Waffen für die Saudis: Bundesregierung genehmigt Lieferung von Iris-T (Neufassung)
Noch vor der neuen Debatte über die deutsche Zustimmung für eine Lieferung von Eurofightern an Saudi-Arabien hatte die Bundesregierung wieder Waffenlieferungen an das arabische Land freigegeben. Regierungssprecher Steffen Hebestreit bestätigte, dass der Bundessicherheitsrat Ende im Dezember vergangenen Jahres die Lieferung von Luft-Luft-Lenkflugkörpern Iris-T aus deutscher Produktion an die Saudis genehmigte. Ein seit 2018 geltendes Waffenembargo gegen das Königreich ist damit ungeachtet der Festlegung im Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und FDP offensichtlich überholt.
Das Bundeswirtschaftsministerium hatte dem Bundestags-Wirtschaftsausschuss mit Datum vom 14. Dezember Entscheidungen des Bundessicherheitsrats zu Rüstungsexporten mitgeteilt. Darüber hatte am (heutigen) Mittwoch zuerst der Spiegel berichtet. In der Mitteilung findet sich neben anderen Genehmigungen auch die Freigabe der Iris-T:
Bei den Flugkörpern handelt es sich nicht um die Variante, wie sie an die Ukraine geliefert wurde, um mit bodengestützten Flugabwehrsystemen Raketen, Marschflugkörper oder Drohnen abzuschießen: Die genehmigten Iris-T werden von Kampfjets als Luft-Luft-Flugkörper kurzer Reichweite eingesetzt, gegen gegnerische Flugzeuge, aber auch gegen Drohnen und Raketen. In dieser Weise setzt auch die BundeswehrIris-T ein.
Hintergrund der Genehmigung ist offensichtlich der Einsatz der Iris-T gegen die Drohnen und Antischiffsraketen, mit denen Huthi-Milizen in Jemen seit Wochen Handelsschiffe im Roten Meer angreifen. Die saudische Luftwaffe verfügt bereits über Eurofighter-Kampfjets, von denen aus die Waffen der Huthis im Flug bekämpft werden.
Die Genehmigung des Rüstungsexports ist die erste Erlaubnis deutscher Waffenlieferungen an Saudi-Arabien seit Jahren. Nach dem Mord an dem saudischen Journalisten Jamal Khashoggi und wegen der Beteiligung des Landes am Krieg in Jemen hatte Deutschland 2018 ein Waffenembargo verhängt.
Erst Anfang der Woche hatte die Bundesregierung jedoch erklärt, dass die Rolle Saudi-Arabiens vor allem nach dem Überfall der militanten Hamas-Milizen auf Israel im Oktober neu bewertet werde und auch eine Lieferung von neuen britischen Eurofightern an Saudi-Arabien nicht mehr von Deutschland blockiert werde. Regierungssprecher Hebestreit verwies vor der Bundespressekonferenz zum Thema Iris-T auch auf seine entsprechenden Aussagen vom Montag.
In ihrem Koalitionsvertrag hatten die Parteien der Ampel-Regierung Rüstungsexporte an Staaten ausdrücklich ausgeschlossen, die am Jemen-Krieg beteiligt sind – und damit grundsätzlich auch an Saudi-Arabien:
Für eine restriktive Rüstungsexportpolitik brauchen wir verbindlichere Regeln und wollen daher mit unseren europäischen Partnern eine entsprechende EU-Rüstungsexportverordnung abstimmen. Wir
setzen uns für ein nationales Rüstungsexportkontrollgesetz ein. Unser Ziel ist es, den gemeinsamen Standpunkt der EU mit seinen acht Kriterien sowie die Politischen Grundsätze der Bundesregierung für
den Export von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern, die Kleinwaffengrundsätze und die Ausweitung von Post-Shipment-Kontrollen in einem solchen Gesetz zu verankern. Nur im begründeten
Einzelfall, der öffentlich nachvollziehbar dokumentiert werden muss, kann es Ausnahmen geben. Den Rüstungsexportkontrollbericht werden wir transparent gestalten. Wir erteilen keine Exportgenehmigungen für Rüstungsgüter an Staaten, solange diese nachweislich unmittelbar am Jemen-Krieg beteiligt sind.
(Archivbild März 2022: Eurofighter des Taktischen Luftwaffengeschwaders 74 aus Neuburg an der Donau trainieren, mit Iris-T-Lenkflugkörpern bewaffnet, als Quick Reaction Alert (QRA) über dem Südosten Deutschlands – Christian Timmig/Bundeswehr)
@T. Wiegold:
„Bei den Flugkörpern handelt es sich nicht um die Variante, wie sie an die Ukraine geliefert wurde, um mit bodengestützten Flugabwehrsystemen Raketen, Marschflugkörper oder Drohnen abzuschießen:“
Wie Labacco geschrieben hat, sind auch „normale“ IRIS-T an die Ukraine gegangen.
Die Bundesregierung nennt in ihrer „Liste der militärischen Unterstützungsleistungen“ explizit „Flugkörper IRIS-T SLS“ neben „Flugkörper IRIS-T SLM*“.
[Ja. Kein Grund, den zweiten Teil meines oben zitierten Satzes zu ignorieren. T.W.]
Bezüglich der moralischen Argumente die hier zum Thema aufgelaufen sind, welche gegen die Belieferung Saudi Arabiens angeführt werden: Wenn wir nach der durch den Erdgaspreisschock ausgelösten Kaskade in unserer Ökonomie weiter „Gefahr wehren und Wohlstand mehren“ wollen, unsere industrielle Basis erhalten wollen, können wir es uns nicht mehr leisten, potentielle Kunden zu verprellen.
Gerade für mich eine bittere Pille, da ich in Deutschland und die EU immer eine Anlehnungsmacht für die regelbasierte Ordnung gesehen hatte, von welcher Wohlstand und damit in Folge Sicherheit in Europa absolut abhängen. Nicht nur im Außland, sondern auch durch Aktzentsetztung in unserer Außenpolik liegt die globale Ordnung, welcher wir alles verdanken, im Sterben. Ohne zu tief ins Entwicklungspolitische/Geopolitische abzugleiten, werden wir uns zwischen der Alimentierung weiten Teilen Ostdeutschlands und der Menschenrechtslage im Jemen entscheiden müssen. Und ich muss zu dem Schluß kommen, auch der heutige Tag und seine Schlagzeilen hat wieder gezeigt, dass bei allem Chaos einer ‚Welt aus den Fugen‘, die größte sicherheitspolitische Gefahr innenpolitischer Natur ist. Ich entführe nach 2017/18, was folgte kennen wir, und was die damaligen Autoren mitzuteilen versuchen steht uns jetzt bis an die Unterlippe:
– A Most Dangerous Option for Germany
https://geopoliticalfutures.com/dangerous-option-germany/
– In Search of a Third German Economic Miracle
https://geopoliticalfutures.com/search-third-german-economic-miracle-1/
Daher sollte man die angefragten Güter frei geben und sich bitte nicht in Begründungen verheddern, die man Morgen nicht mehr eingeholt bekommt. Die Houthi haben Entschieden und ihr Schicksal besiegelt (Sowohl Animus wie Kriegshandlungen liegen vor), wir sollten aber auch anerkennen, dass die Saudis gerade einen „mutigen“ Weg gehen und auch dort die Bevölkerung eine Entscheidung getroffen hat. Also, einfach liefern und gut ist… Aber O.K da schient das Bedürfnis sich in der Zeitung zu lesen wichtiger zu sein als die innenpolitische Stabilität der zahlungskräftigen Kundschaft.
@AoR:
„….können wir es uns nicht mehr leisten, potentielle Kunden zu verprellen.“
Diese wirtschaftliche Betrachtung kann falscher nicht sein. Als würde es bezüglich Deutschlands Wirtschaftsmacht überhaupt großartig ins Gewicht fallen, ob wir Länder wie Saudis Arabien beliefern. Man könnte sich mal vergegenwärtigen, wieviel Umsatz die Rüstungsindustrie überhaupt macht, wieviel % vom BIP das ist. Dann noch wieviel dieses Umsatzes sowieso in DE anfällt bzw. eben auch in unstrittigen Partnern (EU, NATO ohne Türkei, einige Asiaten, gerne in Zukunft mehr Indien!) gemacht wird. Braucht man dann Saudis?
Die 150 Iris T Produktionskapazität würde man wohl noch dazu auch überall anders los werden, also genau 0 Verlust.
Die Lieferung an Staaten die uns vielleicht nicht genehm sind, mir auch nicht, ist aber trotzdem in meinen Augen sinnvoll, um zumindest im Idealfall mäßigend auf diese Länder wirken zu können, im Zweifel auch Kuhhandel, wie zb die Saudis dazu zu bewegen ihre Verhandlungen mit Israel positiv weiterzuführen oder eben zum Zwecke des Abschusses von Houthi Drohnen.
„werden wir uns zwischen der Alimentierung weiten Teilen Ostdeutschlands und der Menschenrechtslage im Jemen entscheiden müssen.“
Warum meinen Sie weite Teile Ostdeutschlands alimentieren zu müssen? Rüstungsindustrie ist im Osten fast nicht vorhanden. (und will man auch nicht da böse NATO Rüstungsindustrie ;) ) Die meisten im Osten werden sowieso über Rente finanziert, als extrem überalterte Region und Zuwanderung mag man ja nicht…
Für mich geht der geostrategische Schlingerkurs unserer derzeit verantwortlichen Politiker in die nächste Runde.
Saudi-Arabien als potentiellen, zahlungskräftigen Kunden einzustufen ist eine Entscheidung. Die „kleine“ Huthi-Miliz zur Räson zu bringen ist diesbezüglich ebenso ein Entschluß.
Koalitionsprogramme und eigens aufgestellte Richtlinien zu ändern ist soweit sie einwandfrei begründbar sind (z.B. besondere Ereignisse erfordern besondere Maßnahmen) akzeptabel.
Der Verkauf von Rüstungsgütern ist dennoch immer zweischneidig – moralisch und ökonomisch! Für jemanden, der die freiheitlich-demokratische GO achtet und diese wertschätzt, habe ich ein mulmiges Gefühl bei Geschäften mit den Saudis. Amnesty International klagt jedes Jahr über die dortige Menschenrechtslage; Frauen sind Menschen zweiter Klasse, Homosexualität ist verboten, die Todesstrafe in Kraft, Meinungsfreiheit gibt es nicht.
Man kann und darf und manchmal muss man sich sicherlich über den eigenen Koalitionsvertrag hinwegsetzen. Man muss das dann aber mMn sauber begründen, öffentlich erklären und darf es nicht unter den Teppich kehren. Das vermisse ich in dem Fall schon, so wie ich öfter Erklärungen des Regierungshandelns vermisse.
@all
Ok, war mein Fehler, das nicht gleich zu Beginn zu stoppen: Das jetzt zu einer Debatte über den Osten Deutschlands und über aktuelle Berichterstattung über rechtsextremistische Bestrebungen, Deutschland „ausländerfrei“ zu machen, umzufunktionieren, lassen wir jetzt bitte gleich sein.
In meinen Augen ist es nicht übermäßig wichtig, welche selbstreferentiellen ideologischen Überschriften wir an unsere Rüstungsexportpolitik ankleben. Es tut sicher mancher grünen Seele wohl, aber es wird uns isolieren. Der Westen macht nicht auf ewig unsere Spielchen mit.
Wenn wir Teil Westeuropas bleiben möchten, dann müssen wir uns dem europäischen Konsens beugen. Und der heißt u.a.: (1) Eigenständige europäische Rüstungspolitik ist ohne Export an zahlungskräftige Kunden (die idealerweise zumindest einigermaßen unsere Interessen teilen) nicht nachhaltig möglich (2) Der Export hochwertiger Rüstungsgüter ist ein strategisches Element unserer Außen- und Sicherheitspolitik, die in erster Linie unseren Interessen dienen muss.
Fraglos wird mittels unablässiger Belehrung anderer Völker durch unsere führenden Repräsentanten und Medienorgane dereinst ein Zustand geschaffen werden, in dem auch andernorts Friede, Freude, Eierkuchen und fortschrittliche Ideen herrschen. Bis dahin können wir aber nicht warten.