Neues Sturmgewehr: Gewollte Treffer im Labor

Macht das neue Sturmgewehr der Bundeswehr, noch nicht mal in die Truppe eingeführt, schon Probleme? Ehrliche Antwort müsste sein: noch weiß es niemand, weil die eigentlichen Tests noch gar nicht begonnen haben. Klar scheint aber, dass ungeachtet jetzt bekanntgewordener Kritik des Bundesrechnungshofs die Waffen schon mal recht genau treffen.

Die derzeitige öffentliche Wahrnehmung wurde durch Medienberichte am (gestrigen) Donnerstagabend und am (heutigen) Freitag ausgelöst. Danach soll das Bundeswehr-Beschaffungsamt, das Bundesamt für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr (BAAINBw), die Anforderungen an die Treffergenauigkeit des neuen Sturmgewehrs von Heckler&Koch heruntergeschraubt haben – und bei seinen Tests eine künstliche Umgebung zum Beispiel durch die Verwendung von ziviler Präzisions- statt von militärischer Gefechtsmunition geschaffen haben.

Der Vorwurf rührt an einen Nerv: Genau wegen beklagter mangelnder Treffsicherheit hatte die frühere Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen entschieden, die bisherige Standardwaffe, das Gewehr G36 von Heckler&Koch, auszumustern. Nach einem sehr langwierigen Vergabeverfahren, begleitet von Patentstreitigkeiten unter zwei Anbietern, fiel am Ende die Entscheidung auf und der Vertragsabschluss für das Gewehr HK416, ebenfalls von Heckler&Koch (die jahrelange Geschichte ist hier nachzulesen).

Deshalb kam angesichts des Berichts des Bundesrechungshofs die Frage auf, ob die Bundeswehr sich wieder ein Problem einkauft. Die Aufsichtsbehörde bemängelte, dass die bisherigen Tests bei der Wehrtechnischen Dienststelle WTD91 in Meppen eben nicht mit der normalen Gefechtsmunition, nicht mit der normalen Optik und unter ganz präzisen Laborbedingungen wie definierter Temperatur gemacht worden seien.

Dass das neue Gewehr, das unter der Bezeichnung G95 in die Truppe eingeführt werden soll, dennoch die Ansprüche des Kunden erfüllt, betonte dagegen vor der Bundespressekonferenz am (heutigen) Freitag Oberst Arne Collatz, der Sprecher des Verteidigungsministeriums:

Gestern Abend auf der Couch bin ich auf Berichterstattungen zu dem neuen Sturmgewehr, das in der Einführung steht, aufmerksam geworden. Auch heute Morgen gab es vereinzelt Berichterstattung dazu. Ich habe das zum Anlass genommen, mich mit unseren Beschaffern im Rüstungsamt in Koblenz auseinanderzusetzen und nach dem Sachstand zu fragen. Im Ergebnis möchte ich uns heute und am Wochenende Arbeit ersparen und klar und deutlich sagen, dass das neue Gewehr bei der Präzision nicht durchfällt. Die Anforderungen an den Hersteller, damit er die Vorgaben erfüllen kann, wurden nicht gesenkt. Insgesamt gab es auch einzelne Bewertungen, man könne von einer möglichen Gefährdung der Truppe ausgehen. Die sind nach meiner Bewertung als unsachlich einzustufen.
Aber vielleicht zu den Fakten: Wir haben uns ‑ darüber haben wir Sie ja informiert ‑ für ein Nachfolgesystem des G36 vom Hersteller Heckler & Koch entschieden, das sogenannte G95. Das befindet sich jetzt in der Truppenerprobung, einer sogenannten integrierten Nachweisführung. Das heißt, das Gewehr muss unter Truppenbedingungen noch einmal beweisen, nachdem die Auswahltests erfolgreich bestanden wurden, dass es die Bedingungen erfüllt. Das geschieht natürlich auch mit der in der Truppe vorhandenen Munition. Es werden dort genau festgelegte Tests durchgeführt.
In den Tests kam es tatsächlich zu Abweichungen. Zum Ausschluss, dass in diesem Test nicht die Waffe gemessen wurde, sondern vielleicht auch andere Faktoren, wurde gemäß Vereinbarung mit dem Hersteller auf Präzisionsmunition zurückgegriffen. Das steht auch so im Vertrag. Dieser Vertrag hat diese Änderungen vorgesehen. Er ist auch dem Parlament mitgeteilt worden. Das ist das gängige Verfahren, um Messfehler auszuschalten. Darauf wird in der Berichterstattung von den Waffenexperten des Bundesrechnungshofes zurückgegriffen, die dort anführen, dass dem Hersteller entgegengekommen sei. Das ist nicht so. Mit diesem geänderten Testverfahren wird nur ausgeschlossen, dass man auch wirklich die Waffe misst und nicht die Munition.
Mit der neu eingeführten Standardmunition erfüllt die Waffe alle Anforderungen. Wir führen gerade neue Standardmunition ein, weil wir auch von der EU Auflagen haben, neue Chemikalien zu verwenden, die umweltgerechter sind. Das haben wir getan. Diese Munition wird gerade eingeführt. Die ist natürlich auf der Höhe der Zeit, was Produktionsverfahren und auch Präzision angeht. Mit dieser neuen Standardmunition, die schon seit geraumer Zeit in der Einführung ist, erfüllt die Waffe bestmöglich alle Anforderungen, alle Standards. Es gab keine Absenkung der Standards.
Nach wie vor ‑ darauf wird auch ausdrücklich Bezug genommen ‑ wird die Standardgefechtsmunition im vollen Temperaturspektrum, das heißt von minus 51 bis plus 51 Grad, getestet. Es wird nicht bei Zimmertemperatur getestet, wie ja angeführt wird. Das ist nur für den Fall, dass man Messungenauigkeiten mit Präzisionsmunition ausschließen möchte. Mit der eingeführten neuen Standardmunition werden alle Tests erfüllt.
Noch einmal: Die Erprobung ist noch nicht abgeschlossen. Wir rechnen damit, dass das bis Februar der Fall sein wird. Erst dann wird es eine abschließende Bewertung geben. Auch erst dann werden die abschließenden Verträge mit dem Hersteller gezeichnet. Voraussetzung ist, dass die Waffe alle Anforderungen erfüllt. Nach derzeitigem Stand wird sie das tun. Aber wir werden das Endergebnis abwarten.
Ich hoffe, damit Ihrem Informationsbedarf ein wenig gerecht geworden zu sein. Wenn Sie noch Fragen dazu haben, gerne auch an das BAAINBw, an unser Beschaffungsamt in Koblenz, denn die freuen sich darauf, hierzu auch im Detail Rede und Antwort zu stehen. Wir überwachen im Ministerium nur die Qualitätssicherung des Beschaffungsprozesses insgesamt.

Gerne bin ich Collatz‘ Anregung gefolgt (Wenn Sie noch Fragen dazu haben, gerne auch an das BAAINBw, an unser Beschaffungsamt in Koblenz, denn die freuen sich darauf, hierzu auch im Detail Rede und Antwort zu stehen) und habe Oberst Thomas Scheibe gefragt, den Sprecher des BAAINBw. Die Aussagen zusammengefasst:

• Bei der WTD91 wurden fünf der bislang 390 bestellten Gewehre, so genannte Nachweismuster, testgeschossen. Dabei sei es ausschließlich um die Prüfung gegangen, ob die Waffen den Spezifikationen gemäß Auftrag entsprechen. Eben um auszuschließen, dass mögliche Fehler nicht am Gewehr, sondern an der verwendeten Munition liegen, sei dafür zivile Präzisionsmunition verwendet worden. Diese zivile Munition sei aber nur für bestimmte Temperaturen zertifiziert und nicht, wie militärische Munition, für einen weiten Temperaturbereich von Frost bis Wüste.

• Das gleiche habe für die verwendeten Optiken und den verwendeten Schießbock gegolten. Absicht sei eben nicht gewesen, das Gewehr unter realen Bedingungen zu testen – sondern Laborergebnisse, die unter reproduzierbaren Bedingungen Aussagen über die technische Qualität der Waffe zulassen.

• Nach den Tests mit der Präzisionsmunition seien die Gewehre auch mit der neuen Gefechtsmunition der Bundeswehr DM11A1 erprobt worden. Diese Munition mit veränderter Treibladung wird vor allem deshalb eingeführt, weil eine EU-Chemikalienrichtlinie bestimmte Stoffe nicht mehr zulässt, und soll im Laufe dieses Jahres bei der Truppe ankommen. Sowohl mit der zivilen Präzisionsmunition als auch mit der neuen Gefechtsmunition hätten die Waffen den Test bestanden.

• Die eigentlichen Tests des Gewehrs, die Einsatzerprobung, sollen im Februar in ausgewählten Truppenteilen beginnen. Da wird es dann nicht nur um Treffer mit (Gefechts)Munition gehen, sondern auch um Dinge wie Handhabbarkeit und Optik – eben um das Gesamtsystem.

Allerdings hat die Bundeswehr schon fast 2.000 Gewehre des Typs HK416 (wenn auch in einer etwas anderen Version), die von den Spezialkräften genutzt werden. Von Problemen mit dieser Waffe scheint bislang nichts bekannt; ebensowenig aus Frankreich oder Norwegen, wo dieses Gewehr bereits die Standardwaffe der Streitkräfte ist.

Unterm Strich: Das alles sagt noch nicht aus, dass das neue G95 in der Truppe keine Probleme machen wird – und ich bin ziemlich sicher, dass im Zuge der Truppenerprobung zu hören sein wird, ob da was nicht funktioniert. Die reinen Schießtests im Labor an fünf Gewehren erlauben aber noch lange keine Aussage über die Qualität der Waffe.

(Archivbild Juni 2020: A Norwegian soldier of the Telemark Battalion fires the HK416 with blank rounds toward a simulated target at Al Asad Air Base, Iraq – U.S. Army photo by Spc. Derek Mustard)