Extremisten in der Bundeswehr: Mehr Blick nach rechts, mehr Verdachstsfälle, mehr Meldungen

Der Militärische Abschirmdienst (MAD) ist im vergangenen Jahr mehr Verdachtsfällen auf Rechtsextremismus in der Bundeswehr nachgegangen als in den Vorjahren. Hauptgrund dafür war eine Anpassung der Arbeitsweise des Nachrichtendienstes und ein höheres Meldeaufkommen aus der Truppe. 46 Soldaten wurden 2019 wegen rechtsextremistischer Verfehlungen aus der Bundeswehr entlassen.

Diese Zahlen gehen aus dem ersten Jahresbericht der Koordinierungsstelle für Extremismusverdachtsfälle hervor, die im vergangenen Jahr im Verteidigungsministerium eingerichtet wurde. Der Bericht, der sowohl der Leitung des Ministeriums als auch Parlament und Öffentlichkeit einen Überblick über Fälle von Extremismusverdacht in der Bundeswehr geben soll,  wurde am (gestrigen) Montag an den Verteidigungsausschuss übergeben.

2019 ging der MAD insgesamt 743 Extremismusverdachtsfällen nach, von denen 482 im vergangenen Jahr neu hinzugekommen waren. Bis zum Jahresende wurde dabei bei 38 Personen fehlende Verfassungstreue festgestellt, 14 wurden als erkannte Extremisten eingestuft.

Dabei zeigte sich ein deutliches Übergewicht rechtsextremistischer Tendenzen: 592 der 743 Verdachtsfälle kamen aus diesem Bereich, außerdem in 34 Fällen aus der Zugehörigkeit zur so genannten Reichsbürgerszene. Beim Verdacht auf fehlende Verfassungstreue spielte ebenfalls mit 27 Fällen der rechtsextremistische Bereich die Hauptrolle, acht Soldaten wurden als erkannte Extremisten gezählt.

Deutlich geringer waren diese Zahlen dagegen im Bereich Islamismus (69 Verdachtsfälle, vier Personen mit fehlender Verfassungstreue und vier erkannte Extremisten), im Ausländerextremismus (37 Verdachtsfälle, drei Personen mit fehlender Verfassungstreue, kein erkannter Extremist) und im Bereich Linksextremismus (elf Verdachtsfälle, eine Person mit fehlender Verfassungstreue, kein erkannter Extremist). Generell seien Angehörige des Geschäftsbereich BMVg in den letzten Jahren nur selten durch Bezüge zum Linksextremismus aufgefallen, heißt es in dem Bericht.

Grundlage für einen Rechtsextremismusverdacht, dem der MAD nachgeht, sind den Angaben zufolge vor allem ausländer- bzw. fremdenfeindliche Aussagen in sozialen Medien. Hinzu kämen klassische Propagandadelikte wie Abspielen der Musik rechtsextremistischer Interpreten innerhalb militärischer Liegenschaften, der Besitz von Propagandamaterial und die Teilnahme an rechtsextremistischen Veranstaltungen. Dagegen sei die Zahl der Mitglieder von rechtsextremistischen Gruppierungen und Organisationen stabil und auf niedrigem Niveau geblieben.

Die erkannten oder vermuteten Rechtsextremisten seien dabei nicht in bestimmten Regionen zu finden, sondern vor allem in Standorten und Einheiten mit vielen jungen Mannschaftsdienstgraden und Unteroffizieren, heißt es in dem Bericht. Demgegenüber ist die Zahl der Rechtsextremisten und rechtsextremistischen Verdachtsfälle an Standorten mit überwiegend lebensälteren Bundeswehrangehörigen und höheren Dienstgraden sehr gering.

Das Bundesamt für das Personalwesen der Bundeswehr (BAPersBw) entließ nach dem Bericht der Koordinierungsstelle im vergangenen Jahr 49 Personen wegen extremistischer Verfehlungen aus der Bundeswehr – auch hier mit einem deutlichen Übergewicht beim Rechtsextremismus: In 46 Fällen (sechs Offiziere, 14 Unteroffiziere und 26 Mannschafter) waren es rechtsextremistische Verfehlungen, dagegen zwei Fälle aus dem islamistischen Spektrum (ein Unteroffizier, ein Mannschafter) und ein Unteroffizier aus dem linksextremistischen Bereich. Dabei habe es sich nicht nur um erkannte Extremisten im Sinne des Paragrafen 4 Bundesverfassungsschutzgesetz gehandelt, sondern auch Fälle mit Anhaltspunkten für extremistische Bestrebungen und fehlende Verfassungstreue.

Bei extremistischen Betätigungen liegt regelmäßig der Verdacht einer schuldhaften Verletzung der Pflicht aus Paragraf 8 Soldatengesetz, dem aktiven Eintreten für die freiheitlich demokratische Grundordnung, vor, heißt es in dem Bericht. Anspruch und Ziel der Bundeswehr sei es, Personen mit fehlender Verfassungstreue konsequent zu entfernen – und gleichzeitig zu verhindern, dass Personen, die nicht fest auf dem Boden der freiheitlich demokratischen Grundordnung stehen, Zutritt in die Bundeswehr bekommen und hier an Waffen ausgebildet werden.

Eine Besonderheit beim Verdacht auf Extremismus ist der Umgang mit Reservisten – denn so lange sie nicht Dienst leisten, ist dafür nicht der MAD, sondern das Bundesamt für Verfassungsschutz zuständig. Eine AG Reservisten im MAD koordiniert deshalb die entsprechende Zusammenarbeit mit dem Verfassungsschutz. Durch die Kooperation konnten im vergangenen Jahr 773 Reservisten und Reservistinnen dauerhaft von der Dienstleistungspflicht zurückgestellt werden, heißt es in dem Bericht. Im Klartext: Sie durften nicht als Soldaten dienen. In dem Bericht wird allerdings diese Zahl nicht nach Rechtsextremismus und anderen Bereichen aufgeschlüsselt.

(Randbemerkung: Die Zahl der Personen, die Kraft Gesetzes oder aufgrund freiwilliger schriftlicher Verpflichtung zum Reservistendienst in einem Spannungs- oder Verteidigungsfall herangezogen werden könnten, betrug im Berichtszeitraum ca. 940.000 – diese Angabe in dem Bericht hat mich dann doch überrascht; auch wenn sie weit unter der nach Reservistengesetz möglichen theoretischen Gesamtzahl von neun Millionen Personen liegt.)

Nachtrag 4. März: Der Bericht ist hier auf der Webseite des Verteidigungsministeriums verfügbar.
(Und für die langfristige Archivierung auch hier:
20200302_bericht-_bundeswehr_extremismus-2019)