Personalprobleme der Bundeswehr: „Wer nicht schnell genug ist, gerät ins Hintertreffen“
Angesichts der schrumpfenden Stärke der Bundeswehr und sinkenden Bewerberzahlen hat Verteidigungsminister Boris Pistorius schnellere Verfahren bei der Gewinnung von Nachwuchs für die Streitkräfte angemahnt. Wer nicht schnell genug ist, gerät ins Hintertreffen, sagte der Minister beim Besuch des Bundeswehr-Karriecenters Stuttgart. Zugleich verwies er auf die immer schwieriger werdende demographische Lage auch für die Streitkräfte – und kündigte besondere Bemühungen um unterrepräsentierte Gruppen an.
Bei dem Besuch am (heutigen) Mittwoch verwies Pistorius darauf, dass zwar die Zahl der Bewerberinnen und Bewerber in diesem Jahr um sieben Prozent gesunken sei. Zugleich gebe es aber 16 Prozent mehr Beratungsanfragen, so dass die Situation bis zum Jahresende deutlich besser aussehen könnte. Allerdings waren in diesem Jahr bislang die Zahlen der aktiven Soldatinnen und Soldaten kontinuierlich zurückgegangen.
Selbstkritisch wies der Minister darauf hin, dass die Nachwuchswerbung der Bundeswehr sowohl bei ihren Werbeauftritten, vor allem aber bei der Bearbeitung der Bewerbungen besser werden müsse. Die Streitkräften sollten keine mission impossible-Filmchen drehen, was bei der Bundeswehr alles passieren könnte wie in Hollywood, sagte Pistorius.
Ein kritischer Punkt sei aber der zu lange Zeitraum von einer Bewerbung bis zu konkreten Beratungen und letztendlich Aufnahme in die Streitkräfte, warnte Pistorius. Da müsse die Bundeswehr die Zeitspanne kurz halten. Auch der Umgang mit der Erwartungshaltung der Bewerber*innen und den tatsächlichen Bedingungen müsse verändert werden, wie die Quote der Abbrecher insbesondere im Heer von bis zu 30 Prozent zeige.
Der Minister verwies darauf, dass die Bundeswehr mit einer Bevölkerungsentwicklung umgehen müsse, die sich in den vergangenen Jahren drastisch verändert habe. Sein Geburtsjahrgang 1960 sei doppelt so groß gewesen wie die Zahl der heute 18-jährigen, sagte Pistorius. Das führe eben dazu, dass die Bundeswehr viel stärker als früher mit der Wirtschaft um Personal konkurrieren müsse.
Als einen Ausweg nannte Pistorius verstärkte Bemühungen um zwei Bevölkerungsgruppen, die in den Streitkräften deutlich unterrepräsentiert seien: Der Anteil von Frauen am militärischen Personal liege – außerhalb des Sanitätsdienstes – bei rund zehn Prozent. Das ist zu wenig. Ebenfalls unterrepräsentiert seien Migranten der zweiten und dritten Generation, die die deutsche Staatsbürgerschaft hätten, sich aber unterdurchschnittlich für den Dienst in der Bundeswehr interessierten. Da müssen wir klären: woran liegt das? sagte der Minister.
Auf die Frage nach dem weiterhin gültigen Ziel, die Stärke der Bundeswehr auf 203.000 Soldatinnen und Soldaten – einschließlich der Reservistenstellen – zu erhöhen, reagierte Pistorius mit einer interessanten Aussage: Das sei eine Zahl, die deutlich vor meinem Amtsantritt erarbeitet wurde. Er habe jetzt angeordnet zu prüfen, wie diese Zahl begründet worden sei und wie sie mit den neuen Anforderungen im Fähigkeitsprofil der Bundeswehr übereinstimme. Am Ende werde eine neue Zahl stehen – das kann eine niedrigere, aber auch eine höhere sein. Allerdings sei die derzeit angepeilte Stärke von mehr als 200.000 ambitioniert, räumte der Minister ein.
Die Pressekonferenz von Pistorius in Stuttgart zum Nachhören (die Aussage zur Situation in Niger habe ich rausgenommen und stelle sie in einen neuen Eintrag; die Auslassungen sind mit einem Signalton markiert):
(Foto: Pistorius, r., bei einem Bewerbergespräch im Karrierecenter Stuttgart – Frank Dittrich/Bundeswehr)
@Thomas Melber sagt:
07.08.2023 um 22:43 Uhr
…Nachtrag, aber wohl OT:
Früher war man „feuerwehrdienstpflichtig“, man konnte sich aber „freikaufen“ (Feuerwehrabgabe). Es wird im ländlichen Raum aber Gegenden geben in denen tatsächlich die Feuerwehrdienstpflicht eingefordert werden muß da es nicht genügend Freiwillige gibt….
Ja, die Feuerwehr Abgabe gab es früher im Süddeutschen Raum. Ging ganz einfach das jeder Mann in einer Gemeinde ohne Berufsfeuerwehr entweder in der Freiwilligen Feuerwehr war oder eine Kommunale Sonderabgabe zahlen musste. Wurde Ende der 80’er Jahre wegen Diskriminierung gerichtlich untersagt… Frauen waren ja schließlich nicht von dieser Abgabe betroffen.
Brandschutzdienst ist neben dem Schöffendienst einer der ganz wenigen Pflichtdienste die generell jeder Bürger leisten muss. Solange in einer Gemeinde eine Freiwillige Feuerwehr besteht erfüllt die Kommune ihre Pflicht den Brandschutz und Bevölkerungsschutz zu gewährleisten. Kommt es zu der Situation das sich die FFW auflöst oder durch Zuwenig Mitglieder nicht mehr Ausrückefähig wird. Muss die Gemeine eine Pflichtwehr aufstellen, da kann der Bürgermeister dann jeden geeigneten Bürger Zwangsverpflichten… Zuwiderhandlung (sprich keine Teilnahme an Ausbildungen oder auf Alarme nicht reagieren) gibt dann Bußgelder.
Zu Wehrpflichtzeiten gab es Pflichtwehren in Deutschland sogut wie gar nicht, tatsächlich erst ein Problem seitdem der Ersatzdienst eingestellt wurde. Besonders in Gemeinden die in Ballungsräumen liegen und viele Pendler als Einwohner haben, die logischerweise tagsüber nicht für ihre Wehren zur verfügung stehen.
In Niedersachsen gibt es bereits Projekte das die Pendler Tagsüber in der Wehr gemeldet sind am Arbeitsort und Nachfeierabend in der jeimatlichen Wehr.
Die Sogenannte Pflegekriese gibt es auch erst seit aussetzen der Wehrpflicht, da einige hunderttausend Zivis durch ungelernte Niedriglohnkräfte ersetzt werden mussten. Die nicht annähernd in gleichem Umfang zur Verfügung stehen.
Wenn eine Klinik frührer einfach ein paar Zivis hatte die das Essen verteilt haben oder Patiententransport gemacht haben… „Herr Müller muss zum Röntgen und danach zur Urologie.“ Müssen sie heute Vollzeitkräfte für beide Tätigkeiten bezahlen.
@Dirk Wege, bezüglich der Dauer der Ersatzdienste kommt vermutlich darauf an wann man sich damit beschäftigt hat und welche Zeit da jeweils aktuell war. Die Dauer wurde afair auch immer Mal wieder angepasst wenn die Dauer von Wehrdienst verändert wurde.
ernsthaft? mal wieder die Pflichtdienst Debatte?
Dann nur mal wieder dazu:
Meine Frau leitet eine Kita mit 230 Kindern.
Zivildienstleistende kann Sie nicht sinnvoll gebrauchen schon allein aus rechtlichen Gründen.
Was ein Zivi in der Pflege machen soll? Auch egal Hauptsache die Jugend lernt was. Dass aber z.B. Essen verteilen im Krankenhaus/Pflegeheim mittlerweile an spezialisierte Firmen mit ordentlichen sozialversicherungspflichtigen Jobs vergeben sind, Ach egal…Hauptsache die Jugend lernt gesellschaftliches Engagement….außer für dieses Klimagedöns natürlich….
@Dominik sagt:
08.08.2023 um 20:09 Uhr
Es geht nur darum die Verteidigungsfähigkeit der Bundesrepublik sicherzustellen. Dafür bedarf es Personal und ausgebildete Reservisten. Die Zivis und Ersatzdienstleistenden waren lediglich gewissen historischen Begebenheiten geschuldet. Staaten wie USA, Türkei, Singapur, Süd Korea, Israel kennen oder kannten keinen Wehrersatzdienst.
Komisch nur… in den über 50 Jahren, in der die Wehrpflicht in Deutschland vollzogen wurde. War der Einsatz von Zivildienstleistenden nie ein Problem. Was heute scheinbar aus Versicherungsgründen ein Ding der Unmöglichkeit darstellt war vor 13 Jahren noch total normal *der Zivi in der Kita*.
Wofür man heute viel Geld ausgeben muss und damit die Krankenkassenbeiträge in die höhe treibt *Krankenhausessen verteilen* wofür es einer Unterweisung von 30 Minuten bedarf haben bis vor 13 Jahren noch Zivis gemacht.
Wie gesagt es geht nicht um *die Schule der Nation* sondern im V-Fall dem Russen genug Manpower entgegen zu stellen und wenn jedes Jahr Zehntausende GWDL’er sich wund masturbieren und neue Rekorde im Dosenbier trinken aufstellen. Ist mir das Recht egal solange sie im Ernstfall ein Gewehr abfeuern und Granaten auf den Feind werfen können.
@Küstengang01, grundsätzlich dürfte auch der Zivi im Kindergarten möglich sein. Ob da nun zusätzlich künftig der Zivi oder wie heute ein FSJler ist, sollte egal sein.
Das wahre Problem dürfte eher sein ein Kindergarten mehr sein soll als eine Verrwahranstalt und es dementsprechende Anforderungen gibt was die Zahl des anwesenden Personals und dessen Qualifikation angeht. Und da werden beide immer nur als ungelernte Hilfskraft angerechnet werden können die zwar nett ist wenn sie da ist aber für die Frage ob ich ausreichend Personal habe oder die Gruppe spontan wegen Krankheit morgens schließen muss außen vor ist.
@ Heiko Kania 04.08.2023 um 22:35 Uhr
kaum macht man mal digital Detox, dann das …
Schön, daß Sie 30 Jahre in der S-1 Schiene als Beweis anführen – dann kontere ich mit mehr als 30 Jahren in 87b und gebe zu bedenken, daß aufgrundd er fehlenden Stellen die Wehrgerechtigkeit eben nicht gegeben war. Das war massive Augenwischerei um „Zahlen“ zu produzieren. Und wenn ich mich richtig erinnere, war die „T7“ auch nur für GWDL, max FWDL, aber nie für SaZ gedacht.
Aber wenn wir gerade dabei sind: warum muss die S1 Schiene militärisch besetzt sein? Die fällt mir mit als erste ein, die „zivilisiert“ (SCHERZ) werden könnte … Ich warte jetzt nur noch darauf, dass man den Stabskaporal im GeZi auch zum BS macht – mit der SU (BS) hat man ja ein Einfalltor aufgenacht.
Bitte nicht schon wieder eine Pflichtdienst- und Früher-war-alles-besser-Debatte.
Vielleicht sollte man einfach genauer hinschauen, warum es kaum Freiwillige für den Dienst in der Bundeswehr gibt.
Das fängt m.E. damit an, dass sich niemand für einen Arbeitgeber verletzen oder gar töten lassen will. Ein Arbeitgeber ist keine Idee sondern nur ein Lohnauszahler, er stiftet keinen Esprit de Corps. Soldat zu sein heißt, man ist bereit den höchsten Preis zu zahlen. Das tut niemand für eine „Hand voll Euro“.
Das seinerzeit postulierte „freundliche Desinteresse“ ist schon in der Politik fest verwurzelt, warum soll also der Bürger anders denken? Der „Fisch fängt bekanntlich am Kopf an zu stinken“, in einer Parlamentsarmee ist das aber nicht der ranghöchste General, sondern die Politik. Hier aber nicht nur der Minister, die Ministerin, sondern jeder, der sich politisch engagiert. Von der Seite fehlt die Rückendeckung für die Bundeswehr, oder ist nur sehr halbherzig.
Ein weiteres Problem ist der Umgang mit dem „Bestandspersonal“. Welcher Vater, welche Mutter, kann denn den Kindern zum Dienst in der Bundeswehr raten? In vielen Fällen ist das dienstliche Umfeld, Infrastruktur und Ausstattung, vielleicht noch als historisch wertvoll zu bezeichnen, aber gewiss nicht das, was einer Armee in einem der reichsten Länder der Erde gut zu Gesichte stehen würde.
Gleiches gilt für die Personalverwaltung, Personalmanagement wäre hier ein völlig verfehlter Begriff. Ich habe nun schon mehrfach im persönlichen Umfeld die „Personalgewinnung“ erleben dürfen. Wer keine echte Not hat oder aus einer extrem tiefen Überzeugung heraus zur Bundeswehr will wird da sehr erfolgreich abgeschreckt. Laufzeiten von Bewerbungen von über einem Jahr, völlig falsche Auskünfte zu möglichen Verwendungen, ausgerichtet auf den kurzfristigen Erfolg der Einstellung, anstelle der langfristigen Bindung. Das alles spricht sich in der Zielgruppe rum und verhindert so schon einige Bewerbungen von potentiell gutem Nachwuchs.
tbc
@Marmorklippe – Art 87b: Warum ist „die BW-Verwaltung“ nicht wirklich Bestandteil selbiger Bw? M. E. ein Kardinalfehler… „BW Verwaltung“ habe ich in besagten 30 Jahren diametral entgegengesetzt erlebt. Bis zum großflächigen AuslEins als „Appendix“ der Uniformierten, der der Meinung zu sein schien, „die Soldaten“ sind für die BW-Verwaltung da. Erst mit gemeinsamen AuslEins in denselben Liegenschaften unter denselben Bedingungen stellte sich heraus: Wir sitzen tatsächlich im selben Boot, mit ein und demselben Auftrag. Trennung: T7 – in den 90er Jahren des vergangenen Jahrhunderts war allein im Heer Personal in der Kopfzahl einer Heeres Brigade – offiziell in Nebenfunktion – als Ordonnanz in OHGs und UHGs gebunden. Z. B. hier und im umfangreichen StabsDstSdt-Bereich haben wir sehr gute praktische Erfahrungen gemacht mit T7-eingestufte Sdt. Und die Angehörigen von 87b haben die Betreuung durch z. B. T7 ebenfalls gerne in Anspruch genommen…
Der Verteidigungsminister im Karrierecenter sind zwar nette Bilder, aber wichtiger ist doch, daß dem Minister die Durchsetzungskraft verloren gegangen ist. Eigentlich sollte doch im Mai die neue Struktur des Verteidiungsministeriums mit senem neuen Planungsstab fertig sein hieß es ursprünglich, und vor allem sollten der Rüstungsstaatssekretär und der dre Vizeadamiral Ausrüstung abgelöst werden. Seit Monaten haben ich nichts mehr davon gehört, nur weil es zuvor ein bisschen Kritik am beliebtesten Minister gab……
Daß die Bewerbungen schneller werden müssen ist seit langem klar, nur habe ich Zweifel,. daß dies möglich ist, ohne das Zentrale Personalamt zu zerschlagen oder zu dezentralisieren. Aber davon ist vom Minister nichts zu hören. Der Minister hat sich seinen Schneid abkaufen lassen. Der einzige sinnvolle Vorschlag des Ministers zur Personalgewinnung bisher ist, daß man jeden Monat Soldat werden können soll. Wie es bei Marine und Luftwaffe ist, weiß ich nicht, aber beim Heer kann man bisher nur in 8 Monaten als Rekrut neu anfangen. In 4 Monaten ist es nicht möglich Heeressoldat zu werden. Dies zu ändern ist sinnvoll. Bleibt nur die Frage, warum man nicht jeden Tag Soldat werden kann und warum die Karrierecenter nicht Konkurrenz bekommen durch Musterungscenter oder Werbebüros, die jeden Tag Soldaten anwerben können.
Oder wir bieten wieder eine Dienstmöglichkeit in den Streitkräften ohne Probezeit an und dafür bekommt jeder erfolgreiche Bewerber ein dickes Handgeld, für eine mehrjährige Verpflichtung ohne Probezeit. Denn die Wehrpflichtigen früher hatten auch keine Probezeit!
@Alter Mann, bezüglich der Bezahlung. Das Problem ist, eben weil das Todesrisiko gegenüber anderen Arbeitgebern höher liegt, kann man die Bundeswehr nicht mit anderen zivilen Arbeitgebern vergleichen. Da ist die Bundeswehr Monopolist und wenn der nicht mehr zahlt ist die Tätigkeit Soldat nicht mehr Wert in €.
Das Problem in dem Bereich sehe ich eher in den veränderten Lebenswirklichkeiten und der fehlenden Reaktion der Bundeswehr darauf.
Die Zeiten von er verdient das Geld und sie kümmert sich um Haus und Kind und ist im Alter als Witwe allein mit der Witwenrente versorgt sind nun mal vorbei. Reste mag vielleicht noch ab gewissen Besoldungsgruppen bei Berufssoldaten geben bei denen die Witwenpension entsprechend üppig ausfällt.
Aber im Bereich der Zeitsoldaten reicht es eben nicht mehr wenn nur er in die Rentenversicherung einzahlt (bzw die Bundeswehr am Ende nachzahlt). Sie muss parallel eigene Ansprüche erwerben. Und das beißt sich nun mal mit den Anforderungen des Soldatenberufes.