Blick auf Mali: Wie weiter nach dem (absehbaren) Rauswurf der UN?

Am vergangenen Freitag hat Mali bei den Vereinten Nationen angekündigt, die UN-Blauhelmmission im Land komplett rauswerfen zu wollen. Das betrifft auch, aber längst nicht nur die Bundeswehr, die mit den Vereinten Nationen in dem westafrikanischen Land präsent ist und sich ohnehin auf einen Abzug bis Mai kommenden Jahres vorbereitet. Ich habe deshalb Anna Schmauder, eine Konfliktforscherin mit dem Schwerpunkt Sahel, um einen Überblick für Augen geradeaus! gebeten, was das bedeutet und wie es weitergehen könnte in Mali:

Keine vier Wochen nachdem der Bundestag über ein neues MINUSMA-Mandat abgestimmt hat, fordert die Regierung von Mali nun den sofortigen Abzug der UN-Mission – pünktlich zur jährlich anstehenden Mandatsverlängerung des UN Sicherheitsrates. Das bisherige Mandat läuft demnach am 30. Juni aus; noch ist unklar ob der Sicherheitsrat unter Federführung Frankreichs Ende des Monats wie gehabt über die möglichen Optionen zur Zukunft MINUSMAs abstimmen wird oder ob es zu einem technischen rollover kommen könnte.

Bei aller Ungewissheit: erste diplomatische Reaktionen (u.a. der USA) scheinen vor allem technische Diskussionen zum Zeitpunkt und Abwicklung des Abzugs zu thematisieren, was auf einen tatsächlichen Abzug der Mission (in der derzeitigen Version) hindeutet. Basis für die Entsendung von MINUSMA war bislang die Zustimmung der Malischen Regierung. Obwohl es in der Geschichte der UN bereits Friedensmissionen auch gegen den Willen der aufnehmenden Regierung gab, deutet derzeit wenig daraufhin, dass dies in Mali unter einem neuem Mandat der Fall sein könnte. Eine solche Mission müsste ausdrücklich gegen den Willen der malischen Übergangsregierung arbeiten, eine Option, die angesichts des derzeit angespannten politischen Klimas schwer vorstellbar ist.

Für die etwas mehr als 1.000 derzeit in Mali eingesetzten Bundeswehrsoldatinnen und -soldaten würde sich wohl erstmal wenig ändern.  Ungeachtet aller Forderungen wird ein Abzug von insgesamt mehr als 15.000 UN-Truppen mindestens ein Jahr brauchen, wenn nicht sogar deutlich länger. In Berlin gibt sich das Verteidigungsministerium dementsprechend unbeirrt und betont das deutsche Interesse an einem geordneten Abzug – der ohnehin auf Mai 2024 angesetzt wurde. Bis dahin wird der Abzug bereits sukzessive anlaufen, der Großteil des deutschen Kontingents ist weiterhin in Gao im Norden Malis stationiert. Sollte parallel zur Bundeswehr die gesamte UN-Mission abgezogen werden, könnten verfügbare Transporträume knapp werden. Der deutsche Abzug könnte im Gegensatz dazu mindestens in Teilen auch über Niamey erfolgen, wo Deutschland eine logistische Basis hat.

Die Forderung des malischen Außenministers Abdoulaye Diop am vergangenen Freitag nach einem Abzug ohne Verzögerung während seiner Rede im UN-Sicherheitsrat dürfte trotz der kontinuierlich sich verschlechternden Beziehungen zwischen Bamako und westlichen oder multilateralen Akteuren dennoch überraschend gekommen sein. So kurz vor Ende des offiziellen Mandats kommt die Forderung – nach langem Anlauf – einer weiteren Eskalation in den Beziehungen zwischen Mali und MINUSMA gleich. Erst wenige Tage vor dem Eklat hatte UN-Generalsekretär António Guterres seine Präferenz für eine Neu-Kalibrierung zum Ausdruck gebracht. Demnach wäre von Seiten der Vereinten Nationen eine Optimierung der Mission bei gleichbleibender Truppenstärke angestanden. Diese Neuausrichtung hätte zumindest die teilweise Schließung von UN-Stützpunkten – vor allem vermutlich im Norden Malis, beispielsweise der Region Timbuktu –  bedeutet.

In einem internen Review der UN wurden bereits im Januar außerdem weitere Optionen erörtert, einerseits eine Aufstockung von MINUSMA oder aber eine Umwandlung in eine politische Mission. Das wäre allerdings nicht im Interesse der UN gewesen. Eine Aufstockung von – im Gespräch-  mehr als 3.000 Soldaten  dürfte in der aktuell angespannten politischen Lage kaum zu stemmen gewesen sein. Die Mission hat bereits jetzt Schwierigkeiten damit, Nachfolge für den Exodus zahlreicher Truppenstelle-Staaten zu sorgen. Zu ihnen zählen unter anderem Benin, Elfenbeinküste, Großbritannien, Schweden und Deutschland (im nächsten Jahr); auch Ägypten, dessen Truppen zuletzt verstärkt Ziel von Angriffen waren. Dass es sich bei MINUSMA um die gefährlichste UN-Mission handelt, trifft vor allem für Truppensteller aus dem globalen Süden zu.

In seiner Rede vor dem Sicherheitsrat der Vereinten Nationen in New York lehnte der malische Außenminister Diop alle drei von der UN ins Spiel gebrachten Optionen ab. Seine Forderung nach einem sofortigen Abzug der UN Mission begründete vor allem mit fehlender Unterstützung der UN im Anti-Terror-Kampf sowie angeblichen Spannungen zwischen Bevölkerungsgruppen, die von MINUSMA geschürt würden.

Die militärische Übergangsregierung fordert schon länger ein stärkeres Engagement der UN-Mission im Anti-Terrorkampf, eine Forderung, die nicht vom Mandat gedeckt ist. Vielmehr ist Hauptziel der Mission die Unterstützung des Friedensvertrags und seit 2019 verstärkt der Schutz von Zivilisten vor allem im Zentrum des Landes. Interkommunale Spannungen sieht Außenminister Diop jedoch vor allem durch Berichte über Massaker der malischen Armee an der Zivilbevölkerung geschürt – und nicht etwa durch die Unterstützung der Regierung von ethnisch-basierten Milizen oder die Folgen des Anti-Terror-Kampfes, der immer mehr zivile Opfer fordert. Zuletzt hatte ein UN-Bericht über Massaker im Namen der Terrorbekämpfung in Moura in der Region Mopti in Zentralmali zu erneuten Zerwürfnissen geführt. Den Bericht der Weltorganisation wies Diop als fiktiv, parteiisch und voreilig zurück.

In Mali wäre nach einem Abzug von MINUSMA die derzeitige Regierung gemeinsam mit mit der russischen Söldnergruppe Wagner alleiniger Akteur im Kampf gegen jihadistische Gruppierungen – allen voran die al-Qaeda-alliierte JNIM und, weniger stark, der mit dem Islamischen Staat verbündete ISSP. Eine Fortsetzung und Beschleunigung des bisherigen Trends, dass immer mehr zivile Opfer zu beklagen sind, ist zu erwarten. Im ersten Jahr der neuen bilateralen Partnerschaft der malischen Transitionsakteure mit Wagner sind mehr als 750 Zivilisten im Namen des Anti-Terror-Kampfs getötet worden. Im Jahr vor Ankunft von Wagner waren es 60 (basierend auf ACLED Daten).

Mit Abzug von MINUSMA wären zahlreiche große Städte im Norden des Landes leichte Angriffsfläche für Alliierte von Al-Qaeda und dem IS in Mali. Schon jetzt zeigt sich am Beispiel von Ménaka im Osten von Mali an der Grenze zu Niger, wie wenig staatliche Akteure dem ISSP entgegen zu setzen haben. In Ménaka hält vorrangig MINUSMA die Stellung, nicht nur dort hätte ein Abzug der Mission katastrophale humanitäre Konsequenzen.

Mit dem Abzug der UN-Mission wird auch der vollständige Kollaps des Friedensabkommens von 2015 zwischen ehemaligen Rebellengruppen aus dem Norden und der Regierung wahrscheinlicher und damit auch eine erneute militärische Konfrontation. Nachdem die Zukunft des Friedensabkommens bereits seit mehr als einem Jahr auf wackligen Füßen steht, wäre mit dem Abzug von MINUSMA auch der einzige Sicherheitsgarant des Abkommens  verschwunden, das unter Vermittlung Algeriens zustande gekommen war.

Die Wiederholung einer ähnlichen Situation wie 2012 ist demnach in greifbare Nähe gerückt. Der Unterschied: heute kontrollieren jihadistische Akteure deutlich größere Teile des Landes als noch 2012. Das gilt sowohl für Alliierte von Al-Qaeda (JNIM) als auch des Islamischen Staates (ISSP). Gleichzeitig hat auch die malische Armee dank verstärkter Partnerschaft mit Russland im vergangenen Jahr einiges an Luftschlagkapazitäten erhalten. Ob diese – zusätzlich zum derzeitigen Fokus im Zentrum des Landes – auch verstärkt im Norden zum Einsatz kommen sollen, ist derzeit ebenso offen wie eine klare politische Positionierung der ehemaligen Rebellengruppierung CMA. Auch sie wird mit einer offiziellen Stellungnahme wohl warten, bis es mehr Klarheit über die Zukunft der Mission geben wird.

Für die malische Regierung kommt die Forderung nach einem Abzug von MINUSMA zu einer politisch opportunen Zeit: Am vergangenen Freitag wurde der Abzug der unliebsamen UN Mission gefordert; am Sonntag erfolgte das landesweite Referendum, mit dem über die neue Verfassung abgestimmt wurde. Offizielle Zahlen sind bislang noch nicht veröffentlicht, es kursieren zum Teil widersprüchliche Angaben. Während die malische Wahlbeobachtungskommission von einer Wahlbeteiligung von nur 27 Prozent spricht; soll es in einigen Ortsteilen im Norden eine Beteiligung und Zustimmungsquote von 100 Prozent gegeben haben.

Ähnlich widersprüchlich zeigen sich übrigens auch Umfragewerte zu MINUSMA: während in der Hauptstadt Bamako die UN-Mission oft zur Externalisieren von Verantwortung herhalten musste und die Mission allgemein eher sehr geringe Zustimmungswerte erfährt, sieht die Situation im direkten Umfeld der ihrer Stationierung vor allem im Norden des Landes wie rund um die Stadt Gao deutlich positiver aus.

Bei allen offenen Fragen (zur Zukunft MINUSMAs, zum Zeitrahmen eines möglichen Abzugs, zur Stellungnahme der Ex-Rebellengruppe CMA) wird es für externe Beobachter in absehbarer Zeit noch schwieriger als zuvor werden, sich ein genaues Bild der Lage im Land zu machen. Schon jetzt kann man nicht von den Maliern sprechen, weit verbreitete Unterstützung steht einem immer enger werdenden Raum für zivilgesellschaftliche Akteure gegenüber. Freie Meinungsäußerung ist schon seit mehr als einem Jahr kaum noch möglich, und Vertretungen ethnischer Minderheiten (die überproportional zu den zivilen Opfern im Namen des Anti-Terror-Kampfes gehören, gerade in ländlichen Gegenden) trauen sich kaum noch, öffentliche Statements zu verfassen.

(Archivbild November 2018: United Nations Police (UNPOL) Officers from Benin serving with MINUSMA and Malian National Guard Officer conduct daily joint patrols in the streets of Gao, to ensure general security, maintain order and offer protection of civilians – Marco Dormino/MINUSMA)