Gericht bestätigt Funkgeräte-Bestellung – „Russischer Angriffskrieg hat Situation verändert“
Das Oberlandesgericht Düsseldorf hat in letzter Instanz die Beschaffung neuer digitaler Funkgeräte für die Bundeswehr für zulässig erklärt – und dabei auch die sicherheitspolitische Lage nach dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine als Grundlage genannt. Der Vergabesenat des Gerichts wies eine Klage des französischen Rüstungskonzerns Thales gegen die Beschaffungsvergabe an das deutsche Unternehmen Rohde&Schwarz zwar aus formalen Gründen zurück, nannte aber ausdrücklich Sicherheitserwägungen in deutschen Gesetzen und im EU-Vertrag als weitere Grundlage.
Hintergrund des Verfahrens war der Beschluss des Bundestags-Haushaltsausschusses vor knapp einem Jahr, im so genannten Programm Digitalisierung landbasierter Operationen (D-LBO) einen Rahmenvertrag mit einem Volumen von knapp 2,9 Milliarden Euro freizugeben. Darin sind für die nächsten 15 Jahre feste Aufträge in Höhe von 1,35 Milliarden Euro für zunächst rund 20.000 Funkgeräte vorgesehen, die die Führung von Landoperationen sicherstellen sollen. Der Vertrag erlaubt die spätere Bestellung von rund 14.000 Funkgeräten, die vor allem für Gefechtsstände vorgesehen sind und deshalb die Kosten auf knapp 1,52 Milliarden Euro erhöhen. Formal war der Auftrag ein Änderungsvertrag zu bereits bestehenden Vereinbarungen mit Rohde&Schwarz. Damit wurde aus Sicht des Ministeriums für diese Beschaffung keine neue europaweite Ausschreibung erforderlich, die den Zeitplan für die Beschaffung infrage gestellt hätte.
Dagegen war Thales in drei Instanzen vorgegangen und hatte zuletzt vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf eine sofortige Beschwerde eingelegt. Der Vergabesenat verwarf in der am (heutigen) Freitag verkündeten Entscheidung (Aktenzeichen VII Verg 22/23) diese Beschwerde als unzulässig; Grund dafür waren nicht eingehaltene Fristen. Der Beschluss ist rechtskräftig.
Neben der rein formalen Begründung für die Entscheidung des Gerichts ist jedoch weit bedeutsamer, was der Vergabesenat im Hinblick auf die inhaltlichen Gründe anführte. Aus der Pressemitteilung des OLG:
Die sofortige Beschwerde hätte aber, so der Vergabesenat in seiner
weiteren Begründung, auch im Falle ihrer Zulässigkeit keine Aussicht
auf Erfolg gehabt. Die Bundesrepublik Deutschland habe zu Recht die
Voraussetzungen der in § 107 Abs. 3 Satz 2 GWB geregelten Bereichsausnahme vom Kartellvergaberecht bejaht, nachdem sich die Gesamtsituation für die Beschaffung eines digitalen Führungsfunksystems
für die Bundeswehr durch den Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine
verändert habe. Sie sei daher berechtigt gewesen, die Rohde&Schwarz GmbH & Co. KG ohne Durchführung eines wettbewerblichen
Vergabeverfahrens unmittelbar mit der Lieferung digitaler Funkgeräte zu
beauftragen, um wesentliche Sicherheitsinteressen der Bundesrepublik
Deutschland zu wahren.
Damit hat das Gericht bejaht, dass das Verteidigungsministerium aufgrund der veränderten Sicherheitslage durch den Krieg in der Ukraine Ausnahmen vom deutschen Vergaberecht in Anspruch nehmen kann, wenn es wesentliche Sicherheitsinteressen betrifft. Im angeführten Paragrafen des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) wird ausdrücklich auf den Artikel 346 des EU-Vertrages Bezug genommen. Und da fällt eine Passage sofort auf: Jeder Mitgliedstaat kann die Maßnahmen ergreifen, die seines Erachtens für die Wahrung seiner wesentlichen Sicherheitsinteressen erforderlich sind, soweit sie die Erzeugung von Waffen, Munition und Kriegsmaterial oder den Handel damit betreffen.
Nun hätte sich der Düsseldorfer Vergabesenat natürlich darauf beschränken können, die formale Unzulässigkeit der sofortigen Beschwerde von Thales festzustellen, ohne auf weitere Einzelheiten einzugehen. Dass das Gericht in seiner Begründung auch die Bestimmungen des Wettbewerbsrechts und des EU-Vertrages anführte, deutet darauf hin, dass der Senat auch bei künftigen Entscheidungen über Beschaffungsentscheidungen für die Bundeswehr entsprechende Maßstäbe anlegen wird.
Fürs Archiv die Pressemitteilung des OLG Düsseldorf hier:
20231201_OLG_Duesseldorf_PM_Beschaffung_Funkgeraete
Das Gericht trägt das BMVg und seinen Beschaffungsapparat zum Jagen.
Na wenn es hilft…
Das schafft doch erhebliche Rechtssicherheit für das BAAINBw. Insofern eine erfreuliche Klärung der Rechtslage!
Ist doch erstaunlich dass erst ein Krieg ausbrechen muss damit Beschaffungen genehmigt werden. Und dass ein Jahr zu spät. Peinlich.
[Sagen Sie mal, lesen Sie gelegentlich auch, was Sie da kommentieren? T.W.]
Gutes Urteil. Aber: 34K Funkgeräte für 2,9G€ macht ca. 85k€/Gerät. Warum sind die so teuer? Verschlüsseln die mit Feenstaub? Und 2021 sollten die noch 600M€ kosten…
Na dann, jetzt kann es los gehen.
Jetzt schnell die Geräte her und der Truppe verteilen.
Wir können das Ding selbst einrüsten, haben genug Fm/EloInst Personal. Bei einer guten Beschreibung funktioniert das ohne große Probleme, hat mit der BGAN auch geklappt.
PS: hab glaubwürdige Zeugen, welche das Funkgerät für die Fahrzeuge in Echt anfassen durften, es soll sogar von den Maßen her passen:)
@tw. Ich dachte dass Sie Zynismus als Journalist einordnen können. Nichts gegen Sie. Oder muss ich es jedesmal randschreiben?
Bemerkenswert ist, dass das BAAINBw bei seiner Argumentationslinie geblieben ist und als Begründung Art 346 (1) b heranzieht. Frankreich wählt eine andere Begründungsstrategie und führt regelmäßig Art 346 (1) a an. Und ist damit erfolgreich. Allerdings klagt in Frankreich niemand gegen das DGA auch nicht Thales. Spannend auch: man hat bei dieser Vergabe das Bundeswehrbeschaffungsbeschleunigungsgesetz (BwBBG) angewendet, also nicht auf die letztinstanzliche Entscheidung gewartet und die Vergabe durchgezogen.
„Ist doch erstaunlich dass erst ein Krieg ausbrechen muss damit Beschaffungen genehmigt werden. Und dass ein Jahr zu spät. Peinlich.“
„[Sagen Sie mal, lesen Sie gelegentlich auch, was Sie da kommentieren? T.W.]“
Was gibt es an dem Kommentar auszusetzen?
So tief stecken Sie jetzt auch nicht in der Materie, um das beurteilen zu können.
Gruß aus dem täglichen Dienstbetrieb!
PS: Wer austeilt, muss auch einstecken können.
[Sie lesen auch nicht? Es ging bei dem Gerichtsbeschluss nicht darum, ob/wann die Beschaffung erfolgte, sondern ob das Vorgehen rechtlich einwandfrei war. Da Sie ja auch fordern, einstecken zu können: Lesen, verstehen, differenzieren gehört dazu. T.W.]
@ Alf
tageschau.de am 26.09.2023
„Die schnelle Montage der Funkgeräte in die Bundeswehr-Fahrzeuge ist nicht das einzige Problem. Die Zeitung „Die Welt“ berichtet, es gehe auch um zu geringe Batteriekapazitäten und zu kleine Lichtmaschinen.“
Ich würde der Truppe ja wünschen, dass es so einfach ginge wie Sie andeuten…
Vergabesenate ziehen bei ihren Entscheidungen die Rechtsdprechung der OLG’s und des BGH heran. Damit hat das OLG Düsseldorf der Vergabekammer in Bonn ( die für die BW zuständig ist) die Marschrichtung aufgezeigt. Die Vergabekammer in Bonn hat schon öfters sich widersprechende Entscheidungen gefällt, die dann natürlich vor dem OLG Düsseldorf landeten. Insofern ist es auch Arbeitsvermeidung für das OLG.
@ Martin Schröder
Ich glaube Sie verwechseln da etwas… Die von Ihnen angesprochenen 600 Mio € beziehen sich bestimmt auf diese „Posse“ des BAAINBw hier: https://augengeradeaus.net/2021/10/neue-funkgeraete-faehigkeiten-der-1980-er-jahre-jetzt-mit-offizieller-erklaerung/
Hier ging es um den Nachbau der bestehenden SEM 80/90 Geräte mit „moderner“ Technik.
Die neuen Funkgeräte von R&S, und glaub‘ in der Truppe besser bekannt als SVFuA, sind da schon ’ne andere Liga.
Aber ja, ich gebe Ihnen Recht und finde Kosten für das Projekt auch sehr sportlich. Frag‘ mich immer noch, warum man da keine andere Military off the Shelf Lösung z.B. a la PRC 117G (welche ja auch in der Truppe bereits bestens etabliert ist) in Betracht gezogen hat… ach ja, bestimmt diese nationalen Interessen…
Wenn – wie hier geschehen – die Vergabe und der Vertragsschluss bereits erfolgt sind, geht es in aller Regel nicht mehr um die Frage, ob beschafft werden darf, oder nicht. Denn der Zug ist bereits abgefahren. Thales wollte hier lediglich die Feststellung erreichen, dass die Vergabe wettbewerbs- und damit rechtswidrig gewesen sei, um in einem weiteren Verfahren Schadensersatz zu bekommen.
Abgesehen von der in der Tat lesenswerten Aussagen zur mangelnden Begründetheit der Beschwerde, ist es schon selten dämlich, eine gesetzliche Notfrist zu reißen. Wenn Thales (wie vor dem OLG üblich und gem. 172 Abs. 3 S. 1 GWB vorgeschrieben) anwaltlich vertreten war, ist das ziemlich peinlich für die hier mandatierte Kanzlei, solche Stockfehler zu begehen.
Wobei, wenn wir freilich bei Stockfehlern sind: Das Gericht zitiert nimmt in seiner PM Bezug auf § 107 Abs. 3 Satz 2 GWB. Eine Vorschrift die, wie sich auch schon aus dem in der PM wiedergegebenen Gesetzeswortlaut ergibt, gar nicht existiert. Gemeint gewesen sein dürfte vielmehr der § 107 Abs. 2 Satz 2 GWB. Genauer: dessen Ziffer 3, Buchstabe b), der ausdrücklich Verschlüsselung als Grund für eine Ausnahme benennt.
Hierfür musste aber streng genommen kein Krieg ausbrechen, Denn das ging vorher auch schon.
Das EU-Vergaberecht war für das BMVg und das BAAINBw ein wesentliches Werkzeug der gewollten Verantwortungsdiffusion. Wenn man einen „rechtskonformen“ EU-weiten Wettbewerb durchführte war man für das materielle Ergebnis nicht verantwortlich. Egal ob das Beschaffte zu spät, zu teuer, fast unbrauchbar etc. war, man war ja durch die EU-Wettbewerbsregeln „gezwungen“ das zu kaufen. Dass die Forderungsspezifikationen in der Wettbewerbsausschreibung in der Regel (also fast immer) in unwesentlichen Bereichen massiv überspezifiziert waren („nicht spülmaschinenfester Goldrand“) bedingte zusammen mit bürokratischem Unverständnis Angebote die nicht „von der Stange“ sein konnten und dem Stand der Technik von vor 10 Jahren entsprachen.
Mit dieser Klarstellung weist das Gericht das „System Bw“ darauf hin dass man eben nicht gesetzlich zu dieser Perversion verpflichtet war. Die „essential security interest“ Klauseln im EU-Recht und ihre Entsprechungen im nationalen Recht (das im übrigen mit Regierungsmehrheit im Bundestag änderbar wäre) ermöglichen pragmatische zielorientierte Beschaffung. Dafür muss aber der politische Willen (durch Pistorius ja deutlich ausgedrückt) und im System der Wille zur Verantwortung, z.B. der Abteilungsleiter BMVg, Projektleiter im BAAINBw etc., ausgeübt werden (da hakt es ja immer noch massiv).
Pistorius wird mit diesem Kommentar im Gerichtsbeschluss massiv im Kampf innerhalb des Geschäftsbereichs BMVg gestärkt, die Rückzugsoption „EU-Vergaberecht“ der Verhinderer zieht nicht mehr.
@TBR
Warum sollte denn das angesprochene Personal keine Verantwortung übernehmen wollen?
@Godkat:
„Die neuen Funkgeräte von R&S, und glaub‘ in der Truppe besser bekannt als SVFuA, sind da schon ’ne andere Liga.“
Nein, hier geht nicht um SVFuA, auch wenn überall bei diesem Thema immer ein Bild davon gezeigt wird. Es sind Geräte SOVERON-V und -H, welche von R&S gekauft werden, nicht SOVERON-D (was SVFuA wäre).