Luftwaffe stoppt Eurofighter-Flüge wegen möglicher Probleme mit dem Schleudersitz (Neufassung)
Wegen möglicher Probleme mit dem Schleudersitz hat die Luftwaffe die Ausbildungs- und Übungsflüge mit dem Kampfjet Eurofighter vorerst gestoppt. Die Alarmrotten für die Sicherung des deutschen Luftraums und die Flugzeuge, die sich an der Sicherung des Luftraums an der NATO-Ostflanke beteiligen, fliegen aber weiterhin. Der Tornado ist entgegen ersten Angaben nicht betroffen.
Nach Angaben der Luftwaffe vom (heutigen) Freitag trat bei den Schleudersitzen des britischen Unternehmens Martin Baker, die im Eurofighter eingesetzt werden, ein potenzielles Problem auf: Es sei nicht sicher, dass die eingebauten Auslösekartuschen korrekt befüllt wurden. Damit könne die sichere Nutzung dieser Schleudersitze aktuell nicht garantiert werden. Die Kartuschen sorgen dafür, dass der Schleudersitz mit dem Piloten aus der Maschine herausgeschossen werden kann.
Über den vorläufigen Stopp hatte am (gestrigen) Donnerstag der Parlamentarische Staatssekretär Thomas Hitschler die Obleute der Fraktionen im Bundestags-Verteidigungsausschuss informiert. Die Sperrung war zunächst auf den Donnerstag beschränkt, inzwischen blieb sie bis auf weiteres in Kraft.
Nachdem zunächst auch der Kampfjet Tornado wegen dieser möglichen Gefährdung von Pilot und Waffensystemoffizier am Boden bleiben musste, gab die Luftwaffe am Freitag für diesen Flugzeugtyp Entwarnung. Die im Tornado eingebauten Schleudersitze seien aus einer anderen Produktionslinie, die von den Fehlern bei den Auslösekartuschen nicht betroffen sei.
Nach Angaben der Luftwaffe ist es eine Vorsichtsmaßnahme, die die Teilstreitkraft eigenständig entschieden hat. Die Eurofighter in Laage und Neuburg an der Donau, die in einem so genannten Quick Reaction Alert (QRA), den Alarmrotten, für Alarmstarts bereitstehen, könnten aber weiterhin fliegen. Auch die Flüge zum Beispiel über Polen, mit denen die NATO die Sicherung ihrer Ostflanke verstärkt hat, würden weiter durchgeführt.
Nach Informationen von Augen geradeaus! haben die Royal Air Force und die spanische Luftwaffe für ihre Eurofighter ebenfalls diese Vorsichtsmaßnahmen getroffen. Wie es bei der italienischen Luftwaffe als viertem Eurofighter-Nutzer aussieht, weiß ich (noch) nicht.
(Korrektur oben: Martin Baker ist eine Firma aus Großbritannien, nicht aus den USA)
(Archivbild: Ein Eurofighter der Luftwaffe bei der Luftbetankung über Polen im März 2022 – Foto Luftwaffe)
Kommt zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt. Andererseits ist die materielle Flugbereitschaft bei uns schon länger nicht mehr besonders hoch, also wird das Niemanden überraschen.
Bei Problemen mit Schleudersitzen ist es aber natürlich absolut sinnvoll, erstmal alles nicht zwingend notwendige zu stoppen bis genaueres bekannt ist. Das ist ein überlebenswichtiges Feature für unsere Piloten.
OT: Laut den Lübecker Nachrichten fliegen aktuell die Seaking nicht mehr wegen fehlender Ersatzteile. Da der Sea Lion noch nicht so weit ist, ist man wohl aktuell auf der Suche nach Alternativen. Gibt es dazu mehr Infos?
[Ich beende diesen OT sofort, sage aber dazu, dass ich das im Auge habe und derzeit wohl der übergangsweise Einkauf von SAR-Kapazitäten aus anderen Ländern geprüft wird. T.W.]
Der Hersteller geht von 20 Prozent falsch gefüllter Kartuschen aus, die im Ernstfall vermutlich nicht korrekt auslösen würden
Das ist für Martin Baker absolut blamabel als Weltmarktführer.
Da kann man nur hoffen, dass die EF-Piloten, die eingesetzt werden müssen, ihren Schleudersitz nicht brauchen. Das ist ja Russisch Roulette bei einer Ausfallrate von rechnerisch jedem fünften Schleudersitz.
Und wieder einmal ein klares Argument gegen eine One-Type Flotte.
Probleme mit den Schleudersitzen des Eurofighter s sind nicht wirklich neu, sondern kommen alle paar Jahre wieder vor. Am 17.09.2010 und auch im Jahre 2013 hat Herr Wiegold hier schon über solche Probleme geschrieben! Peinlich für den Hersteller, dass dieser öfters Qualitätsprobleme zu haben scheint. Deja-vu Erlebnis hier in AG.
[Hm, das aktuelle Problem ist aber ein technisch anderes als die früheren und deutet eher auf eine fehlerhafte Zulieferung hin… soweit ich das als Nicht-Techniker einschätzen kann. T.W.]
@Closius
Das auch Schleudersitze Verschleiß unterliegen und mit der Zeit Teile/Material altert ist völlig normal (gerne genommen Risse im Schlagbolzengehäuse) und hat nichts mit grundsätzlichen Qualitätsproblemen zutun. Vor allem wenn Sie mal auf den von Ihnen gezeigt Zeithorizont schauen (demanch wäre vor 9 Jahren das letzte Mal die Flotte gegroundet worden).
In diesem Fall gehts dann schon um einen Mangel bei der Qualitätssicherung. Fraglich ja noch was dafür ursächlich ist.
Cheers
Flip
@Der Realist:
Welches Luftfahrzeug sollte denn verwendet werden, welches keinen Martin Baker Schleudersitz hat? :D
@TWiegold:
Ihre Berichterstattung schätze ich sehr, manchmal wundere ich mich aber darüber zu welchen Themen Sie schweigen (Etwa die SeaKings). In Ihrem Blog ist das natürlich gänzlich Ihnen überlassen, aber ich frage mich in dunklen Stunden schon wie Sie entscheiden was veröffentlicht wird.
[Tut mir ja sehr leid, Ihre dunklen Stunden. Ich entscheide unter anderem danach, wozu ich genügend belastbare Informationen vorliegen habe. Und dass ich als Ein-Mann-Betrieb auch nicht überbordende Ressourcen habe, ist vielleicht einsichtig. Es ist natürlich Ihnen überlassen, was Sie da hineingeheimnissen, aber ich frage mich – nicht in dunklen Stunden – schon manchmal, was Leute wie Sie glauben, was ich alles machen müsste und welche dunklen Geheimnisse mich bewegen, es nicht zu tun… T.W.]
@ stiller Mitflieger
Es sind natürlich nicht in jedem Kampfflugzeug die gleichen Schleudersitze verbaut.
Den Mk.16 von Martin Baker gibt es in unterschiedlichsten Anpassungen für verschiedene Flugzeuge.
Es ist immer besser, sein Risiko zu verteilen.
„Leute wie Sie“ ist aber keine freundliche Summierung meiner Einzelperson. :D
Um Ihre Frage zu beantworten:
Ich glaube da nicht an einer großen Verschwörung, sondern dachte einfach an Dinge wie Quellenschutz, oder dass gute Quellen darum bitten dazu nichts zu sagen, weil man sonst die Quelle schnell identifizieren könnte oder ähnliches. Es mag natürlich schlicht an Zeit oder fehlende Infos liegen, aber es wäre naiv das als einzigen Grund in Betracht zu ziehen.
Mann muss ja sagen:
Seit Jahren ist der Hubschrauber-SAR Dienst für See in Deutschland in desolatem Zustand (nur eine Seaking seit Jahren für Nord- und Ostsee, diese Oft am Boden, etc.), und seit beginn KW28 gibt es KEINEN SAR-HC von der Marine, eine BPol Maschine soll aushelfen (wieder nur eine für Nord- und Ostsee). Und da findet sich in diesem Blog nichts zu, da darf man doch seine Verwunderung ausdrücken?
[Verwunderung ja, das klang aber eher so, als würde ich sozusagen Nachrichten hier aktiv unterdrücken… Noch mal: Hinter AG steckt 1 Person mit begrenzten Ressourcen, deshalb finden manche Themen erstmal nicht oder verspätet statt. Und damit sollten wir diesen OT in diesem Thread einstellen. T.W.]
@Der Realist:
Wie stellen sich das vor? Wollen Sie etwa bei einer Anzahl von 140 dt. EF mehrere Varianten des MK 16 verbauen? Da freuen sich die Logistiker. Verschiedene Ersatzteilhaltung, unterschiedliche Schulungen für das Bodenpersonal, eventuelle Umbauten, wenn der Sitz in ein anderes Flugzeug verbaut wird, sowie Vervielfachung der tech. Dokumentation.
Da ist es sicher einfacher ein Qualitätsaudit beim Hersteller durchzuführen.
Es geht um eine nicht richtig befüllte Kartusche… Lässt sich schnell beheben und der technische Aufwand, im Vergleich zu anderen Wartungen am Fluggerät, überschaubar.
Die Kartuschen haben eh ein MHD, wie eine Dose Erbsensuppe…
Es ist dann letztendlich ein Sturm im Wasserglas.
@ Dilbert
Nein, habe ich auch nicht geschrieben.
Mehrere Kampfflugzeugtypen verteilen mein technisches Risiko. Auch wenn es vielleicht auf den ersten Blick teurer ist, als nur einen Typen einzusetzen.
@Der Realist:
Das hier zutage tretende Problem mit einem regelmäßig zu tauschenden / zu erneuernden Verschleißartikel hat doch mit der Entscheidung für ein bestimmtes Flugmuster nichts zu tun. Ich gehe außerdem davon aus, dass man potenziell fehlerhaft befüllte Kartuschen irgendwie (Gewicht? Druck? Chargennummer?) erkennen kann, wenn man die prüft.
Wenn in einem Gebäude die Feuerlöscher zu 20% fehlerhaft befüllt sind, ist das im Brandfall zwar doof, aber doch nicht die Schuld des Architekten oder des Bauunternehmers. Ich würde lediglich das Pflichtverständnis des Brandsicherheitsunternehmens unter die Lupe nehmen, der die Feuerlöscher für mich regelmäßig prüft und neu befüllt,
Neue Kartuschen her, austauschen und gut. Das muss gar nicht lange dauern oder viel kosten.
@ Metallkopf
Das ist hier kein rein deutsches Problem, sondern betrifft andere EF-Nationen ebenso. Ergo: Ein Problem des Schleudersitzherstellers, oder eben seines Zuliefereres. Aber kein Problem der Luftwaffe oder der Royal Air Force.
Solche technischen Probleme haben aber leider oft die Folge eines kompletten Groundings eines Musters.
Deshalb ist grundsätzlich der Einsatz nur eines Musters in einem kritischen Bereich abzulehnen, wenn man es sich leisten kann.
Mehr wollte ich nicht ausdrücken.
Könnte denn der nicht betroffene Tornado die Rolle als Alarmrotte übernehmen?
@Der Realist:
Nein, der Einsatz nur eines Flugmusters für eine bestimmte Rolle hat definitive, logistische Probleme, wie aber auch Vorteile.
Das Grounding ist nur temporär, Flugzeuge, deren Kartuschen nicht betroffen sind, werden nach erfolgter Kontrolle freigeschrieben. Der QRA ist ja auch weiterhin gewährleistet – und zwar mit Eurofightern!
Es handelt sich hier schließlich nicht um ein konstuktives Problem wie bei Boeings 737 Max, sondern um einen Qualitätsmangel bei einem – zugegeben wichtigen – aber doch relativ schnell ersetzbaren Teil des Schleudersitzes.
Bei einer Flotte aus mehreren Flugmustern hat man unter Umständen die gleichen Probleme auch, wenn nämlich beide verbauten Modelle an Schleudersitzen fehlerhaft gelieferte Kartuschen benutzen. Man ist damit vor solchen Kalamitäten keinen Deut sicherer. Wohl vor konstruktiven Fehlern, wie oben erwähnt, aber dafür gibt es schließlich auch bei der Einführung von neuen Flugzeugen intensive Tests, wenn nicht gerade Lockheed Reisen bezahlt, beim Wahlkampf hilft, oder den Prinzgemahlen der Niederlande schmiert.
Auch bei den Amerikanern ein Thema:
https://www.defenseone.com/threats/2022/07/air-force-grounds-most-f-35s-us-due-faulty-ejection-seats/375125/
‚ist wohl die gleiche Ursache.
Die Amerikaner überprüfen nun vorsichtshalber die Mehrzahl ihrer F-35, außerdem noch etliche T-38 und T-6 (www.defensenews.com). Da fehlt wohl hier und da Magnesium in den entsprechenden Patronen. Martin Baker muss sich warm anziehen…