Aufständische greifen Mobilfunkstationen in Mali an (wie die Taliban in Afghanistan)
Es kommt einem so vor, als hätte man das schon mal gelesen: In entlegenen Regionen des dünn besiedelten Landes sprengen Aufständische die Übertragungsstationen und Funkmasten der Mobilfunknetze. Vor allem, damit die Bevölkerung Informationen über ihre Aktionen nicht an die Sicherheitskräfte weitergeben kann. In der Tat gab’s das vor Jahren schon: Was damals Taktik der Taliban in Afghanistan war, ist nun immer häufiger in Mali zu beobachten.
Die Meldung dazu kam am (heutigen) Mittwoch auf der Webseite Rest of ‚World – Reporting Global Tech Stories:
Attacks on cell towers across northern and central Mali have seriously disrupted internet, phone, and money transfer services across large swathes of the country. In some cases, residents are completely cut off for days and weeks at a time before service flickers back on, briefly, before cutting out again. (…)
The attacks on antennas operated by Orange and Moov Africa — the two main telecommunications providers in the country — are a new intrusion of the country’s ongoing war into civilian life, as residents describe themselves as “cut off from the world.”
Das erinnert mich sehr an die Geschichte, die ich hier vor fast elf Jahren aufgeschrieben habe:
Abends um sieben schweigen die Handys: Im Gebiet um Kundus haben die Taliban erzwungen, dass die Mobilfunkunternehmen die Signale abschalten – ab etwa 19 Uhr lässt sich über das landesweite Netz von Roshan und anderen Firmen in vielen Gebieten Afghanistans nicht mehr telefonieren (in Kundus funktioniert dann nur noch ein Mobilfunknetz, dessen Sendestation auf einem bewachten Grundstück der Polizei steht, diese eine Sendestation hat natürlich nur eine begrenzte Reichweite). Die Aufständischen verlangen die Abschaltung, um sich nachts sicherer bewegen zu können – ohne Handy können ihre Bewegungen nicht an die afghanische Polizei oder ISAF gemeldet werden, außerdem verlässt sich die Polizei mangels anderer Kommunikationswege oft auf das Handy-Netz für die eigene Kommunikation. Und die Mobilfunk-Signale der Taliban, von denen natürlich auch viele ein Handy besitzen, können nicht mehr zur Ortung der Aufständischen genutzt werden.
Es scheint, bislang jedenfalls, einen wesentlichen Unterschied zu geben: In Afghanistan verlangten die Taliban über die Jahre immer wieder die nächtliche Abschaltung – und wenn die Mobilfunkunternehmen nicht kooperierten, wurden die Masten gesprengt; bisweilen kam es sogar zu tödlichen Feuergefechten mit Wachleuten an diesen Funkstationen. Tagsüber dagegen schien das kein Problem, vermutlich wollten die Aufständischen selbst auf diese Kommunikationsmöglichkeit nicht verzichten.
In Mali, so der Bericht, wird dagegen sofort gesprengt. Was deutlich gravierendere Auswirkungen auf die Bevölkerung hat: Jegliche Kommunikation, für die Wirtschaft wie für den Bankkunden, ist nicht mehr vorhanden. Und die örtlichen Sicherheitskräfte sehen noch nicht mal die Möglichkeit, auch nur den Versuch zu machen, die Funkstationen gegen solche Angriffe zu sichern.
(Archivbild 2014: Ein Mobiltelefon-Laden in Gao im Norden Malis – Marco Dormino/MINUSMA)
Das Stören der Kommunikation des Gegners ist ein probates Mittel in Konflikten. Nicht umsonst gibt es z.B. in der Fernmeldetruppe die ELOKA.
Hier im vorliegenden Fall erschwert es das Sammeln von Informationen, sprich aufklären des Gegners. Sprengen ist ein Mittel, es würde auch einfach genügen, die Stromversorgung zu kappen, dann ist das Netz tot.
Es gibt ja noch die technische Möglichkeit eines Pop-up Networks. Eine oder mehrere Drohnen kreisen im Wechsel über dem betroffenen Gebiet und stellen APs per Funk und somit letztlich Kommunikationswege zur Verfügung. So etwas könnten wir übrigens auch für uns in Deutschland und die Bundeswehr sehr gut gebrauchen, wenn es mal wieder zu katastrophalen Naturereignissen kommt. Stichworte: Fallback Notfallkommunikation
Link dazu: https://eandt.theiet.org/content/articles/2020/09/communications-in-crisis-can-5g-drones-help-save-the-day/
Unabhängig vom Verlauf der folgenden Kommentierungen: die Betreuungskommunikation (VPN-gesichert & ausschließlich für private Kommunikation vorgesehen) ist seitens des Rahmenvertragspartners glücklicherweise über eine Breitband-Satelliten-Anlage sichergestellt.
Offensichtlich gibt es auf der Seite der Terroristen eine effiziente „globale Lernkurve“. Hoffentlich gibt es diese auch bei den internationalen Truppenstellern. Zweifel sind leider angebracht.
@Pio-Fritz
Die Fernmeldetruppe ist eine Truppengattung des Heeres.
Die Elektronische Kampfführung, in Bataillonen gegliedert, gehört zum Kommando Cyber- und Informationsraum und ist dort dem Kommando Strategische Aufklärung unmittelbar nachgeordnet. Es sind Verbände der Fernmelde- und Elektronischen Aufklärung sowie des Elektronischen Kampfes der Bundeswehr.
@ PioFritz:
Dass die EloKa Teil der Fernmeldetruppe (des Heeres) ist, ist schon seit ein paar Monden Vergangenheit ;-).
Die EloKa ist beim OrgBer CIR, wie auch die übrigen IT-Bataillone (ehem. FüUstgBtl der SKB) und die Fernmeldetruppe des Heeres macht gerade Klimmzüge, um wieder halbwegs LV/BV-fähig zu werden, Stichwort Division 2027.
Aber das ist ja das gute, wenn man Fernmeldetechnik aus den 80er Jahren hat – da tut ein Angriff auf das Mobilfunknetz nicht ganz so weh ;-).
@Löwenpower sagt: 28.10.2021 um 12:39 Uhr
Welche Lernkurve bei den Truppenstellern soll es denn Ihrer Meinung nach geben? Die können kommunizieren und sind auf das malische Netz nicht angewiesen. Sollen die jeden Mast schützen? Wieviele Soldaten möchten Sie dafür aufbieten? KRITIS ist schwer zu schützen und mit hohem Aufwand verbunden.
Bei der fernmeldetechnischen Knappheit und Lage der (deutschen) Streitkräfte ist es nur folgerichtig, dass man die zivile, da funktionierende Infrastruktur, sabotiert, um die Führungsfähigkeit des „Besatzers“ einzuschränken.
Wundert mich, dass man das nicht schon vorher gemacht hat, aber wahrscheinlich wurde die zivile Infrastruktur bis vor Kurzem noch vom saboteur selbst genutzt, der mittlerweile wohl andere Kommunikationsmittel zu haben scheint…
@Pio-Fritz: soldatisch gedacht ja, aber terroristisch gedacht auch? Das Sprengen ist eher eine Zermürbungstaktik gegen die Zivilbevölkerung. Die spüren so die Präsenz der asymmetrischen Partei am neuralgischen Punkt der Kommunikation.
Beim Strom kämen dann symmetrische Parteien und signalisierten: Seht, wir kümmern uns! Sind die Masten zerstört dauert das kümmern länger und ist Zeit und Ressourcenintensiver, ein zusätzliches leichtes Angriffsziel bei vorliegender Raid-Taktik mit Motorrad und Pickup.
Und welche Gruppen machen dies? Und ist dass der Anfang von einer größeren Offensive?
[Verlinkten Text lesen. T.W.]
In Mali (und inzwischen auch im Nachbarland Burkina Faso) agiert die sogenannte „Jama’at Nasr al-Islam wal Muslimin“ oder kurz „JNIM“. Das ist eine Dachorganisation von dschihadistischen Gruppierungen, die sich unter sehr lockerer Führung eines Touareg namens Iyad Ag Ghali bereits in 2017 zusammengeschlossen hat. Was die hier schon angesprochene „Lernkurve“ angeht: Im August 2021, als man sich in Deutschland noch fassungslos die Augen rieb über das, was gerade in Afghanistan vorzugehen schien (Kabul war noch nicht „eingenommen“), da sandte Ag Ghali bereits über einen offenen Brief via soziale Medien herzliche Glückwünsche an die Taliban zu ihrem Erfolg. Ihr beharrliches und am Ende erfolgreiches Wirken über zwei Jahrzehnte hinweg bezeichnete er dabei als unbedingt nachahmenswertes Vorbild für JNIM in Mali… Nun sollte man die Vergleiche nicht zu weit treiben, denn Taliban und JNIM haben ganz andere Rahmenbedingungen – aber der Anspruch ist da.
Man sollte auch nicht vergessen, dass JNIM in 2020 und 2021 dem sehr aggressiven Vordringen des Islamischen Staates aus dem nordwestlichen Niger und dem nordöstlichen Burkina Faso nach Mali hinein eine Abfuhr erteilt und diesen (bis auf das Grenzgebiet südlich von Ansongo und Menaka) inzwischen aus Mali hinausgeworfen und auch größtenteils aus Burkina Faso verdrängt hat. Dieser inner-dschihadistische Konflikt hat JNIM nahezu völlig abgelenkt und dadurch in Mali mehr für „Ruhe“ gesorgt als alles internationale Engagement zusammen… Aber das ist vorbei, das hat gerade die Bundeswehr in diesem Sommer schmerzlich feststellen müssen.
Was die Telekommunikation angeht: Angriffe auf Masten sind nichts Neues, auch nicht in den beiden o.a. Nachbarländern. Da war aus dem genannten Grund nur eine gewisse Pause, aber jetzt geht es wieder los. Das Problem dabei ist nicht nur die Zivilbevölkerung und deren fehlende Möglichkeit, über Bewegungen der Terroristen zu informieren – wenn sie das überhaupt machen will… Wesentlich gravierender ist da eher die teilweise Abhängigkeit von nationalen Sicherheits- und auch Streitkräften vom Mobilfunknetz – auch eine Parallele zu Afghanistan…
Hier gibt es noch einige Hintergrundinfos zu JNIM; sind die Links so in Ordnung?
https://www.csis.org/blogs/examining-extremism/examining-extremism-jamaat-nasr-al-islam-wal-muslimin
Und hier eine einigermaßen aktuelle Karte für einen Überblick über die dort im Dreiländereck aktiven Gruppierungen:
https://ecfr.eu/special/sahel_mapping/
(hier bitte ganz oben „Detailed Jihadist map“ anklicken)
@Pio-Fritz:
große internatinale Konzerne testen mit überschaubaren Mitteln Internet ohne aufwendige Bodenstrukturen anzubieten. Technisch machbar, kommerziell (noch) nicht tragfähig*.
Man kann überlegen, ob man durch die UN-Trupppen jeweils schnell Pop-up-Netzwerke auf Ballon/Drohnenbasis errichtet bis die landbasierte Infrastruktur wieder steht.
Heutzutage ist Internet nur unwesentlich unwichtiger als Wasser; man kann Bank- und Verwaltungsangelegenheiten regeln…
Abgesehen vom Signal: „Wir kümmern uns um Euch“, am besten noch als Start SMS senden, wenn das Relai am Ballon in Betrieb geht: „Hallo, hier ist das UN-Netz. Wir sorrgen für Nachrichten!“
*https://www.tagesschau.de/wirtschaft/globales-internet-google-stoppt-loon-ballons-101.html
@aussenstehdender sagt: 29.10.2021 um 12:33 Uhr
Das bestreite ich alles doch gar nicht. Die Kommunikation zu stören gehört nun mal zum kleinen Einmaleins der Kriegsführung. Das man das vielleicht umgehen oder einfach beheben kann, auch gut.
Aber diese Vorgehensweise ist eben keine Erfindung der Taliban oder irgendwelcher Touareg, sondern uralt.
„Welche Lernkurve bei den Truppenstellern soll es denn Ihrer Meinung nach geben? Die können kommunizieren und sind auf das malische Netz nicht angewiesen. Sollen die jeden Mast schützen? Wieviele Soldaten möchten Sie dafür aufbieten? KRITIS ist schwer zu schützen und mit hohem Aufwand verbunden.“
Irgendwie reden wir aneinander vorbei.
In Ihrem Zitat fragen Sie, was die UN-Truppen tun sollen. Und verwerfen (m.E. zu Recht) die Option jeden einzelnen Masten militärisch zu sichern.
Mein Ansatz geht dahin, die Folgen für die Zivilbevölkerung abzumildern und damit auch Karma-Punkte in der Zivilbevölkerung zu generieren.