Deutschland verstärkt Truppenpräsenz im Baltikum: aus eFP wird iFP (Nachtrag: Kommunique Scholz/Nauseda)
Vor dem Hintergrund des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine will Deutschland seine Bundeswehr-Präsenz im Baltikum verstärken. Die von Deutschland geführte NATO-Battlegroup, die enhanced Forward Presence (eFP) soll zu einer intensivierten vorgeschobenen Präsenz, einer intensified Forward Presence (iFP) ausgebaut werden, zunächst mit der Stationierung eines vorgeschobenen Brigadekommandos.
Die Bundeswehr beteiligt sich seit Februar 2017 mit der Führung einer NATO-Battlegroup in Litauen an der eFP-Aktivität des Bündnisses, in deren Rahmen in den drei baltischen Staaten und in Polen rotierend Truppen aus anderen Mitgliedsstaaten der Allianz im Einsatz sind. Nach dem russischen Überfall auf die Ukraine Ende Februar verlangen vor allem Estland, Lettland und Litauen mehr Engagement und mehr NATO-Truppen in ihren Ländern, insbesondere die Vergrößerung der bisherigen Battlegroup von Battaillonsstärke auf eine Brigade.
Beim seinem Besuch in Litauen am (heutigen) Dienstag vereinbarte Bundeskanzler Olaf Scholz mit Präsident Gitanas Nausėda eine schrittweise Aufstockung der Bundeswehrpräsenz in dem baltischen Land. Deutschland sei bereit, eine robuste und kampfbereite Brigade zur Abschreckung und Verteidigung gegen eine russische Aggression zu führen. Dafür sollen zunächst ein Kommandoelement sowie deutsche Kampftruppen im Land stationiert werden, ergänzt um Einheiten aus anderen NATO-Staaten. Langfristig soll diese Einheit auf eine komplette Kampfbrigade aufwachsen.
Damit zeichnet sich eine erhebliche Verstärkung des bislang rund 1.000 deutsche Soldatinnen und Soldaten umfassenden Engagements im Baltikum ab. Insgesamt umfasst die NATO-Battlegroup im Rahmen der enhanced Forward Presence unter deutscher Führung derzeit rund 1.700 Soldaten.
Offen bleibt derzeit allerdings noch, ob sich Deutschland – im Unterschied zu anderen NATO-Mitgliedern wie Litauen – noch an die NATO-Russland-Grundakte gebunden fühlt und eine dauerhafte Stationierung substanzieller Kampftruppen auf dem Gebiet des ehemaligen Warschauer Vertrags ablehnt. Bislang wechseln im halbjährlichen Rhythmus nicht nur die deutschen Einheiten in Litauen, sondern auch ihre Waffensysteme wie z.B. Kampfpanzer werden ausgetauscht.
Nachtrag: Die gemeinsame Erklärung des Kanzlers und des Präsidenten in der englischsprachigen Originalfassung (eine deutsche Version gibt es bislang offensichtlich nicht):
Joint communiqué
The President of the Republic of Lithuania, Mr Gitanas Nausėda, and the Chancellor of the Federal Republic of Germany, Mr Olaf Scholz, met in Vilnius on June 7, 2022. The President welcomed the visit of the German Chancellor, including to the German troops based in Pabradė as part of the enhanced Forward Presence by NATO.
In light of the Russian war against Ukraine, which has shattered decades of peace in Europe and acknowledging that Russia is and, on the current trajectory, will remain a long term military threat, both leaders reconfirmed their committment to the collective defence of all Allies as enshrined in the Washington Treaty. They emphasized that NATO’s posture requires a longer-term adaptation reflecting the changed security environment in the euro-atlantic area.
Both leaders shared the ambition to further strengthen the Eastern part of NATO, in order to ensure the continued credible deterrence and defence of the Alliance. In this vein, and in light of decisions to be taken at the NATO Summit in Madrid at the end of June, both leaders agreed that, in addition to the current and reinforced enhanced Forward Presence Battle Group already in place,
• Germany is ready to lead a robust and combat-ready brigade in Lithuania dedicated to deter and defend against Russian aggression. Initially, led by a permanently deployed Brigade Forward Command Element in Lithuania, this brigade will consist of German combat forces specifically designated for this purpose, potentially augmented by possible multinational contributions, to form a powerful and exclusively dedicated combat formation ready to be rapidly de- and employed. These forces will be integrated into a regionally focused, intensive and comprehensive exercise program including rotating forces and Lithuanian Home Defence Forces in order to improve and ensure interoperability, cohesion, combat effectiveness and the ability for rapid reinforcement.
• Lithuania will support the instantaneous reaction and sustainability of this intensified Forward Presence. Essential components will include adequate Host Nation Support, infrastructure for stockpiling and predisposition of military equipment as well as adequate exercise and training facilities.
The President and the Chancellor agreed that this approach provides a framework to balance military requirements, operational needs and ressources, thus ensuring a sustainable, credible, and scalable reinforcement of the military posture in the Baltic region, which allows to scale up the Allied in place forces up to brigade size in the longer term. They welcomed that their Ministers of Defence will work to jointly implement this framework.
They noted with satisfaction that this is yet another proof of the excellent level of co-operation between Lithuania and Germany, both as NATO Allies and bilaterally.
(Archivbild: Lagebesprechung des Flugabwehr-Zuges mit dem Leichten Flugabwehrsystem der Luftwaffe bei der Übung Iron Wolf in Litauen im Mai 2022)
Es wird in der Tat Zeit die NATO-Russland-Grundakte endlich für tot zu erklären. Anhand der russischen, reellen Bedrohung wäre das ein wichtiges Zeichen für die osteuropäischen Länder.
Falls die Frage bereits beantwortet wurde, bitte ich um Entschuldigung. Aber von welcher Größenordnung reden wir bei „substanzieller Kampftruppen“? Brigade? Division? Von der Größe der Streitkräfte des entsendenden Landes abhängig?
Genau die richtige Entscheidung…
Die VJTF Brigade wird dann quasi zur Dauerlösung !!
die baltischen Staaten dürften sich so ausreichend geschützt fühlen…
um das durchzuhalten benötigt die Bundeswehr jedoch 2-3 Brigaden die Vollausstattet auf dem Niveau der VJTF agieren können!
Gute Nachrichten! Nur um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: eine dauerhafte Stationierung der vollständigen Brigade in Litauen ist auch langfristig ggw. nicht geplant, sondern es geht um verzugslose Verstärkung im Krisenfall der Vornepräsenz durch eine designierte Kampfbrigade.
Einerseits ein logischer Schritt, andererseits gibt es aktuell schon zu wenig Unterkunftskapazitäten und deutlich zu wenig Übungsräume für die aktuelle Truppe. Es ist jetzt schon so, dass man dort kaum zum üben kommt, denn selbst wenn man dort ÜbRäume bucht wird man häufig kurzfristig von Litauern oder Amerikanern runtergeworfen und kann dann nichts anderes tun, als TD oder Sport. Das ist auf Dauer schon sehr stumpfsinnig und wenig zielführend. Möchte man dort die Präsenz erhöhen sollte man die Unterkunfts- und Übungskapazitäten vorher deutlich erhöhen. So ist das sonst ein nettes politisches Signal, das wir in der Truppenebene wieder mal ausbaden dürfen und zu noch mehr Unmut über unsere politische Führung führt. Wenn man schon über ein halbes Jahr weg von zuhause ist möchte man schließlich auch einen messbaren sinnvollen Auftrag haben, dazu gehört sich dort ordentlich beüben zu können.
Wo das Material und Personal dafür herkommen soll wird auch eine interessante Frage. Für VJTF und die aktuellen eFP Rotationen wurde schon über die Division hinaus andere Verbände geplündert. Scheinbar hat man in der oberen Führung immer noch eine deutlich andere Wahrnehmung der aktuellen Einsatzbereitschaft
@Andreas S sagt: 07.06.2022 um 12:37 Uhr
Es steht doch ganz klar im Text des Hausherrn „Deutschland sei bereit, eine robuste und kampfbereite Brigade zur Abschreckung und Verteidigung gegen eine russische Aggression zu führen.“
Und das hat mit dem entsendenden Staat auch wenig zu tun. Wie die Battlegroup auch wird diese Brigade multinational sein, die Lead-Nation (hier DEU) wird den Kern und die Führung stellen. der „Rest“ kommt dann von anderen Nationen.
Aus meiner Sicht hat sich das Thema NATO-Russland-Grundakte erledigt. Wir sollten zügig fest ausgestattete multinationale Brigabe unter deutscher Führung auf den Weg bringen und uns die Logistikkosten für den ständigen Materialringtausch sparen. Das Geld kann dann sicher sinnvoller verwendet werden. (z.B. für Munition ;-) )
Die NATO-Russland-Grundakte schloss NIE eine Truppenstationierung auf dem Gebiet der „neuen“ NATO-Staaten aus. Lediglich ATOMwaffen sollten dort nicht stationiert werden.
Russland hat als einziger bisher gegen die Vereinbarungen der Grundakte verstossen, indem es die Krim annektiert hat, und ebenfalls versucht Teile der Ukraine im Osten (Donbass) zu annektieren., und hat ebenfalls gegen Minsk 1 und 2 sehr zeitbah gebrochen.
Nur um hier keine Taeter-Opfer-Umkehr zu betreiben bzw. zu dulden
MkG
Eisensoldat
[Na, die Formulierung mit dem „Dulden der Täter-Opfer-Umkehr“ überdenken Sie noch mal. Sonst denke ich auch noch mal über Duldungen nach.
Der Wortlaut zu dem Thema aus der NATO-Russland-Grundakte:
Die NATO wiederholt, dass das Bündnis in dem gegenwärtigen und vorhersehbaren Sicherheitsumfeld seine kollektive Verteidigung und andere Aufgaben eher dadurch wahrnimmt, dass es die erforderliche Interoperabilität, Integration und Fähigkeit zur Verstärkung gewährleistet, als dass es zusätzlich substantielle Kampftruppen dauerhaft stationiert. Das Bündnis wird sich dementsprechend auf eine angemessene, den genannten Aufgaben gerecht werdende Infrastruktur stützen müssen. In diesem Zusammenhang können, falls erforderlich, Verstärkungen erfolgen für den Fall der Verteidigung gegen eine Aggressionsdrohung und für Missionen zur Stützung des Friedens im Einklang mit der Charta der Vereinten Nationen und den Leitprinzipien der OSZE sowie für Übungen im Einklang mit dem angepassten KSE-Vertrag, den Bestimmungen des Wiener Dokuments von 1994 sowie gegenseitig vereinbarten Transparenzmassnahmen. Russland wird sich bei der Dislozierung konventioneller Streitkräfte in Europa entsprechende Zurückhaltung auferlegen.
https://www.nato.int/cps/en/natohq/official_texts_25468.htm?selectedLocale=de
T.W.]
@obibiber
Das ist ja auch geplant ab 2025. Siehe Tagesbefehl des GI vom 24.05.22
Zitat: „Für unsere Landstreitkräfte bedeutet dies, dass wir bereits ab 2025 dauerhaft eine Division innerhalb von 30 Tagen im Rahmen der Bündnisverteidigung bereitstellen werden.“
@Ampelmännchen
Eine Frage: wo haben Sie diese Information her?
Denn das erste, was die Russen machen werden, ist eine Verbindung zwischen Kaliningrad und Belorus durch das Sulwaki-Gap herzustellen. Wie sollen die Reste der Brigade dann nach Litauen kommen. Und überhaupt: Bei den 48h+, die die Russen benötigen, um zumindest bis zur litauischen Hauptstadt vorzustoßen, würden auch die vor-Ort-Brigadeteile nur einen weiteren Stolperstein darstellen. ICh glaube nicht, dass die Litauer mit einer solchen Lösung einverstanden wären.
@DD: […]andererseits gibt es aktuell schon zu wenig Unterkunftskapazitäten und deutlich zu wenig Übungsräume für die aktuelle Truppe.“
In dem Zusammenhang ist ja der Bau einer Kasernenanlage in Rukla geplant, auch um den dortigen Truppenübungsplatz effektiver nutzen zu können. Wurde zumindest im Dezember angekündigt. Vermutlich wird dieses Projekt jetzt beschleunigt.
Ich habe es so verstanden, daß es sich zunächst um ein (vorgeschobenes) Stabselement handelt. Welche Kräfte dann noch hinzutreten ist offen, sowie auch die truppenstellenden Nationen.
Daß es ein vollständiger Brigadestab wird kann ich mir nicht vorstellen, eher wird der aktuelle Stab eFP etwas aufgebohrt bzw. angereichert.
@StMarc: Schnarch, immer dieselbe Mär vom russischen Sicherschnitt durch’s Suflaki Gap, die sich bei Hobbyoperateuren und -strategen leider immer noch großer Beliebtheit erfreut. Da helfen weder Verweise auf Strategie, russische Doktrin, die Landkarte, Ausrichtung der russischen Landstreitkräfte usw. usw. Manche Geschichten sind einfach nicht klein zu kriegen.
Dass die Brigade nicht immer vor Ort sein soll, ergibt sich doch aus dem Text und den Pressemeldungen dazu.
Selbst wenn man die Baumaßnahmen beschleunigen will , ist in den nächsten anderthalb Jahren nicht mit einer Besserung zu rechnen . Der nächste punkt der außer acht gelassen wird ist das die Einheiten auch mal abgelöst werden müssen . Wo soll das Personal herkommen dafür ? Das die Motivation nicht besonders hoch ist bei Einheiten die schon mal in der Rotation waren ist verständlich . Einen Sinn ist den betroffenen Soldaten auch nicht mehr zu vermitteln , vor allem wenn sie schon mal eine Rotation mitgemacht haben . Am Ende wird es wieder kommen wie in Afghanistan das Panzertruppe oder Artillerie Aufgaben der Infanterie übernimmt .
@all – (Archivbild: Lagebesprechung des Flugabwehr-Zuges mit dem Leichten Flugabwehrsystem der Luftwaffe bei der Übung Iron Wolf in Litauen im Mai 2022)
was zeigt uns das Foto – nichts anderes, als das es trotz digitalisierung in der gefechtsebene, einem taktischen führungsstab und operativen ebene in der betrachtung und arbeit auf der langfristigen ebene bei einer gedruckten karte bleibt – es hat sich nichts geändert, egal wie sich einige mit „neuen“ technischen lösungen winden
gefecht bleibt gefecht, und damit die motivation des jeweils einzelnen – oder auch die Über die Maßnahmen zur Überwindung der Trunksucht und des Alkoholismus Am 5. Mai 1985 und die Dedowschtschina, beides etwas was auch in Deutschland nicht ganz unbekannt ist
@all
Gibt eine Neufassung, bitte ggf. dort weiter debattieren.