Verlängertes Anti-ISIS-Mandat: Evaluierung nach sechs Monaten, Tornado-Einsatz endet in einem Jahr
Das Bundeskabinett hat am (heutigen) Dienstag eine Verlängerung des Bundeswehreinsatzes gegen die Terrororganisation ISIS auf den Weg gebracht. Wie schon im aktuellen Mandat sollen weiterhin im Rahmen der Anti-ISIS-Koalition irakische Soldaten im Irak selbst ausgebildet werden; auch weiterhin soll die Luftwaffe Aufklärungseinsätze über Syrien und dem Irak fliegen. Als Kompromiss für die nicht nur innerhalb der Regierungskoalition umstrittene Mission wird der Luftwaffeneinsatz bis Ende Oktober kommenden Jahres befristet; nach einem halben Jahr soll es eine Überprüfung der Ausbildung im Irak geben.
Der Bundestag hatte am 22. März das Mandat für eine neu ausgerichtete deutsche Beteiligung an der Anti-ISIS-Koalition beschlossen, ausschließlich mit den Stimmen von Union und SPD und auch das noch nicht mal geschlossen. Im Gegensatz zur üblichen Praxis hatte das Mandat nicht wie üblich eine Laufzeit von einem Jahr, sondern war auf sieben Monate bis Ende Oktober befristet. Vor allem die neu ausgerichtete Ausbildung von Streitkräften der irakischen Armee im Irak selbst war auf Kritik gestoßen.
Das jetzt vom Kabinett auf den Weg gebrachte Mandat ist inhaltlich kaum anders als das vorangegangene, sieht weiterhin den Einsatz von bis zu 800 Soldaten vor und gilt nunmehr für ein Jahr. Es greift aber die Kritik auf und sieht deshalb die Befristung des Luftwaffeneinsatzes ebenso wie die Bewertung der Ausbildungsunterstützung im Irak vor. Aus dem Entwurfstext:
Das Mandat ist bis zum 31. Oktober 2019 befristet.
Die Bereitstellung von Tornados zur luft- und raumgestützten Aufklärung sowie die Luftbetankung werden zum 31. Oktober 2019 beendet.
Der deutsche Beitrag der umfassenden Stabilisierung Iraks durch Beteiligung am Fähigkeitsaufbau („Capacity Building“) der regulären irakischen Streit- und Sicherheitskräfte im Rahmen des Gesamtansatzes der internationalen Anti-IS-Koalition wird zum 30. April 2019 überprüft.
Die Ausschüsse des Deutschen Bundestages werden mit dem Ergebnis dieser Überprüfung befasst.
Für den Fall, dass eine irakische Regierung unter Einbeziehung des irakischen Parlaments bis zu diesem Zeitpunkt die Einladung an Deutschland und die geltenden Statusvereinbarungen für die deutschen Soldaten nicht in geeigneter Form bestätigt, wird dieser Ausbildungsauftrag spätestens bis zum 31. Oktober 2019 abgebaut und beendet.
Wie bisher schon wird bei der Aufgabe
Durchführung von spezialisierten militärischen Ausbildungslehrgängen (im Schwerpunkt Ausbildung der Ausbilder) und Maßnahmen des Fähigkeitsaufbaus für die regulären irakischen Streit- und Sicherheitskräfte mit Fokus auf die zentralirakischen Streitkräfte
die Ausbildung von Einheiten und Verbänden der sogenannten Volksmobilisierung („Popular Mobilization Forces“) ausgeschlossen.
Aus der Begründung:
Um die militärischen Erfolge im Kampf gegen IS zu sichern und ein Wiedererstarken der Terrororganisation zu verhindern, bleibt die fortgesetzte Bekämpfung der Terrororganisation auch mit militärischen Mitteln erforderlich. (…)
Die NATO ist weiterhin Mitglied der internationalen Anti-IS-Koalition, basierend auf dem Beschluss der Staats- und Regierungschefs der NATO auf dem Gipfel in Warschau am 8./9. Juli 2016 und der Indossierung von Folgebeschlüssen des Nordatlantikrats beim NATO-Gipfel in Brüssel am 25. Mai 2017. Auch die von den Staats- und Regierungschefs beim Gipfel in Brüssel am 11./12. Juli 2018 beschlossene NATO-Trainings- und Ausbildungsmission Irak wird auf Einladung der irakischen Regierung einen wichtigen und mit der internationalen Anti-IS- Koalition abgestimmten Beitrag zum umfassenden, internationalen und vernetzten Beitrag zur Unterstützung der Sicherheitssektorreform in Irak leisten. Der Beitrag der NATO ist ausdrücklich kein Kampfeinsatz. Deutschland beteiligt sich bislang nicht an dieser NATO-Mission. (…)
Die zukünftige Ausrichtung der Operation „Inherent Resolve“ orientiert sich an der Bedrohungslage durch IS. Entsprechend vollzieht die internationale Anti-IS-Koalition eine schrittweise Schwerpunktverlagerung vom Einsatz kinetischer Fähigkeiten hin zu Aufklärungs- und Ausbildungstätigkeit.
Die irakischen Kräfte benötigen in der Phase der Stabilisierung befreiter Gebiete fortgesetzte Unterstützung beim Fähigkeitsaufbau. Deutschland trägt hierzu auf Bitten und mit Einverständnis der irakischen Regierung bei, mit dem Ziel, Irak beim Aufbau selbsttragender, verlässlicher, transparenter und inklusiver Strukturen und Fähigkeiten im Sicherheitssektor zu unterstützen. Der deutsche Beitrag zur Schließung von Fähigkeitslücken leitet sich dabei aus dem irakischen Bedarf ab.
Interessant ist dabei die Formulierung (die man allerdings auch nicht überinterpretieren darf): Deutschland beteiligt sich bislang nicht an dieser NATO-Mission. Eine Hintertür bleibt immer, hier mit dem Wörtchen bislang.
Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen hatte Mitte September das deutsche Kontingent in der Ausbildungsunterstützung im Irak besucht (Foto oben). Der dort laufende aktuelle ABC-Abwehrlehrgang für 15 irakische Soldaten endet zunächst planmäßig in dieser Woche.
Nachtrag: Zu der Ausbildungsunerstützung gibt’s ein Bericht der Bundeswehr aus dem Camp Taji:
Ein Tag mit deutschen Ausbildern in Taji
(hier noch mal als pdf; ohne die Bildergalerie: 20180928_Bw-Irak_ABC-Ausbildung_Taji)
(Foto: ABC-Ausboldung im Camp Taji bei Bagdad im September 2018 – Bundeswehr/PAO Irak)
Moin
Hoffentlich kann mir jemand diese Frage beantworten. Vielleicht hab ich es einfach überlesen.
Werden die Kurden in Erbil denn jetzt nicht mehr ausgebildet? Und wenn nein werden dann alle Richtung Bagdad verlegt? Weil in dem Text immer nur was von der Irakischen Armee steht.
mKg
Mir stellt sich spontan die Frage, was die Tornados im Moment und bis zum 31.10.2019 für Aufträge haben und ob diese sinnvoll sind.
An der IS-Lage hat sich die letzten Monate nicht wirklich etwas getan. Werden die Flugzeuge noch wirklich gebraucht oder ist das nur bündnis- und außenpolitisches Taktieren nach dem Motto „Wir sind auch da.“?
@Stefan: Die Ausbildungsmission der Peschmerga wurde wie in der Drucksache 19/1300 vorgeschlagen nicht mehr vom Bundestag verlängert und lief im April 2018 aus.
http://dipbt.bundestag.de/extrakt/ba/WP19/2331/233110.html
@ Pio-Fritz: Diese Frage stelle ich mir auch. Das kann nur außenpolitisches Taktieren sein, denn strategisch macht es, eigentlich, keinen Sinn (mehr). Einzig der Einsatz des MRTT ist, vielleicht, noch sinnvoll.
Das postulierte Ziel bei CJTF OIR: „The stated aim of CJTF–OIR is to degrade and destroy ISIL“. (Wiki))
Das Vermindern (in den Fähigkeiten) und Zerstören (zerschlagen) gelang weitgehend als strategisches Ziel. Wie jüngste Anschläge in IDLIB und BAGDAD, reklamiert durch Daesh allerdings belegen, existiert die Terrorgruppe physisch nach wie vor, von der ideologischen Reichweite an dieser Stelle zu schweigen.
Besser fährt man in der Beurteilung mit den deutschen Begriffen von ZERSCHLAGEN und VERNICHTEN.
Daesh muss unbedingt als ZERSCHLAGEN beurteilt werden, aber eben nicht als VERNICHTET. Der Unterschied in Kürze, reduziert in seinen mil Fähigkeiten auf 30 bzw. 10% des ursprünglichen Gesamtpotenzials.
So gesehen wurde das strategische Ziel durchaus erreicht, die operative Aufgabe Reste zu vernichten und Verhinderung der Rekonstitution bleibt jedoch. Daher macht der DEU Einsatz bis auf weiteres unbedingt Sinn.
Die Evaluierung nach 6 Monaten wird die fast zeitgleiche Beschlussfassung der NLD berücksichtigen. Den Haag stellt seinen Beitrag von 4 F-16 und einem KC-10 Tanker zum 01.01.19 komplett ein (wegen beginnender Umgliederung auf F-35). In der Ausbildungsmission verbleiben 85 Soldaten.
Vergleichbare Umstellungen stehen bei weiteren Partnern ins Haus, die es im BMVg ins Kalkül zu ziehen gilt.
[Nein, den 1. Januar 2019 und den 30. April 2019 würde ich nicht als „fast zeitgleich“ bezeichnen. Oder würden Sie bei Beendigung eines Jobs zum Jahresende und dann vier Monaten ohne Gehalt bei Antritt eines neuen zum 1. Mai von fast zeitgleich reden? T.W.]
Noch ein Jahr Einsatz wird die personelle Einsatzbereitschaft – ähnlich wie bei den Heeresfliegern bereits geschehen – weiter erheblich erschweren. Obwohl der operative Mehrwert überschaubar ist. Man hat jedoch offenbar im BMVg nicht den Mut den Begehrlichkeiten seitens AA und Kanzleramt deutlich genug entgegenzutreten.
Zur Lage an der Basis empfehle ich den Bericht bei bundeswehr-Journal („Tornado-Ausbildung macht der Luftwaffe Sorgen“). Fluglehrer weiter in den Einsatz zu bringen bringt die Einsatzbereitschaft nur immer weiter in weitere Tiefstände. Der InspL war ebenfalls kürzlich in Jagel und auch er wurde auf die Probleme hingewiesen.
Ein weiteres Jahr Einsatz hilft dabei sicher nicht.
@Klaus-Peter Kaikowsky | 02. Oktober 2018 – 14:30
„So gesehen wurde das strategische Ziel durchaus erreicht, die operative Aufgabe Reste zu vernichten und Verhinderung der Rekonstitution bleibt jedoch. Daher macht der DEU Einsatz bis auf weiteres unbedingt Sinn.“
Schon vor Monaten haben wir darüber diskutiert, ob die Recce-Tornados das richtige Mittel sind, um die Reste von Daesh aufzuspüren, die in der Bevölkerung getarnt sind. Die einhellige Meinung seinerzeit war ein eindeutiges Nein.
Sie kommen jetzt wieder mit dem alten Argument. Und Zerschlagen aus der Luft bei asymmetrischem Feind funktioniert nicht, dazu braucht es Bodentruppen.
Da müssen schon andere Argumente kommen, um den Einsatz sinnvoll darzustellen.
Das US Dep of Defense gab im August die beurteilte IS- Staerke mit ca. 30000 Kaempfern an, die vornehmlich im IRK (ueberwiegend im sunnitischen besiedelten Raeumen am linken Euphratufer), aber auch in SYR ( Idlib, Raqqa) noch aktiv sind bzw. dort ihre Unterstuetzungsbasen haben. IS und andere Extremisten sind weder verschwunden, noch haben sich ihre ideologischen Weltsichten aufgeloest. Der Kampf geht derzeit allenfalls in eine andere Phase ueber.
OIR/ C- Daesh haben daher sicherlich noch ihre Relevanz. Doch das Erscheinungsbild des IS hat sich tendenziell stark veraendert- weg von offenen Aktionen und Operationen in von ihnen kontrollierten Gebieten – die wurden zu grossen Teilen zurueckgewonnen – und hin zu verdeckten und clandestinem Verhalten.
Staerke, Verhalten, Absicht und Unterstuetzungsleistungen der vorhandenen / neuen? IS- Strukturen usw. herauszufinden sind klassische Aufklaerungs- und nachrichtendstl. Leistungen.
Die Tornados sind ein systemischer Teil davon, die gegen einen in der Zivilbevoelkerung aufgehenden Gegner sicherlich einen geringer werdenden Mehrwert haben werden.
Ich bin mir allerdings nicht sicher und moechte es bezweifeln, dass die DEU Tornados angesichts der syr.- russ. Luftverteidigng ueber SYR operieren. Somit werden die Tornados bspw. nichts bis wenig zum Lagebild insbesondere in Idlib beitragen koennen. Gerade hier wird sich aber die „Zukunft“ der eingeschlossenen IS- und anderen extremistischen Kaempfer entscheiden. Tod und Untergang oder freies Geleit in die TUR? Und Letzteres festzustellen, daran hat ( haette?) DEU ein sehr hohes Interesse!
Insofern mag man den operativen Wert der DEU Tornados bezweifeln.
Es waere jedoch kein gutes politisches Signal, wenn DEU als einer ersten Nationen die groesste globale militaerische Koalition (OIR mit 60+ Nationen) ausserhalb bestehender Buendnisse verliesse.
Naehme DEU aber den Kampf gg den IS wirklich Ernst, wuerde es im Tausch andere AufklSys und- mittel anbieten.
Doch dazu beduerfte es einer strategischen Perspektive und Aussprache zwischen Militaers und BT und nicht nur eines parlamentarischen Durchwinkens.
[Kurze Anmerkung: Deutschland wäre längst nicht die erste Nation, die ihre Assets aus diesem Einsatz zurückzieht (was ja nicht gleichbedeutend ist mit einem Verlassen der Koalition): z.B. Australien hat schon vor längerer Zeit seine Flugzeuge abgezogen, die Niederlande mehrfach. T.W.]
@T.W. Zu Ihrer Anmerkung
Trotz der Einschränkung „(was ja nicht gleichbedeutend ist mit einem Verlassen der Koalition)“ ist Ihr Vergleich in seiner Aussage irreführend.
Weder Australien:
#Australia has proven to be a vital member in the fight to #DefeatDaesh. As part of Task Group #Taji, Australia is training the #ISF in disciplines such as weapons handling, combat first aid, building clearances and obstacle breaching. #CoalitionProgress #CJTFOIR https://t.co/hhzfiQc3Pz
noch die Niederlande:
https://www.defensie.nl/onderwerpen/missie-in-irak-en-oost-syrie
haben je KOMPLETT ihre Kräfte abgezogen.
Vielmehr betrifft es
– seit 16.01.18 allein (AUS) Luftwaffe mit F/A-18 Hornet https://thedefensepost.com/2018/01/16/australia-ends-isis-air-strikes-iraq-syria/ und
– für die NLD allein den Kontingentwechsel in GEMEINSAMER BEL-NLD Op.
NLD SOF waren und sind, wieder gemeinsam mit BEL, in BAGDAD als Ausbilder eingesetzt. Darüber hinaus Analysten des NLD Nachrichtendienstes (MIVD).
[Ja, und im Irak sind deutsche Ausbilder. Also wäre ein Abzug der Luftwaffe dann eben auch kein Ausstieg aus der Koalition, wie nahegelegt. T.W.]
Offenbar gibt’s binnen kurzem in Syrien zumindest hinsichtlich Daesh tatsächlich nichts mehr aufzuklären.
https://www.militarytimes.com/news/your-air-force/2018/10/03/last-pocket-of-isis-fighters-surrounded-dod-official-says/
The final push, known as Operation Roundup, is in its third week. It is occurring in the Middle Euphrates River Valley’s Deir ez-Zor province, close to the Iraq-Syria Border.
Falls CJTF OIR via CENTCOM absehbar also meldete „Feind vernichtet“ wäre die Geschäftsgrundlage des Aufklärungseinsatzes nicht mehr gegeben, wenigstens über Syrien nicht mehr.
Hm. Zum Thema „da läuft nix mehr“ eine gegensätzliche Mitteilung von den Briten:
Einen Widerspruch sehe ich zwischen den U.S. und U.K. Aussagen nicht.
Die U.S. Air Force deckt ausdrücklich das Mittlere Euphrattal in Syrien ab.
„The final push, known as Operation Roundup, is in its third week. It is occurring in the Middle Euphrates River Valley’s Deir ez-Zor province, close to the Iraq-Syria border“,
während die britische Targetlist von Ortsangaben im Nordirak (!) bis Ostsyrien spricht.
Ob es tatsächlich in naher Zukunft an lohnenden Zielen mangeln wird, werden CJTF OIR Aussagen eher erkennen lassen, als etwaige seitens BMVg.
Der NLD Abzug der 4 F-16 (+ 2xReserve) mit Wirkung 01.01.19 wird neben der beginnenden F-35 Umrüstung auch mit Mangel an Aufträgen für Jabo im Raum Ost-Syrien/Irak begründet.