Dokumentation: Bundesregierung zur ‚Schutzzone‘ in Syrien
Nachdem Bundeskanzlerin Angela Merkel in der Sitzung der CDU/CSU-Bundestagsfraktion am (gestrigen) Dienstag von einer Schutz- (oder Sicherheits?)Zone im Norden Syriens gesprochen hat, war zunächst unklar, was die Regierungschefin damit gemeint haben könnte – und ob sie damit eventuell einen Vorschlag der Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer vom vergangenen Jahr aufgriff. Die stellvertretende Regierungssprecherin Ulrike Demmer hat die Aussage erläutert: Von einer – ggf. militärisch durchzusetzenden – Schutzzone ist keinesfalls die Rede.
Zur Dokumentation angesichts der weit reichenden Interpretationen die Aussagen aus der Bundespressekonferenz vom Mittwoch im Wortlaut (neben Demmer äußerten sich Rainer Breul für das Auswärtige Amt und Oberst Tilman von Plüskow für das Verteidigungsministerium):
Frage: Frau Demmer, Frau Merkel hat gestern in der Fraktionssitzung offenbar von einer Flugverbotszone in Nordsyrien gesprochen. Können Sie näher beschreiben, wie ein solcher Vorschlag aussieht?
Demmer: Für die Bundesregierung ist weiterhin klar, dass es in Syrien entscheidend darum geht, dass der Konflikt in Idlib nicht weiter auf dem Rücken der Binnenvertriebenen ausgetragen wird. Die humanitäre Lage vor Ort ist dramatisch. Die vom Konflikt betroffenen Menschen in Idlib benötigen dringend Versorgung und Schutz. Deshalb muss dafür gesorgt werden, dass diese Menschen vor Ort sicher und von den humanitären Organisationen versorgt werden können.
Wenn morgen die Präsidenten Erdoğan und Putin über Idlib reden, dann sollten sie eben darüber reden, dass ein Gebiet definiert wird, in dem die Versorgung dieser Binnenvertriebenen stattfinden kann, ohne dass sie hierbei Opfer militärischer Gewalt werden. Damit diese Versorgung funktionieren kann, braucht es einen effektiven und sicheren Zugang der Hilfsorganisationen zu diesem Gebiet, der gewährleistet werden muss.
Das alles hat die Kanzlerin auch in ihren Telefonaten mit Putin und Erdoğan zum Ausdruck gebracht. Jetzt ist es aber an Erdoğan und Putin, ein Gebiet zu definieren, in dem das möglich ist.
Frage: Frau Demmer, sind die Pläne für ein Vierertreffen immer noch aktuell?
Demmer: Jetzt hat, wie gesagt, das Treffen zwischen Erdoğan und Putin erst einmal Vorrang.
Zusatz: Aber gestern gab es eine Information, dass ein solches Treffen schon am Freitag nach dem Treffen von Putin und Erdoğan stattfinden könnte.
Demmer: Die Bundesregierung ist natürlich grundsätzlich zu Gesprächen bereit. Das ist ein sehr wichtiges Thema. Trotzdem würde ich hier und heute erst einmal sagen, dass das Treffen zwischen Erdoğan und Putin jetzt Vorrang hat. Dann sehen wir weiter.
Frage: Frau Demmer, Sie sagen, dass das das Thema der Unterhaltung zwischen Frau Merkel und Herrn Putin war. Was hat Putin denn auf die Frage oder den Vorschlag der Notwendigkeit einer solchen Zone geantwortet?
Sie haben dieses Gebiet ein bisschen nebulös umrissen. Ich wüsste gern, welche Zone der Kanzlerin denn vorschwebt. Es gibt ja durchaus Unterschiede zwischen Flugverbotszonen, Schutzzonen oder Gebieten anderer Sicherheit, so wie Sie es gerade beschrieben haben.
Dann eine Frage an das BMVg oder an Sie, Frau Demmer, falls Sie sie beantworten mögen: Haben wir, die Deutschen, eine Rolle innerhalb dieses Vorschlags?
Demmer: Zu Ihrer ersten Frage: Aus dem vertraulichen Gespräch kann ich mehr als das, was wir in der Pressemitteilung herausgegeben haben, hier jetzt nicht berichten.
Bei dem Gebiet, das zu definieren wäre, geht es nicht um eine Schutzzone als Terminus technicus, sondern es geht vor allen Dingen darum – dort wurden ja Massenvertreibungen durch das syrische Regime ausgelöst -, diesen Menschen zu helfen und dafür zu sorgen, dass es überhaupt Zugang zu diesen Menschen gibt. Darum geht es jetzt in einer ersten Stufe.
Breul: Dazu kann auch ich gern noch etwas sagen. Es wird Sie nicht überraschen – Sie kennen sich ja gut aus im Geschäft -, dass sich die Zusammensetzung des VN-Sicherheitsrats nicht über Nacht geändert hat und dass es insbesondere von russischer Seite Vorbehalte gegenüber Maßnahmen wie Schutzzonen oder Flugverbotszonen gibt und auch weiterhin geben wird. Darum ist das bei diesen Begrifflichkeiten, die schnell durcheinandergeraten, sicherlich nicht das, was im Raume steht.
Frau Demmer hat es gesagt. Es geht darum, wie man Sicherheitsgarantieren für die Binnenvertriebenen gewinnt, sodass sie ausreichend humanitär versorgt werden können. Dabei sind in erster Linie die beiden Staaten gefragt, die dort von außen militärisch aktiv sind, also die Türkei und Russland. Die aktuelle Offensive des Regimes wäre ohne russische Unterstützung nicht möglich gewesen; das ist völlig klar. Das Regime von Assad hat diese Binnenflüchtlinge verursacht. Darum sehen wir jetzt auch in erster Linie Russland in der Pflicht, gemeinsam mit der Türkei eine Absprache zu treffen, die es der internationalen Gemeinschaft ermöglicht, dort wieder Hilfe zu leisten. Das hat Priorität.
Vorsitzende Welty: Möchte das Verteidigungsministerium noch ergänzen?
Plüskow: Ich kann zur Frage der Ausgestaltung einer solchen Zone nichts beitragen. Eine Masse ist hier gesagt worden. Sie wissen, dass die Ministerin diese Idee schon im Oktober vergangenen Jahres einmal aufgebracht hat. Wir sind froh, dass dies erneut diskutiert wird. Aber selbstverständlich muss im Laufe der Diskussion darüber gesprochen werden, wie man das ausgestaltet.
Derzeit gibt es nicht sehr viel mehr von mir dazu zu sagen.
„geht es nicht um eine Schutzzone als Terminus technicus“ – unverbindliches Geschwätz angesichts der Notwendigkeit zur geografischen Abgrenzung dieser „was-auch-immer-Zone“.
„diesen Menschen zu helfen und dafür zu sorgen, dass es überhaupt Zugang zu diesen Menschen gibt. Darum geht es jetzt in einer ersten Stufe“.
Passt.
Jeder der mit der Realisierung beauftragt wird, will aber zuerst wissen, wo? Also muss der Raum beschrieben werden, als militärischer Fachbegriff, da in erster Linie nicht das THW, sondern Soldaten beauftragt würden.
Nicht zu vergessen, für dauerhafte humanitäre Hilfe ist ein sicheres Umfeld (SASE) erforderlich.
Kurz und knapp!
In 4 Sätzen hat Klaus-Peter Kaikowski alles wesentlich, leicht verständlich, für uns aus der Dokumentation rausgefiltert.
Vielen Dank dafür.
Besatzung von Nordsyrien und Unterstützung von Jihadisten ist also OK, solange es humanitäre Rückzugsräume gibt? Was ist mit der UN-Resolution zum Kampf gegen HTS/Al Kaida? Sollen wir wirklich Erdogans angeblichen Motiven trauen, während er eben jene Flüchtlinge instrumentalisiert? Außerdem ist es bemerkenswert, wie die Amis auf der Rasierklinge balancieren, YPG, Türken und Jihadisten gleichzeitig unterstützen.
Die jetzige Situation war doch absehbar und der Drops ist fast gelutscht. Das gehört mit in die Reihe von „Zu wenig- zu zögerlich – zu spät“.
In Syrien ringt die Unheilge Allianz (1) aus Russen und Türken um die Hegemonie im Nordwesten der arabischen Halbinsel.
Lernen die Türken spätestens heute beim Treffen mit der russischen Führung in Moskau, dass der Kreml der Taktgeber ist?
Die Integrität Syriens in russischer Lesart steht als nicht verhandelbar gegeben über jedem Engagement in der Region. Diese Erkenntnis gilt insbesondere für den Zeitraum nach Lösung der Krisen/Kriegslage.
Putin lässt Erdogan Spielräume in seiner anti-kurdischen Hybris, der Raum #Idlib zählt nicht dazu.
Lawrow verlangt eine Unterscheidung von SYR Opposition und Rebellen im türkischen Kampfeinsatz. Solange die Türkei gemeinsame Sache mit Al-Quaida affiliates macht, wird Erdogan noch häufiger nach Moskau zitiert (um nichts anderes handelt es sich heute) werden.
(1) https://www.deutschlandfunk.de/luxemburgs-aussenminister-zu-nordsyrien-unheilige-allianz.694.de.html?dram:article_id=471762
Da wird doch wieder mal nur diplomatische Heiße Luft abgelassen.
Deutschland hätte selbst mit Rückendeckung der EU keine wirksamen Druckmittel, um irgendeine Schutzzone gegen RUS durchzusetzen und mit eigenen bzw. allierten Streitkräften zu sichern.
Dieses Land ist sicherheitspolitisch nur noch ein Zwerg, der zu fast allen Krisen dieser Welt nicht mehr als „seine Besorgnis“ ausdrücken kann, wie vom AM Maas immer wieder gezeigt.
Das Dauergerufe nach weiteren Sanktionen und Forderung nach Druck ausüben bleibt rätselhaft, irrlichternd.
Wer in der wesentlichen politischen Klasse immer noch nicht begriffen hat, dass eine nuklearfreie Mittelmacht, die Soft Power-Nation Deutschland, dem russischen Bären nicht drohen kann, ist Fehl am Platze, zumindest in Regierungsverantwortung. Wollte Berlin auch lediglich den Anschein von einer „jetzt ist aber Schluss-Haltung“ an den Tag legen, gäbe es ein Mittel, dass Putin wenigstens ärgerte und uns das Gesicht waren ließe: Ausstieg aus Nordstream2.
Passiert aber nicht, die Hemd sitzt näher als die Hose.
Die EU und besonders Berlin müssen schlicht akzeptieren, dass Moskau in Westasien außerordentliche Interessen von überragender nationaler Dimension umgesetzt sehen will und niemand (!) Putin daran hindern kann. Spätestens nachdem Trump Moskau das Feld durch Abzug der Masse der U.S. Truppe überließ, sieht sich RUS als alleiniger Hegemon bestätigt. Dass Erdogan dies nicht begreifen will, ist etwas anderes
Was ist zu tun?
Die EU muss ein Angebot machen, politischer/ökonomischer/militärischer Natur. Die Gesichtswahrung steht dabei noch vor Bestätigung RUS Interessen an erster Stelle. Dazu gehören die bedingungslose Anerkennung von Assad, die Zuordnung Syriens zur alleinigen RUS Einflusszone und umfangreiche Zusagen zum Wiederaufbau Syriens.
Aus westlicher Warte wird die Garantie kurdischer Teilautonomie, die Begrenzung der Türkei auf ihre „Sicherheitszone gem Sotchi“ herausgehandelt werden müssen, sowie freie Hand für SYR Truppen gegen die FSA und Al-Quaida bestätigt zu sein haben.
Wer das als politische Kapitulation vor Moskau verstehen möchte, gerne, ist auch so. Nur haben wir (der Westen) gemeinsam unsere Chance gehabt, zweimal sogar: Bei Beginn „arabischer Frühling“, der ein Winter wurde, in 2011 ff sowie nach der Zerschlagung von Daesh in 2018.
Da niemand den Rockzipfel der Geschichte ergriff und massiv mit Truppen präsent wurde, Stil ex-Jugoslawien, bleiben uns nunmehr die Brosamen, – und Flüchtlinge.
@Alex 2.0: Das mit der YPG ist ein wichtiger Hinweis. Seit Trump die Kurden/YPG den Hunden zum Fraß vorgeworfen hat und die HDP zunehmend unter Druck gerät, wird die PKK stärker.
In der momentanen Situation würden wir im Blick auf ein Syrien der Zukunft also auch Kurden als westlich orientierte Säkulare verlieren.
Syrien bewegt sich demnach zur Situation prä-ante zurück. Putin reibt sich die Hände.
Putin und Erdogan vereinbaren eine Waffenruhe ab 2400 Uhr. (vgl. Tagesthemen)
Assad profitiert, kontolliert er nun den M5 Highway Damaskus – Homs – Hama- Aleppo als Lebensader der Nation, welche Landwirtschaft und Industrie miteinander Verbindet. Truppen lassen sich zügig verlegen.
Den Rebellen bleibt die wichtige Verbindungsstraße Idleb – Jisr As-Shugur und das Autobahnkreuz kurz vor dem M5 Highway (gerade so). Ein Handstreich und die Rebellen verlören die Straße.
Vgl.: https://syria.liveuamap.com/
Die Gazaisierung des Konflikts schient sich festzuschreiben, Erdogan wahrt das Gesicht, die Syrian Arab Army existent. Gewinner der letzten Gefechte und Offensiven: Assad allein, denn die Zivilisten harren verzweifelt dem nächsten Waffengang…
Hier https://mobile.twitter.com/ragipsoylu/status/1235631311521366021/photo/1 könnte DEU Politik mit etwas Fantasie aktiv werden und zugreifen.
Der Raum ist zur Schutzzone/no-fly-zone auszuweiten, ein Anfang ist gemacht. Allerdings muss Idlib unbedingt mit hinein.
Jedoch ist das dummerhafte Geschwätz von Zusatzsanktionen gegen Putin einzustellen, bewirkt lediglich das Gegenteil.
Ceasefire
• A security corridor: 6km deep to the north and 6km deep to the south from M4 highway
• Joint Turkish, Russian patrolling along M4 highway in 10 days
Damit (link) bleibt Idlib City tatsächlich außerhalb des Raums der Feuerpause. Welchen Sinn macht das? Auf die gelebte Praxis dieser joint patrols darf man neugierig sein, da das schon in ’19 nur zu Anfang funktionierte.
Manchmal frage ich mich schon, ob unsere Regierung sich wirklich einbildet, mit ihrer unverbindlichen und zugleich moralinsauren Käßmann-Rhetorik irgendetwas bewirken zu können — umso mehr in einem Teil der Welt, wo selbst die menschenfreundlichsten Interessen historisch gesprochen ohne Gewalt nicht durchsetzbar sind.
Dass zumindest den Fraktionen und selbst vielen der potentiell militäraffinen Transatlantiker die Expertise abgeht, weiß ich leider aus eigener Anschauung. Aber es tut doch geradezu weh, mitanzusehen, wie sich diese Regierung in Konflikte einmischt, obwohl ihr erkennbar und bekanntermaßen der Durchsetzungswille fehlt.
@muck
+1
Was aus „Aussensicht“ wirklich schmerzt ist das in D lange geredet wird, aber wenn gehandelt/entschieden werden sollte/muss, dann ist Sendepause. Deutschland MUSS sagen was es will, und was nicht.
Eine Zusammenfassung wie deutsche Politk heute gesehen wird/werden kann. In Französisch, aber es gibt ja jetzt Übersetzungstools
http://club.bruxelles2.eu/2020/03/akk-dans-le-creux-de-la-vague/
@muck: Aber sobald es um Geld geht, kreischt man förmlich nach der EU. Ich denke der schnöde Mammon sollte einfach nicht so locker sitzen.
Unter Tagesthemen kann man die Punkte des Flüchtlingsabkommen einsehen. Man hätte z. B. den letzten Punkt dem drittletzten und vorletzten vorrangig machen sollen.
Die Türkei ist da wohl mit dem Gefühl raus gegangen, man versorgte Flüchtlinge erst dann, wenn man hat was man wollte. Überspitzt gesagt, wenn die Zollunion steht und man EU-Mitglied ist.
Leider muss man, hat man es mit Persönlichkeiten wie Erdogan zu tun, es denen auch zu spüren geben. Daher sollte man in meinen Augen erst mehr Geld in Aussicht stellen, wenn
A) Verpflichtungen der Türkei aus dem Abkommen nachhaltig erfüllt sind.
B) wir antizipativ türkisches Fehlverhalten damit ausschließen können im Sinne eines erweiterten Abkommen.
Und gegeben Russland+Assad würde man auch beginnen, Verhandlungsmasse aufzubauen. Kann ja nicht angehen, dass die Kriegsverbrecher am Ende von uns Alimentiert werden und sich mit unserem Geld das Blut von den Händen waschen.
Kein externer Akteuer kann in der Region etwas bewirken wenn er keine lokalen Verbündeten hat.
Kein interner Akteuer kann in der Region etwas bewirken wenn er keine externen Verbündeten hat.
Erdogan als interner Akteuer hat sämtliche externen Verbündeten geradezu selbstzerstörerisch verprellt.
Trump als externer Akteuer hat sämtliche internen Verbündeten geradezu selbstzerstörerisch verprellt.
Europa ist sich uneinig. Nicht im Speziellen, eher ganz allgemein. Also nicht so schlimm.
Bleiben Assad und Putin die nach wie vor zusammenhalten und alle anderen meisterlich gegeneinander ausspielen.
Allen voran Erdogan der in einem geradezu pawlowschen Reflex seine verprellten westlichen Verbündeten beißt wenn ihn sein puppenspielender Verbündeter Putin beißt.
Daß Europa sich hier nicht mehr engagiert sondern nur noch den Schaden drausen hält ist nicht verwunderlich. Alle internen und externen Akteuere sind entweder feindseelig, unzuverlässig, kontraproduktiv, bösartig, egoistisch, dumm, unorganisiert, desinteressiert, im Wahlkampf oder schlicht zu schwach als daß man ihnen helfen könnte oder wollte. Europa ist keine Weltpolizei und wenn jemand unsere Hilfe zu unseren Bedingungen nicht will kann er auch mit seinen Problemen alleine fertig werden.
Die wahren Opfer sind sowieso längst vergessen.
@AoR
„…Leider muss man, hat man es mit Persönlichkeiten wie Erdogan zu tun, es denen auch zu spüren geben. Daher sollte man in meinen Augen erst mehr Geld in Aussicht stellen, wenn
A) Verpflichtungen der Türkei aus dem Abkommen nachhaltig erfüllt sind.
B) wir antizipativ türkisches Fehlverhalten damit ausschließen können im Sinne eines erweiterten Abkommen. …“
Sie sagen es. Erdogan (Putin ebenso) ist was er ist: ein lupenreiner Machiavellist, der durch keinerlei parlamentarische Kontrolle eingehegt wird.
Nur stellt sich mir die Frage, wie A) und B) nachprüfbar erreicht werden können. Was machen wir, wenn sich Erdogans Zusagen wieder als reine Lippenbekenntnisse herausstellen und ihm nach einem halben Jahr die Konditionen eines erneuerten Abkommens nicht mehr gut genug sind? Geht dann alles wieder von vorne los? Die bisherigen Abkommen waren doch eher Anreiz, immer mehr Flüchtlinge zu produzieren.
Angebrachter wäre es aus meiner Sicht, die provisorischen Zäune und S-Drahtverhaue endlich zu festen Grenzsicherungsanlagen auszubauen und gleichzeitig zu beginnen, die wichtigsten Inseln in der Ägäis mit schwimmfähigen Barrieren abzusichern. Am Besten gleich damit beginnen. Als sichtbaren Beleg dafür, die EU-Außengrenze zu verteidigen, und die FRONTEX-Mission deutlich zu verstärken und auf Dauer anzulegen. This we will defend. Von der Burgmauer herab kann man dann mit marodierenden Autokraten ja weiterverhandeln ;).
Ich glaube nicht, dass dieser Konflikt schnell zu Ende gehen wird. Weder Putin noch Erdogan haben offenkundig ein Interesse daran. Ein „schwebend ungelöster“ Zustand bietet entschieden mehr Möglichkeiten der Einflussnahme, Vorwände für Truppenverlegungen in die Region, zur Erprobung von Waffensystemen und Taktiken. Der Iran braucht Syrien als Aufmarsch- und Raketenabschussbasis gen Israel. Ach ja, Assad. Der steht allein bei Putin mit etlichen Mrd. in der Kreide, er lässt ja schon seit Jahren anschreiben.
Ah ja:
Angebrachter wäre es aus meiner Sicht, die provisorischen Zäune und S-Drahtverhaue endlich zu festen Grenzsicherungsanlagen auszubauen und gleichzeitig zu beginnen, die wichtigsten Inseln in der Ägäis mit schwimmfähigen Barrieren abzusichern.
Da finden sich bestimmt auch noch Fachleute, die sich mit SM-70 auskennen. Ich nehme an, in die Richtung wollen Sie die Festung Europa entwickeln?
@Wait&C
„Europa ist keine Weltpolizei und wenn jemand unsere Hilfe zu unseren Bedingungen nicht will kann er auch mit seinen Problemen alleine fertig werden.“
Das Problem mit Europa ist, dass alle Akteure hier entweder feindseelig, unzuverlässig, kontraproduktiv, bösartig, egoistisch, dumm, unorganisiert, desinteressiert, im Wahlkampf oder schlicht zu schwach sind als daß sie helfen könnten oder wollten! Es wuerde mich aber mal interessieren welche Bedingungen Europa fuer ein Eingreifen stellen wuerde….abgesehen von der Teilnahme an Stuhlkreisen und Podiumsdiskussionen ueber den Einsatz von Chemiewaffen und „barrel bombs“ gegen Zivilisten. Denn einen Einsatz der EU Battle Group wird ja wohl niemand auch nur im Ansatz in Erwaegung ziehen!
@T.Wiegold:
Herr Wiegold, ich wäre wirklich froh, wenn die von mir beschriebenen Grenzsicherungsmaßnahmen schlussendlich nicht notwendig wären.
Ich bin in der ehemaligen DDR aufgewachsen – daher kein Gedanke an Selbstschussanlagen oder überhaupt den Einsatz von Schusswaffen an der Grenze.
Aber außergewöhnliche Umstände erfordern außergewöhnliche Maßnahmen – ganz besonders gegenüber einem Potentaten, der sich nun schon mehrfach als nicht vertrauenswürdig erwiesen hat und der die EU als unerschöpflichen Geldautomaten anzusehen scheint.
Ich bin der Überzeugung, dass man ihm sprichwörtlich die Grenzen aufzeigen muss – sonst wird sich diese Art Krisensituation, planmäßig herbeigeführt, in regelmäßigen Abständen wiederholen. Die Gemengelage hat das Zeug, Wahlen in Europa zu beeinflussen, die EU langfristig zu lähmen und endgültig zu einem Spielfeld fremder Interessen zu machen.
Und von den Auswirkungen auf das innenpolitische Klima hierzulande gar nicht zu reden – da drohen eine Alternative, die ich nicht möchte – die aber weiteren Zulauf erhalten und Aktivisten aus dem rechtsextremen Spektrum zu weiteren Gewaltaktionen motivieren könnte. Im Tagesspiegel wird berichtet, das deutsche und französische Rechtsextremisten sich auf den Weg nach Lesbos gemacht haben bzw. schon dort eingetroffen sind, um sich handgreiflich einzumischen und so das Gewaltmonopol des griechischen Staates in Frage zu stellen.
So bitter es für die Leute auf der türkischen Seite der Grenze auch ist – sie sind ja nur Verfügungsmasse in der Hand des türkischen Präsidenten – aber Erdogan muss man entschlossen entgegentreten und ihm zeigen, dass das Maß nun voll ist. Stattdessen lässt sich die EU und DEU immer mit dem Rücken an die Wand drängen.
Absolut lesenswertes Interview von Carlo Masala, Professor an der Bundeswehr-Universität in München und dem @BosphorusNews mit dem „Tagesspiegel“ (06.03.20) zum Zweier-Gipfel Putin/Erdogan von gestern in Moskau.
In Kürze:
„Türkei bleibt Juniorpartner.
Idlib wird geteilt, Sektor südlich der strategisch wichtigen Fernstraße M4 zu Assad, der Norden an Ankara.
Putin garantiert Assad dessen militärischen Erfolg in Gesamtsyrien.
Schutzzone nur, wenn Putin das will, wonach es nicht aussieht
Westliche Truppen wird es nicht geben, da ein Kriegsführungsmandat erforderlich wäre, das es nicht kommt“.
Die Rolle der TUR in „ihrer“ Sicherheitszone, aus der die Kurden vertrieben wurden, bleibt offen. Wie überhaupt deren Zukunft im Chaos um Idlib in den letzten Monaten unterging. Ebenso muss nach „Assads Sieg von Putins Gnaden“, absehbar in diesem Jahr, die quasi Besatzungsrolle der Türkei im 10 km Schutzstreifen entschieden werden, was unmittelbar mit der Kurdenfrage verknüpft bleibt.
Schließlich sind da noch die iranischen Proxies und Daesh-Reste. Also, auch wenn Assad in Bälde zum Sieger erklärt wird, bleibt Syrien ein unsicherer Player.
Eines darf hingegen als sicher eingestuft werden,
– jegliche europäische Rolle reduziert sich auf die Zahlmeisterfunktion im Wiederaufbau.
– Die syrischen Flüchtlinge bleiben Europa erhalten, da sie zum Lager der Assad-Gegner rechnen.
– Europas politischer Einfluss, gone with the wind.
@all
Mir ist schon klar, dass ich mit diesem Thema auch den OT quasi angelegt habe und bislang an der Stelle auch nicht eingeschritten bin – aber es ist an der Zeit, dringend dazu aufzurufen, beim eigentlichen Thema (zur Erinnerung s. den Text oben…) zu bleiben. Und nein, das Thema ist nicht die EU-Außengrenze.
Ach Gott … in Wirklichkeit geht es unseren Moralweltmeistern in Berlin doch nur darum, medienwirksam die Worte „Schutz“, „Diplomatie“, „humanitär“, „multilateral“ etc. auszusprechen. Aber bitte folgenlos. Tun möchte man nichts können.
Da man auch im Kanzleramt und im Bendlerblock nicht ganz dumm ist, wird man wissen, dass die Bundeswehr nach 15 Jahren Kanzlerschaft Merkels keine Möglichkeiten mehr hat, einen nennenswerten militärischen Beitrag für den Schutz einer solchen „wie auch immer benannten“ Zone zu leisten. Hizbollah-Milizen wären von Besenstielen wohl nur mässig beeindruckt. Durch das jahrelange Wegducken bei Anfragen aller Art zur wirksamen militärischen Unterstützung multilateraler Einsätze ist das Risiko nicht sehr hoch, nachdrücklich gebeten zu werden, doch am Schutz einer solchen Zone mitzuwirken.
Also läuft es doch bestens – das medienwirksame Schwurbeln suggeriert dem nur halbwegs interessierten deutschen Publikum, dass die Regierung tatkräftig und überlegt und konstruktiv zur Lösung der Probleme beitragen möchte.
Da gerät dann auch leichter in Vergessenheit, dass Berlin durch Desinteresse, Drückebergertum und seinem Hang zum folgenlosen Fordern „politischer Lösungen“ seiner Bedeutung als potentiell dominierendem europäischen Akteur in der Sicherheitspolitik einmal mehr nicht gerecht geworden ist. Und die Amerikaner unter Obama und Trump haben eben keine Lust mehr, für die faulen und reichen Drückeberger in Brüssel & Berlin die Drecksarbeit zu machen, und sich dann auch noch über Moral belehren lassen zu müssen.
Die Zeiten sind ein Stück weit vorbei, in denen man sich auf andere verlassen konnte. Ja, eben.
@T.W: Ich denke das Abgleiten in den OT ist der Tatsache geschuldet, dass keiner der Leser daran glaubt, dass der Befehl Verfügungsraum Nordsyrien kommt mit Auftrag hoheitliche Aufgaben und Friedenssicherung. Wenn er käme würde man das begrüßen.
Momentan ist die Möglichkeit der EU in der Region zu Führen neutralisiert, da Truppenpräsenz Moskau/Assad/Hezballah wie Türkei/Rebellen/Al-Kaida.
Wir in der EU, kommt der Befehl „Den Verfügungsraum nehmen“ nicht, ist man dazu gezwungen seine Führungsversuche durch lokale Parteien substituiert zu sehen. Es bleibt also indirekter Einfluss durch benannte Parteien wahlweise in Ankara und/oder Moskau.
Ich denke das fasst auch den bisherigen Faden abstrahierend zusammen…
Daher OT keine Aufmüpfigkeit gegen sie als Hausherr.
https://de.reuters.com/article/t-rkei-syrien-idDEKBN20Q25M
Ich finde das folgende Zitat aus einer Reutersmeldung (Link oben) im Kontext der Syrienpolitik des Westens doch recht interessant:
„…Merkel kritisierte dem Angaben nach die Syrien-Politik des Westens. Es habe sich gezeigt, dass ein von außen initiierter Wechsel der Regierung nicht möglich sei. Der Krieg habe nur zu einer Radikalisierung geführt…“
Im Kern gibt Merkel gem. der Meldung zu, dass:
1. Der Westen von außen einen Regimechange in Syrien bezweckt hat und
2. Dass dies nicht erfogreich war und zu einer Radikalisierung geführt hat.
Das hört sich nach kritischer Selbsterkenntnis an. Gut so!
https://de.reuters.com/article/t-rkei-syrien-idDEKBN20Q25M
@Pete: Das ist Binse. Gerade GB und US haben da keinen Hehl draus gemacht.
@ AoR
„@Pete: Das ist Binse. Gerade GB und US haben da keinen Hehl draus gemacht.“
– Es ist aber in der öffentlichen Debatte in Deutschland keine „Binse“. Daher fand ich es bemerkenswert – und habe es als durchaus positiv empfunden- dass Frau Merkel diese „Binse“ gem. der Reutersmeldung so offen geäußert hat.
– In meinen Augen ist dies eine gute Entwicklung, da am Schluß nur die reale Lage und die Akzeptanz dieser Realität eine Konfliktlösung zwischen allen Akteuren ermöglicht.
@Pete: Nun es gab 2009 eine Veröffentlichung des RAND Instituts, welche sich aus heutiger Sicht wie ein Masterplan MeNa liest.
Axis of Evil noch ein Begriff, na? ¦]
Auch Syrien ist einer der langen Schatten der Bush-Administration, eben wie Afghanistan, Irak usw. Auslöser war Osama Bin Laden.
Der sog. Arab Spring ist in Teilen sicherlich auch die Reaktion der Bevölkerung auf Repressionen die seitens der arabischen Regime unter dem Deckmantel des sog. War on Terror. Ein Dauerzustand, der uns Westerners in vielen Punkten die moralische Interpretationshoheit gekostet hat.
Da fragt man sich warum Chinesen, Russen wie Assad bomben, internieren und foltern als wollten sie Hitler und Stalin Rosen aufs Grab legen?
Wohin hat uns Dick Cheney’s Long War nun geführt?
– Dass die USA nach einmaligem Artilleriebeschuss durch die Türkei die Beine in die Hand nahmen und vor Schreck die mit ihnen allierten Kurden an die Türkei verkauft hat. Die Kurden, die den Geist der feuchtesten Träume eines Bin Laden – DAESH – niedergekämpft hatten.
– Dass die USA sich von den damaligen Protégés Bin Ladens, den Taliban eben die Bedingungen für Frieden diktieren haben lassen und trotz Angriffs auf die afghanische Regierung der Abzug stattfindet?
Bush sagte, „die Historiker werden Urteilen“…
Irgendwie hatte ich noch in Erinnerung, daß es im Fall des Falles, daß ein euro-asiatischer Staat in seinem Nachbarland mit Truppen Kampfhandlungen durchführt, um dortige Rebellen gegen die international anerkannte Regierung zu unterstützen, da mal eben seine Panzer fahren läßt, Truppen schickt, Waffen und Ausrüstung sowieso, also, wenn so etwas passiert, daß dann dieser Staat seitens Deutschlands und der anderen (west)europäischen Nationen mit Sanktionen belegt wird. Wirtschaftlich und politisch. Auch über Jahre.
War da nicht was?
Soweit bekannt gibt es kein UN-Mandat für eine türkische Landnahme in Syrien. Im Gegensatz zu Rußland wurde die Türkei auch nicht von der legitimen syrischen Regierung eingeladen. Zweierlei Maß mal wieder, gell? Erdogan ist ein Schurke, aber er ist unser Schurke (frei nach Henry Kissinger)…
p.s. Die Türkei hält auch weiterhin halb Zypern besetzt. Zypern ist EU-Mitglied.
p.p.s. Falls es in all der Aufregung um humanitäre Fragen vergessen wurde:
Idlib – das ist die Gegend, wohin in den letzten Jahren all die AQ, HTS, al-Shahab, ISIS und sonstige Terroristen, Mörder, Halsabschneider hingezogen sind, nachdem ihnen die syrische Regierung den Abzug dahin gewähren mußte, um diverse andere Gebiete endlich frei von den Islamisten zu bekommen. Idlib ist deren letzter Fußhalt auf syrischem Boden. Solange Idlib nicht von denen befreit ist, wird es keinen Frieden in Syrien geben. Und ich lege auch keinerlei Wert darauf, daß dieses Pack nach Europa im Allgemeinen und Deutschland im Besonderen exportiert wird. Als „Flüchtling“ über die griechische Grenze oder per türkischem Transport erst nach Libyen und dann sonstwohin. Keinerlei Wert.
@Mitleser: Erdogan hat weltweit massive Kritik für den Einmarsch geerntet und vor allem die ethnische Säuberung an den Kurden und die Kriegsverbrechen, welche zu Hauf begangen wurden.
Es war Trump, kann man den Tagesthemen hierzu trauen, der aus auch privaten wirtschaftlichen Interessen, die Kurden verkauft hat.
Ich hoffe einfach inständig, dass man erkennt, dass ein überlaufen der Türkei zu Russland alles andere als im russischen Interesse ist und man erkennt, dass es keinen Sinn, weder realpolitisch noch ethisch/ auf Werten basierend die Türkei als Nato Partner zu sehen.
In welchem Szenar/ Wo wäre denn bitte Erdogan bereit, einen NATO Partner zu verteidigen?
In Litauen? Die USA gegen China?