundete Staaten zu transportieren ist sondern eher wie dass alles ehrstmal aus afgh rauszukriegen ist. Ist alles in usbekistan kann man dass sicher auf diverse züge laden und über wochen nach hause fahren.
Ich möchte aber nicht der sein der in afgh vorne in der Lok sitzt während die talib durgehend mienen am schienenstrang vergraben haben.
@ Dante
Dann ist die Lok eben hinten oder schiebt einige leere Waggons vor sich her. So lange die Geschwindigkeit nicht allzu hoch ist, passt das schon. Aber wie weit reichen die Gleise, wieviele Züge können dort in welchem Takt fahren und wie kommt der ganze Kram zum Startbahnhof? Das sind doch die Fragen, die man bei einer Zugstrecke stellen muss.
Zudem muss jedem klar sein, dass die Überwachung der Strecke und ihrer Umgebung unheimlich viel Ressourcen bindet. Und je weniger Wege es raus gibt, desto anfälliger werden sie. Aber ich finde, die Nordroute hat ihr Nadelöhr nicht in den Gleisen, sondern in den Pässen durch den Hindukusch. Dort tummeln sich zu viele normale AFG rum, die Strecke ist nicht wirklich ganzjährig befahrbar und relativ einfach zu sabotieren. Zudem sitzt an jeder Kurve irgend ein anderer Clan, der die Hand aufhält.
Interessant ist hier sicherlich auch der Mehraufwand an Personal. Gerade die eh schon Mangelqualifikationen MatBew oder MatDispo werden ja noch dringender benötigt als im normalen Tagesgeschäft. Immerhin hat man schon etwa identifiziert wo die personelle Masse herkommen soll. Die LogBrig 1 stellt sich soweit ich weiß bereits darauf ein, eine Materialschleuse einzurichten.
The Tragedy of Afghanistan
Snow like powder from the sky softly falls,
When before Djelalabad a rider halts.
“Who’s there” – “A caval’rist from Britains army
A message from Afghanistan I carry.”
Afghanistan. So weakly he’d said.
Half the town around him had met;
The British commander, Sir Robert Sale,
Helped to dismount the man who’s face was so pale.
Into a guard-house they guided him
And made him sit at the fire’s brim;
How warm was the fire, how bright was its shine,
He takes a deep breath, and begins to explain.
“Thirteen thousand men we had been,
When our outset from Kabul was seen –
Now soldiers, leaders, women and bairn
They are betrayed, and frozen and slain.
“Dispersed is the entire host,
Who is alive, in the darkness is lost.
A God to me salvation has sent –
To save the rest you may make an attempt.”
Sir Robert ascends the castle wall,
And soldiers and officers follow him all,
Sir Robert speaks “How dense the snow falls,
How hard they may seek, they’ll never see the walls.
“Like blindfold they’ll err and yet are so near,
The way to their safety, now let it them hear,
Play songs of old, of the homeland so bright;
Bugler, let thy tune carry far in the night.”
And they played and sang, and time passed by,
Song over song through the night they let fly,
The songs of their home so far and so dear,
And old Highland laments so mournful to hear.
They played all night and the following day,
They played like only love made them play;
The songs were still heard, but darkness did fall.
In vain is your watch, in vain is your call.
Those who should hear, they’ll hear nevermore,
Destroyed, dispersed is the proud host of yore;
With thirteen thousand their trail they began.
Only one man returned from Afghanistan.
@klabautermann
Quelle?
Es gäbe übrigens auch das deutsche Original
(Nur gut, dass Fontanes Werke inzwischen nicht mehr dem Urheberrecht unterliegen. Bei der Übersetzung bin ich mir nicht so sicher – ich hoffe, Sie haben darauf geachtet.)
Wo werden eigentlich die zu erwartenden, immensen Kosten für die Rückverlegung verbucht? Landen die im „normalen“ Wehretat, so dürfte das die restliche Bundeswehr nicht gering in ihren finanziellen Möglichkeiten einschränken, oder?
@ TW @Fontane wir sollten mal zu Gott beten das es nicht so kommt. Sie hatten dochmal sowas studiert Herr Wiegold. (Nicht böse gemeint). Was bleibt? Ausfliegen geht nicht, Eisenbahn geht nicht, über Pakistan evakuieren geht nicht (aus politischen Gründen) und al binnenstaat at afgh keinen Hafen. Vorschläge?
@Dante
solange wir in causa syria das tun was Putin will, dann dürfen wir vielleicht doch die russischen Trassen benutzen ;-)