Weg für Verteidigungshaushalt 2023 und Sondervermögen frei – Aufstockung der Mittel für Munition (Neufassung)

Der Haushaltsausschuss des Bundestages hat am frühen (heutigen) Freitagmorgen den Weg frei gemacht für den Verteidigungsetat des kommenden Jahres und die geplanten Beschaffungen aus dem Sondervermögen von 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr. Die Abgeordneten billigten im Wesentlichen den Entwuf des Verteidigungsministeriums, verlangten aber an zahlreichen Stellen zusätzliche Prüfungen. Zudem stockten sie die Mittel für die Beschaffung von Munition in den kommenden Jahren um eine Milliarde Euro auf.

Die Parlamentarier des Haushaltsausschusses legten damit den Verteidigungshaushalt für das kommende Jahr auf 50,1 Milliarden Euro fest, außerdem geplante Beschaffungen aus dem Sondervermögen im Umfang von 8,4 Milliarden Euro. Die endgültige Beschlussfassung trifft der gesamte Bundestag in der Abstimmung über das Haushaltsgesetz.

Die größeren Veränderungen im Verteidigungsetat, dem Einzelplan 14 des Bundeshaushalts, nach der so genannten Bereinigungssitzung am Freitagmorgen, wie sie der Ausschuss mitteilte:

(Die entsprechende Übersicht für den kompletten Bundeshaushalt:
20221111_Ergebnis_Bereinigung_HH-Ausschuss)

Auffällig ist in der Tabelle die größte Veränderung von einer Milliarde Euro zusätzlich: Der Haushaltsausschuss erhöhte die vorgesehenen Mittel für die Beschaffung von Munition deutlich. Der ursprüngliche Ansatz der Regierung von 1,125 Milliarden Euro im kommenden Jahr und 800 Millionen Euro in den Folgejahren wurde mit so genannten Verpflichtungsermächtigungen von zusätzlich jeweils 500 Millionen Euro für die Jahre 2024 und 2025 aufgestockt, so dass zu den Ausgaben im kommenden Jahr für 2024 bis 2028 insgesamt rund 1,8 Milliarden Euro hinzukommen. Der Bedarf der Bundeswehr für eine Munitionsbevorratung nach NATO-Vorgabe beträgt rund 20 Milliarden Euro.

Aus der Mitteilung des Verteidigungsministeriums zum Beschluss des Haushaltsausschusses:

Für rüstungsinvestive Maßnahmen – mithin für militärische Beschaffungen, wehrtechnische Forschung, Entwicklung und Erprobung – werden im Einzelplan 14 für das Jahr 2023 rund 9,6 Mrd. Euro zur Verfügung stehen. Damit lässt sich zum Beispiel weiter in Großraumtransportflugzeuge A400M und Munition investieren. Neben erhöhten Ausgabemitteln hat der Haushaltsausschuss heute Nacht zusätzliche Verpflichtungsermächtigungen in Höhe von einer Milliarde Euro für die Beschaffung von Munition bewilligt. Auch die Fortsetzung der Beschaffung des Waffensystems Eurofighter oder von Flottendienstbooten der Klasse 424 können finanziert werden. (…)
Der gestern ebenfalls beschlossene Wirtschaftsplan 2023 des Sondervermögens Bundeswehr sieht für das kommende Jahr Ausgaben in Höhe von rund 8,4 Mrd. Euro vor. So sind zum Beispiel Ausgaben für die Beschaffung von Kampfflugzeugen des Typs F35, des Schweren Transporthubschraubers CH-47, der persönlichen Schutzausrüstung für die Soldatinnen und Soldaten, für Nachtsichtgeräte, den Schützenpanzer Puma und die Fregatte 126 (Schiffe 1 bis 4) berück-
sichtigt. Damit kann die Bundeswehr einen weiteren Schritt hin zu einem breiten und innovationsorientierten Fähigkeitsspektrum gehen.

Die detaillierte Liste der Projekte, die aus dem Sondervermögen finanziert werden sollen, und die dazu gehörenden Summen wird zusammen mit dem nun abgestimmten Haushaltsentwurf veröffentlicht (bislang liegt sie noch nicht vor).

Interessant ist die Liste von insgesamt mehr als 40 Beschlüssen zu einzelnen Themen, die der Haushaltsausschus mit der Koalitionsmehrheit fasste und damit dem Verteidigungsministerium teilweise weitgehende Vorgaben machte. Das gilt zum Beispiel für das deutsch-französisch-spanische Projekt eines künftigen Luftkampfsystems (Future Combat Air System, FCAS). Dieses Projekt, bei dem im Wesentlichen Frankreich die Führung hat, soll nach dem Willen der Parlamentarier weiterhin eng mit dem Projekt eines künftigen Landkampfsystems (Main Ground Combat System, MGCS) gekoppelt sein, bei dem Deutschland die Führung hat. Für FCAS könnte das zusätzliche Hürden bis hin zum Scheitern des Projekts bedeuten.

Aus dem Maßgabebeschluss:

Die Programme Next Generation Weapon System (NGWS) im Future Combat Air System (FCAS) und Main Ground Combat System (MGCS) werden vom Haushaltsausschuss weiterhin in einem Zusammenhang betrachtet. Die zeitliche Parallelität sowie eine angemessene Verteilung der Technologiebereiche auf Augenhöhe und eine faire Kosten- und Arbeitsverteilung auf staatlicher und industrieller Ebene stellen dabei wesentliche Forderungen des Haushaltsausschusses dar, um für die noch nicht verhandelten Projektphasen auch in zukünftigen Jahren weitere finanzielle Mittel freigeben zu können. Aktuell sind beide Forderungen nicht erfüllt.
Der Haushaltsausschuss fordert die Bundesregierung daher auf,
1.unverzüglich alle Maßnahmen zu ergreifen, um schnellstmöglich eine zeitliche Parallelität beider Vorhaben zu erreichen.
2. die ressortübergreifende industriepolitische Steuerung der Programme NGWS/FCAS und MGCS fortzuführen und dabei alle Möglichkeiten auszuschöpfen, um die insbesondere industrieseitig erforderlichen Einigungen herbeizuführen. Hierzu zählt insbesondere auch die Konsolidierung der deutschen Landsystemindustrie.
3. dabei sicherzustellen, dass die Partnerstaaten und ihre Industrien auf Augenhöhe miteinander kooperieren.
4. die bereits ergriffenen Maßnahmen zur (Weiter-)Entwicklung, Herstellung und Verfügbarkeit nationaler Schlüsseltechnologien in und für Deutschland fortzuführen und – wo immer möglich – zu erweitern. Hierzu gehört insbesondere auch die Beteiligung von deutschen Unternehmen an nationalen und internationalen Technologie- und Demonstratorvorhaben. Die Maßnahmen sind dabei ausdrücklich auch auf Projekte und Vorhaben auszuweiten, die in einem inhaltlichen Zusammenhang zu den Vorhaben NGWS/FCAS und MGCS stehen, wodurch Synergieeffekte – insbesondere technologischer und finanzieller Art – erschlossen werden können.

Die konkreten Auswirkungen sind noch unklar – das gilt auch für einen weiteren Beschluss zur Ausstattung der Landstreitkräfte, also im Wesentlichen des Heeres, aus dem Sondervermögen:

Der Haushaltsausschuss fordert die Bundesregierung auf:
1. zügig die geforderte Einsatzbereitschaft der Großverbände des Heeres zu erreichen. Vor allem sind die künftigen Projekte und Vorhaben, die zum Herstellen dieser Fähigkeit beitragen, wie u.a. der Schützenpanzer Rad (in der Nachfolge des Schützenpanzers Marder), das radbasierte Artilleriesystem und der schwere Waffenträger in einem ganzheitlichen Ansatz mit Nachdruck zu verfolgen und bei der Beschaffung so zu priorisieren, dass diese gesichert, im geforderten Umfang sowie schnellstmöglich und damit zeitgerecht zur Erfüllung der gestellten Aufträge für die Landes- und Bündnisverteidigung zulaufen.
2. In diesem Zusammenhang zu prüfen, ob eine Fortführung des 2.Loses PUMA noch Sinn ergibt.

Ob damit eine Beschaffung weiterer Schützenpanzer Puma blockiert wird, ist noch nicht absehbar – allerdings hat der Ausschuss mit der Aufforderung zu prüfen eine vergleichsweise weiche Vorgabe gemacht. Mit diesen so genannten Prüfaufträgen hat das Verteidigungsministerium faktisch mehr Spielraum.

Das gilt auch für einen Beschluss des Ausschusses, der nach Angaben aus Teilnehmerkreisen noch während der laufenden Sitzung quasi entschärft wurde. Aus Koalitionskreisen war der Antrag gestellt worden, die geplante Beschaffung digitaler Funkgeräte nicht wie geplant in einer direkten Vergabe an ein deutsches Unternehmen vorzusehen, sondern diesen Auftrag auszuschreiben:

Der Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages möge beschließen:
1. Im Rahmen der Digitalisierung Landbasierter Operationen (D-LBO) ist das Vorhaben „Führungsfunkgerät“ analog zum Vorhaben „Soldatenfunkgerät“ auszuschreiben.
2. Im Sinne der bestmöglichen Ausstattung für unsere Soldatinnen und Soldaten gilt es durch den Wettbewerb ein leistungsfähiges Funksystem gemäß dem neuesten Stand der Technik zu beschaffen.
3. Auf die Marktverfügbarkeit und die Interoperabilität mit anderen NATO-Staaten gilt es besonders zu achten. Daher sollte eine offene Plattform zur Implementierung diverser Wellenformen vorausgesetzt werden.
4. Dem Haushaltsausschuss ist vor Vertragsabschluss eine Entscheidungsmatrix vorzulegen. Bis dahin sind die Haushaltsmittel unter dem Kapitel 1405 Anlage 1 Wirtschaftsplan des Sondervermögens (1491) Titelgruppe 03, Titel 554 32 gesperrt.

Nach Intervention von den Verteidigungsexperten der Koalition wurde die Vorgabe, die Beschaffung der Funkgeräte auszuschreiben, in einen Prüfauftrag umgewandelt (die schriftliche Fassung liegt mir noch nicht vor). Die Verteidigungspolitiker, aber auch Ministerium und Bundeswehr hatten davor gewarnt, dass eine solche Ausschreibung weitere ein bis zwei Jahre Verzögerung bedeuten würde – damit wäre unter anderem die Ausstattung einer geplanten modernisierten Heeresdivision bis 2025, deren Funk auch mit NATO-Partnern kompatibel sein muss, praktisch gescheitert.

Ergänzung: Der beschlossene Antrag in der geänderten Fassung:

1. Im Rahmen der Digitalisierung Landbasierter Operationen (D-LBO) ist durch eine Marktsichtung zu prüfen, ob das Vorhaben „Führungsfunkgerät“ analog zum Vorhaben „Soldatenfunkgerät“ ausgeschrieben werden kann. Dies gilt es im Sinne der Wirtschaftlichkeit anzustreben.
a. Dafür muss das BMVg nachweisen, welche zeitlichen Verzögerungen und welche Kostenveränderungen zu erwarten wären, wenn die Ausschreibung analog ausgeführt werden würde.
b. Im Sinne der bestmöglichen Ausstattung für unsere Soldatinnen und Soldaten gilt es ein leistungsfähiges Funksystem gemäß dem neuesten Stand der Technik schnellstmöglich zu beschaffen. Hierbei ist auch eine wettbewerbliche Ausschreibung zu prüfen.
c. Dabei ist auf Marktverfügbarkeit und die Interoperabilität mit anderen NATO-Staaten besonders zu achten. Dafür ist die Prüfung einer offenen Plattform zur Implementierung diverser Wellenformen unverzichtbar.
2. In einem Berichterstattergespräch mit der Bundesministerin der Verteidigung ist den Berichterstattern des Einzelplans 14 schnellstmöglich zu berichten, ob und wie
Punkt 1 dieser Maßgabe erfüllt werden können. Bis dahin sind die Haushaltsmittel unter dem Kapitel 1405 Anlage 1 Wirtschaftsplan des Sondervermögens (1491) Titelgruppe 03, Titel 554 32 gesperrt.

(Archivbild Oktober 2022: Brigadegeneral Andreas Kühne, r., erläutert Bundeskanzler Olaf Scholz bei dessen Besuch auf dem Truppenübungsplatz Bergen ein Funkgerät – Carl Schulze/Bundeswehr)