Neue Position zur Eurofighter-Lieferung an die Saudis: „Der Bundeskanzler teilt diese Einschätzung“

Die Kehrtwende der Bundesregierung, eine Lieferung von Eurofighter-Kampfjets von Großbritannien an Saudi-Arabien nicht mehr zu blockieren, ist von den zuständigen Ministerinnen und Ministern der Ampel-Koalition gemeinsam getroffen worden. Nachdem Außenministerin Annalena Baerbock am (gestrigen) Sonntagabend in Israel überraschend den Kurswechsel mitgeteilt hatte, sagte Regierungssprecher Steffen Hebestreit: Der Bundeskanzler teilt diese Einschätzung. Zur Dokumentation:

Die Aussagen des Regierungssprechers sowie von Sebastian Fischer vom Auswärtigen Amt und Luisa-Maria Spoo vom für Rüstungsexporte zuständigen Bundeswirtschaftsministerium am (heutigen) Montag vor der Bundespressekonferenz:

Frage: Herr Fischer, Außenministerin Baerbock hat am Wochenende gesagt, die Bundesregierung sei offen für den Verkauf weiterer Eurofighter an Saudi-Arabien. Im Koalitionsvertrag war das bisher ausgeschlossen. Können Sie kurz erläutern, wie es zu dieser Kehrtwende gekommen ist?
Herr Hebestreit, teilt Bundeskanzler Scholz diese Einschätzung? Unterstützt Scholz die Äußerung, dass sich Berlin solche Waffenverkäufe an Saudi-Arabien vorstellen kann?

Hebestreit: Ich kann es relativ kurz machen. Ja, der Bundeskanzler teilt diese Einschätzung. Ich kann Sie auch darauf verweisen, dass die Bundesregierung im Sommer des vergangenen Jahres das, was als Jemenklausel bekannt geworden ist, im Lichte der Entwicklungen der letzten Monate und Jahre im Konflikt im Jemen neu bewertet hat und, was sowohl die Rolle der Vereinigten Arabischen Emirate als auch die Rolle Saudi-Arabiens anbetrifft, eine Neubewertung vorgenommen hat.
Im Lichte dieser Neubewertung und auch der Entwicklungen, die wir seit dem 7. Oktober erleben, in denen Saudi-Arabien Israel gegenüber eine sehr konstruktive Haltung einnimmt ‑ ‑ ‑ Das muss man auch sagen: Die Attentäter des 7. Oktobers hatten ein Ziel, nämlich die Wiederannäherung Saudi-Arabiens an Israel zu verhindern. Dieses Ziel wurde nicht erreicht. Die israelische Regierung und auch die Regierung Saudi-Arabiens sind in einem guten Miteinander. Saudi-Arabiens Luftwaffe hat ‑ das hat die Außenministerin gestern, glaube ich, auch mit den Worten, bezeichnet, es sei ein offenes Geheimnis ‑ auch mit Eurofightern Raketen der Huthi, die auf dem Weg nach Israel waren, abgeschossen. Im Lichte all dieser Entwicklungen ist die Positionierung der Bundesregierung, was die Eurofighter anbetrifft, zu sehen. Das ist innerhalb der Bundesregierung eng abgestimmt.

Fischer: Ansonsten würde ich Sie bitten, sich den Wortlaut dessen, was die Ministerin gesagt hat, genau anzuschauen.
Für den Kontext: Es gibt eine saudische Ausschreibung und auf britischer Seite Überlegungen, sich daran zu beteiligen. Die Ministerin hat sich dazu gestern Abend in Tel Aviv auf Nachfrage geäußert und deutlich gemacht, dass wir uns diesen britischen Überlegungen nicht entgegenstellen würden. Ich kann nicht erkennen, dass Sie konkret von einer Lieferung oder auch einer Genehmigung gesprochen hat, die nämlich zum jetzigen Zeitpunkt gar nicht ansteht.

Frage: Herr Hebestreit, Sie haben gerade die Jemenklausel für uns noch einmal interpretiert, die Verständigung vom vergangenen Sommer. Der Bundeskanzler hat damals explizit darüber gesprochen, dass es dabei in erster Linie um Dinge gehen würde wie die A400M. Er sagte damals auch, eine Entscheidung über Eurofighterlieferungen in Richtung Saudi-Arabiens stehe absehbar nicht an.
Jetzt sagen Sie uns aber gerade, wenn ich das richtig verstanden habe, dass es jetzt doch eine Änderung daran gibt, die auch der Bundeskanzler so sieht. Was hat sich denn konkret in Bezug auf Saudi-Arabien, jetzt nicht auf Israel, geändert, dass man sagen kann, Saudi-Arabien sollte diese Kampfjets bekommen können?

Hebestreit: Jetzt enttäuschen Sie mich ein bisschen, weil ich dachte, die Frage hätte ich schon beantwortet. Der 7. Oktober war am 12. Juli nicht absehbar, und das Verhalten Saudi-Arabiens seit dem 7. Oktober ist Teil der Gleichung, die Sie jetzt versuchen aufzulösen.
Wie Sie ja wissen ‑ und für die, die es nicht wissen, erkläre ich es ‑, gibt es bei Rüstungsexportentscheidungen ein zweistufiges Verfahren. Das erste ist die Voranfrage, also ob sich ein Unternehmen überhaupt um den Export eines Rüstungsprojektes bewerben kann. Darum geht es in dieser Frage, also ob sich das Konsortium, das von Großbritannien geführt wird, um eine Ausschreibung in Saudi-Arabien bewerben kann. Da gibt es verschiedene Anbieter. Eines wäre dann der Eurofighter.
In einem zweiten Schritt, wenn Saudi-Arabien dazu käme, den Zuschlag zu erteilen, die Eurofighter bestellen zu wollen, gäbe es eine abermalige Befassung des Bundessicherheitsrates in Deutschland mit der Frage, ob man unter den konkreten Kautelen und unter der konkreten auch machtpolitischen Konstellation und Situation vor Ort einem solchen Export zustimmen würde oder nicht.
Es handelt sich bei dieser Voranfrage um die erste Stufe, und darauf bezog es sich.

Zusatzfrage: Der Hintergrund der sogenannten Jemen-Klausel im Koalitionsvertrag war ja auch, dass die innersaudischen Verhältnisse und das Verhalten gegenüber Nachbarstaaten das eigentlich nicht hergeben. Was hat sich aus Sicht der Bundesregierung ganz konkret an innersaudischen Verhältnissen geändert?

Hebestreit: Die Reaktion seinerzeit ‑ ich glaube, fünf Jahre ist es inzwischen her ‑ ist in der heutigen Situation neu bewertet worden. Das haben wir im Sommer letzten Jahres vorgenommen. Das kann ich jetzt hier nicht ad hoc eins zu eins nachvollziehen und aufbereiten. Aber es hat Entwicklungen gegeben, sowohl was die Unterstützung der Huthi angeht als auch den Umgang mit den Nachbarn. Wir erinnern uns, es gab da auch eine Konfliktsituation mit Katar, es gab gewisse regionale Spannungen mit den Vereinigten Arabischen Emiraten. Das hat sich deutlich verändert, seitdem die Jemen-Klausel seinerzeit noch von der schwarz-roten Regierung erlassen worden ist.

Frage: In welchem Zeitfenster kommt es dann zu einer abschließenden zweiten Entscheidung? Wie läuft das also normalerweise ab? Man stellt sich einer Voranfrage nicht entgegen, die kann jetzt gestellt werden. Und wann tagt dann der Bundessicherheitsrat, um eine endgültige Entscheidung zu fällen?

Hebestreit: Erst einmal hängt das davon ab, wie die saudi-arabische Entscheidungsfindung läuft. Da gibt es eine Ausschreibung. Die Fristen kenne ich nicht, bis wann das laufen soll. Das sind in der Regel mehrere Monate; bis zu Jahren kann das dauern. Dann gibt es einen Zuschlag, und dann müssen die Flugzeuge produziert werden bzw. man muss in die Produktion einsteigen. Und erst dann ‑ insofern reden wir wahrscheinlich von mehreren Jahren ‑ kann es zu einer Lieferung kommen. Diese Lieferung müsste noch einmal im Bundessicherheitsrat beschlossen werden.

Fischer: Um es zu ergänzen: Das Verfahren liegt dann in diesem Fall in saudischer Hand. Dort müssen ja die entsprechenden Entscheidungen gefällt werden.

Zusatzfrage: Es gab beispielsweise aus dem Verteidigungsministerium, vom Verteidigungsminister, auch schon einmal die Aussage, dass man eben, was Waffenexporte angeht, gerade mit Blick auf den globalen Süden ‑ ich sage jetzt einmal ‑ etwas liberaler damit umgehen könnte. Ist diese Entscheidung, die man jetzt mit Bezug auf Saudi-Arabien getroffen hat, eine Einzelentscheidung oder ist das ein grundsätzlicher Strategiewechsel, den man jetzt vorgenommen hat?

Hebestreit: Die Bundesregierung bleibt bei ihrer restriktiven Rüstungsexportpolitik. Dann sind das immer Einzelfallentscheidungen. Dabei wird es auch bleiben.

Frage: Ich hätte eine Frage an das BMWK. Inwiefern war die Aussage von Frau Baerbock gestern mit dem BMWK abgesprochen? Und wie positioniert sich das BMWK jetzt zu den Eurofightern für Saudi-Arabien?

Spoo: Vielen Dank für die Frage. Herr Hebestreit hatte ja schon ausgeführt, dass das innerhalb der Bundesregierung eng abgestimmt ist. Die Außenministerin hat sich geäußert, wie Sie wissen.
Grundsätzlich wissen Sie ja, dass Rüstungsexportentscheidungen immer eine Entscheidung der Bundesregierung sind, bei der die außen- und sicherheitspolitische Lage, aber auch die Menschenrechtslage im Land zu bewerten sind. Diese Bewertung läuft derzeit noch. Natürlich ist dabei auch die geänderte Lage zu berücksichtigen und die stabilisierende Rolle, die Saudi-Arabien in der Region einnimmt. Hierauf hat ja auch die Außenministerin Bezug genommen.

Zusatzfrage: Das heißt, das BMWK steht auch hinter der Entscheidung?

Spoo: Es ist so, wie ich es eben gesagt habe.

Frage: Frau Spoo, Sie haben jetzt gesagt, dass auch die Menschenrechtslage da miteinfließt, und das werde noch geprüft. Da gibt es also noch keine abschließende Entscheidung Ihres Ministeriums oder wie muss ich das verstehen?

Spoo: Genau. Ich kann zu der Menschenrechtslage noch einmal sagen, dass sie für Saudi-Arabien nicht unseren Standards entspricht. Das ist ja auch bekannt. Dazu haben wir uns auch schon mehrfach geäußert. Wie gesagt, gleichzeitig sehen wir aber auch die stabilisierende Rolle des Landes in der Region.
Ich kann Ihnen hier heute an der Stelle keine andere Entscheidung verkünden als das, was wir eben diskutiert bzw. worauf wir verwiesen haben.

Zusatzfrage: Um es richtig zu verstehen: Das Bundeswirtschaftsministerium kommt trotz der Prüfung auch der Menschenrechtslage zu dem Ergebnis, dass es diese Entscheidung bei der Voranfrage der Saudis mitträgt?

Spoo: Entschuldigung, können Sie die Frage wiederholen?

Zusatzfrage: Das Wirtschaftsministerium ‑ darauf zielte ja auch die Frage des Kollegen ‑ trägt diese Entscheidung also mit, auch wenn bei Ihnen die Prüfung über die Menschenrechtslage noch nicht abgeschlossen ist?

Spoo: Zum Verfahren hat sich Herr Hebestreit ja im Grunde geäußert. Wie gesagt, es ist innerhalb der Bundesregierung abgestimmt. Dazu zählt eben auch das Bundeswirtschaftsministerium.

Hebestreit: Das ist auch eine kontinuierliche Überprüfung der Menschenrechtslage. Das meinte ich mit dem zweistufigen Verfahren. Das ist eine kontinuierliche Überprüfung. Es gibt nicht einen Faktor, von dem man sagt „Jetzt ist es gut“, und danach guckt man nicht mehr hin. Genau so ist diese Prüfung zu verstehen.

Frage: Herr Hebestreit, Ihre Hinweise auf die Stufigkeit der Entscheidungsverfahren ändert ja nichts daran, dass insofern eine fundamentale Positionsveränderung vorgenommen wurde. In der der Vergangenheit, die sich auch immer auf abgestufte Entscheidungsverfahren bezog, wurde klar gesagt: „Wir werden Waffenlieferungen an Saudi-Arabien nicht zustimmen.“ Und jetzt wird signalisiert: „Wenn die Anfrage kommt, dann werden wir uns dem nicht verweigern.“ Das ist eine inhaltlich fundamental andere Position. Die Frage ist: Ist das eine Art Belohnung für die Rolle, die Saudi-Arabien im aktuellen Nahostkonflikt einnimmt?

Hebestreit: Ich dachte, die Frage sei bereits diskutiert und beantwortet worden, die Sie gerade stellen. Die Einschätzung, welchen Grad diese Entscheidung hat, ist Ihre Aufgabe und nicht meine. Wir haben dargelegt, was uns zu dieser Entscheidung gebracht hat und dass wir in einem zweistufigen Verfahren sind. Das ist genau so, wie ich es gesagt habe.

Zusatzfrage: Das bedeutet also, die Rolle Saudi-Arabiens, die wir, wenn man so will, als Stabilitätsanker in der Region ansehen, wiegt bei der Abwägung schwerer als die nach wie vor bestehende Kritik an den Verhältnissen, auch an den Menschenrechtsverhältnissen, innerhalb Saudi-Arabiens? Ist das richtig aufgefasst?

Hebestreit: Das ist Ihre Beurteilung. Es steht Ihnen an, das zu beurteilen, wie Sie das möchten.

Frage: Sie hatten gerade gesagt, dass sich die Rolle Saudi-Arabiens nach dem 7. Oktober geändert hat. Was sich aber auf keinen Fall geändert hat, ist zum einen die Tatsache, dass Saudi-Arabien im Jemen jahrelang unfassbares Leid verursacht hat, zum anderen aber auch nachweislich ‑ da könnte ich jetzt viele Menschenrechtsorganisationen zitieren ‑ internationales Recht gebrochen hat. Das passiert auch weiterhin, zum Beispiel an der saudischen Außengrenze gegenüber Migranten und Migrantinnen. Da gab es vor einigen Monaten einen öffentlichen Fall.
Entspricht das den Werten, die Annalena Baerbock mit ihrer wertegeleiteten Außenpolitik in die Welt tragen möchte, an eine sich offensichtlich nicht an die Menschenrechte haltende Regierung Waffen zu liefern?

Fischer: Wie gesagt, erst einmal geht es ja nur darum, dass wir uns den britischen Überlegungen nicht entgegenstellen. Das hat Herr Hebestreit ja auch mit dem zweistufigen Verfahren ausgeführt.
Dann ist es so, dass sich die Lage im Jemen seit April 2022 beruhigt hat, seitdem es dort eine Waffenruhe gibt. Die Zahl der zivilen Opfer ist seitdem signifikant zurückgegangen. Auch nach dem Auslaufen der Waffenruhe im Oktober hat es nach unserer Erkenntnis keine Militäroperationen ausländischer Staaten gegen die Huthi-Rebellen mehr gegeben, auch nicht aus Saudi-Arabien. Saudi-Arabien hat sich glaubhaft von dem Ziel einer militärischen Lösung des Konflikts verabschiedet und unterstützt nun seit bald drei Jahren gemeinsam mit den Vereinten Nationen die Bemühungen für eine politische Beilegung.
Sie wissen vielleicht ‑ wenn nicht, dann ist es vielleicht wichtig zu wissen ‑, Saudi-Arabien und die Huthis haben sich zuletzt in direkten Gesprächen auf den Beginn eines politischen Prozesses geeinigt, und jetzt wird versucht, gemeinsam mit den Vereinten Nationen dessen Umsetzung zu organisieren. Es gibt da also deutliche Fortschritte in Richtung eines politischen Prozesses, der ohne die konstruktivere Rolle Saudi-Arabiens in diesem Dossier nicht möglich geworden wäre.
Auch die Annäherung zwischen Saudi-Arabien und Iran hat dazu beigetragen, Spannung in der Region zu reduzieren. Wie die Ministerin gesagt hat, war der 7. Oktober eine Zäsur für die Region. Ich glaube, viele von uns hätten sich in der Vergangenheit nicht vorstellen können, dass Saudi-Arabien einmal auf Israel gerichtete Raketen und Drohnen abfängt.

Zusatzfrage: Verstehe ich das richtig, dass aus Sicht der Bundesregierung Menschenrechtsverletzungen, die über Jahre ausgeübt wurden, dann irgendwann verjähren?

Fischer: Diese Unterstellung würde ich mir nicht zu eigen machen.

Frage: Es bleibt aber tatsächlich fast dabei. Der Hintergrund der Jemen-Klausel war unter anderem die Ermordung von Jamal Khashoggi. Daran werden Sie sich sicherlich noch gut erinnern. Hat sich denn der Aufklärungswunsch der Bundesregierung an diesen saudi-arabischen Partner, Counterpart, in irgendeiner Form ‑ ja, wie will ich es sagen? ‑ auflösen lassen? Die Frage richtet sich an Herrn Fischer oder Herrn Hebestreit; ich weiß nicht, wer von Ihnen das sagen kann.

Fischer: Sie können sicher sein, dass wir die menschenrechtlichen Fragen, die Sie ansprechen, immer wieder mit der saudischen Seite erörtern und auch unabhängige, transparente und umfassende Aufklärung einfordern. Und von saudischer Seite ist uns zugesichert worden, diesen Vorwürfen nachzugehen.

Zusatzfrage: Daraus schließe ich, dass das bislang noch nicht abschließend erfolgt ist. Ist das soweit korrekt?

Fischer: Den letzten Stand müsste ich mir noch einmal geben lassen.

(Archivbild August 2023: Two U.S. Air Force F-16 Fighting Falcons assigned to the 125th Expeditionary Fighter Squadron fly in a four-ship formation with two Royal Saudi Air Force (RSAF) Eurofighter Typhoon aircraft during Operation Agile Spartan 23.2, Kingdom of Saudi Arabia, Aug. 24, 2023 – U.S. Air Force photo by Tech. Sgt. Alexander Frank)