DroneWatch: Streit um bewaffnete Drohnen für die Bundeswehr – Der Sammler zum Jahresende

Der Streit innerhalb der Regierungskoalition um die Bewaffnung für Drohnen der Bundeswehr ist in diesem Jahr in zuvor so nicht erwarteter Schärfe neu ausgebrochen – und er wird mit ziemlicher Sicherheit auch im neuen Jahr weitergehen. Die überraschende Weigerung der SPD, eine Beschaffungsentscheidung nicht mitzutragen und nach mehrjähriger Debatte weitere Diskussionen zu verlangen, ist ja voraussichtlich bis zur Bundestagswahl im September nicht vom Tisch. Deshalb zum Jahresende eine Materialsammlung zu diesem Thema:

Aktueller Anlass (außer dem Jahresende): In einem Interview mit n-tv am (heutigen) 30. Dezember reagiert Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer auf eine Forderung des SPD-Fraktionsvorsitzenden Rolf Mützenich zum Thema bewaffnete Drohnen – und dieser Austausch per Fernschach, über jeweilige Interviewäußerungen, macht sehr schön deutlich, wie die beiden Koalitionspartner aneinander vorbeireden.

In einem Gespräch mit dem Redaktionsnetzwerk Deutschland, veröffentlicht am 28. Dezember (Link aus bekannten Gründen nicht), antwortet der SPD-Fraktionschef auf die Frage Sie wollen einen Rüstungskontrollvertrag für Drohnen? mit den Worten:

Ich will zumindest internationale Gespräche darüber, ob Rüstungskontrolle für Drohnen auf Ebene der Vereinten Nationen oder der Nato-Staaten möglich ist. Leider hat die Verteidigungsministerin es versäumt, das Thema in der Nato anzusprechen. Ich fordere sie auf, das jetzt zu tun.

Dazu die Ministerin im n-tv-Interview:

Die Bundesregierung bereitet eine Initiative für internationale Einsatzprinzipien auf der Grundlage des Völkerrechts für bewaffnete Drohnen vor. Das Auswärtige Amt ist federführend und arbeitet bereits daran. Wir haben das schon im Juli mit dem Bericht zur Debatte und den Einsatzgrundsätzen festgelegt. Insofern fordert der SPD-Fraktionsvorsitzende etwas, was schon in Vorbereitung ist.

Und in der Tat, das ist in der öffentlichen Debatte schlicht untergegangen – selbst die Kritiker bewaffneter Drohnen haben offensichtlich den Bericht des Bundesministeriums der Verteidigung an den Deutschen Bundestag zur Debatte über eine mögliche Beschaffung bewaffneter Drohnen für die Bundeswehr vom 3. Juli dieses Jahres nicht gelesen:

Darüber hinaus strebt die Bundesregierung auch im internationalen Rahmen verbindliche Regeln für den Einsatz bewaffneter Drohnen an. Hierzu bereitet die Bundesregierung eine Initiative für internationale Einsatzprinzipien vor. Ausgehend von den völkerrechtlichen Bestimmungen wird ein Katalog von Einsatzprinzipien, wie z.B. die Begrenzung auf legitime Ziele, die Festlegung zulässiger Einsatzgebiete und die Sicherstellung ausreichender menschlicher Kontrolle abgeleitet, die durch die Unterzeichnerstaaten als für die nationale Einsatzpraxis verbindlich anerkannt werden.

Dass Kramp-Karrenbauer ein wenig süffisant darauf verweisen kann, dass diese Bemühungen für Rüstungskontrolle bereits Beschlusslage sind und dass der dafür zuständige Minister der SPD angehört, ist allerdings vermutlich ebenso richtig wie folgenlos für den Schlagabtausch der beiden Noch-Koalitionspartner. Und auch die Ministerin, noch CDU-Vorsitzende, hatte ja zuvor schon die Wahlkampfkeule rausgeholt, im Interview mit der Welt am Sonntag (Link aus bekannten Gründen nicht) ebenfalls am 28. Dezember:

Die SPD macht zum zweiten Mal einen Rückzieher bei der Anschaffung von bewaffneten Drohnen zum Schutz der Bundeswehr im Einsatz. Die Soldatinnen und Soldaten können sich augenscheinlich nicht auf die SPD verlassen.

Das Narrativ von den Sozialdemokraten als vaterlandslose Gesellen ist nicht neu, und natürlich weiß auch die Ministerin, dass der Aufwuchs des Verteidigungshaushaltes in den vergangenen Jahren und die – mit Ausnahme eben der Drohnenbewaffnung – weitgehend problemlose Zustimmung des Bundestages zu den diversen Rüstungsprojekten der jüngsten Zeit ohne die SPD nicht möglich gewesen wäre.

Nun scheinen aber beide Seiten bereits im Wahlkampfmodus für die Bundestagswahl im kommenden Jahr, und es ist müßig, darüber zu streiten, wer daran die Schuld trägt. Für die Bewaffnung unbemannter Systeme dürfte entscheidend das Wort des SPD-Co-Vorsitzenden Norbert Walter-Borjans gelten, zuletzt im Interview mit der Rheinischen Post (Link aus bekannten Gründen nicht) am 28. Dezember:

Ich gehe davon aus, dass über diese Frage in dieser Legislaturperiode nicht mehr entschieden wird. (…) Es gibt auch Stimmen, die sagen, die ständige Bedrohung durch bewaffnete Drohnen heize Konfliktparteien erst auf und mache Situationen erst recht gefährlich. Ich bin für Ausrüstung und nicht für Aufrüstung.

Im vorangegangenen Thread zu diesem Thema hat ein Leser (vielen Dank!) eine umfangreiche Linkliste zur gesellschaftlichen Debatte über dieses Thema zusammengetragen. Ich ziehe sie zur besseren Auffindbarkeit mal hier rüber:

https://www1.wdr.de/mediathek/audio/wdr5/wdr5-morgenecho-interview/audio-bewaffnete-drohnen-fuer-die-bundeswehr-100.html
https://www.evangelische-friedensarbeit.de/artikel/2020/offener-brief-bremer-pastoren-gegen-bewaffnete-bundeswehr-drohnen
https://www.ekd.de/news_2014_07_02_kampfdrohnen_abgelehnt.htm
https://www.welt-sichten.org/artikel/37976/kampfdrohne-ein-beitrag-zur-eskalation
https://www.evangelische-friedensarbeit.de/artikel/2020/westfaelische-kirche-bundeswehr-soll-auf-kampfdrohnen-verzichten
https://www.verdi.de/presse/pressemitteilungen/++co++313cf3f8-3e16-11eb-aa07-001a4a16012a
https://koeln-bonn.dgb.de/themen/++co++1720f318-5811-11e8-a19d-52540088cada
https://www.gew-berlin.de/aktuelles-beschluesse/detailseite-beschluesse/neuigkeiten/keine-kampfdrohnen/
https://parteitag.spd.berlin/cvtx_antrag/militaerische-drohnen-einschraenken-bewaffnete-drohnen-aechten-2/
https://www.spd-bonn.de/meldungen/internationale-aechtung-von-bewaffneten-drohnen/
https://www.spd-rz.de/2020/12/22/gefaehrdung-von-soldatinnen-und-soldaten-durch-bewaffnete-drohnen-wird-verkannt/
https://spd-nottuln.de/keine-bewaffneten-drohnen-mail-an-den-fraktionsvorsitzenden-im-bundestag/

Das sieht schon sehr nach breiter Debatte aus, auf verschiedenen Ebenen. Was einen fast zu der Vermutung verleiten könnte, dass es nicht mehr um die Debatte geht – sondern um die Hoheit darüber, wann die Entscheidung fällt.

Aber noch genug Debatte im neuen Jahr. Allerdings auf, ich muss das mal so sagen, deutschem Insel-Niveau: Wesentliches Argument der Befürworter ist der Schutz deutscher Soldaten insbesondere in Auslandsmissionen. Wesentliches Argument der Gegner ist die Art, wie vor allem die USA unbemannte Systeme einsetzen – dann auch mit der Begründung, diese Art des Einsatzes gefährde eben die Soldaten.

Das mag zwar ehrenwert sein, aber inzwischen weitab der Realität. Ein Blick auf die Konflikte dieses Jahres reicht, um zu erkennen: Da muss über ganz andere Entwicklungen gesprochen werden. Zum Beispiel über den Einsatz von (Kampf)Drohnen in einem Krieg. Nicht über fünf bewaffnete unbemannte Segelflieger in Stabilisierungsmissionen.

Zum Nachlesen:

2020: A year in conflict
From the use of armed drones to social media blackouts, the past year has been one of firsts for warfare.

(Foto: Eine Heron TP bei einem Trainingsflug über Israel – Luftwaffe)