Evakuierung aus Afghanistan: Verdammte Statistik
Nach dem Ende der Evakuierungsflüge der Bundeswehr aus Kabul am vergangenen Donnerstag ist auch Tage später noch nicht so ganz klar, wer alles ausgeflogen würde. Offenkundig ist nur, dass weit mehr Afghanen aus Kabul nach Taschkent geflogen wurden als Deutsche und andere Ausländer; dennoch ist die Statistik noch alles andere als übersichtlich.
Da das inzwischen ein Teil der politischen Debatte wird (auch wenn es weniger mit Sicherheitspolitik zu tun hat), die Zahlen nach den von den verschiedenen Ministerien veröffentlichen Angaben:
Die Bundeswehr hatte die Zahl der mit ihren A400M-Transportern ausgeflogenen Menschen insgesamt auf 5.347 Personen aus 45 Nationen beziffert. Nach Angaben des Bundesinnenministeriums vom (heutigen) Montag sind in Deutschland 4.587 Personen aus diesen Evakuierungsflügen eingereist. Darunter waren 403 Menschen mit deutschem Pass und 3.849 afghanische Staatsangehörige, die Differenz Angehörige dritter Staaten.
Die Zahl der eingereisten Ortskräfte gab das Innenministerium mit 138 an, die mit 496 Familienangehörigen nach Deutschland kamen – also insgesamt 634 Menschen. Damit bleibt vorerst im Detail offen, wie der überwiegende Teil der eingereisten Afghanen zuzuordnen ist. Das Inneministerium und Auswärtiges Amt wiesen allerdings darauf hin, dass über die Ortskräfte und ihre Angehörigen hinaus vor allem Afghanen ausgeflogen wurden, die zum Beispiel
• Familienangehörige eines deutschen Staatsbürgers sind
• als afghanische Staatsangehörige einen gültigen deutschen Aufenthaltstitel, also ein Aufenthaltsrecht in Deutschland haben
• als Ortskräfte einer anderen europäischen Nation mit einem deutschen Flug aus Kabul gebracht wurden.
Mit anderen Worten: Die Statistik ist noch viel zu ungenau, als dass sie für eine Bewertung taugen würden.
Der O-Ton der Aussagen dazu in der Bundespressekonferenz, mit Steve Alter vom Bundesinnenministerium und Christopher Burger vom Auswärtigen Amt:
Alter: Wir haben heute den Stand, dass bislang 138 Ortskräfte mit insgesamt 496 Familienangehörigen in Deutschland eingereist sind. Das sind insgesamt 634 Personen, die einen unmittelbaren Ortskräftebezug haben. (…)
Derzeit ist es so, dass wir über die Evakuierung insgesamt 4587 Personen nach Deutschland bringen konnten. Sie sind also eingereist. Davon waren 3849 afghanische Staatsangehörige und 403 deutsche Staatsangehörige. Den Anteil der Ortskräfte hatte ich eben genannt. (…)
Frage: Mir ist immer noch unklar: Wie viele der rund 4000 ausgeflogenen Afghanen haben einen Bezug zu Ortskräften?
Alter: Wir haben insgesamt im Rahmen der Evakuierung etwas mehr als 4500 Personen nach Deutschland gebracht. Sie sind inzwischen in Deutschland eingereist. Davon muss man etwa 400 Deutsche abziehen, sodass man etwa bei 3500 afghanischen Staatsangehörigen landet, die keinen Ortskräftebezug haben. 630 Personen sind also Ortskräfte oder Familienangehörige, die inzwischen im Rahmen der Evakuierung in Deutschland angekommen sind.
Dann gibt es diese Zahl von etwa 3500, die auch in Deutschland eingereist sind. Bei denen wissen wir im Moment noch nicht – jedenfalls in jedem Einzelfall -, ob es einen unmittelbaren Ortskräftebezug gibt, was schlicht und ergreifend auch der Prozesse geschuldet ist, die in den vergangenen Tagen und Wochen am Flughafen in Kabul stattgefunden haben.
Die Bundesregierung hat sich entschlossen – das BMI war ja immer beteiligt -, sich in diesen Evakuierungsprozess einzureihen. Sie können sich vorstellen, wie das da abgelaufen ist. Da hat sich niemand an ein deutsches Flugzeug gestellt, hat abgezählt und gesagt: Wir nehmen jetzt nur diejenigen mit, die nach Deutschland kommen, und diejenigen, die nach Italien oder nach Belgien müssen, lassen wir hier stehen. – Insofern sind natürlich auch Personen nach Deutschland gebracht worden, die möglicherweise einen Bezug zu anderen EU-Staaten haben. Das ist durchaus durch die Prozesslandschaft erklärbar.
Aber noch einmal: In Deutschland sind, Stand heute, 138 Ortskräfte und 396 Familienangehörige angekommen, also insgesamt 634 Personen.
Burger: Ich würde dazu vielleicht kurz ergänzen.
Es ist nach dem Konsulargesetz üblich, dass bei Evakuierungsoperationen dieser Art deutsche Staatsangehörige gemeinsam mit ihrer Kernfamilie evakuiert werden. Das heißt, wenn in einem Familienverband ein deutscher Staatsangehöriger ist, der beispielsweise seine minderjährigen Kinder oder Ehegatten dabeihat, die keine deutschen Staatsangehörigen sind, dann sind sie bei einer Evakuierung durch die Bundesregierung mit zu berücksichtigen. Das ist eine Gruppe von Personen, die keine deutschen Staatsangehörigen sind, die möglicherweise auch keinen Ortskräftebezug haben, aber die selbstverständlich dennoch zu berücksichtigen sind.
Genauso wurde es selbstverständlich praktiziert. Wenn afghanische Staatsangehörige mit gültigem deutschen Aufenthaltstitel am Flughafen erschienen sind, die evakuiert werden wollten, wurden sie mitgenommen. (…)
Frage: Ist davon auszugehen, dass deutsche Ortskräfte mit den Flügen anderer Nationen ausgeflogen wurden und auf Einreise nach Deutschland warten?
Alter: Wir wissen, dass es solche Fälle gibt. Es gibt Ortskräfte, die für die Bundesregierung gearbeitet haben, die auf anderen Flügen nach Italien, nach Belgien mitgenommen worden sind. Wir können allerdings nicht mit Bestimmtheit sagen, wie viele das sind.
Der Vollständigkeit halber noch die US-Statistik zu den Evakuierungsflügen vom gestrigen Sonntag bis zum heutigen Montag – vor dem Hintergrund, dass diese Flüge am Montag beendet wurden, bevor am morgigen Dienstag die letzten US-Soldaten Kabul verlassen sollen:
From August 29 at 3:00 AM EDT to August 30 at 3:00 AM EDT, a total of approximately 1,200 people were evacuated from Kabul. This is the result of 26 US military flights (26 C-17s) which carried approximately 1,200 evacuees, and 2 coalition flights which carried 50 people.
Since August 14, the U.S. has evacuated and facilitated the evacuation of approximately 116,700 people. Since the end of July, we have re-located approximately 122,300 people.
(Foto: Bundeswehrsoldaten und Angehörige des Krisenunterstützungsteams betreuen Menschen vor ihrer Evakuierung am Flughafen Kabul am 23.August 2021 – Einsatzkameratrupp der Bundeswehr via Einsatzführungskommando)
Die US-Zahlen sind zumindest missverständlich. Hierbei wurden ALLE von allen Nationen ausgeflogenen Personen mitgezählt. Die US-Streitkräfte selbst haben zwischen 66 und 75 Tsd. Menschen ausgeflogen.
„That 116,700 figure, the total number of evacuees who have left since Aug. 14, includes people who were evacuated by groups or countries other than the U.S. military. The government has included what it calls “coalition” figures since Aug. 20, looping in foreign-country and private-sector evacuations to the total because the U.S. military is responsible for security at the airport. It is transparent in including those figures, yes, but without including coalition evacuations, the number of U.S. military evacuations drops to somewhere from 66,000 to 75,000 evacuations.“
Quelle: https://www.washingtonpost.com/politics/2021/08/30/us-afghanistan-evacuation-numbers/
[Ging in erster Linie um die jüngsten Zahlen, und die sind aufgeschlüsselt. Insofern nicht alle mitgezählt. T.W.]
Die Vermutung liegt nahe, dass man jeden mitgenommen hat, der sich erfolgreich auf das Flughafengelände durchgekämpft hat, egal ob schutzbedürftig oder nicht.
Wurde nicht immer behauptet man evakuiere auf der Basis von „Listen“?
Diese diffusen Formulierungen bezüglich Identität und Status der 3500 lassen den Schluss zu das vor Ort offenbar völlig unabhängig von einer Einreiseberechtigung ohne jedwede Überprüfung eine Einreise nach Deutschland ermöglicht wurde.
Empfinde ich als höchst fragwürdig
@ TW: Der Grund für die Differenz zwischen 5.347 (Zahl BW) und 4.587 (Zahl AA) hins. der Gesamtzahl Evakierter ist bislang irgendwie unklar, richtig? Habe die PK gesehen, aber keine Aussage oder Nachfrage dazu vernommen. Oder wurde klar ob 760 Personen von Taschkent irgendwo anders hin gereist und daher nicht in DEU eingereist sind?
@Landmatrose: 5347 ist die Zahl der ausgeflogen, dagegen ist 4587 die Zahl der Menschen, welche von der Bw gerettet wurden und anschließend nach Deutschland eingereist ist. 760 der geretteten sind demnach in Usbekistan geblieben oder ohne die Hilfe Deutschland s weitergereist. Wie viele Ortskräfte der Bw unter den 760 Personen sind, die nicht nach Deutschland wollten, werden wir nie erfahren.
Nun sind Sie halt da…..
Es mag (mit Bauchgrimmen, denn es entspricht nicht der ursprünglichen Ansage der listenbasierten Evakuierung von Menschen) akzeptabel sein alle Menschen die auf das Flughafengelände gelangten, auszufliegen. Allerdings hätte man dieses Manko durch Überprüfung auf dem Zwischenstop in Taschkent abmildern können und müssen (mindestens hätte man durch Überprüfung der Fingerabdrücke verhindern können, dass abgeschobene Straftäter auf deutsche Staatskosten wieder einreisen, was offenbar in mehreren Fällen geschehen ist).