Der Feind im Rücken? Eher Überforderung
Die Studie selbst habe ich noch nicht in die Hand bekommen, aber der Bericht der Zeitung USA Today nennt schon ein paar interessante Zahlen: Die tödlichen Angriffe afghanischer Sicherheitskräfte auf ISAF-Soldaten, die in den vergangenen Monaten Besorgnis erregend zugenommen haben, sind nicht allein auf die Infiltration von Aufständischen zurückzuführen – noch nicht mal zum größten Teil. 38 Prozent dieser Angriffe, meldet das Blatt unter Berufung auf eine NATO-Untersuchung, seien durch Kampf-bedingten Stress der überforderten Afghanen ausgelöst.
(Die Bundeswehr machte ihre bitterenen Erfahrungen mit dem Feind im eigenen Lager am 18. Februar dieses Jahres, als ein ANA-Soldat im OP North das Feuer auf eine Gruppe deutscher Soldaten eröffnete.)
Nun soll nach der Studie immerhin fast ein Fünftel der Attacken darauf zurückzuführen sein, dass Aufständische wie die Taliban in die Reihen der afghanischen Polizei oder Armee eingeschleust wurden. Doch die Zahl der Sicherheitskräfte, die durchdrehten und die Waffen auf die eigenen Verbündeten richteten, war nach diesen Angaben fast doppelt so hoch. Was wieder neue Fragen nach Auswahl und Ausbildung stellt – und natürlich die Grundsatzfrage, ob das ehrgeizige Ziel des Aufbaus der afghanischen Sicherheitskräfte in der vorgesehenen Zeit überhaupt erreichbar ist.
Archivbild: Two Afghan National Police cadets search for weapons on an „insurgent“ during a training exercise at the Mazar-e Sharif Regional Training Center on Dec. 12, 2010. (US Air Force photo by Staff Sgt. Stacey Haga via ISAFmedia/flickr unter CC-Lizenz)
Was unsere (und die Politiker anderer Länder) leider immer noch nicht begriffen haben:
Der „normale“ Afghane ist weder in Bildung noch Moralvorstellungen oder „Disziplin“ mit einem Europäer zu vergleichen.
Es herrscht immer noch die Vorstellung „Wir müssen denen nur Verantwortung geben-daran werden sie dann wachsen“.
Leider ist dies nicht so.
Um es direkt zu sagen:
Die meisten Afghanen, die ich getroffen habe, sind „stinkfaul“.
Sie sind zwar interessiert-aber das Interesse lässt auch schnell nach.
Pünktlichkeit (plus/minus 12 Stunden), Ehrlichkeit (ICH war das nicht schuld…), Zuverlässigkeit („Das hat mir keiner gesagt“)-alles nur leere Worthülsen.
Und das kann ich ihnen noch nicht mal verdenken-aufgewachsen in einem Land, in dem es (ausser Krieg) eigentlich nur Drogenanbau gab, und in der die „Warlords“ (bzw. „Landlords“) ihr seit Jahrhunderten angestammtes Recht ausüben…
Wir können diesen Menschen nach Jahrhunderten nicht plötzlich in 10 Jahren „Demokratie“ beibringen-ebenso wenig, wie wir den Amerikanern durch unser „DuDuDu“ plötzlich Menschenrechte näher bringen können.
Für Afghanistan gibt es nur eine wirkliche Lösung:
Die alten Machtverhätlnisse wieder herstellen….
Alle anderen Lösungsansätze erfordern die Präsenz ausländischer Truppen sowie Milliardenunterstützung-für die nächsten 25-50 Jahre…
@Huey
In meiner Heimatstadt Hamburg leben etwa 20000 Afghanen. Oft unterhalte ich mich mit einem afghanischen Taxifahrer über seine Vergangenheit. Ingenieure, Offiziere, Lehrer. Das sind oft die Berufe dieser Flüchtlinge die sich nun als Fahrer verdingen. Man darf nicht vergessen (das unterstelle ich ihnen aber nicht), dass Jahrzehnte des Krieges dieses Land auch intellektuell haben ausbluten lassen. Die einst moderne Oberschicht des Landes lebt nun verstreut in aller Herren Länder und kehrt nur zaghaft zurück, was ich angesichts der Situation in ihrer alten Heimat auch verstehen kann.
@Huey
„Unsere Politiker“ (jedenfalls die relevanten) haben das durchaus begriffen!
Ist „Die alten Machtverhätlnisse wieder herstellen“ wirklich eine Alternative? Unsere Zielstellung ist ja auch gar nicht, die Situation komplett zu lösen, sondern die Situation über einen absehbaren Zeitraum stabil zu halten, um abziehen zu können!
Mit den im Ausland lebenden Afghanen ist es wie mit den anderen in Deutschland lebenden Ausländern:
Die meisten haben sich perfekt angepasst, und sind ganz normaler Teil unserer Gesellschaft.
Einige wenige fallen auf-durch teilweise asoziales Verhalten, oder durch penetrante Aufrechterhaltung der Verherrlichung ihres Heimatlandes bis hin zum Extremismus.
Das ist aber dann auch der Anteil, den das jeweilige „Heimatland“ gar nicht zurück haben will.
Wenn unsere Politiker das „Dilemma“ erkannt haben, dann vermisse ich aber die (längst fällige) Kehrtwende in der Aussen-und Verteidigungspolitik.
Was ist denn „unsere Zielstellung“?
Ausser einem „möglichen Abzug“ ab Ende 2012 hat sich doch die Regierung noch nicht wirklich dazu geäußert-außer Frau Merkels nichtssagendem Kommentar, das die Bundeswehr „für ein stabiles Umfeld und eine sichere Flüchtlingsrückkehr“ sorgen soll.
Konkrete Ziele (im Sinne von Wer/soll was/wozu/womit/bis wann tun) gibt es nicht….
Zu Thema „fehlgeschlagene Demokratisierungsversuche“:
Hier reicht die Kette doch nicht nur bis nach Korea und Vietnam zurück, sondern auch über Somalia-bis hin zu Afghanistan.
Karzai-heute Präsident, war noch vor wenigen Jahren einer der „gesuchten Bösewichte“.
Heute ist er die Marionette des organisierten Verbrechens-seine „Zuverlässigkeit“ hat er ja bereits häufiger bewiesen.
Wie soll ein Land, in dem es bereits an der Spitze „stinkt“, Fortschritte machen, wenn der Großteil der Bevölkerung weder mitbekommt, das es mittlerweile „Regierungsstrukturen“ gibt, noch daran großes Interesse hat?
@Huey: Wenn Sie sich aus Afghanistan zurückziehen wollen, nur zu! Und ja, auch ich bin von dem, was die Bundesregierung so verkündet, nicht überzeugt. Aber es gibt an vielen Orten – und Herr Nachtwei weiß davon regelmäßig zu berichten – Entwicklungen, die in unserem Sinne sind. Dass Sie die Menschen in Afghanistan aufgeben wollen, ist Ihr gutes Recht, und wenn Sie dafür eine Mehrheit organisieren, dann sei es so. Ich bin anderer Meinung.
Das Thema des Artikels ist die offenbare Dünnhäutigkeit der afghanischen Sicherheitskräfte, welche sensibler auf Stress reagieren und dann durchdrehen.
Jetzt gibt es zwei Möglichkeiten, woran es liegt. An den Menschen, oder/und an mangelhafter Ausbildung (eine gute Ausbildung reduziert die Stressanfälligkeit und bewirkt, dass der Einzelne immernoch über der Lage steht, bekannt).
Die Diskussion wird eh ein politisch korrekter Eiertanz, wenn man Möglichkeit 1 auch nur in Betracht zieht. Ich kann nur soviel sagen, dass es meinem Eindruck von Menschen „aus der Ecke der Welt“ entspricht, dass sie sich schnell aufregen und oft völlig irrational handeln. Ich mag mich aber auch irren, da ich noch nie in Afghanistan selber war.
Möglichkeit 2 erscheint durchaus nachvollziehbar, wobei natürlich eine gute Ausbildung nur dann gelingt, wenn die Inhalte stimmig sind und wenn sich der Mensch auch darauf einlässt. Sich von einem Fremden im eigenen Land was erzählen zu lassen wird nicht jedermanns Sache sein und wird evtl. den Fortschritt hemmen. Kann ich verstehen.
Einen halbwegs funktionierenden Sicherheitsapparat aufzubauen ist schwierig. Er wird nur so gut, wie der gesellschaftliche Rahmen und braucht somit eindeutig mehr als zehn Jahre. Ein, wie oben schon gesagt, ehrgeiziges Ziel.
@Niklas
„…ist die offenbare Dünnhäutigkeit der afghanischen Sicherheitskräfte, welche sensibler auf Stress reagieren und dann durchdrehen.“
Ich habe persönlich einen Fall (ohne Todesfolge) erlebt, bei dem sich ein Afghane gedemütigt fühlte und dann meinte, Rache nehmen zu müssen. Seine Kameraden hatten dafür vollstes Verständnis, während derjenige, von dem die wahrgenommene Demütigung ausging, frustriert darüber war, dass nichts voranging und den Druck etwas erhöht hatte, ohne nach westlichem Verständnis unangemessen gehandelt zu haben.
Insbesondere Briten und Amerikanern wird von Afghanen pauschal Arroganz unterstellt, und man begegnet ihnen mit entsprechender Erwartungshaltung und Empfindlichkeit. Belege für Arroganz können dabei auch Dinge sein, die Soldaten dieser Nationen besser können oder als Vorteil genießen, z.B. bessere Ausrüstung, bessere Ausbildung etc.
Wenn dazu dann noch eine nicht einmal bösartig gemeinte öffentliche Zurechtweisung erfolgt, kann der Druck auf einen Afghanen, sein Gesicht wiederherzustellen, offenbar sehr groß werden.
Als Deutscher hatte ich da viele Vorteile und musste öfters versöhnend einspringen. Mir war die Konsequenz, mit der die eigene Ehre verteidigt wird, sogar sympathisch, und ich habe etwas davon mit in die Heimat genommen. Mir ist jetzt bewusst, dass z.B. Toleranz gegenüber Anfeindungen der Bundeswehr durch irgendwelche Aktivisten zwangsläufig als Schwäche ausgelegt wird und noch mehr Feindseligkeit nach sich zieht, wenn man nicht sofort einschreitet. Ich verweise auf die Vorschrift zur Inneren Führung, die von Soldaten Aufgeschlossenheit gegenüber anderen Kulturen fordert. Man kann manchmal viel gutes von ihnen lernen.
@ Orontes
Naja… Ich denke in Deutschland kommt man gut zurecht, wenn man nicht gleich wegen jeder Lapalie ausrastet ^^ Das ist bei uns kulturell verpönt, würde ich fast sagen.
Zwischen verbalem Kontra geben / sich nicht alles gefallen lassen und jemanden zu erschießen liegt ein weites Feld.
Sonst wäre ich schon Massenmörder. ^^
@Niklas
„Ich denke in Deutschland kommt man gut zurecht, wenn man nicht gleich wegen jeder Lapalie ausrastet ^^ Das ist bei uns kulturell verpönt, würde ich fast sagen.“
Ist das wirklich so? Warum gibt es dann viel größere Bereitschaft für Kampagnen gegen Pelzträger als für Kampagnen gegen Lederjackenträger? Und warum gehört es fast zum guten Ton, über den vergleichsweise liberalen katholischen Papst öffentlich herzuziehen, während die z.T. gleichen Leute gegenüber wesentlich illiberaleren muslimischen Führern zu Respekt, Toleranz und Dialog aufrufen? Auch plädiere ich für Aufgeschlossenheit für das, was andere Kulturen uns lehren können.
Die Erwartung, dass das Ziel einer Kampagne sich diese nicht so ohne weiteres gefallen lassen könnte, scheint sich direkt auf die Bereitschaft von Aktivisten zur Durchführung von Kampagnen auszuwirken. Man muss ja nicht direkt „ausrasten“, aber etwas mehr Konfliktbereitschaft würde bestimmt manch feindseliger Kampagne präventiv entgegenwirken.
@ Orontes
Seinen eigenen Standpunkt auch gegen innere und äußere Widerstände vertreten ist genau der Punkt den sie angesprochen haben. Liberal bzw. tolerant kann man sein, wenn der eigene gesellschaftliche, ethische und auch religöse Standpunkt gefestigt ist.
Genau diese Eigenschaften werden den Vorgesetzten in der Bw im täglichen Dienst sehr schnell ausgetrieben, wenn die eigenen Standpunkte nicht deckungsgleich mit den offiziell verordneten Standpunkten sind.
@Niklas: Häufig Möglichkeit 1, wobei diese antiproportional zum IQ (ein genauer definierter Begriff würde jetzt viel Zeit in Anspruch nehmen) ist. Intelligente bzw. gebildete Afghanen neigen äußerst selten zu solchen Verhaltensweisen, es sei denn, sie befürchten negative Auswirkungen für ihren Ruf.
Hierbei darf man natürlich nicht vergessen, wie sich die Jahrzehnte des Konflikts auf die Menschen in Afghanistan ausgewirkt haben. Nach hierzulande üblichen Maßstäben würde dort wohl die Mehrheit der Bevölkerung eindeutig als psychisch krank eingestuft werden.
Und wie Orontes sagt, was viele Menschen aus dem nahen und mittleren Osten, aber auch Osteuropa und Afrika, nach Deutschland mitgebracht haben, ist die Erkenntnis, dass Aggressivität sich durchsetzt. Fragen Sie nur mal die Polizisten in jeder Stadt über 50.000 Einwohner, wer da auf den Straßen das Sagen hat. ;-)
Ich denke dieses Thema hatten wir schonmal ^^ und sollten das eher am Stammtisch diskutieren ;) Sonst ruinieren wir wieder den Thread.
Wieso Stammtisch? Zumindest mich werden Sie da nie finden, es dürfte also schwierig werden ;-)