Leise endet der Einsatz: Deutschland verabschiedet sich faktisch aus EU-Antipirateriemission

Seit ziemlich genau zwölf Jahren ist die Europäische Union mit einer Marinemission vor der Küste Somalias aktiv, um die Piraterie aus dem ostafrikanischen Land einzudämmen – und die Bundeswehr war seit Beginn, teilweise mit mehreren Schiffen, daran beteiligt. Zum Januar 2021 beendet Deutschland faktisch seine Beteiligung an der EU-Mission Atalanta, bleibt aber formal – und mit Stabsoffizieren im Hauptquartier – Teil des Einsatzes.

Hintergrund für den Schritt, die Mitarbeit in dieser Mission faktisch zu beenden, ist die – lange angekündigte – Ausweitung der Aufgaben durch die EU: Die Marineeinheiten am Horn von Afrika sollen künftig nicht nur gegen Piraterie, sondern auch gegen Drogenschmuggel und mögliche Verstöße gegen ein UN-Waffenembargo vorgehen. Formal wurde das mit einem Beschluss des EU-Ministerrats vom (gestrigen) Dienstag wirksam, der am (heutigen) Mittwoch im EU-Amtsblatt veröffentlicht wurde. Der Kern der Änderung:

Die Gemeinsame Aktion 2008/851/GASP wird wie folgt geändert:
1. Artikel 1 Absatz 3 erhält folgende Fassung:
„(3) Darüber hinaus trägt die Operation Atalanta im Rahmen ihrer sekundären exekutiven Aufgaben zur Anwendung des Waffenembargos der Vereinten Nationen gegen Somalia gemäß der Resolution 2182 (2014) des VN-Sicherheitsrats und zur Bekämpfung des Handels mit Suchtstoffen vor der Küste Somalias im Rahmen des Seerechtsübereinkommens der Vereinten Nationen und des Übereinkommens der Vereinten Nationen vom 20. Dezember 1988 gegen den unerlaubten Verkehr mit Suchtstoffen und psychotropen Stoffen bei.
(4) Außerdem überwacht Atalanta als sekundäre nicht-exekutive Aufgabe gemäß den Resolutionen 2498 (2019) und 2500 (2019) des VN-Sicherheitsrates und im Einklang mit dem Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 20. Dezember 1988 gegen den unerlaubten Verkehr mit Suchtstoffen und psychotropen Stoffen den Handel mit Suchtstoffen, den Waffenhandel, die illegale, ungemeldete und unregulierte Fischerei sowie den illegalen Handel mit Holzkohle vor der Küste Somalias.

Also deutlich mehr als Pirateriebekämpfung – und damit ein Problem für die Bundeswehr: Das vom Bundestag zuletzt im Mai verlängerte Mandat für die Beteiligung der Deutschen Marine an Atalanta ist da eindeutig begrenzt:

Für die beteiligten Kräfte der Bundeswehr ergeben sich folgende Aufgaben:
a) Schutz für die vom Welternährungsprogramm oder von der Mission der Afrikanischen Union in Somalia (AMISOM) gecharterten Schiffe, unter anderem durch die Präsenz bewaffneter Kräfte an Bord dieser Schiffe;
b) Auf Grundlage einer Einzelfallbewertung der Erfordernisse, Schutz von zivilen Schiffen in den Gebieten, in denen der Einsatz stattfindet;
c) Überwachung der Gebiete vor und an der Küste Somalias einschließlich der Hoheitsgewässer und inneren Gewässer Somalias, die Gefahren für maritime Tätigkeiten, insbesondere den Seeverkehr, bergen;
d) Durchführung der erforderlichen Maßnahmen einschließlich des Einsatzes von Gewalt zur Abschreckung, Verhütung und Beendigung von Piraterie oder seeräuberischen Handlungen, die im Operationsgebiet begangen werden bzw. begangen werden könnten;
e) Aufgreifen, Ingewahrsamnahme und Überstellen von Personen, die im Sinne der Artikel 101 und 103 des Seerechtsübereinkommens der VN im Verdacht stehen, Piraterie oder seeräuberische Handlungen begehen zu wollen, diese zu begehen oder begangen zu haben, sowie Beschlagnahme der Schiffe der Piraten oder Seeräuber, der Ausrüstung und der erbeuteten Güter und Schiffe.

Allerdings war auch der Bundesregierung schon länger bewusst, dass die EU die Aufgaben der Mission ausweiten will. In der Begründung für das im Mai verabschiedete Mandat (Bundestagsdrucksache 19/18866) wird das sogar ausdrücklich erwähnt:

Die Strategische Überprüfung von ATALANTA wird derzeit durch die EU vorgenommen. Eine Fortsetzung der Operation über 2020 hinaus halten die EU-Mitgliedstaaten wie die regionalen Anrainerstaaten für sinnvoll und erforderlich. Der Primärauftrag Sicherung der Transporte des WFP und von AMISOM und Piraterie-Bekämpfung soll weiter sichergestellt werden. Zusätzlich wird derzeit eine mögliche Anpassung der Sekundäraufgaben mit dem Ziel der Erstellung eines Lagebilds über andere große Herausforderungen für die Stabilität der Region (Waffen-, Drogen- und Holzkohleschmuggel, Menschenhandel bzw. -schmuggel) geprüft. Das Auswärtige Amt und das Bundesministerium der Verteidigung stehen einer solch moderaten Anpassung im juristisch möglichen Rahmen aufgeschlossen gegenüber.

Nun ist es eine müßige Frage, ob aus deutscher Sicht die Anpassung der EU nicht moderat genug war oder ob der juristisch mögliche Rahmen überschritten wurde. Tatsache ist, und darüber hatte das Verteidigungsministerium nach einem Bericht der Welt (Link aus bekannten Gründen nicht) bereits vergangene Woche einige Bundestagsabgeordnete mündlich informiert, dass die deutsche Beteiligung vor Ort mit Jahresbeginn 2021 endet.

Nun ist das aktuell nicht ganz so schwer: Bereits seit 2016 schickt die Deutsche Marine kein Schiff mehr in diesen Einsatz, sondern nur zeitweise in den so genannten Zwischenmonsunzeiten einen Seefernaufklärer – und derzeit ist keine Orion P-3C der Marineflieger in dieser Mission. Die Unterstützergruppe in Djibouti, die gerade noch dem deutschen Botschafter einen Weihnachtsbaum überreicht hatte, kann zusammenpacken und nach mehr als zwölf Jahren diesen Standort aufgeben.

Formal bleibt die Bundeswehr ja in dieser Mission, zumindest bis zum Auslaufen des derzeitigen Mandats Ende Mai kommenden Jahres. Damit bleiben auch deutsche Stabsoffiziere im Operations Headquarters in Rota in Spanien (das wurde im Zuge des Brexit von Northwood bei London dorthin verlegt). Und wenn ein deutsches Kriegsschiff die Region passiert, zum Beispiel auf dem Weg zu dem wiederholt angekündigten Engagement im Indopazifik, wird es vorübergehend Atalanta unterstellt. Wenn auch, das machte das Verteidigungsministerium deutlich, eindeutig mit dem nationalen Caveat, ausschließlich in der Pirateriebekämpfung eingesetzt zu werden.

Aber faktisch endet ziemlich geräuschlos ein Bundeswehreinsatz, der zu Beginn dringend gewünscht wurde: 2008 war die Hochzeit der somalischen Piraten vor den Küsten Ostafrikas, und sie waren auch nach dem Start von Atalanta noch Jahre eine reale Gefahr für die Handelsschiffahrt am Horn von Afrika. Vorfälle wie die Kaperung des deutschen Containerfrachters Hansa Stavanger (die mit US-Unterstützung von der deutschen GSG9 befreit werden sollte) oder des ebenfalls deutschen Containerschiffs Taipan führten damals auch der deutschen Öffentlichkeit vor Augen, wie verwundbar die internationalen Seewege sind.

Über die zwölf Jahre dieses Einsatzes wäre noch viel mehr zu berichten, vom – deutschen politischen – Streit über die Erlaubnis für die Mission, auch an Land zu wirken, aber nur 2.000 Meter von der mittleren Wasserlinie, über die Einrichtung eines Kontrollkorridors vor Jemen, über die Kooperation mit Russen, Chinesen, Japanern… und viele andere Einzelheiten mehr. Allein hier auf Augen geradeaus! umfassen die Meldungen dazu 38 Seiten – wer das (zumindest seit 2010) nachlesen will, hier entlang: https://augengeradeaus.net/category/piraterie/.

Die Piraterie vor Somalia scheint nach diesen Jahren weitgehend eingedämmt, von Rekordzahlen zu Beginn des Jahrzehnts ist es auf ein kaum wahrnehmbares Maß zurückgegangen. Allerdings, auch das gehört dazu: Endgültig vorbei ist die Gefahr nicht und wird es vermutlich auch nicht bleiben, so lange die Bürgerkriegssituation in dem ostafrikanischen Land unverändert bleibt oder sogar noch schlimmer wird. Und erst Anfang des Monats beobachteten die EU-Streitkräfte wieder einen Angriff auf ein Handelsschiff.

Nachgetragene Bemerkung: Ich habe das jetzt ausschließlich unter dem Aspekt beleuchtet, dass der deutsche Einsatz in der Antipirateriemission nach zwölf Jahren zu Ende geht. Was dann voraussichtlich im kommenden Jahr eine nähere Betrachtung Wert ist: Warum steigt Deutschland aus einer EU-Mission aus, die einvernehmlich ein stärkeres militärisches Engagement der Europäischen Union, noch dazu weitgehend auf der Gundlage von UN-Beschlüssen, vorsieht?

Fürs Archiv: Die Veröffentlichung aus dem EU-Amtsblatt vom 23.12.2020, deutsche Fassung:
20201223_EU-Amtsblatt_Atalanta_Mandat

(Archivbild 14. Dezember 201o: Die Fregatte Hamburg zerstört herrenlose Boote, die vor der Küste Somalias schwimmen, damit sie nicht von Piraten genutzt werden können – Christian Laudan/Bundeswehr)