Rechtsextremismus-Verdacht und „abartige Rituale“ beim Wachbataillon – Eine Kompanie aus dem Protokolldienst abgezogen (Neufassung, m. Nachtrag)

Verteidigungsministerium und Bundeswehr prüfen Verdachtsfälle auf rechtsextremistischen Hintergrund sowie abartige Trink- und Aufnahmerituale im Wachbataillon, dem protokollarischen Aushängeschild der Streitkräfte.  Eine komplette Kompanie wurde vorerst aus dem Protokolldienst herausgenommen, mehrere Vorgesetzte vom Dienst entbunden.

Von den Vorwürfen sind vor allem Soldaten der 2. Kompanie des Bataillons betroffen. Wie das Ministerium dem Verteidigungsausschuss des Bundestages mitteilte, konkretisierte sich insbesondere der Rechtsextremismusverdacht zu Beginn dieser Woche: Mindestens sechs Soldaten sollen in einer Gruppe, die sich selbst als Wolfsrudel bezeichnete, mit rechtsextremistischen Verhaltensweisen aufgefallen sein.

Als Beispiele dafür nannte das Ministerium das Tragen von T-Shirts mit einer Schwarzen Sonne und der Aufschrift Sonnenstudio 88, beides offensichtliche Bezüge zum Nationalsozialismus, und der Rückenaufschrift Wir sind braun. Andere Soldaten des Wachbataillons asiatischer Abstammung sollen als Fidschi oder Schlitzauge diffamiert worden sein. Hinzu kämen entwürdigende Aufnahmerituale wie Anurinieren unter der Dusche, Faustschläge gegen die Leber oder Anzünden von Körperteilen mit Feuerzeug und Zigarette, heißt es in dem Bericht von Staatssekretär Gerd Hoofe. Einzelnen Mitgliedern dieser Gruppe sei bereits die Ausübung des Dienstes und das Tragen der Uniform verboten worden.

Über die Hinweise auf diese Gruppierung hinaus habe es im Wachbataillon in diesem Jahr weitere Meldungen zu Vorkommnissen mit rechtsextremistischem Hintergrund gegeben, die allerdings mit der Gruppe nicht in Zusammenhang stünden. Zudem gebe es Hinweise auf weitere Verstöße gegen die sexuelle Selbstbestimmung. Beispielhaft nannte das Ministerium unter anderem Fotos mit Wehrmachtsuniformen und der Besitz von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen oder die Diffamierung von Musik, die Untergebene hörten, als scheiß Islam Musik.

Insgesamt gibt es nach Ministeriumsangaben allein für den Bereich Rechtsextremismus rund ein Dutzend Prüf- und Verdachtsfälle im Wachbataillon, von 1.159 Fällen in der Bundeswehr insgesamt. Allerdings stünden diese Fälle nach derzeitigen Erkenntnissen nicht in einem übergreifenden Zusammenhang.

Als erste Konsequenz wurde nach Angaben des Ministeriumssprechers die betreffende Kompanie aus dem Protokolldienst herausgenommen. Dennoch, so versicherte das Ressort den Abgeordneten, seien die vorgesehenen protokollarischen Einsätze des Wachbataillons im Oktober nach derzeitiger Planung sichergestellt. Das Wachbataillon wird den nächsten größeren öffentlichkeitswirksamen Auftritt beim Rückkehrerappell für die Afghanistan eingesetzten Soldat*innen und beim anschließenden Großen Zapfenstreich am 13. Oktober haben.

Der überwiegende Teil der Vorwürfe betreffe zwar Mannschaftsdienstgrade; allerdings seien auch einzelne Vorgesetzte zunächst von ihren Funktionen entbunden worden, sagte Ministeriumssprecher Collatz. Diese Vorfälle beschämen uns alle zutiefst. Sie schädigten nicht nur das Ansehen der Bundeswehr, sondern gefährdeten auch den Zusammenhalt in der militärischen Gemeinschaft und damit letztendlich die Einsatzbereitschaft der Streitkräfte.

Über die Vorfälle hatte zuerst der Spiegel berichtet.

Nachtrag 1: Die Wehrbeauftragte Eva Högl äußerte sich nach einem Besuch beim Wachbataillon am (heutigen) Freitag:

Heute Vormittag war ich beim Wachbataillon, um mich über den Stand der Ermittlungen und die Hintergründe der Fälle des Verdachts von Rechtsextremismus, Verstößen gegen die sexuelle Selbstbestimmung und unkameradschaftlichem Verhalten zu informieren. Bisher gibt es keine Bestätigung einer verfestigten rechtsextremen Gruppe innerhalb des Wachbataillons. Bei meinen Gesprächen mit dem Kdr Territoriale Aufgaben, General Breuer, dem stellv. Kdr TA und Standortältesten Berlin, General Henne, dem Kdr des Wachbataillons, OTL i.G. Beinke, dem Wehrdisziplinaranwalt sowie der Chefs und Spieße habe ich einen guten Eindruck vom Gang der Ermittlungen, die zügig, gründlich und konsequent geführt werden, und den bisher ergriffenen Maßnahmen gewonnen. Es ist wichtig, dass weiter aufgeklärt und schnell sanktioniert wird und dass Sensibilisierung und Prävention intensiviert werden. Es gibt zum jetzigem Zeitpunkt keinen Grund, an der Professionalität, Zuverlässigkeit und Verfassungstreue des Wachbataillons zu zweifeln.

Nachtrag 2: Die Aussagen von Collatz in der Bundespressekonferenz im Wortlaut:

Ich möchte Sie an dieser Stelle darüber informieren, dass wir seit einigen Tagen und Wochen in den Reihen von Soldaten des Wachbataillons wegen sehr schwerwiegender Vorwürfe zu ermitteln hatten, und der Sachstand der Ermittlungen lässt es angezeigt erscheinen, sowohl das Parlament zu informieren – was auch in diesen Minuten geschieht – als auch die breitere Öffentlichkeit.

Es geht – einmal wieder, muss man sagen – um ziemlich abartige Trink- und Aufnahmerituale, es geht um sexualisierte Gewalt und Übergriffigkeit, es geht um rechtsextremistische Vorfälle. Das erfüllt uns natürlich mit Sorge. Wir gehen diesen Fällen mit aller Härte nach, und ich kann Ihnen an dieser Stelle auch erste Konsequenzen mitteilen. Es ist ja auch aus rechtlichen Aspekten immer schwierig, hier zu Einzelfällen etwas in die Öffentlichkeit zu geben, aber ich kann Ihnen sagen, dass eine Kompanie, eine Einheit, die hier besonders auffällig geworden ist, aus dem protokollarischen Dienst herausgenommen wurde. Diese Einheit wird also bis auf Weiteres, bis es zu einer endgültigen Klärung der Vorhalte gekommen ist, nicht mehr im Protokolldienst, bei protokollarischen Veranstaltungen, eingesetzt. Natürlich werden auch Vorgesetzte, denen hier schuldhaftes Verhalten vorgeworfen wird, vorerst von ihren Funktionen entbunden.

Diese Vorfälle, die ich Ihnen hier zur Kenntnis gebe, beschämen uns alle zutiefst. Es ist für uns Soldatinnen und Soldaten, auch für mich als uniformierten Menschen in der Bundeswehr, schwer erträglich, dass es erneut und in einigen Verbänden eben auch gehäuft zu Vorfällen dieser Art kommt – und dann auch schon wieder in einem rechtsextremen Kontext. Wer als rechtsextrem oder durch Gewalttaten auffällt, wer die Würde seines Gegenüber nicht achtet, wer Hass sät, der schädigt nicht nur – was schon schlimm genug ist – das Ansehen der Bundeswehr. Die Auswirkungen eines solchen Verhaltens gehen vielmehr viel tiefer. Das bedeutet immer auch eine Spaltung der Gemeinschaft in der Bundeswehr, wie es auch in der Gesellschaft bei solchem Verhalten zu betrachten ist.

Eine militärische Gemeinschaft – das möchte ich hier auch besonders betonen und hervorheben – ist immer und in besonderem Maße auf den Zusammenhalt der Menschen in der Bundeswehr angewiesen, unabhängig von Herkunft, Geschlecht, Hautfarbe oder Religion. Wir nennen das Kameradschaft – zivil spricht man hier von Solidarität oder einer Solidargemeinschaft. Wer sich extremistisch und menschenfeindlich äußert, greift diese Solidargemeinschaft in der Bundeswehr, genannt Kameradschaft, an. Er verhält sich unkameradschaftlich und begibt sich aus dieser Gemeinschaft heraus. Er gefährdet – das ist deswegen auch mit besonderer Härte zu verfolgen – unsere Einsatzbereitschaft.

Wir werden deswegen alle rechtlichen Möglichkeiten ausschöpfen, um Personen, die die Menschenwürde der Kameradinnen und Kameraden nicht achten, aus der Bundeswehr zu entfernen. In besonderem Maße gilt das natürlich für Rechtsextremismus. Mir ist es wichtig deutlich zu machen, dass wir eine Nulltoleranzlinie verfolgen. Bei der geht es nicht nur darum, das Ansehen der Bundeswehr zu wahren, sondern eben, wie ich deutlich gemacht habe, insbesondere den Zusammenhalt und die Funktionsfähigkeit der Bundeswehr.

Frage: Herr Collatz, wie ist man auf das Wachbataillon aufmerksam geworden? Um wie viele Soldaten – ich gehe einmal nicht davon aus, dass es um Soldatinnen geht – geht es hier?

Collatz: Der Sachverhalt ist noch nicht vollständig ausermittelt. Wir haben das Wachbataillon an dieser Stelle aufgrund von Vorfällen ja schon einmal als Thema gehabt; auch medial ist es bereits seit dem Frühjahr dieses Jahres in Erscheinung getreten. Das hat zu internen Ermittlungen geführt, und diese internen Ermittlungen haben weitere Kontexte hervorgehoben, die wir dann auch ausermittelt haben. In diesem Zuge kam es jetzt zu weiteren Verdächtigungen. Wir sind dort im Bereich mehrerer Dutzend.

Zusatzfrage: Um welches Wachbataillon geht es genau?

Collatz: Es gibt nur eins – das Wachbataillon der Bundeswehr.

Frage: Um das einordnen zu können: Sie haben eben gesagt „Wir sind dort im Bereich mehrerer Dutzend“. Können Sie sagen, wie viele Mitglieder das Wachbataillon insgesamt hat beziehungsweise um welche Größenordnung es da geht?

Collatz: Knapp tausend ist die Stärke des Wachbataillons.

Frage: Geht es denn nur um einfache Soldaten oder auch um Offiziere, Führungsoffiziere?

Collatz: Abschließend kann ich das noch nicht sagen. Der Schwerpunkt ist, wie das so oft zu verzeichnen ist, tatsächlich im einfachen Dienst zu sehen. Es gibt aber, wie ich es deutlich gemacht habe, auch bereits Erkenntnisse über Vorgesetzte, die dort unter Verdacht stehen.

Zusatzfrage: Gab es schon irgendwelche personellen Konsequenzen?

Collatz: So, wie ich es aufgezählt habe: Diejenigen Vorgesetzten, die im Verdacht stehen, werden aus ihrer Funktion als Vorgesetzte herausgenommen, und eine weitere Konsequenz ist – das ist aber eher organisatorischer Art -, dass eine Kompanie aus dem protokollarischen Dienst herausgenommen wird.

(Archivbild Februar 2015: Soldaten des Wachbataillons beim Antreten im Rahmen des Besuchs des BundesprŠsidenten in der Julius-Leber-Kaserne in Berlin – Jana Neumann/Bundeswehr)