Grünen-Vorsitzender für Lieferung von Verteidigungswaffen an die Ukraine (Nachtrag: Habeck-Interview)
Die ohnehin nicht ganz überschaubare Debatte um die künftige deutsche Sicherheitspolitik wenige Monate vor der Bundestagswahl im September ist um eine Wendung reicher: Der Co-Vorsitzende der Grünen, Robert Habeck, hat sich für Waffenlieferungen an die Ukraine ausgesprochen. Zuletzt waren entprechende Überlegungen in Deutschland von Bundeskanzlerin Angela Merkel im Februar 2015 gestoppt worden.
Habeck äußerte sich bei einer Reise in die ukrainische Hauptstadt Kiew, wie der mitgereiste Deutschlandfunk-Kollege Klaus Remme berichtet:
Grünen-Parteichef Habeck hält die Wünsche der Ukraine nach Waffenlieferungen angesichts des Kriegs im Osten des Landes für berechtigt. Waffen zur Selbstverteidigung, sogenannte Defensivwaffen, könne man dem Land schwer verwehren, sagte er nach Gesprächen mit Präsident Selenskij in Kiew. Selbstverständlich seien die Grünen eine Partei, die aus dem Pazifismus komme. Jeder Konflikt sei ein Elend und wenn Menschen stürben, sei das schlimm. Aber wenn man sich mit dem Konflikt zwischen den prorussischen Rebellen und der ukrainischen Armee etwas beschäftige, könne man Kiew zumindest die Hilfe zur Verteidigung nicht blockieren, führte Habeck aus.
Das wirft natürlich zunächst die – unabhängig vom politischen Standpunkt immer wieder kontrovers diskutierte – Frage auf, was sogenannte Defensivwaffen sind. Denn eine klare Abgrenzung, ob ein Waffensystem nur zur Verteidigung verwendet werden oder auch für einen Angriff genutzt werden kann, gibt es mit wenigen Ausnahmen kaum. Der Grünen-Verteidigungspolitiker Tobias Lindner sprang seinem Parteivorsitzenden mit einer Aufzählung bei:
Lass uns mal über Systeme, die man häufig bei Operationsarten wie Verteidigung oder Verzögern einsetzt, also Panzerabwehr, Luftabwehr, diskutieren. Und dazu Minenräumung, Aufklärung.
Eine deutliche Abgrenzung ist das nicht unbedingt, die angedachte Umstellung des U.S. Marine Corps von Panzern auf panzerbrechende Waffen macht daraus noch keine Defensivtruppe. Und Aufklärung als wichtiger Teil der Gefechtsführung ist auch nicht von vornherein eine defensive Aufgabe.
Interessanter ist da schon der Punkt, dass überhaupt Waffenlieferungen an die Ukraine erneut auf die deutsche politische Tagesordnung kommen. Das hatte es 2015 schon einmal gegeben – übrigens auch bei den Grünen:
Mögliche Waffenlieferungen an die Ukraine führen innerhalb der Grünen zu Streit. Die Grünen-Politikerin Marieluise Beck hat sich dagegen ausgesprochen, die Lieferung militärischer Ausrüstung an die Ukraine grundsätzlich auszuschließen. (…) Grünen-Parteichef Cem Özdemir äußerte sich dagegen skeptisch zu Militärhilfe für die Ukraine.
Allerdings war das damals auch für die Union ein Thema. Jedenfalls bis die Kanzlerin ein klares Nein aussprach. Bei einer Pressekonferenz nach dem Treffen mit dem ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orban am 2. Februar 2015 in Budapest:
Frage: Es war viel von Frieden, von Waffenstillstand in der Ukraine die Rede, aber können Sie sich vorstellen, dass Deutschland die Ukraine mit Waffen unterstützt, wenn es doch keinen Frieden geben sollte? Diese Frage möchte ich auch an den Herrn Ministerpräsidenten richten: Ist es denkbar, dass Ungarn die Ukraine mit Waffen unterstützen würde, wenn es in absehbarer Zeit keinen Frieden in der Ukraine gibt?
Merkel: Von meiner Seite aus kann ich sagen: Deutschland wird die Ukraine nicht mit Waffen unterstützen. Ich bin der festen Überzeugung, dass dieser Konflikt militärisch nicht gelöst werden kann. Deshalb setzen wir darauf, auf der einen Seite, wenn es notwendig ist, Sanktionen zu verhängen – das haben wir im Übrigen in Europa gemeinsam getan -, und auf der anderen Seite alle diplomatischen Möglichkeiten zu nutzen, um diesen Konflikt durch Gespräche beizulegen oder zumindest zu mildern. (…)
MP Orbán: Nur auf diese Frage beschränkt: Nein.
Mit Habecks Aussage startet also die Debatte erneut, und nicht zuletzt die Diskussion innerhalb der Grünen selbst wird … interessant. Zumal ja eigentlich grundsätzlich die Regel für deutsche Waffenexporte gilt, dass sie für Spannungsgebiete ausgeschlossen werden (wie das praktisch aussieht, ist noch eine andere Frage).
Nachtrag 26. Mai: In einem ausführlichen Interview mit dem Deutschlandfunk hat Habeck das genauer erläutert. Interessante Aussage darin: Die Ukraine kämpft hier nicht nur für sich selbst, sondern die Ukraine verteidigt auch die Sicherheit Europas hier.
Das Transkript des Interviews:
https://www.deutschlandfunk.de/habeck-gruene-zu-waffenlieferungen-an-ukraine-die-ukraine.694.de.html?dram:article_id=497815
(Vorsorglich der Hinweis: Kommentare nach dem Muster „die Grünen finde ich doof“ ohne inhaltliche Debatte finden nicht statt.)
(Archivbild Juli 2018: Ukrainische Soldaten bei einem Besuch des Befehlshabers der US-Nationalgarde – Sgt. Timothy Massey, 278th Armored Cavalry Regiment, Tennessee Army National Guard)
Aus einem Interview von Spiegel Online mit Brzezinski von 2015. Das orientiert die Frage nach sogenannten Defensivwaffen als jedes Waffensystem, das besonders geeignet ist, Städte im Rahmen einer Invasion des Angreifers zu verteidigen, und so den Preis militärischen Vorgehens für einen Angreifer zu erhöhen.
Man könnte es auch so formulieren, als das man die Ukraine in die Lage versetzt, dem bedeutenden Axiom des Völkerrechts „Selbstbestimmungsrecht der Völker“ gegenüber Russland spürbar Nachdruck zu verleihen.
https://www.spiegel.de/international/world/interview-with-zbigniew-brzezinski-on-russia-and-ukraine-a-1041795.html
SPIEGEL ONLINE: Merkel believes that sending weapons to Ukraine is the wrong way to go. She doesn’t believe that there is a military solution to the crisis. What do you think?
Brzezinski: We should make it more costly for the Russians to use force. I think it makes sense to give defensive weapons to the Ukrainians, like mortars and anti-tank rockets, for the defense of major cities. If you want to take over a large country, you have to take the big cities. And taking big cities is extremely expensive if people are willing to defend it.
PS: Ich ziehe zur Verteidigung eines Straßenzugs eine Hand voll Panzerabwehrlenkflugkörper, DMRs, LMGs und ASRs sowie Mörser und ordentlich Munition einem Dingo vor. Toll wären auch Waffen gehen Kampfhubschrauber und JaBos…
„Verteidigungswaffen“ wird in der historischen Waffenkunde ja manchmal als Synonym zu „Schutzwaffen“ verwendet. Ich nehme fast an, dass Herr Habeck das auch so gemeint hat, also z.B. Helme, Schutzwesten, ggf. auch unbewaffnete, aber gepanzerte Fahrzeuge. War vielleicht etwas mißverständlich, weil man im modernen Sprachgebrauch unter „Waffen“ meistens Angriffswaffen versteht.
Habeck versteigt sich?
Erst „Nachtsichtgeräte, Aufklärungsgeräte, Kampfmittelbeseitigung, Medevacs (Flug- und Fahrzeuge zur medizinischen Evakuierung)“ und nunmehr „Kleinartillerie“ an die Ukraine zur Abwehr von Kampfdrohnen!
Soll ich seinen Mut oder seine Chuzpe anerkennen?
Anzuraten ist jedenfalls eine mil Fachberatung zu Terminologie und Verwendungszweck von Waffensystemen. Hatte Fraktionen nicht einst zugeordnete StOffz zu Fachfragen von SiPo und Militärischem?
Darüber hinaus, wo ist die innerparteiliche Abstimmung mit Frau Baerbock? Diese ließ sich heute vernehmen, Habeck sei „missverstanden“ worden.
Was aber gibt’s bei Habecks klaren Ansagen misszuverstehen?
https://www.tagesschau.de/inland/gruene-waffenlieferungen-ukraine-101.html
[Bitte jetzt nicht in die Interpretation der Interpretation des Interviews im DLF einsteigen; das wurde hier schon verlinkt, und alles weitergehende ist dann eben die Interpretation. T.W.]
Wir können hier zwar „Verteidungswaffe“ durchdeklinieren. Im Endeffekt hilft das der Ukraine nicht wirklich.
Viele arbeiten sich zu sehr an dem Begriff „Verteidigungswaffen“ ab und unterstellen Habeck da Unkenntnis. Es ist sicher so, dass er kein ausgewiesener Militärexperte ist, aber es dürfte doch wohl klar sein, warum er diese Vokabel benutzt: Sein Signal, das er hier innenpolitisch an einen wahrscheinlichen Koalitionspartner sowie außenpolitisch an die Partner der BRD sendet, muss auch irgendwie vor seiner eigenen Partei bestehen und diese auch darauf einstimmen, was im Falle einer Regierungsverantwortung auf sie zukommen kann. Da ist es doch offenkundig, dass maximal „Verteidigung“ bei den Grünen geht. Bei jeder anderen, stärkeren Vokabel hätte die Parteibasis „seinen Kopf“ gefordert.
Nicht die Vokabel ist hier entscheidend, sondern die Botschaft insgesamt, und die finde ich beachtenswert, richtig und logisch – ganz grundsätzlich, aber auch konkret mit Blick auf September.
@Hetfield:allein im 20. Jahrhundert gibt es genügend Beispiele für aggressives russisches Verhalten gegenüber dem Baltikum(geheimes Zusatzprotokoll zum Hitler-Stalin-Pakt), Polen (Feldzug nach WKI) und Finnland(Winterkrieg).
In einem Tweet beklagt ein Professor der Bundeswehr jüngst, dass bevor die EU die Sprache der Macht lernen könne, strategische Kommunikation zu Berben wäre. Ich denke @KPK schlägt eben in diese Kerbe. Denn Voraussetzung für strategische Kommunikation ist strategisches Denken im Lichte taktisch-operativer Lagen.
Die Ukraine hat das Problem, dass jede denkbare-realistische Aufrüstung in Moskau nicht mehr als ein müdes Lächeln hervorrufen könnte. Dies war der Kanzlerin offensichtlich auch 2015 klar.
Strategischer Gedanke muss demnach von den Möglichkeiten getragen werden, welche in der Ukraine auf den Ebenen der Demographie, Technologie und Geographie vorzufinden sind. Beispiele im V-Fall der Ukraine:
Demographie: Millionen von wehrtauglichen Menschen sind bereit, sich dem Angreifer entgegenzustellen und melden sich freiwillig. Veteranen der Roten Armee und Ukrainischen Streitkräfte melden sich.
Technologie: WaSys und vermittelbares Wissen darüber ähnelt dem des Angreifers aber in unterlegener Ausprägung. Zahlenmäßig wie qualitativ. Vorräte und Instandsetzungsfähigkeit weisen die Richtung.
Geographie: Ländliches Gebiet ist kaum zu halten, Städte richten sich auf die Belagerung ein.
Folge: Im ländlichen Raum befinden sich Aufklärer und Partisanen / Guerilla, welche die Operationen des Angreifers stören und Hochwertziele bearbeiten. Die Städte profitieren von Lagerbestänen sowohl humanitärer wie militärischer Natur. Turnhallen werden zu Notlazaretten, die U-Bahn zur Kaserne in denen am AK und der RPG ausgebildet wird.
Zusammenfassend: G-36 und Dingo taugen wenig wegen Kaliber und Instandsetzung. ManPads, Panzerfaust und Milan wäre der Guerilla wie den Verteidigern der Stadt ein Segen. Den Rest hat auch die lokale Rüstungsindustrie.
Die Gefahr ist dennoch, dass wir den Ukrainern am Ende Material liefern, welche dem Aspekt des „langen Durchhaltens“ entgegenwirken würde und im schlimmsten Fall den RU Streitkräften es ermöglichen würde, deutsches Material mit Zielerfassung zu beüben.
Herr Habeck kennt sich damit aber nicht aus, muss er auch nicht. Dennoch wird klar, dass es den Grünen im Schnitt / Vergleich an militärischer Expertise mangelt. Bedeutet für Schwarz-Grün, AKK bleibt im Amt, Habeck folgt auf Maas. /SCNR
Also, wo können wir nochmal unterstützen Herr Habeck?