Nach sieben Jahren ist der Weg frei für ein neues Sturmgewehr für die Bundeswehr

Fast sieben Jahre nach der grundsätzlichen Entscheidung, ein neues Sturmgewehr für die Bundeswehr zu beschaffen, scheint der Weg für den Vertrag über die Lieferung einer neuen Standardwaffe der Streitkräfte frei. Als vorraussichtlich letzte Instanz entschied das Oberlandesgericht Düsseldorf, das zwischenzeitlich als Lieferant vorgesehene Unternehmen C.G.Haenel dürfe von der Vergabe ausgeschlossen werden. Damit bleibt nur die Firma Heckler&Koch mit ihrem Gewehr HK416 als Anbieter übrig.

Mit der Entscheidung am (heutigen) Mittwoch wies der  Vergabesenat des OLG Düsseldorf formal die Beschwerde von Haenel gegen den Ausschluss vom Vergabeverfahren zurück und beendete damit rechtskräftig den juristischen Streit, an wen der Auftrag erteilt werden kann.

Aus der Mitteilung des Gerichts (zum besseren Verständnis: Antragstellerin ist die Firma C.G.Haenel, Antragsgegnerin das Bundesamt für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr und Beigeladene die Firma Heckler&Koch):

Unter der Leitung der Vorsitzenden Richterin am Oberlandesgericht Dr. Christine Maimann hat der Vergabesenat des Oberlandesgerichts Düsseldorf heute, am 22. Juni 2022, die Beschwerde der Antragstellerin zurückgewiesen (Aktenzeichen VII-Verg 36/21).
Sowohl die Antragstellerin als auch die Beigeladene hatten in dem von der Antragsgegnerin europaweit durchgeführten Vergabeverfahren zur Beschaffung neuer Sturmgewehre Angebote abgegeben. Mit Vorabinformationsschreiben vom 2. März 2021 informierte die Antragsgegnerin die Antragstellerin über ihre Absicht, diese vom Verfahren auszuschließen und den Zuschlag auf das Angebot der Beigeladenen zu erteilen. Zur Begründung führte die Antragsgegnerin unter anderem an, die von der Antragstellerin angebotene Waffe verletze ein Patent der Beigeladenen. Den hierauf gestellten Nachprüfungsantrag der Antragstellerin wies die Vergabekammer mit Beschluss vom 10.06.2021 zurück (Aktenzeichen VK 1 – 34/21).
Der Vergabesenat hat mit dem heute verkündeten Beschluss diese Entscheidung im Ergebnis bestätigt und die Beschwerde der Antragstellerin zurückgewiesen. Die Antragsgegnerin hat die Antragstellerin zu Recht wegen schwerer beruflicher Verfehlung in Gestalt einer vorwerfbaren Patentverletzung ausgeschlossen. Die Antragsgegnerin hat durch die von ihr eingeholten Gutachten eine Verletzung des Europäischen Patents EP 2 018 508 B 1, dessen Inhaberin die Beigeladene ist, durch das von der Antragstellerin angebotene Sturmgewehr MK 556 nachgewiesen.

Das Ergebnis des Verfahrens ist nicht unbedingt überraschend, die Begründung allerdings schon. Denn in der vorangegangenen – und auch vom Gericht angeführten – Entscheidung der Vergabekammer beim Bundeskartellamt hatte der Patentstreit zwischen den beiden Unternehmen nur eine untergeordnete Rolle gespielt: Die Vergabekammer hatte ihre Entscheidung darauf gestützt, dass nach späteren Berechnungen das Unternehmen Heckler&Koch doch das günstigere Angebot abgegeben habe – und das sei ausschlaggebend, nicht die Frage, ob ein Patent verletzt worden sei:

Über diesen Ausschluss aufgrund der angeführten Patentverletzung musste die Vergabekammer aber letztlich nicht entscheiden, da Haenel aus anderen Gründen für einen Vertragsschluss nicht mehr in Betracht kam: Eine erforderliche Neuberechnung des Angebotspreises von Haenel hatte ergeben, dass das Angebot des Unternehmens dem von Heckler & Koch in wirtschaftlicher Hinsicht unterlegen war.

Das Düsseldorfer Gericht sah das grundlegend anders, aber das Ergebnis ist das Gleiche: Das Suhler Unternehmen Haenel durfte von der Vergabe ausgeschlossen werden; der Vertrag zur Lieferung von rund 120.000 Sturmgewehren darf damit an Heckler&Koch gehen.

So weit war das Verfahren schon einmal. Im März 2021 hatte das Verteidigungsministerium mitgeteilt, Haenel werde – angegebener Grund damals: Patentverletzung – vom Verfahren ausgeschlossen,

Es ist beabsichtigt, den Zuschlag auf das Angebot des Unternehmens Heckler & Koch GmbH bezüglich des Gewehrs HK 416 zu erteilen.

Dagegen war Haenel juristisch vorgegangen, mit dem jetzt vorliegenden Endergebnis.

Heckler&Koch reagierte, wenig überraschend, positiv auf die Nachricht:

Der Bund hatte uns bereits am 2. März 2021 mitgeteilt, dass er nach Ablauf der Widerspruchsfristen beabsichtigt, uns den Zuschlag für das neue Sturmgewehr zu erteilen. Dem steht juristisch nun nichts mehr im Weg. Unser HK416A8 ist als Gewinner aus dem Ausschreibungsverfahren hervorgegangen.
Die zunächst vom Bund getroffene Entscheidung zugunsten unseres Wettbewerbers beruhte auf falschen Informationen. Dazu zählt unter anderem, dass unser Wettbewerber eine Waffe angeboten hat, die eines unserer Patente verletzt. Dies wurde auch durch Sachverständigengutachten der Bundeswehr Anfang 2021 bestätigt. Auch in dem parallel von uns geführten Patenverletzungsverfahren gegen unseren Wettbewerber bei dem zivil vertriebenen Gewehr CR223 kam das Landgericht Düsseldorf Ende 2021 zu dem Ergebnis, dass unser Patent verletzt wird. (…) Das HK416 hat sich bei fast allen Spezialkräften der Nato im Einsatz bewährt und dient bereits als Standardwaffe beim Kommando Spezialkräfte der Bundeswehr (KSK), in Frankreich und Norwegen sowie im U.S. Marine Corps.

(Fürs Archiv die komplette Mitteilung:
20220622_Heckler_Koch_OLG_DS_Sturmgewehr)

Nach Angaben des Verteidigungsministeriums soll nun der endgültige Vertrag mit Heckler&Koch ausgehandelt und dem Haushaltsausschuss des Bundestages nach der Sommerpause zur Freigabe vorgelegt werden.

Damit endet ein jahrelanger Streit um die Beschaffung eines Waffensystems, das – im Vergleich z.B. zu einem Kampfjet oder einem Kriegsschiff – vergleichsweise unkompliziert ist, zumal am Ende eine Waffe off the shelf, wie vom Hersteller angeboten, beschafft wird. Ausgelöst hatte das Verfahren die Aussage der damaligen Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen im Jahr 2015, das derzeitige Standardgewehr der Bundeswehr, das G36 von Heckler&Koch, habe in seiner derzeitigen Form keine Zukunft in der Bundeswehr. Vorangegangen waren Hinweise auf Probleme mit der Waffe bei Hitze-Einsätzen vor allem in Afghanistan.

Im September 2015 teilte die damalige Rüstungs-Staatssekretärin Katrin Suder dem Bundestags-Verteidigungsausschuss die Entscheidung zur Beschaffung eines neuen Sturmgewehrs mit. Die rückblickend optimistische Aussage: Nach erster Abschätzung könnte, bei Marktverfügbarkeit einer Lösung, ab 2019 mit einer Ablösung der ersten Gewehre G36 begonnen werden.

Daraus wurde aus verschiedenen Gründen nichts. Zwar schrieb die Bundeswehr, genauer: das BAAINBw, die geplante Beschaffung von 120.000 neuen Sturmgewehren im April 2017 europaweit aus. Zwar entschied sich die Behörde bereits im Oktober 2017 für das HK416 von Heckler&Koch als neue Waffe für das Kommando Spezialkräfte (eingeführt als G95)  – nicht aber als neue Standardwaffe für die Bundeswehr insgesamt.

Diese Entscheidung fiel dann erst im September 2020. Und sie fiel, zur Überraschung mancher, gegen Heckler&Koch aus: C.G.Haenel sollte den Auftrag für seinen MK556 (Maschinenkarabiner im Kaliber 5,56mm) erhalten.

Auf diese Entscheidung folgte die juristische Auseinandersetzung, vor allem um Patentfragen. Dabei ging es nicht zuletzt um das so genannte over the beach-Patent von Heckler&Koch, also vereinfacht gesagt um die Frage, ob und wie die kleinen Löcher patentrechtlich geschützt sind, aus denen Wasser aus der Waffe ablaufen kann.

Diese Patentfrage ist letztendlich noch nicht entschieden. Aber das spielt nun auch keine wesentliche Rolle mehr: Der heutige Beschluss, so teilte das OLG Düsseldorf mit, sei rechtskräftig.

(Archivbild Juni 2020: A Norwegian soldier of the Telemark Battalion fires his HK416 using blank rounds to clear a building at Al Asad Air Base – U.S. Army photo by Spc. Derek Mustard)