Amtshilfe in der Pandemie: Wenn’s nicht gegen Hochwasser oder Waldbrand geht

Seit Anfang April hat sich die Bundeswehr gezielt für den Kampf gegen die Coronavirus-Pandemie aufgestellt – erstmals mit einem Einsatzkontingent im Inland. Ein Blick in die Schaltstelle, wo die Arbeit trotz der öffentlichen Lockerung von Beschränkungen weitergeht.

Die große Lagekarte sieht nicht besonders militärisch aus. Auf der Leinwand an der Stirnseite des langgestreckten, flachen Raums  flackert bläulich die aktuelle Übersicht des Robert Koch-Instituts mit den jüngsten Fallzahlen der Coronavirus-Infektionen. Das ist unsere Feindlage, sagt Oberst Armin Schaus, der Chef der Operationszentrale des Kommandos Territoriale Aufgaben*. Aus den Daten lasse sich schon früh abschätzen, wo wieder Aufträge auf die Bundeswehr zukommen könnten.

Die Operationszentrale in der Julius-Leber-Kaserne im Berliner Norden ist die Schaltzentrale für den Apparat, den die Streitkräfte für ihren Beitrag im Kampf gegen die aktuelle Virus-Pandemie in Bewegung gesetzt haben. Die Gesamtzahlen klingen imposant: Rund 15.000 Soldatinnen und Soldaten aus verschiedenen Teilstreitkräften stehen zeitlich gestaffelt für Hilfseinsätze in Bereitschaft. Da sind die rund 17.000 Soldaten des Sanitätsdienstes noch gar nicht mitgerechnet, auch nicht die Hubschrauber und Flugzeuge, die bei Bedarf ebenfalls zur Unterstützung in der Pandemie mobilisiert werden können.

Gebraucht wurde von dieser Streitmacht bislang nur ein geringer Teil. Anfang April hatte die Bundeswehr ihr Einsatzkontingent Hilfeleistung Corona aufgestellt; gut einen Monat später sind am 7. Mai – außerhalb des Sanitätsdienstes mit seinen Bundeswehrkrankenhäusern – aktuell gut 700 der bereitstehenden Soldaten tatsächlich im Einsatz.

Zu groß angelegt? Nach den Nachrichten und Bildern aus Italien, sagt Generalmajor Carsten Breuer, der Chef des Kommandos, habe die Bundeswehr sich komplett auf Corona eingestellt. Wir machen das, was wir militärisch gelernt haben: Wir schaffen Reserven für einen Eventualfall.

Dazu gehört neben den Tausenden von Soldaten, die innerhalb von zwölf Stunden, vielleicht aber auch erst innerhalb von fünf Tagen für Hilfeleistungen zur Verfügung stehen, auch eine Steuerung rund um die Uhr. Rund 40 Soldaten sind jeweils in einer Schicht in der Berliner Operationszentrale, nur in den Nachtstunden wird auf eine Rumpfmannschaft heruntergefahren. Eine komplette zweite Zentrale in einem anderen Gebäude steht samt Mannschaft bereit, falls die Schaltstelle wegen Verseuchung mit dem Virus vollständig ausfällt. Auch für Kommandeur Breuer gibt es eine Reserve: Sein Stellvertreter bleibt isoliert daheim, wird über Telefonkonferenzen auf dem Laufenden gehalten und springt ein, falls der General erkrankt.

Zum Vergleich: Zu normalen Zeiten arbeiten vier Soldaten in der Operationszentrale. Ihre Hauptaufgabe sind Anfragen von Kommunen und Bundesländern nach Bundeswehr-Unterstützung zum Beispiel bei Hochwasser, bei Waldbränden oder inzwischen immer öfter bei Borkenkäfer-Befall in Wäldern.

Die aktuellen Anfragen haben aber längst den Rahmen gesprengt. In der Pandemie gingen bis zum heutigen Donnerstag 508 Anträge auf Amtshilfe  ein, 242 davon wurden gebilligt, 87 sind bereits abgeschlossen. Aktuell laufen 134 Unterstützungsleistungen, weitere 21 sind in Planung. Im ganzen vergangenen Jahr waren es 249.

Unabhängig von der Zahl ist die grundlegende Aufgabe der Berliner Operationszentrale allerdings die gleiche: In der Julius-Leber-Kaserne gehen die Anfragen ein, wenn ein Land, ein Landkreis, eine Stadt um die Hilfe der Streitkräfte bittet. Die Spezialisten prüfen, ob die Bundeswehr überhaupt helfen darf – denn so ohne weiteres können nicht Soldaten in Marsch gesetzt werden, wenn zum Beispiel eine zivile Firma eine Aufgabe genauso erledigen könnte. Und dann ist ja noch die Frage, ob die Bundeswehr überhaupt das leisten kann, was gewünscht ist: So viele Schutzmasken oder -kittel, wie manche Landkreise zu Beginn der Pandemie bei den Streitkräften anforderten, waren in den Depots schlicht nicht vorhanden.

Und auch die Anfragen, in denen Länder gerne Soldaten für so genannte hoheitliche Aufgaben hätten, sind so einfach nicht zu beantworten. Denn für solche Aufgaben, in denen Streitkräfte zum Beispiel mit Eingriffsbefugnissen wie die Polizei agieren, hat das Grundgesetz – und auch das Bundesverfassungsgericht – enge Grenzen gesetzt. Das war nicht nur das Problem bei den Überlegungen Baden-Württembergs, angesichts von Personalengpässen bei der Polizei Jäger aus der Deutsch-Französischen Brigade mit auf Streife zu schicken – der Antrag wurde dann doch nicht gestellt. Es war auch erst einmal ein Problem beim Wunsch zahlreicher Gesundheitsämter, Soldaten ans Telefon zu setzen, um Infektionswege und -ketten nachzuverfolgen.

Für diese so genannten Containment Scouts war eine Grundsatzentscheidung des Verteidigungsministeriums nötig, und auch die kam mit Auflagen. Nun sind zwar Soldaten in den Gesundheitsämtern mehrerer Länder im Einsatz, sie dürfen aber nicht auch nur den Eindruck erwecken, dass sie hoheitlich tätig werden. Vereinfacht gesagt: Eine Quarantäne-Anordnung zum Beispiel muss vom zivilen Amtsarzt kommen – nicht vom Soldaten, der in der selben Behörde aushilft. Das war Neuland für uns, sagt Breuer. Denn der Einsatz im Gesundheitsamt sei schließlich eine komplett andere Aufgabe als Sandsäcke stapeln beim Hochwasser oder beim Löschen eines Waldbrandes zu helfen.

Aber der Bedarf der Kommunen ist offensichtlich groß. Rund 120 Soldatinnen und Soldaten haben bereits den Dienst in den Gesundheitsämtern angetreten, von 20 Männern und Frauen in vier Teams im brandenburgischen Bad Belzig bis zu einem Fachmann im bayerischen Tirschenreuth. Der Schwerpunkt ist bislang Brandenburg, aber Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen oder Bayern haben Soldaten als Containment Scouts angefordert oder bereits im Einsatz. Und die aktuelle Planung der Länder, Lockerungen in der Pandemie auch an die Nachverfolgung von Infektionen zu koppeln, dürfte den Bedarf noch steigen lassen. Konkret bereiten sich schon Soldaten auf diese Aufgabe in Mecklenburg-Vorpommern und in Thüringen vor.

Als zweiter Schwerpunkt für helfende Hände der Bundeswehr, ohne hoheitliche Aufgaben, zeichnen sich immer mehr die Einrichtungen ab, in denen die Gefahr einer Verbreitung des Coronavirus besonders groß ist: Alten- und Pflegeheime und Aufnahmeeinrichtungen für Geflüchtete. In Heidelberg zum Beispiel sind mehr als 130 Soldaten, sowohl Unterstützer als auch Sanitätskräfte, in einer solchen Aufnahmeeinrichtung im Einsatz – mit den Infizierten und ihren Kontaktpersonen sollen die Soldaten aber nicht in Kontakt kommen.

Auch wenn diese Arbeit weiter geht und die Pandemie noch lange nicht bewältigt ist: Es ist eine gute Nachricht, dass in Deutschland bis heute eine Katastrophe verhindert werden konnte, sagt Generalleutnant Martin Schelleis, Inspekteur der Streitkräftebasis und als so genannter Nationaler Territorialer Befehlshaber Breuers Chef. Und auch weiterhin stehe die Bundeswehr zur Hilfe bereit.

Aber lange werden die Streitkräfte diese Unterstützung und die Bereitschaft für Tausende von Soldaten aufrecht halten können? Zwar  wurde die zunächst kurze Vorwarnzeit für die meisten der 15.000 Männer und Frauen des Einsatzkontingents deutlich verlängert. Aber auf eine lange Bereitschaft für den Ernstfall stellt sich die Truppe weiter ein. Wenn es sein muss, bis nächstes Jahr, sagt Breuer für sein Kommando. Wir sind einer der letzten Bereiche, die in den Normalbetrieb übergehen.

*KORREKTUR: Es heißt natürlich Kommando Territoriale Aufgaben und nicht Aufklärung, wie ich zunächst falsch geschrieben hatte – wie auch immer das passiert ist. Ich bitte um Nachsicht.

(Aufmacherfoto: Archivbild 9. April: Feldwebel Uwe Hauck unterstützt beim Entladen von Sanitätsmaterialien, die für die Städtischen Kliniken Dresden in der Graf-von-Stauffenberg-Kaserne eingelagert werden – Anne Weinrich/Bundeswehr; Foto unten:  Breuer in der Operationszentrale)