US-Truppenreduzierung in Afghanistan: (Noch) Keine Auswirkungen auf die Bundeswehr (m. Nachtrag)

Die Ankündigung der USA, bis Ende November ihre Truppen in Afghanistan weiter auf unter 5.000 Soldaten zu reduzieren, hat nach Ansicht der Bundesregierung vorerst keine Auswirkung auf den Einsatz der Bundeswehr am Hindukusch. Kritische Fähigkeiten, auf die die deutschen Streitkräfte in der Resolute Support Mission angewiesen seien, stünden weiter zur Verfügung, schrieben Außen- und Verteidigungsministerium in einer Unterrichtung der Bundestagsausschüsse für Auswärtiges und Verteidigung.

US-Verteidigungsminister Mark Esper hatte am vergangenen Samstag in einem Interview des Senders Fox News die bereits länger erwartete Truppenreduzierung bestätigt. Am gleichen Tag wurden laut Bundesregierung die Verbündeten informiert:

Am 8. August wurde die Bundesregierung durch einen Vertreter der USA darüber unterrichtet, dass die USA bis Ende November 2020 eine Truppenreduzierung in Afghanistan auf knapp unter 5.000 Soldatinnen und Soldaten durchführen werden.

heißt es in der Unterrichtung vom (gestrigen) Montag, die zuerst dpa gemeldet hatte.

Für die Bundeswehr ergäben sich aus der schon länger erwarteten Verringerung keine Konsequenzen:

Die kritischen Fähigkeiten der USA, sogenannte „Enabler“, stehen weiterhin zur Verfügung. Aus Sicht der Bundesregierung kann die Bundeswehr damit ihr Engagement im Rahmen der Speiche in Mazar-e Sharif ohne entscheidende Einschränkungen weiterführen.
Mit der US-Truppenreduzierung wird Resolute Support unverändert in der derzeitigen Phase des NATO-Operationsplans (Phase A „light“) verbleiben. Es bleibt weiterhin notwendig, alle Schritte zur Zukunft von Resolute Support in einem gemeinsamen Entscheidungsprozess in der NATO zu diskutieren.
Die Bundesregierung hält daran fest, dass eine weitere Truppenreduzierung von substanziellen Fortschritten im Friedensprozess abhängen sollte.

Die beiden letzten oben zitierten Sätze zeigen schon, dass Deutschland da mehr oder weniger von den Entscheidungen der USA abhängig ist – denn ob es tatsächlich schon Fortschritte im Friedensprozess gibt, der bislang im Wesentlichen aus einer Vereinbarung zwischen den USA und den Taliban besteht, ist eine offene Frage.

Derzeit sind gut 1.000 Bundeswehrsoldaten in Afghanistan im Einsatz; die meisten von ihnen in Mazar-e Sharif, gut 80 im Hauptquartier in Kabul und immerhin noch fast 100 in Kunduz. Da ist dann die Aussage in der Unterrichtung der Bundesregierung interessant, dass das deutsche Engagement im Rahmen der Speiche in Mazar-e Sharif ohne entscheidende Einschränkungen weitergeführt werden könne. Oder anders gesagt: Wie bald die Speiche nach Kunduz ‚eingeklappt‘ wird und die Beratung der afghanischen Sicherheitskräfte dort eingestellt wird oder eingestellt werden muss, bleibt offen.

Nachtrag 12. August: Das Thema war auch in der Bundespressekonferenz nachgefragt; die Aussagen dazu von Fregattenkapitän David Helmbold für das Verteidigungsministerium und Christofer Burger für das Auswärtige Amt:

FRAGE: Meine Frage geht an das Verteidigungsministerium, eventuell auch an das Auswärtige Amt. Gestern wurde der Bundestag darüber informiert, dass die Amerikaner weitere Truppen aus Afghanistan abziehen werden und die Gesamtstärke unter 5000 sinken wird. Es hieß, dass die Bundeswehr ihre Aufgaben im Wesentlichen weiterführen könne.

Welche Aufgaben können nicht weitergeführt werden?

Werden Kontingente der Bundeswehr oder andere Truppenteile Aufgaben der Amerikaner übernehmen?

In welchen Zeiträumen planen Sie jetzt? Glauben Sie also, dass bis zum Ende des Mandats Anfang des nächsten Jahres die Truppenstärke der Bundeswehr Bestand haben kann, oder ist offen, was nach November geschieht?

HELMBOLD: Die offiziell angekündigte Truppenreduzierung der US-Streitkräfte trifft uns nicht unerwartet. Sie soll in enger Abstimmung mit allen Partnern vor Ort geschehen. Der entscheidende Punkt ist im Moment, dass die USA bereit sind, die Unterstützung der Partner bei der Erfüllung der Mission „Resolute Support“ angepasst sicherzustellen. Das bedeutet auch, dass die Bundeswehr zunächst erst einmal weiterhin zu ihren Verpflichtungen stehen kann.

Alle weiteren Schritte werden innerhalb der NATO besprochen und abgestimmt werden. Dem kann ich jetzt nicht im Einzelnen vorgreifen.

VORS. FELDHOFF: Gibt es eine Ergänzung des Auswärtigen Amtes?

BURGER: Ich habe dem jetzt erst einmal nichts hinzuzufügen.

ZUSATZFRAGE: Heißt das, dass Sie auf der einen Seite schon wissen, dass die Amerikaner abziehen, dass aber auf der anderen Seite die NATO noch kleine Pläne hat, wie sie damit umgeht?

HELMBOLD: Wir bereiten uns selbstverständlich auf verschiedene Szenarien vor. Aber im Moment ist der Sachstand, dass tatsächlich zurzeit 8600 US-Soldaten in Afghanistan sind. Die Reduzierung auf 4500 US-Soldaten ist Medienberichten zufolge geplant. Wir stehen weiterhin in enger Abstimmung mit den Amerikanern. Uns wurde von amerikanischer Seite zugesichert, dass die „critical enablers“ weiterhin zur Verfügung stehen, um die Mission, zu der wir auch weiterhin stehen, weiterhin durchzuführen.

Der weitere Fortgang der Dinge hängt davon ab, wie die Abstimmung insbesondere auch mit den anderen Partnern, auch im NATO-Rahmen, weiter stattfinden werden.

FRAGE: Gegebenenfalls an Herrn Seibert oder auch an Herrn Burger: Wann soll nach den Planungen der Bundesregierung der letzte deutsche Soldat aus Afghanistan abgezogen werden? Wann ist Schluss?

BURGER: Ich habe jetzt nicht im Kopf, bis wann wir aktuell ein Mandat haben. Sie kennen unsere Bemühungen um die Unterstützung eines Friedensprozesses für Afghanistan. In Afghanistan hat es in den letzten Wochen erfreuliche Entwicklungen gegeben, die die Chancen dafür verbessert haben, dass wir in den nächsten Wochen tatsächlich den Beginn innerafghanischer Friedensverhandlungen sehen. Die Bundesregierung unterstützt diese Bemühungen tatkräftig. Wir sind dazu nicht nur mit den Parteien in Afghanistan selbst im Gespräch, sondern auch mit den USA, mit Katar und mit Norwegen und bemühen uns gemeinsam, diesen Prozess nach Kräften zu unterstützen.

Für uns ist wichtig, dass die Errungenschaften, die wir in den letzten Jahren in Afghanistan erreicht haben, insbesondere was Themen wie Menschenrechte, Frauenrechte und die Bildung für Kinder und Mädchen angeht, in diesem Friedensprozess nicht geopfert werden, sondern dass der Prozess zu einem Frieden für Afghanistan führt und auch diesen Entwicklungsfortschritten Rechnung trägt. Wenn es gelingt, in diesem Prozess Fortschritte zu machen, wenn es eine Friedensperspektive für Afghanistan gibt, dann schafft das natürlich auch die Voraussetzungen dafür, dass eine internationale Unterstützung im militärischen Bereich für die afghanischen Sicherheitskräfte vielleicht nicht mehr oder vielleicht in anderer oder geringerer Form gebraucht wird.

(Foto: Johnny Blackett, a Department of the Army Civilian with the Army Field Support Battalion – Afghanistan, 10th Mountain Division Resolute Support Sustainment Brigade oversees the loading of retrograde cargo on Bagram Air Field, Afghanistan July 12, 2020. The AFSBn-AFG is responsible for coordinating the movement of equipment out of the Combined Joint Operations Area – Afghanistan – Foto Sgt. 1st Class Corey Vandiver/1st Theater Sustainment Command)